Spruch:
§§ 78, 87 Urheberrechtsgesetz: Die Veröffentlichung eines in der Klinik mit einem Patienten aufgenommenen Lichtbildes in einem medizinischen Werke bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Abgebildeten jedenfalls dann, wenn es sich um eine in den Augen der Allgemeinheit anstößige Krankheit handelt.
Entscheidung vom 6. April 1949, 3 Ob 102/49.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger, der im Dezember 1936 wegen einer luetischen Erkrankung auf der Universitätsklinik des Prof. Dr. R. in ambulatorischer Behandlung stand und während dieser Behandlung vom klinischen Photographen photographiert wurde, begehrt unter Berufung auf die Bestimmungen der §§ 78 und 87 des Urheberrechtsgesetzes die Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung eines Betrages von 70.000 S aus dem Titel des Schadenersatzes mit der Begründung, der Beklagte habe das mit dem Kläger auf der Universitätsklinik seinerzeit aufgenommene Lichtbild in den im Jahre 1940 und in den späteren Jahren erschienenen Auflagen eines von ihm verfaßten medizinischen Werkes mit der Beschriftung "luetisches Geschwür der rechten Stirn, entstanden durch Zerfall eines Gumma" und einer näheren Beschreibung einer Krankheitserscheinung als erworbener Syphilis veröffentlicht, wovon der Kläger im Jahre 1946 dadurch erfuhr, daß die Gäste des Hotel K., in dem er als Handelsvertreter täglich zu tun hatte, ihn mieden und sogar der Friseur des Hotels sich weigerte, ihn zu rasieren, worauf ihn der Liftwärter des Hotels auf das erwähnte Werk des Beklagten aufmerksam machte. Durch die Veröffentlichung dieses Lichtbildes sei dem Kläger der in der Klage näher beschriebene Schaden entstanden. Der Beklagte wendete ein, daß der Kläger niemals sein Patient gewesen sei, daß ihm das Material für sein Werk, darunter auch das in Rede stehende Lichtbild, fortlaufend von der Universitätsklinik zugesendet worden sei, er daher der Meinung sein mußte, daß der Kläger mit der Veröffentlichung einverstanden war, was auch der Fall gewesen sei, da sich der Kläger freiwillig habe photographieren lassen, und daß ihn jedenfalls kein Verschulden treffe, schließlich, daß das Bildmaterial Eigentum der Klinik sei und von dieser nach Belieben verwendet werden dürfe.
Das Prozeßgericht erkannte durch Zwischenurteil, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte fest, daß der Kläger anläßlich seiner ambulatorischen Behandlung im Jahre 1936 über Veranlassung eines Arztes der Klinik photographiert worden sei, ohne daß dem Kläger ausdrücklich mitgeteilt wurde, zu welchem Zwecke die Aufnahme des Bildes erfolge, und daß der Kläger auch eine ausdrückliche Zustimmung zur Veröffentlichung des Bildes nie gegeben habe, daß der Kläger im Jahre 1946 dadurch, daß ihm die Leute auswichen, von der Veröffentlichung des Lichtbildes im Werke des Beklagten Kenntnis erhalten habe und daß trotz der in der Zwischenzeit durch eine Operation erfolgten Veränderung der Nase der Kläger als derjenige, den das im Werke des Beklagten enthaltene Bild darstelle, erkannt worden sei. Es vertrat die Rechtsmeinung, daß eine stillschweigende Zustimmung zur Veröffentlichung durch konkludente Handlungen vom Kläger niemals erteilt worden sei, daß durch die Veröffentlichung berechtigte Interessen des Klägers verletzt worden seien, da der Kläger durch die Veröffentlichung als Träger einer schwer diffamierenden Krankheit gebrandmarkt worden sei, und daß der Beklagte schuldhaft gehandelt habe, weil er, ohne sich zu vergewissern, ob der Kläger seine Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben habe, das Bild veröffentlichte, obwohl er voraussehen mußte, daß dritte Personen das Werk kaufen und dadurch die Tatsache, daß der Kläger an Syphilis leide, bekannt werden könnte. Es seien daher die Voraussetzungen für den Schadenersatzanspruch des Klägers nach den §§ 78 und 87 des UrheberrechtsG. dem Gründe nach gegeben.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es übernahm zwar die Beweiswürdigung und die tatsächlichen Feststellungen des Prozeßgerichtes, schloß aber aus dem Umstande, daß der Kläger gegen die Aufnahme seines Lichtbildes nicht protestiert habe, obwohl ihm bewußt gewesen sein müßte, das Bild werde nicht einem einmaligen geschlossenen, ihm bekannten Personenkreis kundgemacht werden, sondern einem fluktuierenden, vornehmlich aus den jeweils in Betracht kommenden Jahrgängen der Studierenden und sonstigen fachlichen Interessenten bestehenden, daß der Kläger mit der Verwendung seines Bildes zu Lehr- und wissenschaftlichen Zwecken, somit auch mit der Veröffentlichung in einem wissenschaftlichen Zwecken dienenden Lehrbuche einverstanden gewesen sei, weshalb es einer ausdrücklichen Zustimmung nicht bedurft habe. Dies ergebe sich auch aus den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu § 78 UrheberrechtsG., nach denen sich jemand, der unter Umständen, die keinen Zweifel bestehen lassen, der öffentlichen Verwendung seines Bildes zugestimmt habe, der Veröffentlichung einer mit seinem Einverständnis geschaffenen Abbildung nachträglich nicht widersetzen könne, wie etwa der Modellsteher, der damit rechnen müsse, daß der Maler seine Werke für den Kunstmarkt schaffe. Um einen ähnlichen Fall wie den des Modellstehers handle es sich im vorliegenden Falle.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das Zwischenurteil des Prozeßgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach den Feststellungen des Prozeßgerichtes, die das Berufungsgericht übernommen hat, wurde der Kläger während seiner ambulatorischen Behandlung von einem Arzt der Universitätsklinik beauftragt, sich zum klinischen Photographen zu begeben und von diesem photographieren zu lassen. Daraus ergibt sich zunächst, daß der Kläger sich nicht freiwillig photographieren ließ, sondern nur dem ihm vom Arzte der Klinik erteilten Auftrage Folge leistete. Schon aus diesem Gründe kann nicht darauf geschlossen werden, daß der Kläger dadurch, daß er gegen den Auftrag nicht protestierte, sein Einverständnis damit zum Ausdruck brachte, daß das Bild zu Forschungs- und Studienzwecken verwendet werde. Es kann auch nicht der Ansicht des Berufungsgerichtes beigepflichtet werden, daß der Kläger als Laie damit rechnen mußte, das Bild werde zu Forschungs- und Studienzwecken verwendet werden; er konnte ebenso der Ansicht sein, daß das Bild zur Krankengeschichte genommen werde, um die weitere Entwicklung der Krankheit deutlich zu erkennen, oder den an der Klinik beschäftigten Ärzten zur Verfügung gestellt würde, die an das ärztliche Berufsgeheimnis gebunden sind. Aber auch dann, wenn die Ansicht des Berufungsgerichtes zuträfe, daß der Kläger damit gerechnet habe, es würde das Lichtbild zu Studien- und Unterrichtszwecken verwendet werden, da das klinische Material auch dazu bestimmt ist, den Studenten der Medizin zugänglich gemacht zu werden, so ergibt sich daraus keineswegs die Schlußfolgerung, daß der Kläger auch mit der Veröffentlichung in einem jedermann zugänglichen medizinischen Werke einverstanden gewesen sei. Bei der Verwendung des Bildes zu Unterrichtszwecken könnte es sich lediglich um das Vorzeigen des Lichtbildes oder dessen Vorführung mittels eines Bildwerfers in einem ganz beschränkten, nicht jedermann zugänglichen Kreise handeln. Das Vorzeigen oder die Vorführung mittels eines Bildwerfers kann aber nur während eines ganz kurzen, höchstens Minuten dauernden Zeitraumes erfolgen, während welches eine genaue Identifizierung des im Lichtbilde Dargestellten kaum möglich ist. Jedenfalls ist in einem solchen Falle das Bekanntwerden nach außenhin im Hinblick auf die kurze Dauer der Vorführung und die Unmöglichkeit einer nochmaligen Einsichtnahme und damit der Vergewisserung, daß das Lichtbild eine bestimmte Person darstelle, durch einen Besucher der Vorlesung nahezu ausgeschlossen. Hingegen ist es im Falle der Veröffentlichung des Lichtbildes in einem allgemein zugänglichen Werke jedermann, der - sei es auch nur zufällig - in das Werk Einsicht nimmt und die Person eines dort Abgebildeten erkennt oder zu erkennen glaubt, möglich, andere Personen auf das Bild aufmerksam zu machen, und es ist daher die Gefahr des Bekanntwerdens eine um ein Vielfaches größere. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß medizinische Werke, auch wenn sie ein bestimmtes Spezialfach der medizinischen Wissenschaft behandeln, häufig von Laien gekauft werden. Im Falle der Veröffentlichung eines Lichtbildes in einem derartigen Werke ist daher die Möglichkeit des Bekanntwerdens eine verhältnismäßig große. Nun handelt es sich im vorliegenden Falle um eine Erkrankung an Syphilis, somit um ein Leiden, das, wie das Prozeßgericht zutreffend festgestellt hat, in der Bevölkerung als diffamierend gewertet wird. Der Träger einer derartigen Krankheit wird sowohl aus sittlichen Gründen, als auch wegen der besonderen Gefahr der Übertragung der Krankheit von der Allgemeinheit gemieden. Die in der Berufung des Beklagten zum Ausdruck gebrachte Meinung, die im erstgerichtlichen Urteil vertretene Anschauung über die diffamierende Wirkung von Geschlechtskrankheiten stehe einzig da, sei völlig unrichtig und gehöre einer überwundenen Zeitanschauung an, ist abwegig und widerspricht den Erfahrungen des täglichen Lebens. Schon aus diesem Gründe und im Hinblick auf die für jedermann voraussehbaren Folgen der Veröffentlichung des Lichtbildes eines Luetikers unter Hinweis auf die Art der Erkrankung kann in der bloßen Unterlassung eines Protestes gegen die aufgetragene Aufnahme eine Zustimmung zur Veröffentlichung des Lichtbildes in einem jedermann zugänglichen Werke nicht erblickt werden.
Es ist auch der vom Berufungsgericht vorgenommene Vergleich des vorliegenden Falles mit dem eines Modellstehers gänzlich verfehlt. Der Modellsteher wird vom Künstler zu dem Zwecke gemalt, damit das Kunstwerk auf den Kunstmarkt gebracht und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde; die Veröffentlichung des Bildes ist daher Voraussetzung und damit auch Inhalt des zwischen dem Modellsteher und dem Künstler geschlossenen Vertrages. Der Patient sucht aber eine Heilanstalt oder Klinik nur zu dem Zwecke auf, um Behandlung oder Heilung von seinem Leiden zu erhalten; er muß, auch wenn er im Auftrag des Arztes der Klinik photographiert wird, keineswegs damit rechnen, daß dieses Bild in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Werke veröffentlicht werden würde. Schließlich ist der Vergleich mit dem Modellsteher im vorliegenden Falle auch deshalb verfehlt, weil durch die Beschriftung des Lichtbildes des Klägers im Werke des Beklagten ausdrücklich darauf verwiesen wird, daß der Kläger an Syphilis leide, während eine derartige Beschriftung bei dem Bilde eines Malers nicht vorstellbar ist.
Gerade die Erwähnung des Modellstehers in den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu § 78 UrheberrechtsG. beweist, daß der Gesetzgeber nur dort, wo sich schon aus dem Inhalte oder Zweck des Vertrages ergibt, daß das Bild zur Veröffentlichung bestimmt ist, eine Ausnahme von der im § 78 UrheberrechtsG. enthaltenen Bestimmung zuläßt, daß die Veröffentlichung eines Lichtbildes vom Abgebildeten ausdrücklich gestattet worden sein muß. Wenn der Beklagte den Standpunkt vertritt, daß die Veröffentlichung des klinischen Materials im höchsten Maße den Interessen der wissenschaftlichen Forschung und damit der Allgemeinheit diene und daß für den Fall, als die Rechtsauffassung des Klägers durchdränge, dies das Ende jeder wissenschaftlichen literarischen Tätigkeit auf dem Gebiete der Medizin bedeuten würde, so ist ihm zunächst entgegenzuhalten, daß die Interessen der Wissenschaft und der Allgemeinheit dort ihre Grenzen finden, wo sie eine Verletzung oder Beeinträchtigung von berechtigten und lebenswichtigen Interessen des einzelnen verursachen, sofern nicht ein derartiger Eingriff in die Rechte des einzelnen im Gesetze ausdrücklich vorgesehen ist; eine derartige gesetzliche Bestimmung besteht jedoch nicht. Daß aber durch die Veröffentlichung des Lichtbildes eines Luetikers unter Umständen, die seine Identifizierung möglich machen, lebenswichtige und berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, steht außer Zweifel. Das Bekanntwerden einer Erkrankung an Syphilis kann für den Erkrankten nicht nur eine Herabsetzung seiner Wertung und seines Ansehens in der Umwelt, sondern auch eine Behinderung seines Erwerbes und Fortkommens zur Folge haben. Es trifft aber auch nicht zu, daß die Aufrechterhaltung dieser Rechtsansicht das Ende jeder wissenschaftlichen literarischen Tätigkeit auf dem Gebiete der Medizin bedeuten würde. Es ist dem Verfasser eines medizinischen Werkes ohne weiteres möglich, die Zustimmung zur Veröffentlichung eines Bildes vom Abgebildeten einzuholen oder das Bild wenigstens auf eine solche Art (Abblenden, Verwendung einer Maske usw.) zu veröffentlichen, daß eine Identifizierung des Abgebildeten nicht möglich ist. Dies gilt besonders im vorliegenden Falle, in welchem es sich um das Auftreten luetischer Geschwüre an der Stirne handelt, es daher ohne weiteres möglich gewesen wäre, durch Abblenden eine Erkennbarkeit auszuschließen. Wenn aber die Zustimmung des Abgebildeten nicht erteilt wird oder ein Abblenden oder eine andere Unkenntlichmachung nicht möglich ist, dann muß eben - und es wird sich hier ja nur um Ausnahmsfälle handeln können - die Veröffentlichung unterbleiben, in welchem Falle der Wissenschaft kein solcher Schade entstehen kann, wie im Falle der Veröffentlichung des Lichtbildes des Trägers einer diffamierenden Krankheit dem Abgebildeten. Der Oberste Gerichtshof ist daher der Meinung, daß die Veröffentlichung eines auf einer Klinik aufgenommenen Lichtbildes eines Patienten in einem medizinischen Werke insbesondere dann, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, deren Bekanntwerden für den abgebildeten Patienten die Gefahr einer Schädigung berechtigter Interessen in sich trägt, nur mit ausdrücklicher, jeden Zweifel ausschließenden Zustimmung des Abgebildeten zulässig ist und daß die Veröffentlichung ohne eine derartige Zustimmung, jedenfalls unter den gegebenen Umständen, gegen die Bestimmungen des § 78 UrheberrechtsG. verstößt.
Da die Folgen der Veröffentlichung des Lichtbildes eines Luetikers für den Abgebildeten für jedermann voraussehbar sind, wäre der Beklagte, auch wenn ihm das Lichtbild von der Klinik als klinisches Material zum Zwecke der Veröffentlichung in seinem Werke zur Verfügung gestellt wurde, verpflichtet gewesen, sich zu vergewissern, ob der Abgebildete seine Zustimmung zur Veröffentlichung auf die erwähnte Art gegeben hat. In der Unterlassung dieser Vorsicht ist aber eine Fahrlässigkeit zu erblicken und daher die Schadenersatzverpflichtung des Beklagten nach § 87 UrheberrechtsG. dem Gründe nach gegeben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)