OGH 3Ob209/07t

OGH3Ob209/07t27.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingeburg B*****, vertreten durch Mag. Jürgen Payer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Kareen-Inga S*****, vertreten durch Knirsch, Gschaider & Cerha Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen 80.500 EUR sA und Feststellung (Streitwert 6.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Zwischen- und Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Juni 2007, GZ 12 R 32/07z-49, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 22. Dezember 2006, GZ 20 Cg 204/04t-43, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der mit dem angefochtenen Berufungsurteil verknüpfte Aufhebungsbeschluss gilt als nicht beigesetzt.

2. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin wurde von der beklagten Unfallchirurgin wegen eines Überbeins und einer Tendovaginitis stenosans (Ringbandspaltung) an der rechten Hand operiert. Dabei wurde der dritte Fingernerv verletzt. Längerdauernde Schmerzperioden waren die Folge. Die Klägerin begehrte wegen eines ärztlichen Kunstfehlers sowie wegen Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht ein Schmerzengeld von 80.000 EUR sA sowie einen Aufwandsersatz zur Heilung und weiters die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige verletzungsbedingte Schäden.

Das Berufungsgericht änderte über die Berufungen beider Parteien das erstinstanzliche Urteil ab, erkannte mit Zwischenurteil, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und die Beklagte für künftige Schäden zu haften habe. Die zweite Instanz fasste „im Übrigen" (und überflüssiger Weise) einen Aufhebungsbeschluss zur Verfahrensergänzung. Nach dem vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhalt sei die Verletzung des Fingernervs auf das Nichtanlegen einer Blutsperre bei der Operation zurückzuführen. Die Blutsperre solle optimale Sichtverhältnisse für das Erkennen der anatomischen Verhältnisse herstellen. Eine Verletzung des Nervs könne zwar auch bei Anlegen einer Blutsperre erfolgen, doch sei bei einer Operation ohne Blutsperre das Operationsrisiko um das Zehnfache höher. Das Erstgericht hatte weiters noch eine nicht ausreichende Aufklärung der Klägerin durch die Beklagte festgestellt. Das Berufungsgericht erledigte die Berufung der Beklagten zu diesem Punkt nicht, weil es die Haftung der Beklagten schon wegen des Kunstfehlers bejahte, der im Nichtanlegen der Blutsperre zu erblicken sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

I. In formeller Hinsicht ist vorauszuschicken, dass es sich beim angefochtenen Urteil um ein Zwischenurteil (über den Grund des Klageanspruchs) und ein Teilurteil (über das Feststellungsbegehren) handelt. Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts gilt als nicht beigesetzt. Dies wird durch einen deklarativen Beschluss klargestellt (1 Ob 2/05h; 1 Ob 9/05p = SZ 2005/22; RIS-Justiz RS0040876).

II. Die Revisionswerberin vermag keine erheblichen Rechtsfragen aufzuzeigen:

1. Die Bekämpfung der festgestellten, um das Zehnfache erhöhten Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung bei einer Operation ohne Anlegen einer Blutsperre (nach Ansicht der Revisionswerberin sei dies eine bloße Vermutung des Sachverständigen) muss daran scheitern, dass der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz, sondern ausschließlich Rechtsinstanz ist. Die Bejahung eines ärztlichen Kunstfehlers ist auf dem Boden der getroffenen Feststellungen keine rechtliche Fehlbeurteilung.

2. Damit ist aber das Thema der vom Berufungsgericht nicht überprüften Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht nicht mehr entscheidungswesentlich.

3. Zum Thema der Beweislastverteilung steht die Revisionswerberin rechtsirrig auf dem Standpunkt, dass ihre Haftung schon deshalb zu verneinen sei, weil - wie festgestellt - die Risikoverwirklichung auch bei einer lege artis Operation (also mit Blutsperre) eintreten hätte können. Dabei übersieht sie, dass sie nach ständiger Rechtsprechung wegen der festgestellten Erhöhung des Operationsrisikos nachzuweisen gehabt hätte, die schädlichen Folgen wären auch ohne den Kunstfehler tatsächlich eingetreten (RIS-Justiz RS0026768). Mit der Feststellung des bloß allgemeinen Operationsrisikos bei Anlegen einer Blutsperre hat die Beklagte diesen Nachweis nicht erbracht.

4. Die Bejahung eines ärztlichen Kunstfehlers entspricht dem aus dem Behandlungsvertrag abgeleiteten Anspruch des Patienten auf Anwendung der sichersten Maßnahmen zur Ausschaltung bekannter Operationsgefahren (6 Ob 3/98d mwN). Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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