Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der verpflichteten Partei aufgetragen.
Diese hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung
Im vorliegenden Zwangsversteigerungsverfahren erstattete ein Sachverständiger ein schriftliches Gutachten (ON 18). Darin gelangte er - auch unter Berücksichtigung des Ertragswertverfahrens, dem er einen erzielbaren Mietzins von monatlich S 7.500 zugrunde legte - zu einem Verkehrswert der Liegenschaft des Verpflichteten von S 2,500.000. Das angebliche Wohnrecht der Schwiegermutter desselben (Frau K*****) habe einen Wert von rund S 710.000.
Mit Beschluß vom 7. 10. 1997 (ON 19) gab das Erstgericht den ermittelten Schätzwert der Liegenschaft (und des mit S 50.000 bewerteten Zubehörs) bekannt und forderte die Beteiligten zur Äußerung binnen 14 Tagen auf.
In seiner fristgerechten Äußerung vom 17. 11. 1997 (ON 23) brachte der Verpflichtete vor, das gesamte Objekt sei zugunsten Frieda K***** sowie des zwischenzeitig verstorbenen Adolf K***** mit einem Mietrecht, sowie Wohnrecht belastet. Zum Beweis berief er sich auf einen Ortsaugenschein und vorzulegende Urkunden. Dieser Umstand sei insbesondere bei der Ermittlung des Ertragswertes zu berücksichtigen.
Das Erstgericht setzte mit Beschluß vom 7. 1. 1998 (ON 28) den Wert der Liegenschaft mit S 2,500.000 und den des Zubehörs mit S 50.000 fest. In der Begründung führte es (wohl deshalb, weil aus nicht nachvollziehbaren Gründen der Beschluß ON 19 die neue ON 27 erhalten hatte, sodaß sich die Äußerung im Akt vor diesem befindet) aus, daß die Beteiligten der Aufforderung zur Äußerung nicht nachgekommen seien.
In seinem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs, mit dem er deren Aufhebung begehrte, wiederholte der Verpflichtete im wesentlichen sein Vorbringen in ON 23. Seiner Ansicht nach wäre dem nachzugehen gewesen.
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Rekursgericht den Rekurs des Verpflichteten ebenso zurück wie die Rekursbeantwortung der betreibenden Partei. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
In der Begründung dieser Entscheidung führte das Rekursgericht aus, daß ein Rechtsmittel stets nur bei Bestehen eines "aufgreifbaren" Rechtsschutzinteresses zulässig sei. Da es sich beim Schätzwert letztlich um eine Tatfrage handle, sei ein Vorbringen bereits in erster Instanz zu erstatten. Der Verpflichtete habe aber nicht einmal im Rekurs angegeben, ob er die Erhöhung oder die Herabsetzung des Schätzwertes (und um welchen Betrag) anstrebe. Damit sei aber nicht nachvollziehbar, worauf die begehrte Verfahrensergänzung abziele. Da der Verpflichtete erkennen lasse, daß ihm jeder Schätzwert recht sei, wenn nur das Mietrecht und/oder Wohnrecht bei der Wertermittlung berücksichtigt werde, mache er in Wahrheit nicht eigene, sondern fremde Interessen geltend. Es sei nicht feststellbar, inwieweit ein allfälliger Verfahrensmangel nachteilig für den Standpunkt des Verpflichteten sein könne. Da das Schätzwertfestsetzungsverfahren nach Vorliegen des Schätzungsgutachtens "betragsorientiert" sei, ergebe sich daraus zwangsläufig, daß dem Verpflichteten ein aufgreifbares Rechtsschutzinteresse fehle. Daher sei es unerheblich, daß der Ertragswert einer Liegenschaft und damit auch der Schätzwert durch ein Mietverhältnis mit einem vom abstrakt erzielbaren abweichenden Mietzins beeinflußt werde. Da ein Wohnrecht entgeltlich oder unentgeltlich sein könne, ergebe sich aus der Stellungnahme nicht, ob durch dessen Berücksichtigung eine Erhöhung oder Herabsetzung des Ertragswertes angestrebt werde. Da ein Wohnrecht nicht offenkundig sein könne und ein solches auch nicht verbüchert sei, stelle es kein exekutionsrechtlich zu berücksichtigendes dingliches Recht dar.
Zur Frage des Fortbestehens eines rechtlichen Interesses gebe es bereits eine umfangreiche Judikatur; soweit Besonderheiten gegeben seien, handle es sich um solche eines Einzelfalles.
Gegen diesen Beschluß (und zwar erkennbar nicht gegen die Zurückweisung der Rekursbeantwortung) richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Verpflichteten, mit dem er in erster Linie begehrt, diesen im Sinne einer Stattgebung seines Rekurses abzuändern. Hilfsweise stellt er Aufhebungsanträge.
Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts sei der Revisionsrekurs zulässig, weil es keine bzw. keine einheitliche Judikatur zur Frage gebe, ob die Partei in einer Äußerung gemäß § 144 EO den sich aufgrund eines Mietrechtes/Wohnrechtes ergebenden Schätzwert selbst rechnerisch erfassen und vortragen müsse, oder ob das Behaupten eines Mietrechtes/Wohnrechtes genüge, um eine allfällige Ergänzung des Schätzgutachtens zu bewirken. Eine eigene Bewertung sei dem Verpflichteten mangels Sachkunde nicht möglich.
Nach Ansicht des Verpflichteten hätte das Erstgericht - allenfalls über Aufforderung des Rekursgerichts - eine Ergänzung des Gutachtens veranlassen und den Schätzwert unter Berücksichtigung des Mietrechtes/Wohnrechtes ergänzend feststellen müssen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch im Sinne einer Aufhebung der Rekursentscheidung und Zurückverweisung der Sache an die zweite Instanz berechtigt.
Zur Frage der Höhe des Entscheidungsgegenstandes, über den das Rekursgericht entschieden hat, ist davon auszugehen, daß der Verpflichtete in seinem Rekurs bloß einen Aufhebungsantrag gestellt und - wie vom Rekursgericht betont - bisher keine Behauptung zum seiner Ansicht nach richtigen Schätzwert aufgestellt hat. Abgesehen davon, daß bei einem Beschluß über den Schätzwert gemäß § 144 EO eine Teilrechtskraft nicht in Betracht kommt (EvBl 1998/98 = RdW 1998, 341 [LS]), ist damit aber jedenfalls für die Ermittlung des Entscheidungsgegenstandes vom festgesetzten Schätzwert auszugehen, der S 260.000 bei weitem übersteigt. Ein geringerer Wert (wie etwa zu 3 Ob 43/85) kommt somit nicht in Frage. Entgegen der Ansicht liegen auch die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO vor. Das Fehlen eines Rechtsschutzinteresses am Rechtsmittel (üblicherweise als Beschwer bezeichnet, s Kodek in Rechberger Rz 9 f vor § 461 ZPO) leitet die zweite Instanz letztlich allein daraus ab, daß der Verpflichtete in erster Instanz nicht vorbrachte, in welcher Richtung er den Schätzwert abgeändert sehen wolle (und um wieviel). Mit seinem Revisionsrekurs, der insbesondere mangelnde Sachkunde ins Treffen führt, bekämpft der Verpflichtete diese Rechtsansicht mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit. Tatsächlich steht die Verneinung der Beschwer des Verpflichteten im vorliegenden Fall mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Einklang.
Nach der Rechtsprechung reicht die formelle Beschwer des Rechtsmittelwerbers, also das Abweichen vom Sachantrag in der Regel aus, es sei denn seine Rechtsstellung werde durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt (Nachweise aaO Rz 10). Mit seiner (aufgetragenen Äußerung) bezweckte der Verpflichtete ohne Zweifel eine Ergänzung des Verfahrens zur Schätzwertermittlung. Diese Äußerung wurde vom Erstgericht gänzlich ignoriert, eine Verfahrensergänzung erfolgte nicht; seine formelle Beschwer ist daher jedenfalls gegeben.
Wie insbesondere der erkennende Senat bereits wiederholt klargestellt hat, hat - was das Rekursgericht verkannte - jede Partei des Exekutionsverfahrens, also auch der Verpflichtete, ein schutzwürdiges Interesse daran, daß der Schätzwert sowohl in formeller als auch in materieller Beziehung dem Gesetz entsprechend festgestellt wird und dabei alle hiefür ausschlaggebenden Komponenten berücksichtigt werden (3 Ob 155/75 [gerade zu vom Verpflichteten behaupteten Mietrechten] und weitere E zu RIS-Justiz RS0002205). Da sowohl eine Verschleuderung verhindert als auch eine wirkliche Durchführung der Versteigerung ermöglicht werden soll (RPflE 1986/81), kann auch der Verpflichtete ein rechtliches Interesse an der Schätzwertherabsetzung (bzw seit dem LBG an einer gegenüber dem ersten Gutachten niedrigeren Schätzwert) haben (RIS-Justiz RS0002205). Daraus ist aber zwingend abzuleiten, daß eine Äußerung zum Gutachten vom Erstgericht nicht mit dem Ergebnis unbeachtet gelassen werden kann, daß seine Entscheidung unbekämpfbar wäre, wenn nicht schon in erster Instanz der von der Partei angestrebte Schätzwert beziffert wird. Daß im Rekurs, der allein einen Aufhebungsantrag wegen eines angeblichen Verfahrensmangels enthält, keine Bezifferung erforderlich ist ergibt sich schon aus der Unmöglichkeit eines teilweise rechtskräftigen Schätzwertes (EvBl 1998/98 = RdW 1998, 341 [LS]).
Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichtes, welches nunmehr den Rekurs des Verpflichteten in der Sache zu behandeln haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht darauf, daß gemäß § 74 EO dem Verpflichteten - mit Ausnahme eines hier nicht gegebenen Zwischenstreits - kein Kostenersatz zusteht (RIS-Justiz RS0002189).
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