OGH 2Ob71/82

OGH2Ob71/8213.7.1982

SZ 55/108

Normen

ABGB §37
ABGB §37

 

Spruch:

Die Frage, ob sich der Schädiger gegenüber einem Legalzessionar auf eine nach dem Übergang der Schadenersatzforderung mit dem Geschädigten geschlossene Vereinbarung berufen kann, ist nach dem Zessionsstatut zu beurteilen

OGH 13. Juli 1982, 2 Ob 71/82 (OLG Innsbruck 1 R 235/81; LG Innsbruck 6 Cg 371/81)

Text

Der Beklagte fügte Othmar W am 24. 10. 1977 eine schwere Augenverletzung zu. Er wurde deshalb gemäß § 287 StGB wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 85 Z 1 StGB) rechtskräftig verurteilt.

Mit Vereinbarung vom 22. 2. 1978 kam der Beklagte mit Othmar W überein, dessen Schadenersatzforderungen aus der Augenverletzung unter Berücksichtigung aller vergangenen, gegenwärtigen und allfälligen zukünftigen Ansprüche, sei es aus welchem Titel immer, mit einem Pauschalbetrag von 600 000 S abzugelten. Von Ansprüchen eines Sozialversicherers war dabei keine Rede. Es wurde nicht davon gesprochen, daß Othmar W von einem Sozialversicherungsträger Leistungen erhalten habe oder erhalten werde. Dem Beklagten war wohl bekannt, daß Othmar W in München mit einem Kompagnon Transporte durchführt; Art und Umfang des Geschäftsbetriebes waren ihm jedoch nicht bekannt. Im Strafverfahren schien Othmar W als Transportunternehmer auf. Die Klägerin bezahlte für den bei ihr krankenversicherten Othmar W am 28. 2. 1978 an Krankengeld für die Zeit vom 24. 10. 1977 bis 8. 1. 1978 4256 DM, an Kosten für ambulante Krankenpflege 57.97 DM, an Kosten für stationäre Krankenpflege für die Zeit vom 24. 10. bis 15. 11. 1977 1477.89 DM und für den Krankentransport am 24. 10. 1977 216.43 DM, insgesamt daher 6008.29 DM. Die klagende Partei gab dem Beklagten ihre diesbezüglichen Ansprüche mit Schadenersatzrechnung vom 14. 8. 1980 bekannt.

Die Klägerin begehrt den Ersatz dieses Betrages unter Hinweis auf die Legalzession des § 1542 RVO.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und verwies auf die mit dem Geschädigten in Unkenntnis eines öffentlichrechtlichen Sozialversicherungsverhältnisses geschlossene Vereinbarung. Der Betrag von 600 000 S sei ohnedies bei weitem überhöht; es sei recht und billig, wenn Othmar W aus dieser Summe die Forderung der klagenden Partei bezahle. Außerdem wendete der Beklagte ein Mitverschulden des Klägers ein.

Das Erstgericht erkannte iS des Klagebegehrens und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Leistungspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin sei insgesamt vor dem 8. 1. 1978 entstanden, weshalb sich Othmar W mit dem Beklagten am 22. 2. 1978 nicht mehr für die Klägerin wirksam hätte vergleichen können, weil zu diesem Zeitpunkt seine Ansprüche auf Grund der Legalzession nach den Bestimmungen der RVO wirksam auf die Klägerin übergegangen gewesen seien. Der Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerin ihre an Othmar W erbrachten Leistungen zu ersetzen und könne diese Zahlung zweifellos vom Betrag von 600 000 S in Abzug bringen. Da der Beklagte den Vergleich vom 22. 2. 1978 noch nicht zur Gänze erfüllt habe, könne nicht davon gesprochen werden, daß ihm eine Doppelzahlung auferlegt werde. Ein Mitverschulden des Othmar W an seiner Verletzung sei nicht anzunehmen bzw. könne vernachlässigt werden.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil iS der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es führte zur Rechtsfrage aus, der Forderungsübergang nach § 1542 RVO erfolge - ausgenommen Ersatzansprüche aus der Pensionsversicherung - bereits in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt. Der Vergleich sei zwischen einem Inländer und einem Ausländer im Inland abgeschlossen worden und die daraus abzuleistenden Rechtswirkungen seien daher als dem Kausalverhältnis zugehörig nach inländischem Recht zu beurteilen. Der OGH habe wiederholt ausgesprochen, daß der Schädiger nur dann nicht noch einmal an den Sozialversicherer zahlen müsse, wenn er im guten Glauben gehandelt habe. Der gute Glaube sei dann anzunehmen, wenn der Schädiger weder wußte noch bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit hätte wissen können, daß der Verletzte von der Sozialversicherungsanstalt eine Entschädigung zu erwarten habe und ein Rechtsübergang auf den Sozialversicherungsträger eingetreten sei. Im Falle eines selbständig tätigen Ausländers könne nicht von vornherein unterstellt werden, daß er Leistungen aus der Sozialversicherung erwarten könne. Es würde zu weit gehen, sollte man fordern, daß ein inländischer Schädiger damit rechnen müsse, daß nach der ausländischen Rechtsordnung ein Rechtsübergang auf den Sozialversicherungsträger in der gleichen oder in einer ähnlichen Weise normiert sei, wie dies im § 332 Abs. 1 ASVG geregelt worden sei, und er daher die Gefahr in Kauf nehme, vom ausländischen Sozialversicherungsträger für die von diesem erbrachten Leistungen noch einmal in Anspruch genommen zu werden. Die Regel des § 2 ABGB, wonach sich niemand damit entschuldigen könne, daß ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt geworden sei, gelte nicht in bezug auf ausländische Rechtsordnungen. Zur Widerlegung des guten Glaubens müßten also weitere Umstände nachgewiesen werden, die darauf hindeuten, daß der Schädiger bei der Zahlung an den Geschädigten oder beim Vergleichsabschluß mit einer Heranziehung zur Leistung durch den ausländischen Sozialversicherungsträger zumindest hätte rechnen müssen. Dieser Nachweis obliege dem Sozialversicherer. Im vorliegenden Fall sei der Beklagte, der eine geringe Schulbildung besitze, bei der Vergleichsverhandlung nicht in Kenntnis gesetzt worden, daß der Verletzte Leistungen aus der öffentlichrechtlichen Krankenversicherung erhalten werde. Sonstige Umstände, aus denen der Mangel des guten Glaubens hätte geschlossen werden können, seien weder behauptet worden noch seien sie hervorgekommen. Der Umstand allein, daß der Verletzte in München als selbständig Erwerbstätiger zusammen mit einem Kompagnon Transportgeschäfte durchgeführt habe, genüge zur Widerlegung des im Zweifel anzunehmenden guten Glaubens nicht. Es sei weder behauptet noch bewiesen worden, daß der Beklagte vor und beim Vergleichsabschluß rechtsfreundlich vertreten gewesen sei und auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme durch den ausländischen Sozialversicherer aufmerksam gemacht worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Voraussetzungen und Inhalt der Legalzession hinsichtlich der Schadenersatzansprüche des verletzten Versicherten an einen ausländischen Sozialversicherungsträger sind nach dem Recht zu beurteilen, dem dieses Versicherungsverhältnis unterworfen ist (vgl. SZ 33/43, EvBl. 1967/20; SZ 46/45; 8 Ob 57/76; 8 Ob 86/78; 8 Ob 198, 268/79; 8 Ob 236/79; Duchek - Schwind, IPR-Gesetz, FN 5 zu § 45, Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts 107 f.). Da die Legalzession im vorliegenden Fall ein in der Bundesrepublik Deutschland bestehendes Sozialversicherungsverhältnis (Krankenversicherung) betrifft, sind die Voraussetzungen des Forderungsüberganges nach deutschem Recht zu beurteilen (8 Ob 16/78; 8 Ob 236/79). Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung des OGH erfolgt der Forderungsübergang nach § 1542 RVO sofort mit der Entstehung des Schadenersatzanspruches. Obwohl regelmäßig noch ungewiß ist, in welcher Höhe der Schädiger zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet ist, und obwohl auch die Voraussetzungen für die Zahlungspflicht des Versicherungsträgers im einzelnen noch nicht feststehen, vollzieht sich der Übergang bereits in dem die Ersatzpflicht des Schädigers auslösenden Zeitpunkt (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozess[17] 1350 Rdz. 24; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[12] 836 Rdz. 1405; VersR 1957, 802; VersR 1959, 34; VersR 1965, 610).

Auf den zwischen dem Beklagten und dem Geschädigten im Inland geschlossenen Vertrag ist zwar inländisches Recht anzuwenden. Die Frage, ob sich der Schädiger gegenüber dem Zessionar auf eine nach dem Forderungsübergang mit dem ursprünglichen Gläubiger geschlossene Vereinbarung berufen kann, hängt aber davon ab, welche Wirkungen die Zession hat. Sie ist daher nach dem Zessionsstatut, im vorliegenden Fall also nach deutschem Recht, zu beurteilen. Nach den §§ 412, 407 BGB muß der neue Gläubiger eine Leistung die der Schuldner nach dem Forderungsübergang an den bisherigen Gläubiger bewirkt, sowie jedes Rechtsgeschäft, das nach dem Forderungsübergang zwischen dem Schuldner und dem bisherigen Gläubiger geschlossen wird, gegen sich gelten lassen, es sei denn, daß der Schuldner bei der Leistung oder beim Abschluß des Rechtsgeschäftes den Forderungsübergang kennt (VersR 1968, 771). Der Sozialversicherungsträger muß sich einen Vergleich daher - ebenso wie nach österreichischem Recht - dann entgegenhalten lassen, wenn dem Schädiger das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses unbekannt war (Geigel aaO 1357). Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß der Beklagte nicht wissen mußte, ein deutscher Staatsangehöriger, der nicht als unselbständig Erwerbstätiger beschäftigt ist, genieße Sozialversicherungsschutz. Aus diesem Grund muß die Klägerin die zwischen dem Beklagten und dem Geschädigten geschlossene Vereinbarung gegen sich gelten lassen.

Daraus folgt aber noch nicht, daß das Klagebegehren nicht berechtigt ist. Das Rechtsverhältnis Zessionar-Schuldner wird nämlich so behandelt, wie wenn die fragliche Rechtshandlung in diesem Verhältnis vorgenommen worden wäre (Münchner Kommentar II 1166 § 407 BGB Rdz. 11). Die Klägerin kann also vom Beklagten Zahlung nach Maßgabe des Vergleiches fordern. Hat der Beklagte bereits alle Zahlungen aus dem Vergleich an den Geschädigten geleistet, dann kann auch die Klägerin gegenüber dem Beklagten keine Forderungen mehr stellen. Ist aber aus dem Vergleich noch eine Forderung offen, dann kann die Klägerin im Rahmen dieses Vergleiches Forderungen, die auf sie übergegangen sind, geltend machen.

Ob der Vergleichsbetrag von 600 000 S bereits zur Gänze bezahlt ist, stellte das Erstgericht nicht fest. Bei der rechtlichen Beurteilung ging es zwar davon aus, der Beklagte habe noch nicht völlige Zahlung geleistet. Dies genügt jedoch schon deshalb nicht, weil die Klägerin nur bereits fällige Ansprüche aus dem Vergleich fordern kann. Entscheidend ist daher, ob ab dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin den Beklagten zur Zahlung aufforderte, Forderungen aus dem Vergleich in der Höhe des Klagsbetrages fällig geworden sind. Hiezu bedarf es ergänzender Feststellungen.

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