Normen
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (4)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §13
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §333 (4)
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334 (4)
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §13
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19
Spruch:
Die Haltereigenschaft einer Baufirma geht nicht dadurch verloren, daß einem Dienstnehmer das Recht eingeräumt wird, das Fahrzeug nach Dienstschluß gegen Ersatz der Treibstoffkosten für eigene Zwecke zu verwenden. Ist die Haftung des Lenkers nach § 333 (4) ASVG. ausgeschlossen, so haftet der Halter nicht unbeschränkt nach § 19 EKHG., sondern nur nach den §§ 13 ff. EKHG.
Entscheidung vom 25. Juni 1968, 2 Ob 86/68.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Am 22. Juni 1962 hat die Klägerin als Mitfahrerin des vom Erstbeklagten gelenkten Traktors der zweitbeklagten Partei (einer Baugesellschaft m.b.H.) auf der V. Bundesstraße in der Nähe von B. einen Verkehrsunfall erlitten. Auf einer Steigung geriet der Erstbeklagte mit dem Traktor über den rechten Straßenrand; der Traktor kippte um und begrub die auf diesem Fahrzeug mitfahrende Klägerin unter sich, wodurch diese schwer verletzt wurde. Im Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall ist der Erstbeklagte vom Strafgericht rechtskräftig wegen Übertretung nach § 335 StG. verurteilt worden. Wegen der Unfallsfolgen nimmt nunmehr die Klägerin die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand auf Schadenersatz in Anspruch, und zwar den Erstbeklagten aus Verschulden und die zweitbeklagte Partei als Kraftfahrzeughalterin gemäß § 19 (2) EKHG. Die beklagten Parteien haben dem Begehren eine Reihe von Einwendungen entgegengesetzt.
Das Erstgericht hat das Leistungsbegehren puncto 333.274.30 S s. A. sowie hinsichtlich einer monatlichen Rente von 670 S und eines für die Pflegeperson der Klägerin erforderlichen Betrages von monatlich 2013.15 S, beides ab 1. März 1965 und vierzehnmal im Jahre, sowie das Feststellungsbegehren, die Beklagten hätten die Klägerin für die aus dem Verkehrsunfall vom 22. Juni 1962 erlittenen und auch zukünftigen Unfallsfolgen zur ungeteilten Hand zu entschädigen, in Ansehung beider beklagten Parteien abgewiesen. Das Erstgericht war zum Ergebnis gekommen, daß nicht die zweitbeklagte Partei, sondern nur der Erstbeklagte zur Unfallszeit Fahrzeughalter gewesen sei; ein Haftungsgrund hinsichtlich der zweitbeklagten Fahrzeugeigentümerin liege nicht vor; in Ansehung des Erstbeklagten aber liege der Haftungsausschluß nach § 333 (4) ASVG. vor; denn der Unfall habe sich im landwirtschaftlichen Betriebe des Vaters der Klägerin zugetragen und der Erstbeklagte sei zur Unfallszeit Arbeitsaufseher gegenüber der in diesem Betriebe beschäftigen Klägerin gewesen.
Die Klägerin hat dieses Ersturteil hinsichtlich beider Beklagten zur Gänze angefochten.
Das Berufungsgericht hat urteilsmäßig (Punkt 1) dieser Berufung in bezug auf die Abweisung des gegen den Erstbeklagten gerichteten Klagebegehrens keine Folge gegeben; hinsichtlich der Abweisung des gegen die zweitbeklagte Partei gerichteten Klagebegehrens hat die Berufungsinstanz der Berufung beschlußmäßig (Punkt 2) Folge gegeben, das Ersturteil bezüglich der zweitbeklagten Partei aufgehoben und die Rechtssache im Umfange dieser Aufhebung zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen; das Verfahren in erster Instanz sei erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses fortzusetzen. Die Abweisung des gegen den Erstbeklagten gerichteten Klagebegehrens hat die Berufungsinstanz aus den Gründen des Ersturteils gebilligt (diese Entscheidung des Berufungsgerichtes ist in dritter Instanz nicht angefochten worden). Was aber die zweitbeklagte Partei betrifft, so hat das Berufungsgericht die Ansicht des Erstgerichtes, nur der Erstbeklagte sei im Zeitpunkt des Unfalls Halter des Traktors gewesen, abgelehnt; die für die Haltereigenschaft wesentlichen Merkmale seien bei der zweitbeklagten Partei so überwiegend gegeben, daß ihre Belastung mit der Haftung für diesen Unfall dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht des Halters entspreche; damit seien die Voraussetzungen für die Haftung der zweitbeklagten Partei als Fahrzeughalterin für das Verschulden des Erstbeklagten gemäß § 19
(2) EKHG. gegeben; es bedürfe einer Feststellung über die Einwendung der zweitbeklagten Partei, die Klägerin treffe am Unfall ein gleichteiliges Mitverschulden, und es seien auch Feststellungen zu den einzelnen Posten des Schadenersatzbegehrens und zu den von der zweitbeklagten Partei dagegen erhobenen Einwendungen erforderlich.
In dritter Instanz ist lediglich der bezogene Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes durch Rekurs der zweitbeklagten Partei angefochten worden. Die Rekurswerberin bekämpft die Annahme ihrer Haftung seitens der Berufungsinstanz und beantragt sinngemäß die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und den Auftrag an das Berufungsgericht, die vom Erstgerichte vorgenommene Abweisung des Klagebegehrens auch in Ansehung der zweitbeklagten Partei zu bestätigen; in eventu beantragt die zweitbeklagte Partei die "Wiederherstellung der erstrichterlichen Entscheidung" (dieser Eventualantrag ist zu weit gefaßt, weil im Rekursverfahren nicht mit urteilsmäßiger Sachentscheidung vorgegangen werden kann; der meritorischen Erledigung steht dies aber im Hinblick auf den primär formulierten Rekursantrag nicht entgegen).
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der zweitbeklagten Partei Folge. Er hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgerichte auf, über die Berufung hinsichtlich der zweitbeklagten Partei nach Ergänzung der Berufungsverhandlung neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Rekurswerberin rügt zunächst die Annahme ihrer Haltereigenschaft durch die Berufungsinstanz, dies jedoch nach den maßgeblichen - im Berufungsverfahren nicht bekämpften und ausreichenden - erstgerichtlichen Feststellungen zu Unrecht. Eigentümerin des Traktors, bei dessen Betrieb sich der Unfall der Klägerin vom 22. Juni 1962 ereignete, war die zweitbeklagte Partei. Der Erstbeklagte war bei ihr zuletzt als Traktorführer beschäftigt. Im Interesse der Aufrechterhaltung dieses Dienstverhältnisses hatte der Bauleiter der Zweitbeklagten dem Erstbeklagten schon längerer Zeit vor dem Unfall das Recht eingeräumt, mit diesem Fahrzeug nach Dienstschluß Fahrten zu Unternehmen, um sich auf diese Weise einen Nebenverdienst zu schaffen. Nach dieser Ermächtigung durfte der Erstbeklagte in seiner Freizeit für seine Verwandten und seinen engsten Bekanntenkreis nach seiner Wahl Fahrten Unternehmen, wobei er dem Bauleiter der Zweitbeklagten die einzelnen Fuhren nicht melden mußte. Nach der bezogenen Vereinbarung hatte der Erstbeklagte den für seine eigenen Fuhren benötigten Treibstoff selbst zu zahlen, alles andere bei diesen Fahrten ging zu Lasten der Zweitbeklagten. Die Fahrt des Erstbeklagten, auf der sich der Unfall der Klägerin ereignete, wurde vom Erstbeklagten im Rahmen dieser Erlaubnis des Bauleiters der Zweitbeklagten für das Anwesen des Vaters der Klägerin im Sinne gegenseitiger Nachbarschaftshilfe unternommen. Bei diesen Umständen hat das Berufungsgericht die Beurteilung der ersten Instanz, nur der Erstbeklagte sei im Zeitpunkte des Unfalls Halter des Traktors gewesen, zutreffend abgelehnt. Durch die Überlassung des Fahrzeugs an den Erstbeklagten zufolge der erwähnten Vereinbarung hat die Zweitbeklagte nicht aufgehört, Halter des Traktors zu sein (dem stunde nicht entgegen, daß auch der Erstbeklagte als Halter zu qualifizieren wäre). Denn die Kosten des Betriebes des Fahrzeugs während dessen Verwendung für die eigenen Zwecke des Erstbeklagten sind, abgesehen von den Treibstoffkosten, zu Lasten der Zweitbeklagten weitergelaufen, die also insoweit den Traktor für eigene Rechnung gebrauchte, wenn auch durch diese Kosten im Sinne der Vereinbarung zwischen Bauleiter und Traktorführer ein Teil der Entlohnung des Letztgenannten bestritten wurde. Wenn auch der Erstbeklagte selbständig über die Verwendung des Traktors zur Erzielung seines Nebenverdienstes verfügen durfte, ist doch der Zusammenhang mit der Verfügungsgewalt der Zweitbeklagten als Fahrzeugeigentümerin in diesem Rahmen gewahrt geblieben, weil die dem Erstbeklagten gewährte Begünstigung nur daraus zu verstehen ist, daß die Zweitbeklagte volles Vertrauen zu ihrem Traktorführer hatte und erwarten durfte, er werde nicht gegen ihre Interessen handeln; insofern stand der Traktor auch während der Fahrten für den Nebenverdienst des Erstbeklagten noch in der Verfügung seiner Dienstgeberin, der Zweitbeklagten. Wenn bei diesen besonderen Umständen die Berufungsinstanz die Belastung der Zweitbeklagten mit der Haftung für den Unfall der Klägerin vom 22. Juni 1962 als dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht des Halters entsprechend angenommen hat, dann ist darin ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.
Dem Rekurse kann aber im Ergebnis die Berechtigung insoweit nicht abgesprochen werden, als die Berufungsinstanz die volle Haftung der zweitbeklagten Kraftfahrzeughalterin im Gründe des § 19 (2) EKHG. bejaht hat. Diesbezüglich liegt Haftung für fremdes Verschulden im Sinne einer Erweiterung der in § 1315 ABGB. statuierten Haftung für den Besorgungsgehilfen vor. Nun ist aber zugunsten des Erstbeklagten der Haftungsausschluß nach § 333 (4) ASVG. gegeben und dieser Haftungsausschluß des Kraftfahrzeuglenkers muß nach dem Zusammenhange der Bestimmungen des EKHG. die Folge haben, daß die Zweitbeklagte als Kraftfahrzeughalterin nicht unbeschränkt nach der Vorschrift des § 19 ersatzpflichtig ist, sondern daß sie nur nach den Bestimmungen der §§ 13 ff. EKHG. (alter Fassung, die nach der Unfallszeit in Betracht kommt) haftet. Der darüber hinaus gehenden Ansicht der Rekurswerberin, zufolge des in der Person des Erstbeklagten eintretenden Haftungsausschlusses nach § 333 (4) ASVG. sei auch jede Haftung der Zweitbeklagten zu verneinen, kann nicht beigepflichtet werden. Der bezogene Haftungsausschluß in Ansehung des Lenkers beseitigt, wie ausgeführt, zwar die Anwendung des § 19 EKHG., läßt aber die eigentliche Halterhaftung der weitbeklagten unberührt, weil - abgesehen von der Frage des Eigenverschuldens der verletzten Klägerin - eine Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG. in diesem Zusammenhange nicht in Betracht kommt. Daß das EKHG. gemäß dessen § 3 nicht anzuwenden sei, ist nicht einmal behauptet worden.
Daraus ergeben sich für die Erledigung die nachstehenden Folgerungen:
Die Ersatzpflicht der Zweitbeklagten ist nur im Rahmen der §§ 13 f. unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Haftungshöchstbeträge nach den §§ 15 f. EKHG. (alter Fassung) vorbehaltlich des etwaigen Eigenverschuldens der Klägerin gegeben, sodaß der von der zweiten Instanz erteilte Verfahrensergänzungsauftrag nur auf diese beschränkte Haftung zutrifft. Das weitergehende Leistungs- und Feststellungsbegehren der Klägerin ist schon nach der derzeitigen Aktenlage unbegrundet, sodaß die vom Erstgerichte ausgesprochene Klagsabweisung insoweit auch gegenüber der zweitbeklagten Partei zu bestätigen sein wird. Wenn der gesamte Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschluß des Berufungssenates aufgehoben worden ist, so ist dies darin begrundet, daß nach der derzeitigen Aktenlage nicht ziffernmäßig feststeht, welcher Haftungshöchstbetrag noch offen ist. Denn es sind Zahlungen an die Klägerin behauptet worden, es ist aber noch nicht endgültig geklärt, worauf diese zu verrechnen sind. Die mangels der erweiterten Haftung der Zweitbeklagten schon ohne weitere Beweisaufnahme auszusprechende Abweisung jenes Klagebegehrens, das über die Bestimmungen des EKHG. hinausgeht, setzte also eine Erörterung mit den Parteien voraus. Nur in bezug auf das durch die Bestimmungen des EKHG. gedeckte Teilbegehren, das derzeit nicht feststeht, wird der im angefochtenen Beschluß enthaltene Verfahrensergänzungsauftrag gerechtfertigt sein.
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