OGH 3Ob219/99y

OGH3Ob219/99y24.5.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Karl Wampl und Dr. Elisabeth Mühlberger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Ursula Michaela S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang R. Gassner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 257.581,80 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 15. April 1999, GZ 4 R 228/96v-37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 19. Juni 1996, GZ 7 Cg 100/94f-17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die klagende Bank stellte mit Kreditvertrag vom 6. 9./18. 9. 1990 der R***** GmbH und Gernot F. S*****, Robert M. R***** und Bertram H***** einen Kredit von S 350.000 auf dem Konto Nummer 6-882.618-2 zur Verfügung. Eine Verzinsung von 9,25 % p. a. kontokorrentmäßig und Verzugszinsen von 4,5 % wurden vereinbart. Die klagende Partei war berechtigt, die vereinbarten Kreditkonditionen in dem Ausmaß abzuändern, als sich die Verhältnisse auf dem Geld-, Kredit- bzw Kapitalmarkt ändern. Der klagenden Partei blieb das Eigentum an der von der R***** GmbH mit den Kreditmitteln anzuschaffenden Betriebs- und Geschäftsausstattung vorbehalten. Im Kreditvertrag wurde festgehalten, dass um Zinsenzuschuss bei der Bürges Förderungsbank GmbH angesucht und bei Nichtgewährung der Förderung der jeweils gültige Zinssatz für Investitionskredite rückwirkend ab Kreditausnützung in Rechnung gestellt wird, und ferner, dass für den Fall, dass der Förderungsantrag positiv entschieden wird, die für die zur Anwendung kommende Förderungsaktion geltenden Richtlinien auf den Kreditvertrag Anwendung finden. Die Bürges Förderungsbank GmbH schränkte den Kreditbetrag auf S 260.000 ein. Die klagende Partei übertrug aus verrechnungstechnischen Gründen die nicht geförderten Kreditanteile von S 90.000 auf ein neu eröffnetes Konto Nummer 6-834.977-8, wobei der Zinsatz für den geförderten Kredit mit 9,125 %, für den nicht geförderten Kredit mit 10,5 % ab Zuzählung, 11 % ab 15. 1. 1992 und 11,5 % ab 1. 8. 1992 bekanntgegeben wurde. Die Bürges Förderungsbank GmbH verlangte überdies an Sicherheiten zusätzlich die Haftung der Beklagten als Ehefrau des geschäftsführenden Gesellschafters Gernot F. S*****, der gleichzeitig Mitkreditnehmer war. Zu diesem Zweck wurde Gernot F. S***** ein von der klagenden Partei vorbereitetes Bürgschaftsanbot vom 11. 3. 1991 zur Unterfertigung durch die Beklagte übergeben. Gernot F. S***** erklärte der Beklagten nur, sie müsse dieses Bürgschaftsanbot unterschreiben, sonst bekomme die R***** GmbH den Kredit nicht. Die Beklagte unterfertigte hierauf das Bürgschaftsanbot und übermittelte es der klagenden Partei, ohne dass zwischen Vertretern der klagenden Partei und der Beklagten darüber noch Gespräche stattgefunden hätten. Die Bürgschaft umfasste den gesamten Darlehensbetrag von S 350.000, weil die Bürges Förderungsbank GmbH die Einschränkung des förderbaren Kreditbetrages auf S 260.000 der klagenden Partei erst am 14. 9. 1992 mitteilte.

Mit Kreditvertrag vom 11. 11./19. 11. 1991 wurde der R***** GmbH und deren Gesellschaftern Gernot F. S*****, Robert M. R***** und Bertram H***** ein weiterer Kredit von S 165.000 auf Konto Nummer 6-822.715-6 zur Verfügung gestellt. Vereinbart wurden 8,75 % Zinsen kontokorrentmäßig berechnet und 4,5 % Verzugszinsen; die vereinbarten Kreditkonditionen sind in dem Ausmaß abänderbar, als sich die Verhältnisse auf dem Geld-, Kredit- bzw Kapitalmarkt ändern. Auch für diesen Kredit wurde bei der Bürges Förderungsbank GmbH um einen Zinsenzuschuss angesucht; für einen Kreditteilbetrag von S 50.000 wurde ein Förderungszuschuss bewilligt, wobei die Bürges Förderungsbank GmbH im Ausmaß von 90 % die Haftung als Bürge für diesen Kreditteilbetrag übernahm. Aus verrechnungstechnischen Gründen wurde der nicht geförderte Kreditteil von S 115.000, der mit S

103.500 aushaftete, auf das neu eröffnete Konto Nummer 6-833.795-5 übertragen. Für den Kreditteilbetrag von S 50.000 wurde wiederum die Haftung der Beklagten als Bürgin und Zahlerin verlangt und zu diesem Zweck der Beklagten ein von der klagenden Partei vorbereitetes Bürgschaftsanbot vom 16. 4. 1992 per Post übermittelt, das von der Beklagten am 17. 4. 1992 unterfertigt und an die klagende Partei retourniert wurde. Die Beklagte übernahm für einen Kreditbetrag von S 50.000 die Haftung als Bürge und Zahler. Auch hiezu wurde der Beklagten von ihrem Ehemann Gernot F. S***** nur erklärt, dass ihre Unterschrift erforderlich sei, um den Kredit zu erlangen. Direkte Gespräche zwischen der klagenden Partei und der Beklagten fanden nicht statt.

Der Firmenwortlaut der R***** GmbH wurde in M***** GesmbH geändert.

Per 29. 3. 1994 hafteten am Konto Nummer 6-822.618-2 S 211.483,80, am Konto Nummer 6-822.715-6 S 32.287 und am Konto Nummer 6-834.977-8 S 139.871, insgesamt somit S 383.641,80, aus. Durch Erlöse aus Verwertung der im Vorbehaltseigentum der klagenden Partei stehenden Geschäftsausstattung der M***** GmbH von S 2.400 am 3. 8. 1994, S

2.160 am 12. 9. 1994, S 2.160 am 15. 9. 1994, S 19.800 am 16. 9. 1994, S 2.340 am 21. 9. 1994, S 12.000 am 7. 2. 1995 und S 67.200 am 22. 5. 1995 reduzierte sich der Gesamtsaldo auf S 257.581,80. Die Darlehenszinsen änderten sich infolge der Lage auf dem Geldmarkt ab 15. 11. 1990 auf 11 % bis 11,25 %, ab 3. 9. 1991 auf 11,5 % bis 11,75 %, ab 15. 1. 1992 auf 12 % bis 12,25 %, ab 1. 8. 1992 auf 12,5 % bis 12,75 %, ab 15. 10. 1992 auf 12,25 % bis 12,5 %, ab 25. 2. 1993 auf 11,25 % bis 11,5 %, ab 1. 4. 1993 auf 11 % bis 11,25 %, ab 17. 5. 1993 auf 10,5 % bis 10,75 %, ab 8. 6. 1993 auf 10 % bis 10,25 %, ab 15. 7. 1993 auf 9,75 % und ab 10. 11. 1993 auf 9,5 %.

Die Beklagte ist am 12. 12. 1966 geboren; sie heiratete im Jahr 1987; sie ist Mutter von zwei Kindern, geboren 1987 und 1990. Sie verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung; sie besuchte das Gymnasium bis zur 6. Klasse, begann eine Bürokaufmann-Lehre für ein Jahr, kehrte wieder in das Gymnasium zurück und brach das Gymnasium in der 7. Klasse neuerlich ab. Zwischen der Geburt des ersten und des zweiten Kindes war sie nur in einem Privatkindergarten teilzeitbeschäftigt; sie erhielt ein monatliches Entgelt von S 2.500; sie konnte das Kind in den Privatkindergarten mitnehmen. Seit der Geburt ihres zweiten Kindes war sie nur mehr im Haushalt tätig. Die Beteiligung des Ehemannes der Beklagten an der M***** GmbH und seine Tätigkeit als Geschäftsführer waren die einzige Einkommensquelle für die Familie. Der im Jahr 1994 gestellte Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der M***** GmbH wurde mangels Vermögens abgewiesen. Gernot F. S***** befindet sich nunmehr in einem Angestelltenverhältnis; sein Einkommen ist aufgrund seiner Verpflichtung aus der unternehmerischen Tätigkeit bis zum Existenzminimum gepfändet. Die Beklagte war von Anfang März bis Juni 1994 in einer Trafik halbtags als Verkäuferin gegen ein monatliches Entgelt von S 5.000 beschäftigt; die Kinder waren vormittags in der Schule bzw im Kindergarten. Sie wurde gekündigt; es war nicht möglich, wiederum eine Halbtagsbeschäftigung zu finden. Eine Ganztagsbeschäftigung kommt für die Beklagte wegen der Betreuung der Kinder nicht in Betracht.

Im Jahr 1993 erwarb die Beklagte eine Eigentumswohnung, die der Familie als Wohnsitz dient. Die Eigenmittel für diese Wohnung stellte der Vater der Beklagten zur Verfügung. Im Übrigen wurde die Wohnung mit Bankkredit und Annuitäten- bzw Zinsenzuschuss durch die Wohnbauförderung des Landes Salzburg finanziert. Die monatliche Belastung für die Rückzahlung dieser Kredite beträgt S 2.000; anschließend an die Rückzahlung des Bankkredits müssen die Annuitäten an das Land Salzburg rückbezahlt werden. Monatlich sind S 1.700 Betriebskosten zu zahlen. Die Rückzahlungsverpflichtung wird jeweils an die Einkommensverhältnisse geknüpft und kann bei Wegfall jeglichen Familieneinkommens auch auf Null herabgesetzt werden. Die Zahlungsverpflichtungen für diese Wohnung sind jedenfalls geringer als die Miete für eine Wohnung, die der Größe der Familie der Beklagten angemessen ist. Die Wohnung ist mit Pfandrechten der Creditanstalt-Bankverein von S 1,631.360, des Landes Salzburg von S 790.000 sowie im Höchstbetrag von S 2,120.768 belastet; eingetragen ist ein Veräußerungsverbot für das Land Salzburg und ein Belastungs- und Veräußerungsverbot für Adolf M*****.

Die klagende Partei begehrt von der Beklagten als Bürgin und Zahlerin die Bezahlung von (eingeschränkt) S 257.581,80 sA. Sie brachte vor, das seinerzeitige und auch das zukünftig zu erwartende Einkommen der Beklagten stehe in keinerlei Missverhältnis zu den gewährten Krediten bzw zum nunmehr eingeklagten Saldo. Es sei zu erwarten, dass die Beklagte wieder berufstätig sein werde. Überdies sei sie gemeinsam mit ihrem Ehegatten Eigentümerin einer geförderten Wohnung.

Die Beklagte wendete ein, die überaus kompliziert und extrem juristisch formulierte Bürgschaftsvereinbarung habe sie überfordert; es liege Dissens vor. Es sei ihr vor Unterfertigung des Bürges-Kreditantrags mitgeteilt worden, ihre Unterschrift sei erforderlich, weil sonst der Bürges-Kredit nicht gewährt werde. Sie habe keine Belehrung erhalten, ob sie aufgrund ihrer Unterschrift und der von ihr dadurch übernommenen Haftung tatsächlich in der Lage sei, die Verbindlichkeit auch nur teilweise zu befriedigen, obgleich zwischen dem Verpflichtungsumfang und ihrem damaligen, gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Einkommen und ihren Vermögensverhältnissen ein krasses Missverhältnis bestanden habe, das bei lebensnaher Sicht der Dinge erwarten habe lassen, dass sie die übernommenen Verpflichtungen nicht erfüllen könne. Sie habe kein wie immer geartetes Einkommen. Wegen ihrer kleinen Kinder könne sie auch in absehbarer Zeit kein Einkommen erwirtschaften. Sie habe sich im Zeitpunkt der Unterfertigung in einer seelischen Zwangslage befunden, die sich aus ihrer natürlichen gefühlsmäßigen Bindung ihrem Gatten gegenüber und aus ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit ergeben habe.

Das Erstgericht wies die Klage ab; neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, die Beklagte habe im Rahmen der R***** bzw M***** GmbH keinerlei Funktion gehabt und habe für dieses Unternehmen auch keine Arbeiten ausgeübt; sie habe auch keinen Einblick in die finanzielle Gebarung gehabt. Aus den aus den Kreditmitteln angeschafften Bürogeräten der M***** GmbH habe die Beklagte keinerlei persönlichen Vorteil gehabt. Sie sei zum Zeitpunkt des Eingehens der Bürgschaftsverpflichtung völlig vermögenslos gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, wenngleich die Beklagte die Auswirkung einer Bürgschaftserklärung zu wenig bedacht haben möge bzw die entsprechenden Erklärungen für sie auch nicht ausreichend verständlich gewesen seien, so sei doch davon auszugehen, dass ihr bewusst gewesen sei, eine Bürgschaftserklärung zu unterfertigen und damit auch eine Haftung als Bürge und Zahler zu übernehmen. Insofern liege Willensübereinstimmung und kein Dissens zwischen den Streitteilen vor.

Die Übernahme der Bürgschaft stelle für jeden ein erhebliches persönliches Risiko dar. Die sinngemäße Anwendung der Grundsätze des Wucherverbotes wegen Vorliegens eines Ausbeutungstatbestandes könne zur Annahme der Sittenwidrigkeit und damit zur Nichtigkeit des die Verpflichtung begründenden Rechtsgeschäftes führen. Es sei eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorzunehmen. Die Beklagte sei nicht ein einziges Mal von der klagenden Partei über die übernommene Bürgschaft aufgeklärt worden. Es habe keine Belehrung darüber stattgefunden, welches Risiko die Beklagte bei der Übernahme der Bürgschaft eingeht, wie hoch die Zinsen sind und wie die Rückzahlung ausgestaltet ist. Der Ehegatte, zu dem die Beklagte in einem finanziellen und seelischen Abhängigkeitsverhältnis stehe, habe sie die Bürgschaft unterschreiben lassen. Die Beklagte sei wirtschaftlich unerfahren gewesen und habe sich den Bürgschaftsvertrag auch beim Durchlesen bis auf die Kredithöhe nicht erklärbar machen können. Sie sei nach wie vor völlig mittellos und nur auf das Haushaltsgeld angewiesen, das sie von ihrem Ehegatten bekomme. Das Eigeninteresse der Beklagten habe sich darauf beschränkt, dass sie nicht gewollt habe, dass ihr Ehegatte seine Arbeit und die Einkommensquelle für die Familie verliere. Aus den durch den Kredit angeschafften Geräten habe sie keinen persönlichen Nutzen gezogen. Die auf ihren Namen lautende Eigentumswohnung sei erst nach Abschluss der Bürgschaftsverträge angeschafft und von ihrem Vater bzw durch Förderungsmittel des Landes finanziert worden; die Belastung werde den jeweiligen Einkommensverhältnissen angepaßt; eine Verwertung der Wohnung sei aufgrund der Belastungen bzw des Veräußerungs- und Belastungsverbotes für die Beklagte nicht möglich. Wenn man diese Umstände, die der klagenden Partei bekannt gewesen seien bzw über die sich die klagende Partei leicht hätte Kenntnis verschaffen können, der von der Beklagten eingegangenen Verpflichtung in Höhe von S 400.000 gegenüberstelle und noch bedenke, dass die Beklagte zwei Kinder im Alter von nunmehr 9 und 6 Jahren habe, weiters keine abgeschlossene Ausbildung besitze, so müsse man davon ausgehen, dass diese Verpflichtung die zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten bei weitem übersteigen, dies auch unter Berücksichtigung des noch relativ geringen Alters der Beklagten. Wenn man nun auch die jeweils hinzukommenden Zinsen berücksichtige, sei die Zurückzahlung der Schuld durch die Beklagte bei lebensnaher Betrachtung auszuschließen. Aus diesen Gründen sei von der Sittenwidrigkeit der Haftungsvereinbarung auszugehen und daher das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil vom 22. 4. 1997 mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes als Revisionsgericht vom 11. 11. 1998, 3 Ob 224/97f (JBl 1999, 333 = ÖBA 1999/801), aufgehoben worden war, gab mit dem nun angefochtenen Urteil der Berufung der klagenden Partei statt und änderte das Ersturteil im klagsstattgebenden Sinn ab; es sprach aus, die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig. Der Oberste Gerichtshof habe zu 1 Ob 87/98w (ecolex 1998, 762) unter Bezugnahme auf Rabl in ecolex 1998, 9 ausgeführt, dass nicht einer schmatischen Anwendung des Wuchertatbestandes das Wort zu reden, sondern mit den erörterten Beurteilungskriterien auf einen Wandel der Wertungsprinzipien adäquat zu reagieren sei und dass die Sittenwidrigkeit von Interzessionsgeschäften einer näheren und konkreten Abgrenzung durch das Herausbilden von einschlägigen Fallproblemen bedürfe. Weiters sei nicht zu übersehen, dass die erste einschlägige Grundsatzentscheidung 1 Ob 544/95 wesentlich leichter als der hier vorliegende Fall zu lösen gewesen sei. Allein das Hälfteeigentum des dort beklagten Familienangehörigen an der Liegenschaft im Gesamtwert von S 10,000.000 und das Monatseinkommen von rund S 20.000 netto hätten wohl kaum die Sittenwidrigerklärung der vom beklagten Familienangehörigen bis höchstens S 5,000.000 übernommenen Garantieverpflichtung erlaubt. Somit habe es in 1 Ob 544/95 schon an einem krassen Missverhältnis zwischen dem Umfang der Garantieverpflichtung und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Garanten gefehlt. Dass sich die vom Obersten Gerichtshof in 1 Ob 87/98w vermissten einschlägigen Fallgruppen zum Zwecke der näheren und konkreten Abgrenzung seither in der oberstgerichtlichen Judikatur herausgebildet hätten, könne das Berufungsgericht nicht in hinreichendem Ausmaß erkennen. Der hier beurteilte Fall bedeute für die Beklagte unter Umständen die Härte einer lebenslangen Haftung, die erst im Vollstreckungsrecht teilweise gemildert werden könne. Die vom Obersten Gerichtshof zu 1 Ob 87/98w postulierte Weiterentwicklung der vom Senat 1 des Obersten Gerichtshofes eingeleiteten Rechtsprechung gebiete hier die Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO.

Das Berufungsgericht stellte nach Beweiswiederholung und Beweisergänzung weiters folgenden Sachverhalt fest:

Die Beklagte war in der M***** GmbH, vormals R***** GmbH, von der ersten Gründung an Gesellschafterin mit einer übernommenen Stammeinlage von S 125.000, das entspricht einem Anteil von 25 %. Mit Stammeinlagen in dieser Höhe waren als weitere Gesellschafter der Ehemann der Beklagten, Gernot F. S***** sowie Robert M. R***** und Bertram H***** beteiligt. Sie hatten anfangs an eine Gesellschaftsgründung ohne Beteiligung eines vierten Gesellschafters gedacht. Aus unterschiedlichen Motiven entschlossen sie sich letztlich zur Einbeziehung der Beklagten als vierte Gesellschafterin. Für den Ehemann der Beklagten lag der Beweggrund darin, dass ihm bei einer nur 25 %igen Beteiligung an der Gesellschaft sozialversicherungsrechtliche Möglichkeiten eröffnet wurden, die bei einer 33 %igen Beteiligung nicht bestanden hätten. Für den Gesellschafter Robert M. R***** waren diese sozialversicherungsrechtlichen Möglichkeiten nur ein Nebeneffekt; der Hauptbeweggrund bestand für ihn darin, dass der von ihm bar zu leistende Anteil an der Stammeinlage nur mehr S 62.500 betrug; mehr Geld hätte er nicht auftreiben können.

Die Beklagte zeigte sich an ihrer Beteiligung an der GmbH uninteressiert, maß ihrem Eintritt als Gesellschafterin keine Bedeutung zu und sprach weder mit ihrem Ehemann noch mit den übrigen Gesellschaftern darüber, ob sie auch einen Gewinnanteil an der GmbH habe. Auch vom Errichter des Gesellschaftsvertrags verlangte sie keine nähere Rechtsbelehrung. Sie verließ sich auf ihren Ehemann.

Da die GmbH keine Gewinne erwirtschaftete, stellte sich in der Praxis die Frage nach einer Gewinnverteilung nicht.

Bei der klagenden Sparkasse war Dr. Christa W***** mit der Kreditbearbeitung betraut. Die Kreditbearbeiterin beschafft routinemäßig einen Firmenbuchauszug, sobald ein Kredit an eine GmbH zu bearbeiten ist. Dies geschah auch in diesem Fall. Dr. Christa W***** war daher bekannt, dass die Beklagte mit einem Anteil von 25 % Gesellschafterin war. Dass diese Beteiligung nur zum Schein oder pro forma erfolgt wäre, teilte ihr niemand mit. Die Gespräche über eine Kreditgewährung an die GmbH führte der Ehemann der Beklagten. Er erwähnte Dr. W***** gegenüber, ohne jedoch eine besondere Wichtigkeit dieses Punktes hervorzuheben, dass die GmbH aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen nicht bloß mit drei, sondern mit vier Gesellschaftern gegründet werde bzw gegründet worden und dass seine Ehefrau die vierte Gesellschafterin sei.

Dr. Christa W***** wusste, dass die Beklagte in der GmbH nicht mitarbeitete und auch sonst keine Berufstätigkeit ausübte, weil sie ihre Kinder zu betreuen hatte. Die Vermögenslosigkeit der Beklagten war ihr ebenfalls bekannt. Nicht war ihr jedoch bekannt, dass die Beklagte auch bei positivem Geschäftsgang der GmbH unter Umständen keinen Gewinnanteil erhalten hätte. Der Beweggrund für Dr. W*****, eine Bürgschaft der Beklagten für die beiden Kredite zu erlangen, bestand darin, dass die Bürges Förderungsbank GmbH in ihrem Merkblatt für die Kleingewerbekreditaktion vorsieht, dass zur Sicherstellung des Kredites bei Kapitalgesellschaften sämtliche Gesellschafter die Kreditunterlagen als Solidarschuldner mitzufertigen haben. Bei anderen Krediten, welche die klagende Partei dieser GmbH ohne Mitwirkung der Bürges gewährte, verlangte sie keine Bürgschaft der Beklagten.

Das Berufungsgericht konnte nicht feststellen, ob die Beklagte bei gutem Geschäftsgang der M***** GmbH einen Gewinnanspruch gehabt hätte, wohl aber, dass Dr. W***** mangels anderslautender Informationen von einem Gewinnanteil der Beklagten im Falle guten Geschäftsgangs der GmbH ausgegangen ist.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, nach den seit der grundlegenden Entscheidung SZ 68/64 zur Sittenwidrigkeit von riskanten, gar ruinösen Bürgschaften mittelloser Angehöriger ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen könne als gesicherter Rechtsbestand angesehen werden, dass ein Sittenwidrigkeitsurteil drei Elemente voraussetze, die kumulativ vorliegen müssen. Das seien die inhaltliche Missbilligung des Bürgschaftsvertrages, die Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Bürgen und die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber.

Von den in dieser Entscheidung formulierten Kriterien seien das grobe Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit der Beklagten und dem Umfang ihrer Haftung und die geschäftliche Unerfahrenheit der Beklagten eindeutig zugunsten der Beklagten zu bejahen. Die Beklagte müsse jedoch ebenso eindeutig an den Sittenwidrigkeitskriterien des fehlenden Eigeninteresses am Zustandekommen des Kredites, der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der relevanten Umstände seitens des Kreditgebers und der Überrumplung durch die Bank scheitern. Für die weiteren Sittenwidrigkeitskriterien (konkrete vertragliche Ausgestaltung, hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, Verharmlosung des Risikos oder der Tragweite der Verpflichtung durch einen Bankmitarbeiter, Ausnützung der seelischen Zwangslage infolge der gefühlsmäßigen Bindung an den Kreditnehmer oder der wirtschaftlichen Abhängigkeit von diesem, Sinnlosigkeit der Bürgschaft für die Bank) ergebe sich kein so eindeutiger rechtlicher Befund; die Argumente pro und contra müssten hier mangels ausschlagenden Gewichts nicht näher ausgeführt werden.

Zur Rechtsfrage des fehlenden Eigeninteresses der Beklagten an der Kreditaufnahme könne auf die Entscheidung 6 Ob 117/98v (ecolex 1998, 761) zurückgegriffen werden. Die Sachverhaltsunterschiede (hier Ehegatte, dort Lebensgefährtin; hier beide Ehegatten Mitgesellschafter, dort Lebensgefährte Alleingesellschafter) seien unwesentlich. Beiden Fällen gemeinsam sei, dass die GmbH die wesentliche berufliche Existenzgrundlage des Ehemannes (Lebensgefährten) gewesen sei und die Beklagte, selbst wenn sie hier als Mitgesellschafterin keinen Gewinnanspruch gehabt hätte, von einem guten Geschäftsgang der GmbH jedenfalls indirekt profitiert hätte, weil ihr Ehemann neben einem Geschäftsführergehalt auch einen Gewinnanteil bezogen hätte und der Unterhalt der Ehegatten dadurch finanziert worden wäre und ihr Lebensstandard dadurch hätte angehoben werden können.

Auch sei der kreditgebenden Bank keine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der für die Sittenwidrigkeit maßgebenden Faktoren vorzuwerfen. Wenngleich die klagende Partei von der Einkommens- und Vermögenslosigkeit der Beklagten gewusst habe, so habe sie doch davon ausgehen können, dass die Beklagte wisse, was sie tue, wenn sie sich als Gesellschafterin an einer GmbH beteilige. Von einer der klagenden Partei offengelegten bloßen Scheinbeteiligung der Beklagten als Gesellschafterin könne hier keine Rede sein. Das offengelegte Motiv der Mitbeteiligung der Beklagten aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen begründe nicht die rechtliche Qualifikation als Scheingeschäft im Sinn des § 916 ABGB. Es handle sich um eine bloße Äußerung im Sinn des § 901 Satz 2 ABGB. Warum jemand Gesellschafter einer GmbH werden wolle, sei irrelevant, maßgeblich sei, dass die Beklagte Gesellschafterin werden wollte und wurde.

Weiters sei der klagenden Bank kein wie immer gearteter Überrumpelungseffekt anzulasten. Die Beklagte habe nach Erhalt der schriftlichen Kreditunterlagen und vor Abgabe ihrer Bürgschaftserklärungen hinreichend und unbeeinflusst Zeit gehabt, die Sache mit ihrem Ehemann oder auch mit anderen Beratern, ja sogar mit der klagenden Sparkasse zu besprechen. Dass sie dies nicht getan habe oder schlecht beraten worden sei, könne nicht der klagenden Partei angelastet werden. Aus der Sicht der Bank habe kein Anlass bestanden, die Beklagte vor ihrem Ehemann oder vor sich selbst zu schützen.

Dass die Beteiligung an einem Unternehmen riskant und der Niedergang eines Unternehmens für die beteiligten Personen ruinös sein könne, sei keine Besonderheit gerade des hier vorliegenden Einzelfalls. Es gehe nicht an, aus gesetzlich nicht normierten sozialen Billigkeitserwägungen das unternehmerische Risiko auf die kreditgebende Bank abzuwälzen. Sei der Ehemann der Beklagten als Unternehmer - aus welchen Gründen immer - gescheitert, so sei es zwar bedauerlich, aber doch wohl unvermeidlich, dass die nachteiligen Folgen auch auf die mithaftende, wenngleich mittellose Ehefrau fallen. Grundsätzlich müsse es jedermann unbenommen bleiben, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die er nur unter besonders günstigen Bedingungen erbringen könne.

Die §§ 25b ff KSchG seien hier noch nicht maßgeblich, weil sie gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG nicht auf Verträge anzuwenden seien, die vor dem 1. 1. 1997 geschlossen wurden.

Besonderer Erörterung bedürfe noch der Zinsenzuspruch. Das Erstgericht habe die Entwicklung der Darlehenszinsen infolge der Lage auf dem Geldmarkt seit 15. 11. 1990 unangefochten festgestellt, ebenso den aushaftenden Gesamtsaldo per 29. 3. 1994 von S 383.641,80 und per 22. 5. 1995 von S 257.581,80. Da die Beklagte die Höhe des Zinssatzes nicht angefochten habe, liege insoweit ein abschließend erledigter Streitpunkt vor.

Die Revision der beklagten Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht bezieht sich auf die Entscheidung 1 Ob 87/98w (SZ 71/117), in der der Oberste Gerichtshof einschlägige Fallgruppen zum Zweck der näheren und konkreten Abgrenzung vermisst habe; die in dieser Entscheidung postulierte Weiterentwicklung der vom ersten Senat des Obersten Gerichtshofes eingeleiteten Rechtsprechung gebiete hier die Zulassung der ordentlichen Revision.

Die Entscheidung SZ 71/117 setzt sich auch mit der von Rabl (ecolex 1998, 9 f) vertretenen Meinung auseinander; in diesem Zusammenhang meint der 1. Senat, Rabl betone zu Recht, dass die Sittenwidrigkeit von Interzessionsgeschäften einer näheren und konkreten Abgrenzung durch das "Herausbilden von einschlägigen Fallgruppen" bedürfe. Daran anknüpfend führte der 1. Senat aus, dass hier die maßgeblichen Tatumstände tatsächlich eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwürfen und Anlass zur Weiterentwicklung der von ihm eingeleiteten Rechtsprechung gäben.

Ein Fall einer derartigen Qualität liegt hier nicht vor. Das Berufungsgericht hat vielmehr eingehend die in der Rechtsprechung zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Bürgschaftsverpflichtungen naher Familienangehöriger entwickelten Grundsätze dargestellt, denen es im Einzelfall folgt. Die Anwendung der Grundsätze, die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für die Sittenwidrigkeitskontrolle von Bürgschaften vermögensschwacher Familienangehöriger für die Kreditverbindlichkeit von Verwandten entwickelt wurden, auf den Einzelfall ist keine erhebliche Rechtsfrage und kann daher für sich allein nicht die Zulassung der Revision begründen (6 Ob 43/98m, 9 Ob 48/97t, 1 Ob 240/97v, 1 Ob 207/97s, veröffentlicht in KRES 10/78).

Die wirtschaftliche Auswirkung einer Entscheidung allein kann keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung begründen.

Auch in der Revision der beklagten Partei wird darüber hinaus keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt.

Die dort relevierte Frage, inwieweit die Verletzung des Neuerungsverbotes wahrzunehmen ist, wurde bereits in der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung des erkennenden Senates 3 Ob 224/97f (JBl 1999, 330 = ÖBA 1999/801), die in der Revision unrichtig mit 6 Ob 117/98v zitiert wird, behandelt.

Die weiters relevierte Frage der Angemessenheit der Höhe der zugesprochenen Zinsen stellt keine erhebliche Rechtsfrage dar.

Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel sowie die geltend gemachte Aktenwidrigkeit haben nicht eine derartige Qualität, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung bedarf.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 41, 50 ZPO.

Da die klagende Partei auf die Unzulässigkeit der Revision der beklagten Partei nicht hingewiesen hat, waren ihr für die Revisionsbeantwortung keine Kosten zuzusprechen.

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