OGH 3Ob137/14i

OGH3Ob137/14i18.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** 2003 geborenen V*****, derzeit *****, über den außerordentlichen Revisionskurs der Mutter A*****, vertreten durch DDr. Fürst Rechtsanwalts‑GmbH in Mödling, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 2. Juli 2014, GZ 4 R 217/14z‑36, womit infolge Rekurses des Vaters A*****, vertreten durch Dr. Kurt Hirn, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, der Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 21. März 2014, GZ 1 PS 126/13a‑14, ersatzlos behoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00137.14I.0918.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern der am ***** 2003 geborenen V***** wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 17. September 2013 im Einvernehmen geschieden. Im Zusammenhang mit der Scheidung haben die Eltern gemäß § 55a EheG vereinbart, dass die Obsorge hinsichtlich der vier ehelichen Kinder M***** 2000, P***** 2002, V***** 2003 und C***** 2007, beiden Eltern gemeinsam zukommt und dass sich die drei Töchter M*****, V***** und C***** hauptsächlich bei der Mutter und der Sohn P***** hauptsächlich beim Vater aufhalten soll.

Im Februar 2014 übersiedelte die Mutter mit ihren drei Töchtern nach Mödling, worauf der Vater am 12. März 2014 sein Einverständnis mit der Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirkgericht Mödling ‑ hinsichtlich der drei Töchter ‑ erklärte (ON 13).

Mit Beschluss vom 21. März 2014 übertrug das Erstgericht die Pflegschaftssache hinsichtlich M*****, V***** und C***** an das Bezirksgericht Mödling (ON 14), das allerdings die Übernahme der Pflegschaftssache am 11. April 2014 verweigerte (ON 16). Der Oberste Gerichtshof, dem die Pflegschaftssache zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN vorgelegt worden war, stellte mit Beschluss vom 8. Mai 2014, AZ 3 Nc 13/14p, den Akt dem Bezirksgericht Vöcklabruck zurück, weil der Übertragungsbeschluss vorerst den Rechtsvertretern der Eltern zuzustellen sei; eine Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN komme erst nach Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses in Betracht (ON 18).

Nach dem Osterbesuchsrecht 2014 blieb V***** beim Vater in Kärnten. Dem Pflegschaftsrichter erklärte sie, jedenfalls beim Vater bleiben zu wollen (ON 24).

Der Vater erhob gegen den Übertragungsbeschluss vom 21. März 2014 ‑ nur betreffend V***** ‑ Rekurs, dem das Landesgericht Klagenfurt als Rekursgericht Folge gab (ON 36). Der Übertragungsbeschluss wurde hinsichtlich V***** ersatzlos behoben. Seit der am 12. März 2013 abgegebenen Zustimmung des Vaters zur Zuständigkeitsübertragung hätten sich die Verhältnisse geändert, weil V***** nach dem Osterbesuch 2014 beim Vater in Kärnten geblieben sei und auch bleiben wolle. Somit widerspräche eine Zuständigkeitsübertragung hinsichtlich V***** ihrem Kindeswohl, weshalb der Übertragungsbeschluss ersatzlos zu beheben sei.

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu.

Die Obsorgesituation stellt sich rechtlich derzeit so dar, dass noch immer die von den Eltern am 6. September 2013 geschlossene Vereinbarung, die eine Obsorge beider Eltern vorsieht, aufrecht ist (ON 1). Am 18. Februar 2014 stellte der Vater den Antrag, den hauptsächlichen Aufenthalt von V***** bei ihm festzulegen (ON 7). Die Mutter beantragte am 10. April 2014, ihr die alleinige Obsorge für den Sohn P***** zu übertragen (ON 15); ein entsprechender Antrag des Vaters, ihn allein mit der Obsorge für P***** zu betrauen, folgte am 22. April 2014 (ON 20). Am 29. April 2014 stellte die Mutter den Antrag, ihr allein die Obsorge für V***** zu übertragen (ON 30).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichts gerichtete und auf Wiederherstellung der Entscheidung erster Instanz gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Übertragungsbeschlüsse nach § 111 JN sind von den Parteien des Verfahrens anfechtbar (RIS‑Justiz RS0046981).

Rechtsmittellegitimiert sind die Parteien des Verfahrens, also jedenfalls auch die mit der Obsorge betrauten Eltern ( Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 111 JN Rz 28).

2. Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den Obersten Gerichtshof hängt vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ab (6 Ob 117/04f). Da das ausschlaggebende Kriterium für die Beurteilung, ob die Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an ein anderes Gericht übertragen werden soll, das Kindeswohl ist (1 Ob 182/09k; RIS‑Justiz RS0046908, RS0047074), kann nur einzelfallbezogen beurteilt werden, in welcher Form das Kindeswohl am besten gewahrt wird.

3. Eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN hat nur zu erfolgen, wenn dies im Interesse des Kindes und zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes erforderlich erscheint (RIS‑Justiz RS0046984, RS0046929). Die Rechtsprechung wendet § 111 JN restriktiv an (8 Nc 5/08i = RS0046929 [T20]). In der Regel wird es den Interessen des Kindes am besten entsprechen, wenn als Pflegeschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (RIS‑Justiz RS0047300, RS0047032 [T17], [T19]). Entscheidend ist dabei nicht, wo sich das Kind aufhalten soll , sondern wo es sich tatsächlich aufhält, weil das Gericht an dem Ort, an dem aktuell der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt, in der Regel am besten in der Lage ist, die aktuelle Lebenssituation der Beteiligten zu erforschen (RIS‑Justiz RS0047032 [T17]). Im Vordergrund steht also der aktuelle Lebensmittelpunkt des Kindes, nicht derjenige von Eltern (RIS‑Justiz RS0047300 [T15]; RS 0074327 [T4]).

4. Insgesamt ist die Beurteilung des Rekursgerichts, dass eine Übertragung der Pflegschaftssache betreffend V***** aktuell nicht zweckmäßig erscheint, weil sie sich in Kärnten aufhält, durchaus vertretbar. Anders als die Mutter meint, hat § 111 JN keinen Sanktionierungscharakter, sondern soll kindeswohlbezogenen Zweckmäßigkeitserwägungen zum Durchbruch verhelfen.

5. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

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