European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00188.15S.1216.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.400,04 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 233,34 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Im Scheidungsvergleich vom 8. 3. 2011 verpflichtete sich der Kläger unter anderem, der Beklagten vom 1. 3. 2011 bis 31. 8. 2020 einen monatlichen Unterhalt von 1.750 EUR (wertgesichert) zu bezahlen. Für den Fall, dass das Einkommen des Klägers aus Gründen, die nicht von ihm verschuldet wurden, nach Abzug der Kreditrate für die bisherige Ehewohnung (1.400 EUR) und des gesetzlichen Unterhalts für die drei ehelichen Kinder (derzeit insgesamt 1.500 EUR monatlich) sowie für allfällige weitere Kinder geringer ist, als der (ziffernmäßig vereinbarte) Unterhaltsanspruch der Beklagten, sollte der Kläger den Unterhalt auf 50 % des ihm nach Abzug dieser Verpflichtungen verbleibenden Einkommens herabsetzen dürfen.
Bis inklusive Oktober 2013 leistete der Kläger monatlich 1.750 EUR.
Zur Hereinbringung des für die Zeit vom 1. 11. 2013 bis 31. 1. 2014 (inklusive Wertsicherung) rückständigen Unterhalts von insgesamt 5.515,57 EUR sowie des laufenden Unterhalts ab 1. 2. 2014 von monatlich 1.839,25 EUR wurde der Beklagten die Exekution bewilligt.
Der Kläger erhielt aus nicht selbstständiger Beschäftigung von einer Gesellschaft bis 30. 4. 2010, von einem Verein bis 30. 6. 2011, von einer weiteren Gesellschaft bis 31. 5. 2011, von der Gebietskrankenkasse von 1. 1. 2011 bis 31. 12. 2012 sowie von einer Vorsorgekasse am 26. 10. 2011 im Einzelnen näher genannte Bezüge. Weiters erwirtschaftete er in den Jahren 2011 bis 2013 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als Geschäftsführer der vorher genannten weiteren Gesellschaft, welche als Verrechnungsgesellschaft für Leistungen des Klägers dient.
An der erstgenannten Gesellschaft war der Kläger vom 30. 4. 2005 bis 25. 5. 2011 mit einem Anteil von 2 % beteiligt, diese Gesellschaft erzielte jedoch keinen Gewinn. Seit 2. 8. 2011 ist er eingetragener alleiniger Gesellschafter der weiteren Gesellschaft, welche allerdings in den Jahren 2010 bis 2013 keine Gewinne ausschüttete, weil sie lediglich im Jahr 2012 einen Gewinn von 24.759 EUR nach Steuern machte, im darauffolgenden Jahr aber wieder einen Verlust von 19.128 EUR. Unter Berücksichtigung der Verlustvorträge aus den Vorjahren wies diese Gesellschaft per 31. 1. 2013 einen Bilanzverlust von 65.006 EUR aus.
Seit Ende 2011 ist der Kläger an einer neuen Gesellschaft zunächst mit 24 %, seit Ende 2013 mit 25,1 % beteiligt. Diese neue Gesellschaft hat jedoch ‑ jeweils nach Steuern ‑ ein stets negatives Jahresergebnis (Bilanzverlust zum 31. 1. 2013 524.962 EUR).
Insgesamt hatte der Kläger in den Jahren 2010 bis 2013 ein monatliches Einkommen und tätigte monatliche Entnahmen in folgender Höhe:
| 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | Durchschnitt |
Einkommen | 11.858 | 9.368 | 1.899 | 3.019 | 4.762 |
Entnahmen |
|
|
|
|
|
inkl Fremdmittelanteil | 11.473 | 12.074 | 12.694 | 7.254 | 10.674 |
ohne Fremdmittelanteil | 11.473 | 9.879 | 3.018 | 3.558 | 5.485 |
Über weiteres Einkommen, Ersparnisse oder sonstige Konten verfügt der Kläger nicht. Die von ihm in Anspruch genommenen fremden Mittel (unter anderem Privatdarlehen seiner Geschäftspartner von 180.000 EUR und 16.000 EUR) finden in keinem verwertbaren Vermögen des Klägers Deckung. Eine Eigentumswohnung ist langfristig zu einem sehr niedrigen Nettomietzins an die Beklagte vermietet, weshalb sie nur mit hohem wirtschaftlichen Schaden veräußert werden könnte.
Nach Verlust seiner Geschäftsführerstellung bei der erstgenannten Gesellschaft bemühte sich der Kläger zeitnah um ein neues Projekt, arbeitete an einem Forschungsvorhaben und gründete mit Geschäftspartnern jene neue Gesellschaft, in die er seine gesamte Arbeitskraft steckte, um in Zukunft eine Einkunftsquelle zu schaffen.
Durch seine Einkommenseinbußen war der Kläger gezwungen, seinen Lebensstil seit 2011 zu ändern, etwa Urlaube und Reisen mit der Familie einzuschränken. Er hat für die Miete der Wohnung, in der er mit seiner Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind wohnt, etwa 1.300 EUR monatlich aufzuwenden. Das Schulgeld für die Privatschule der drei ehelichen Kinder beträgt monatlich 1.500 EUR bis 1.800 EUR. Weiters zahlt der Kläger monatlich 1.500 EUR Unterhalt an diese Kinder, 180 EUR für die private Krankenversicherung seiner Kinder sowie 250 EUR für seine eigene private Krankenversicherung. Hinzu kommt die Kreditrate für die ehemalige Ehewohnung von monatlich 1.400 EUR.
Für die erwähnten Privatdarlehen besteht kein fixer Rückzahlungsplan. Es ist vereinbart, dass der Kläger, sobald die Gesellschaft Geld abwirft und ihm solches übrig bleibt, dieses zur Rückzahlung der Darlehen verwendet. Motiv für die Darlehensgewährung war, dass die Geschäftspartner mit dem Kläger seit 30 Jahren befreundet sind und einander für den Erfolg des gemeinsamen Unternehmens gegenseitig brauchen. Es wäre auch von Nachteil für die Darlehensgeber, sollte der Kläger in Konkurs gehen.
Der Kläger begehrte, den exekutiv betriebenen Unterhaltsanspruch der Beklagten bis auf einen Betrag von 127,50 EUR monatlich für erloschen und die Exekutionsführung für unzulässig zu erklären. Seine Einkommensverhältnisse hätten sich (von ihm nicht verschuldet) massiv verschlechtert. Nach Abzug der Kreditrate für die Ehewohnung, der Unterhaltszahlungen für die ehelichen Kinder und des Unterhalts für ein weiteres im Jahr 2012 geborenes Kind von 245 EUR verbleibe ihm nur mehr ein Betrag von 255 EUR monatlich, sodass er gemäß dem Scheidungsvergleich nur mehr 127,50 EUR monatlich Unterhalt leisten müsse. Den Privateinnahmen des Klägers stehe kein verwertbares positives Vermögen gegenüber.
Die Beklagte wendete ein, aus dem Lebensstil und den vom Kläger bestrittenen monatlichen Aufwendungen ergebe sich ein weit höheres Einkommen als 3.500 EUR monatlich. Der Kläger habe sein selbstständiges Einkommen lediglich so gestaltet, dass er weniger Unterhalt leisten müsse.
Das Erstgericht erklärte den in Exekution gezogenen Unterhaltsanspruch der Beklagten seit November 2013 hinsichtlich eines über 206,50 EUR monatlich hinausgehenden Betrags für erloschen. Die höheren Privatentnahmen des Klägers seien als Unterhaltsbemessungsgrundlage maßgeblich, jedoch nur insoweit, als diesen Fremdmitteln ein zumutbar verwertbares positives Vermögen gegenüberstehe. Zwar sei grundsätzlich der Durchschnitt der Entnahmen der letzten drei Wirtschaftsjahre heranzuziehen, in diesem Fall seien das Einkommen und die Entnahmen des Klägers im Jahr 2011 jedoch wesentlich höher als in den Folgejahren. Es sei nicht davon auszugehen, dass er auch in Zukunft über derartige Beträge werde verfügen können. Vielmehr sei anzunehmen, dass sich die Entnahmen im Jahr 2014 im gleichen Rahmen wie 2013 bewegen, im Jahr 2015 Kostendeckung erreicht und ab 2016 Gewinne erzielt würden. Daher seien für das Jahr 2014 die Entnahmen aus 2013 heranzuziehen. Infolge Unternehmensgründung Ende 2011 seien die Verluste in den ersten drei Geschäftsjahren zu tolerieren. Es sei von den Entnahmen ohne Fremdmittelanteile in Höhe von 3.558 EUR auszugehen, weil der Kläger für seine darüber hinausgehenden monatlichen Ausgaben Kredite aufgenommen und seine Konten überzogen habe. Dem Vergleich entsprechend verbleibe nur ein monatlicher Unterhaltsanspruch der Beklagten von 206,50 EUR (50 % von 413 EUR, dem Resteinkommen des Klägers).
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung unter Hinweis auf die Rechtsprechung, wonach Einkünfte aus Kontoüberziehungen und Kreditaufnahmen nur dann in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen seien, wenn es sich dabei um einen Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unterhaltspflichtigen handle und diese Mittel zur Verbesserung seiner Lebensverhältnisse verwendet würden. Ein Eingriff in die Vermögenssubstanz liege bei Eingehung oder Erhöhung von Bankverbindlichkeiten nur dann vor, wenn dieser Schuldaufnahme ein Vermögen gegenüberstehe. Die beiden Unternehmen, an welchen der Kläger beteiligt sei, bildeten in absehbarer Zeit keinen positiven Vermögenswert (Bilanzverlust von insgesamt rund 590.000 EUR). Dem stehe lediglich die Hoffnung auf künftige Gewinne ab 2016 gegenüber. Die bloß vage Aussicht auf künftige Gewinne sei unter den derzeit gegebenen Umständen nicht ausreichend, um die Darlehensaufnahme des Klägers als einen Eingriff in dessen Vermögenssubstanz zu werten. Die ab 2016 allenfalls anfallenden Gewinne seien nach den derzeit vorliegenden Beweisergebnissen auch nicht so hoch einzuschätzen, dass der Kläger hieraus nennenswerte Darlehensrückzahlungen leisten werde können. Dass bei der Festsetzung der Unterhaltsbemessungsgrundlage nur vom letzten Jahr 2013 ausgegangen worden sei, erscheine unbedenklich. Zugunsten der Beklagten sei das schlechtere Wirtschaftsjahr 2012 als nicht repräsentativ außer Acht gelassen worden, die geschäftlichen Verhältnisse im Jahr 2011 seien nicht repräsentativ für die Zukunft. Im Jahr 2014 sei gegenüber 2013 keine Verbesserung zu erwarten.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung dazu fehle, inwiefern Privatentnahmen der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt werden könnten, wenn diesen derzeit zwar keine positiven Vermögenswerte gegenüberstünden, mit dem Erwerb solcher (durch eine demnächst einlangende größere Zahlung, Erbschaft, künftige Wertsteigerungen etc) in absehbarer Zukunft aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen sei.
Die Revision der Beklagten, mit der sie die gänzliche Klageabweisung anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Berufungsgericht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage stellt sich hier nicht. Nach den vom Erstgericht getroffenen, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen ist nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft damit zu rechnen, dass der Kläger positive Vermögenswerte in der beispielsweise angeführten Form erwirbt. Die in keiner Weise näher konkretisierten, bloß vagen Gewinnhoffnungen nach anfänglichen erheblichen Verlusten sind mit in absehbarer Zukunft mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Vermögenszuwächsen nicht vergleichbar.
Davon abgesehen vermag auch die Beklagte in ihrer Revision keine erheblichen Rechtsfragen aufzuzeigen.
Nach ständiger Rechtsprechung ist für das Einkommen selbstständig Erwerbstätiger nicht der steuerliche, sondern vielmehr der tatsächlich verbleibende Reingewinn und, weil die tatsächliche Verfügbarkeit entscheidend ist, im Fall von den Reingewinn übersteigenden Privatentnahmen grundsätzlich deren Höhe maßgeblich. Tätigt der Unterhaltspflichtige höhere als dem Reingewinn entsprechende Privatentnahmen, greift er nämlich den Stamm seines Vermögens an. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Unterhaltsschuldner die den Reingewinn seines Unternehmens übersteigenden Privatentnahmen aus Reserven oder Rückstellungen oder durch eine Erhöhung seiner Bankschulden finanziert (3 Ob 16/15x; RIS‑Justiz RS0047382 [T3]).
Nach neuerer Rechtsprechung stellen Privatentnahmen eines selbstständig Erwerbstätigen aus seinem Unternehmen, die durch eine Erhöhung der Bankverbindlichkeiten des Unternehmens finanziert werden, nur solange einen Eingriff in die Vermögenssubstanz des Unternehmens dar, als der Erhöhung der Bankverbindlichkeiten ein Vermögen gegenübersteht. Ist dies nicht (mehr) der Fall, entspricht die Situation jener eines (vermögenslosen) unselbstständig Erwerbstätigen, der seinen Lebensunterhalt durch Überziehung seines Girokontos oder Aufnahme eines Privatkredits finanziert; in beiden Fällen ist mangels gegenüberstehenden Vermögens ein Eingriff in die Vermögenssubstanz nicht (mehr) möglich, sodass solche „Privatentnahmen“ (für Unterhaltszahlungen) nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzurechnen sind (3 Ob 16/15x; 2 Ob 115/11t je mwN).
Ein den Fremdmitteln (hier Privatdarlehen der Geschäftspartner) gegenüberstehender zukünftiger Vermögenswert wurde nicht festgestellt. Der von der Beklagten ins Treffen geführte Vermögenswert, der den Fremdmitteln gegenüberstehen soll, ist der Wert des Geschäftsanteils des Klägers. Dieser ist angesichts der bloß vagen Gewinnaussichten und der hohen festgestellten Bilanzverluste als äußerst gering anzusehen. Seine Veräußerung wäre überdies mit dem Verlust der angeblichen Gewinnaussichten und letztlich eines Teils der Existenzgrundlage des Klägers gleichzusetzen. Dass das Berufungsgericht unter den gegebenen Umständen die aus Privatdarlehen zugeflossenen Mittel mangels gegenüberstehenden gegenwärtigen Vermögenswerts nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen hat, ist daher jedenfalls vertretbar.
Muss für konkrete vergangene Zeitabschnitte geprüft werden, ob das Einkommen des Unterhaltspflichtigen seiner Unterhaltsverpflichtung entsprochen hat, ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners genau für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln (RIS‑Justiz RS0053251 [T3 und T15]). Soll jedoch der Unterhalt für die Zukunft festgesetzt werden, so ist bei selbstständig Erwerbstätigen regelmäßig das Durchschnittseinkommen der letzten drei der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre festzustellen. Bei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft ist nämlich immer maßgebend, ob das in der Vergangenheit erzielte Einkommen darauf schließen lässt, dass der Unterhaltspflichtige auch weiterhin ein Einkommen in ähnlicher Höhe erzielen werde (3 Ob 175/14b; RIS‑Justiz RS0053251 [T14]). Grundsätzlich ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen und hängen die heranzuziehenden Beobachtungszeiträume von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (3 Ob 175/14b mwN).
Im vorliegenden Fall ist der rückständige Unterhalt für den Zeitraum 1. 11. 2013 bis 31. 1. 2014 sowie der laufende Unterhalt ab 1. 2. 2014 zu beurteilen. Es bildet keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn die Vorinstanzen hier die für 2013 und die etwa in gleicher Weise für 2014 zu erwartenden Verhältnisse zugrunde legen und nicht auf die Jahre 2011 und 2012 zurückgreifen, die jeweils durch Sondersituationen (Beendigung hoher Einkünfte durch Wegfall einer Einkunftsquelle sowie Anlaufverluste) gekennzeichnet waren.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO; der Kläger wies auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hin.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)