OGH 3Ob156/16m

OGH3Ob156/16m18.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder David L*****, geboren am ***** 2004, und Danielle L*****, geboren am ***** 2010, beide vertreten durch die Mutter F***** L*****, alle *****, Indien, *****, die Mutter vertreten durch Mag. Anton Becker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters S***** L*****, vertreten durch Dr. Andreas Ladstätter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Juni 2016, GZ 45 R 170/16g‑11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Februar 2016, GZ 1 Pu 14/16z‑5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00156.16M.1018.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Kinder sind österreichische Staatsbürger und lebten bis Juni 2013 mit ihren Eltern in Österreich. Seit Juli 2013 leben sie dauerhaft mit der Mutter in Indien, wo gegen den Vater Gerichtsverfahren anhängig sind, in denen ua Unterhalt auch für die Kinder gefordert wird. Der Vater lebt nach wie vor in Österreich. Im vorliegenden inländischen Verfahren, in dem die Kinder beantragen, den Vater ab 1. Juli 2013 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 480 EUR für den Sohn und von 330 EUR für die Tochter zu verpflichten, wendete der Vater internationale Unzuständigkeit und Streitanhängigkeit ein.

Das Erstgericht verwarf diese Einreden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Erstgericht habe die Anerkennungsfähigkeit und Exequierbarkeit einer indischen Unterhaltsentscheidung in Österreich zutreffend verneint. Zu Art 27 EuGVVO 2001, der mit Art 12 EuUntVO ident sei, vertrete die Lehre die Meinung, dass ausnahmsweise eine Anerkennungsprognose dann stattzufinden habe, wenn sicher sei, dass die ausländische Entscheidung keine Chance auf Anerkennung in Österreich habe. Das Erstgericht habe daher zu Recht auf Basis einer negativen Anerkennungsprognose die Einrede der (internationalen) Rechtsanhängigkeit verworfen. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage einer Anerkennungsprognose bei Anwendung von Art 12 EuUntVO höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Zurückweisung des Antrags; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Vater hält in der vom Rekursgericht als erheblich angesehenen Rechtsfrage den Art 12 EuUntVO für anwendbar, verneint die Möglichkeit einer Anerkennungsprognose und meint, allenfalls wäre zu prüfen, ob eine Notzuständigkeit gemäß Art 7 EuUntVO bestehen könnte.

Die sowohl vom Rekursgericht als auch vom Vater als erheblich angesehene Rechtsfrage stellt sich nicht, weil die angesprochene Regelung nach ihrem klaren Wortlaut auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt keine Anwendung findet (RIS-Justiz RS0042656), was bereits in der auch den Vater betreffenden Entscheidung zu 8 Ob 80/16x (= RIS‑Justiz RS0130888) vom Obersten Gerichtshof klargestellt wurde. Der Revisionsrekurs ist daher als nicht zulässig zurückzuweisen, was wie folgt kurz zu begründen ist (§ 71 Abs 3 AußStrG).

1. Die zitierte Vorentscheidung erging im Verfahren über die in Österreich erhobene Unterhaltsklage der Mutter gegen den Vater und ist deshalb einschlägig.

2.  Der 8. Senat verneinte die Anwendbarkeit des Art 12 EuUntVO mit der Begründung, Art 12 EuUntVO sei weitestgehend wortgleich mit Art 27 EuGVVO 2001 sowie inhaltsgleich mit Art 29 EuGVVO 2012 und Art 19 Brüssel IIa-VO; für die Auslegung kann demnach die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur zu den erwähnten Bestimmungen der EuGVVO herangezogen werden ( Andrae in Rauscher , Eu-ZPR/EuIPR, Art 12 EG-UntVO, Rz 1); die in Rede stehenden Bestimmungen über die internationale Rechtsanhängigkeit gelangen nur dann zur Anwendung, wenn die zu beurteilenden (identen) Klagen vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten erhoben werden; wurde eine der Klagen in einem Drittstaat anhängig gemacht, so finden– grundsätzlich, außer es bestünde eine gegenteilige Judikatur des Europäischen Gerichtshofs – die nationalen oder staatsvertraglichen Regelungen der Mitgliedstaaten über die Rechtsanhängigkeit Anwendung; die EuGVVO und ebenso die EuUntVO zwingt die Mitgliedstaaten daher nicht zur Beachtung der Rechtsanhängigkeit in einem Drittstaat und hindert dementsprechend das später angerufene Gericht eines Mitgliedstaats nicht an einer Sachentscheidung (vgl dazu auch EuGH C-81/02 , Owusu); eine analoge Anwendung von Art 27 EuGVVO 2001 bzw Art 12 EuUntVO kommt nicht in Betracht ( Leible in Rauscher , EuZPR/EuIPR, Art 27 Brüssel I-VO, Rz 3). Die Frage der Beachtung einer vorherigen Rechtsanhängigkeit in einem Drittstaat, richtet sich somit gegebenenfalls nach dem staatsvertraglichen Recht oder sonst nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, konkret nach der lex fori.

Dem schließt sich der erkennende Senat an.

3.  Nach Maßgabe der lex fori ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass – außerhalb des Anwendungsbereichs eigenständiger Regeln zur internationalen Rechtsanhängigkeit – nach der lex fori die Regeln über die Rechtsanhängigkeit im Hinblick auf ein ausländisches Verfahren nur dann anzuwenden sind, wenn das (zu erwartende) ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig wäre. Ein anhängiges ausländisches Verfahren stellt daher nur dann ein Prozesshindernis dar, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich anerkannt und vollstreckt werden kann (RIS-Justiz RS0120264).

Die Anerkennung und Vollstreckung eines Unterhaltstitels eines indischen Gerichts in Österreich scheidet aus, weil es an der formellen Gegenseitigkeit iSd § 79 Abs 2 EO mangelt (8 Ob 80/16x = RIS-Justiz RS0120264 [T5]),wovon auch die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind.

4.  Die vom Rechtsmittelwerber urgierte Prüfung der Inanspruchnahme des Art 7 EuUntVO kommt nicht in Frage; gesteht er doch an anderer Stelle des Revisionsrekurses selbst zu, dass für ihn als Antragsgegner der Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art 3 lit a EuUntVO gilt. Damit fehlt es an der Voraussetzung für die Prüfung der Notzuständigkeit (so schon 8 Ob 80/16x), sodass auch auf die weiteren diesbezüglichen Überlegungen nicht einzugehen ist.

5.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs 2 AußStrG.

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