European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0030NC00013.19W.0426.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 31. Dezember 2018, GZ 10 Ps 149/18f‑24, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Floridsdorf wird genehmigt.
Begründung:
Das Land Kärnten als Kinder- und Jugendhilfeträger beantragte am 26. Juli 2018, der Mutter wegen massiver Gefährdung des Kindeswohls die Obsorge für die damals rund fünf Monate alte Minderjährige im Teilbereich Pflege und Erziehung zu entziehen und ihm zu übertragen.
Nach Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens und dessen schriftlicher Ergänzung in Beantwortung der von der Mutter formulierten Fragen an die Sachverständige übertrug das Bezirksgericht Villach mit (unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem) Beschluss vom 31. Dezember 2018 die Zuständigkeit für die Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Floridsdorf. Da die Minderjährige nunmehr mit ihrer Mutter im Sprengel dieses Gerichts wohne, sei es zweckmäßig, dass der Pflegschaftsakt – wie auch von der Mutter beantragt – dort geführt werde. Der Obsorgeantrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers sei zwar noch offen, dieser habe seinen Akt allerdings wegen der Übersiedlung von Mutter und Kind bereits an das zuständige Jugendamt (in Wien) übertragen.
Das Bezirksgericht Floridsdorf lehnte die Übernahme unter Hinweis darauf ab, dass eine Übertragung der Zuständigkeit vor Erledigung des offenen Antrags auf Entzug eines Teilbereichs der Obsorge, über den das übertragende Gericht bereits verhandelt habe, wegen der erforderlichen Einarbeitung des Adressatgerichts zu einer Verzögerung des Verfahrens führen würde, die nicht im Interesse des Kindes liege. Eine Anhörung des Kindes scheide aufgrund seines Alters aus, sodass aus Sicht der Minderjährigen kein relevanter Unterschied bestehe, wo das Verfahren zu Ende geführt werde. Die Sachverständige und der Rechtsvertreter der Mutter hätten ihren (Wohn‑)Sitz im Sprengel des Bezirksgerichts Villach und müssten daher erhebliche Kosten und Zeit aufwenden, um nach Wien zu kommen. Die Mutter hingegen habe sich zur Übersiedlung entschieden und müsse daher die Konsequenzen daraus tragen. Außerdem sei nach dem Antrag offen, ob das Kind überhaupt in ihrer Erziehung bleibe. Ein Nachweis, dass der Wiener Kinder- und Jugendhilfeträger anstelle des Landes Kärnten die Rolle des Antragstellers tatsächlich übernehme, erliege nicht im Akt.
Rechtliche Beurteilung
Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.
1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RIS‑Justiz
2. In der Regel ist dabei das Naheverhältnis zwischen dem Pflegebefohlenen und dem Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (
RS0047074 [T7]).
3. Offene Anträge hindern eine Übertragung grundsätzlich nicht, doch kann im Einzelfall eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sein, insbesondere wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es sich bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (9 Nc 10/14s = RS0047074 [T10]).
4. Das Bezirksgericht Villach hat bisher lediglich ein Sachverständigengutachten eingeholt und (in der bisher einzigen Tagsatzung vom 23. August 2018 [ON 7]) keine Vernehmungen zum offenen Antrag durchgeführt, also gar keinen unmittelbaren Eindruck von den Verfahrensbeteiligten gewonnen (vgl 5 Nc 15/18b). Da die ergänzenden Fragen der Mutter an die Sachverständige bereits schriftlich beantwortet wurden, steht auch nicht fest, dass noch eine mündliche Gutachtenserörterung – und damit eine Anreise der Sachverständigen von Kärnten nach Wien – notwendig sein wird. Nach der Aktenlage leben mittlerweile nicht nur die Minderjährige und ihre Mutter, sondern auch ihr Vater in Wien, und die Mutter wird nun durch einen in Wien ansässigen Rechtsanwalt vertreten (ON 20 ff). Das Land Kärnten hat inzwischen auch schriftlich bestätigt, seinen Akt bereits der Wiener Kinder- und Jugendhilfe übertragen zu haben (ON 31).
Aufgrund dieser Umstände erscheint insgesamt eine Verfahrensfortsetzung durch das Bezirksgericht Floridsdorf zweckmäßiger, sodass die Übertragung iSd § 111 Abs 2 JN zu genehmigen ist.
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