Spruch:
Das Begehren gegen den Miteigentümer, die von diesem benützten Teile der gemeinsamen Sache aufzugeben und zu räumen, setzt bei Fehlen einer Vereinbarung eine vorherige Entscheidung über das Benützungsrecht im außerstreitigen Verfahren voraus.
Entscheidung vom 29. März 1950, 3 Ob 160/50.
I. Instanz: Bezirksgericht Schwechat; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht gab dem auf Räumung gerichteten Klagebegehren statt, weil es der Rechtsansicht war, daß die Regelung der Benützung der einzelnen Bestandteile des gemeinschaftlichen Besitzes eine Maßnahme nach § 833 zweiter Satz ABGB. sei; daher seien die Kläger als Mehrheitseigentümer (drei Viertel-Anteile) befugt, über die Benützung des gemeinsamen Hauses zu verfügen und vom Beklagten, der nur zu einem Achtel Miteigentümer ist und sich nicht auf einen Mietvertrag zwischen ihm und den Klägern oder den Voreigentümern berufen könne, die Räumung der von ihm bewohnten Räume im streitigen Wege zu begehren.
Das Berufungsgericht hob das erstrichterliche Urteil und das vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Das Berufungsgericht ging von der Ansicht aus, daß zwar die Vermietung, Festsetzung des Mietzinses und die Aufkündigung eines Mietverhältnisses zur ordentlichen Verwaltung der gemeinschaftlichen Sache gehören, daß aber die Frage der Aufteilung der verfügbaren Räume in einem gemeinschaftlichen Hause oder die Neuregelung des Mitbenützungsrechtes unter den Miteigentümern eine wichtige Veränderung darstelle, die zur Erhaltung oder besseren Benützung des Hauptstammes dienen soll (§ 834 ABGB.), und daß nicht eine Stimmenmehrheit, sondern der Richter im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden habe. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 30. Juni 1948, 1 Ob 215/48, ausgesprochen habe, komme dem Wohnungsbedürfnis gegenwärtig eine solche Bedeutung zu, daß seine Befriedigung über den Rahmen einer gewöhnlichen Verwaltungsmaßnahme hinausgehe. Das Begehren gegen den Miteigentümer, die von ihm benützten Teile der gemeinsamen Sache aufzugeben und zu räumen, stelle eine wichtige Veränderung dar, über die der Außerstreitrichter zu entscheiden habe, da sich die Streitteile nicht einigen können (EvBl. 1948, Nr. 732). Mag bisher die Frage, ob das Räumungsbegehren der Mehrheitseigentümer ein Akt der ordentlichen Verwaltung oder eine wichtige Änderung im Sinne des § 834 ABGB. ist, verschieden beurteilt worden sein, einhellig herrsche die Auffassung, daß die Lösung der Frage nur im Außerstreitverfahren möglich sei (EvBl. 1948, Nr. 251, Klang, 1. Aufl., II/1, S. 883, GlUNF. 2933). Die Begründung liege darin, daß der Außerstreitrichter nach freiem Ermessen, weniger gebunden als der Streitrichter entscheide, ob die von der Mehrheit beschlossene Maßnahme offenbar vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig sei, da es sich nicht um die Durchsetzung eines streitigen Privatrechtes handle. Das Außerstreitverfahren wäre nur dann unzulässig, wenn die rechtlichen Beziehungen zwischen den Miteigentümern durch Verträge geregelt wurden und bloß die vertraglichen Leistungen in Anspruch genommen würden. Den Klägern sei daher der ordentliche Rechtsweg versagt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Begründung
Der Oberste Gerichtshof teilt die mit der nunmehr herrschenden Rechtslehre und Rechtsübung übereinstimmende Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes und verweist auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses. Die Rekursausführungen sind nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Die Rekurswerber sind der Meinung, die Feststellung darüber, auf Grund welchen Rechtstitels der Beklagte die Benützung eines Teiles der gemeinschaftlichen Sache für sich in Anspruch nehme, wäre für die rechtliche Beurteilung der Sache maßgebend; eine solche Feststellung sei aber nicht erfolgt, das Berufungsgericht sei nur von der Feststellung ausgegangen, daß die Kläger zu je drei Achteln und der Beklagte zu einem Achtel Eigentümer der Liegenschaft seien und daß sich der Beklagte auf keinen Mietvertrag stützen könne.
Von den Streitteilen wurde außer Streit gestellt, daß sich der Beklagte auf keinen Mietvertrag bezüglich der von ihm benützten Räume stützen könne; daß aber zwischen den Streitteilen als Miteigentümern irgendein Übereinkommen hinsichtlich Benützung der gemeinschaftlichen Sache getroffen worden wäre, wurde von den Klägern selbst nicht behauptet. Ob der Beklagte aber einige Räume in dem gemeinsamen Hause auf Grund einer Bittleihe der Vorgängerin der Kläger oder einfach tatsächlich benützt, ist für die Frage, ob über das Begehren der Kläger auf Räumung der von einem Miteigentümer benützten Räume des gemeinsamen Hauses im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, nicht von Belang. Wesentlich ist nur, daß sich die Kläger weder auf einen Mietvertrag noch auf eine sonstige Vereinbarung mit dem Beklagten berufen können. Die Ausführungen des Rekurses, daß auf diese Weise der Miteigentümer, der bloß prekaristisch einen Teil des gemeinsamen Hauses benütze, dadurch, daß dem Mehrheitseigentümer der Klageweg verwehrt wird, günstiger gestellt sei als der Miteigentümer, der sich auf ein vertraglich vereinbartes Benützungsrecht stützen kann, gehen am Kern der Frage vorbei; denn die Rekurswerber übersehen, daß über die Benützung der gemeinsame Sache von dem derzeitigen Miteigentümern bisher keine Vereinbarung getroffen worden ist und daß über die Vornahme einer wichtigen Veränderung hinsichtlich des gemeinsamen Eigentums - und dazu gehören auch Maßnahmen zur grundsätzlichen Regelung der Benützung -, wenn sich die Miteigentümer nicht einigen können, gemäß § 833 ABGB. der Richter im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden hat. Eine Erörterung, ob in dem einen oder anderen Falle ein Miteigentümer günstiger oder weniger günstig gestellt ist, ist daher ohne jede rechtliche Bedeutung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)