European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00203.20D.0120.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die unverheirateten Eltern der nun siebenjährigen Minderjährigen vereinbarten kurz nach der Geburt ihrer Tochter die Obsorge beider. Nach widersprechenden Obsorge- und Kontaktrechtsanträgen der Eltern ab dem Sommer 2014 und Einholung eines Sachverständigengutachtens entzog das Erstgericht im Juni 2017 der Mutter einstweilig die Obsorge, übertrug sie dem Vater und beschloss die sofortige Abnahme der Minderjährigen und deren Übergabe an den Vater. Seither lebt die Minderjährige im Haushalt des Vaters. Dem Rekurs der Mutter gegen diese vorläufige Maßnahme gab das Rekursgericht nicht Folge; den außerordentlichen Revisionsrekurs wies der Senat zu 3 Ob 9/18x zurück.
[2] Mit dem nun angefochtenen Beschluss übertrug das Erstgericht rund zwei Jahre später die Obsorge für die Minderjährige endgültig dem Vater. Das Rekursgericht gab dem von der Mutter dagegen erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil die Beurteilung der Frage, ob die für eine gemeinsame Obsorge erforderliche ausreichende Kommunikationsbasis der Eltern bestehe oder in absehbarer Zukunft erwartet werden könne, von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Mutter zeigt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs, der sich inhaltlich nur mit der Obsorgeübertragung an den Vater auseinandersetzt, keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf:
[4] 1. Entscheidungen über die Obsorge sind stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu treffen, es kommt ihnen daher typischerweise keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht tragende Grundsätze oder das Kindeswohl verletzt wurden (vgl RIS‑Justiz RS0007101; RS0115719; RS0097114).
[5] 2. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entscheidungen zu treffen. Erforderlich ist daher, dass eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit hergestellt werden kann (RS0128812 [T4]). Ob eine solche ausreichende Kommunikationsbasis besteht, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0128812 [T15]).
[6] 3. In den zwei Jahren seit der einstweiligen Übertragung der Obsorge auf den Vater und der Übersiedlung der Tochter zu ihm hat sich das Mädchen gut entwickelt und ihre zuvor vorhandenen motorischen und sprachlichen Entwicklungsrückstände aufgeholt. Die Beziehung ihrer Eltern ist allerdings – wie schon zum Zeitpunkt der einstweiligen Übertragung der Obsorge auf den Vater – weiterhin hoch konflikthaft; es besteht keine Vertrauensbasis zwischen den Elternteilen und die Kommunikation ist von Vorwürfen und Anschuldigungen geprägt. Die massiven Konflikte bestehen bereits seit mehreren Jahren unverändert und nach den Feststellungen kann derzeit nicht damit gerechnet werden, dass die Kommunikationsfähigkeit der Eltern, die nicht in der Lage sind, die Bedürfnisse und Wünsche ihres Kindes möglichst übereinstimmend zu beurteilen und die sich darauf beziehenden Entscheidungen einvernehmlich zu treffen, in absehbarer Zukunft entscheidend besser wird.
[7] 4. Soweit die Revisionsrekurswerberin (unter Vorlage von E‑Mails aus den Monaten Juni bis November 2020) auf ihre sachliche schriftliche Kommunikation mit dem Vater und auf die von ihr schon seit 2017 in Anspruch genommene Erziehungsberatung verweist, ist ihr entgegenzuhalten, dass sie damit in Wahrheit versucht, die Feststellungen über die für eine gemeinsame Obsorge nicht ausreichend vorhandene Kommunikationsbasis mit dem Vater zu bekämpfen. Der Oberste Gerichtshof ist allerdings auch in Außerstreitsachen nicht Tatsacheninstanz (RS0108449 [T2]), weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden können (RS0007236 [T1 bis T4, T6, T7]). Das gilt auch für das bereits im Rekurs beanstandete, vom Erstgericht eingeholte und mehrfach ergänzte Sachverständigengutachten, mit dem sich das Rekursgericht umfassend auseinandergesetzt hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)