OGH 3Ob21/12b

OGH3Ob21/12b14.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H*****gesellschaft mbH, *****, und 2. M***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Josef Olischar und Dr. Johannes Olischar, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Pistotnik & Krilyszyn Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A*****GmbH, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.709.173,40 EUR sA, (Revisionsinteresse: 1.272.888,29 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2011, GZ 2 R 132/11p-279, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die beiden klagenden Parteien, Gesellschafterinnen einer ARGE, machen restlichen Werklohn für Baumeisterarbeiten am Bauprojekt „Millenium Tower“ in Wien geltend.

Die beklagte Partei (Auftraggeberin) erhob zahlreiche Einwendungen, beginnend mit fehlender Aktivlegitimation, über die vertragswidrige Geltendmachung diverser Positionen bis hin zu mangelnder Fälligkeit der Werklohnforderung (im Zusammenhang mit der Gestaltung der Fluchtstiegen). Weiters wurden der Klageforderung kompensando Gegenforderungen entgegengehalten, insbesondere Pönaleforderungen und Ersatzvornahmekosten.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit 1.532.325,31 EUR und die Gegenforderung mit 33.340,50 EUR als zu Recht bestehend. Die beklagte Partei wurde verpflichtet, den klagenden Parteien 1.498.984,81 EUR samt (gestaffelten) Zinsen zu zahlen; das Mehrbegehren von 176.848,09 EUR sowie ein Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge, berichtigte das Ersturteil teilweise und änderte es teilweise ab, sodass es insgesamt dahin zu lauten hat, dass die Klageforderung mit 1.272.888,29 EUR zu Recht besteht und die Gegenforderung mit 33.340,50 EUR. Dementsprechend wurde die beklagte Partei verpflichtet, den klagenden Parteien 1.239.547,79 EUR samt gestaffelten Zinsen zu zahlen. Das Mehrbegehren von 469.625,61 EUR und ein Zinsenmehrbegehren wurden abgewiesen.

Im Vordergrund der Berufung stand die Bekämpfung der vom Erstgericht - im Wesentlichen auf der Grundlage eines umfangreichen Sachverständigengutachtens - getroffenen Feststellungen (teils auch unter dem Titel anderer Berufungsgründe); das Berufungsgericht erachtete die Tatsachenrüge als nicht berechtigt.

Die Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zugelassen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

In der Zulassungsbeschwerde werden folgende Punkte als erheblich in den Vordergrund gerückt:

a) Unter welchen Bedingungen darf der Auftragnehmer Forcierungskosten (zur Aufholung eines Bauverzugs) aufwenden und dem Auftraggeber verrechnen?

b) Inwieweit ist die Festsetzung einer „Forcierungskostenforderung“ einer Ausmittlung nach § 273 ZPO zugänglich?

c) Inwieweit können von vornherein abschätzbare Kosten (hier: für Transportleistungen) als zusätzlicher Werklohn geltend gemacht werden?

d) Inwieweit hat die zu geringe Auftrittsbreite in einem Fluchtstiegenhaus Auswirkungen auf die faktische Gebrauchsfähigkeit des Bauwerks und die Behinderung der Gebäudenutzung?

e) Wie ist der Begriff der „Fertigstellung“ in einer Pönalvereinbarung auszulegen?

f) Anwendbarkeit des § 234 ZPO, wenn die Aktivlegitimation erst im Laufe des Verfahrens eintritt?

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu einem „vergleichbaren Sachverhalt“ für sich allein keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RIS-Justiz RS0102181, RS0107773, RS0122015 [T2]). Auch in der außerordentlichen Revision stehen Tatsachenfragen im Vordergrund, insbesondere ob sich das Berufungsgericht ausreichend (und richtig) mit der Tatsachenrüge auseinandergesetzt hat.

Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt in diesem Zusammenhang dann vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweiswürdigungsrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RIS-Justiz RS0043371 [T13]). Das Berufungsgericht ist nicht verpflichtet, auf die einzelne Beweisergebnisse einzugehen, wenn es gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts keine Bedenken hegt. Es muss sich nicht mit jedem einzelnen Beweisergebnis und jedem Argument des Berufungswerbers auseinandersetzen (RIS-Justiz RS0043371 [T18]).

In rechtlicher Hinsicht können alle oben unter a) - e) Fragen nur einzelfallbezogen, insbesondere im Zusammenhang mit den im konkreten Fall getroffenen Vereinbarungen, gelöst werden. Eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs wäre in Bezug auf diese Fragen nur zulässig, wenn dem angefochtenen Urteil eine auffallende Fehlbeurteilung zugrunde läge, die aber nicht vorliegt.

Im Einzelnen:

ad a) Zur Forcierungsverpflichtung und zu den geltendgemachten Kosten der Forcierung:

Hier geht es um die Auslegung der zwischen den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen. Die Vertragsauslegung hat grundsätzlich einzelfallbezogen zu erfolgen und wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl etwa RIS-Justiz RS0112106 [T1] uva). Eine unvertretbare Auslegung durch das Berufungsgericht ist nicht zu sehen.

ad b) Zur Festsetzung des Anteils der auf den für die Unterschreitung des Termins aufgewendeten Forcierungskosten:

Diesbezüglich stützte sich das Berufungsgericht auf § 273 ZPO. Die beklagte Partei vertritt die Ansicht, dass es sich um eine strittige Forderung gehandelt habe und § 273 Abs 2 ZPO nicht anzuwenden sei, weil es sich nicht um „mehrere in der Klage geltend gemachte Ansprüche“ gehandelt habe; im Übrigen könne auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Anteile der Forcierungskosten zueinander in einem linearen Verhältnis stünden.

Die Heranziehung des § 273 ZPO liegt durchaus in dem Rahmen, den die Rechtsprechung dieser Bestimmung gesetzt hat. Das Berufungsgericht erachtete den Bestand der Klageforderung abzüglich eines auf den Zeitraum der Terminunterschreitung fallenden Anteils als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Die exakte Ermittlung der auf die konkreten Tage der Terminunterschreitung entfallenden Kosten ist zumindest mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden (wenn nicht gar unmöglich). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist nicht unvertretbar.

ad c) Nach den Feststellungen handelt es sich bei den Transportmehrkosten um solche Mehrkosten, die aus der Sphäre der beklagten Partei (im Hinblick auf die vorgezogene Montage der Fassadenbefahranlage) stammen und erst im Nachhinein verursacht worden sind.

ad d) Dass die tatsächliche Gebäudenutzung durch die geringfügig verfehlte Stufenauftrittsbreite nicht in einer ins Gewicht fallenden Weise behindert wurde, ist nachvollziehbar.

ad e) Auch die Auslegung des Begriffs „Fertigstellung“ hat einzelfallbezogen zu erfolgen.

ad f) Zur Frage des Eintritts der Aktivlegitimation im Laufe des Verfahrens führt die Revisionswerberin aus, dass die Aktivlegitimation auch hier - entsprechend der Rechtsprechung zu § 234 ZPO - auf den Zeitpunkt der Streitanhängigkeit bezogen zu beurteilen sei (RIS-Justiz RS0109183). Allerdings bezieht sich § 234 ZPO auf den Fall des Wegfalls der Sachlegitimation einer Partei im Laufe des Verfahrens infolge Einzelrechtsnachfolge (5 Ob 155/06i = SZ 2006/104 = RIS-Justiz RS0109183 [T3]), nicht aber auf den Erwerb der Aktivlegitimation im Laufe des Verfahrens; hier kommt es gemäß § 406 ZPO auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung an.

Zusammenfassend zeigt die beklagte Partei in ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen ist.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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