OGH 2Ob70/90

OGH2Ob70/905.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Ulrich F*, vertreten durch den Vater Ing. Helmut F*, dieser vertreten durch Dr. Walter Riedl, Dr. Peter Ringhofer und Dr. Martin Riedl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Peter B*, 2.) E*-Aktiengesellschaft, *, beide vertreten durch Dr. Otto Philp, Dr. Gottfried Zandl und Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 220.000,-- und Feststellung infolge ao Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. April 1990, GZ 11 R 23/90-35, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27. Oktober 1989, GZ 15 Cg 721/88-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

 

1.) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00070.9.0905.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revisionsbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

2.) zu Recht erkannt:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 110.000,-- samt 4 % Zinsen ab 1. 8. 1986 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für die Hälfte der künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24. Jänner 1986 zu haften haben, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der zwischen der erstbeklagten Partei und der zweitbeklagten Partei für den PKW, pol. Kennzeichen W * zum Unfallszeitpunkt vertraglich vereinbarten Versicherungssumme beschränkt ist.

3. Das Mehrbegehren auf Bezahlung eines weiteren Betrages von S 110.000,-- samt Zinsen sowie das Feststellungsmehrbegehren werden abgewiesen.

4. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei an anteiligen Gerichts- und Sachverständigengebühren für das Verfahren erster Instanz S 10.975,--, abzüglich der anteiligen Sachverständigengebühren der beklagten Parteien von S 3.336,--, somit S 7.639,-- binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im übrigen werden die Kosten des Verfahrens erster Instanz gegeneinander aufgehoben.

5. Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.921,09 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 817,95 Umsatzsteuer und S 13,33 Barauslagen), abzüglich der anteiligen Gerichtsgebühren der beklagten Parteien von S 2.666,66, somit S 2.254,43, binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 3.333,33 bestimmten anteiligen Gerichtsgebühren für das Revisionsverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im übrigen haben die beklagten Parteien die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

 

Begründung:

Am 24. 1. 1986 gegen 14 Uhr ereignete sich in Wien 19 auf der Billrothstraße in Höhe des Hauses Nr. 78 ein Verkehrsunfall, an welchem der am * geborene Kläger und der Erstbeklagte mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Auf der Höhe der Unfallstelle befindet sich die Straßenbahnhaltestelle Silbergasse der Straßenbahnlinie 38. Zwischen den stadtein- und stadtauswärtsführenden Straßenbahnhaltestellen befindet sich ein markierter Schutzweg, der durch eine Verkehrslichtanlage für die Straßenbenützer und durch Fußgängerampeln für die Fußgänger gesichert ist. Die Fahrbahnbreite der Billrothstraße beträgt 13,5 m, die Fahrbahnmitte liegt genau zwischen den Gleiströgen. Im Unfallszeitpunkt befand sich in der Haltestelle ein stadtauswärts fahrender Straßenbahnzug der Linie 38. Während dieser dort hielt, wurde die Verkehrslichtanlage für den Fahrzeugverkehr in der Billrothstraße auf Grünlicht geschaltet, der Straßenbahnfahrer hat wegen des Fahrgastwechsels jedoch die Fahrt nicht sofort aufgenommen, sondern die Straßenbahngarnitur stand zunächst mit geöffneten Türen in der Haltestelle. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich der Erstbeklagte, der aus der Silbergasse in die stadtauswärts führende Fahrbahn der Billrothstraße eingebogen war, der Haltestelle. Er blieb, obwohl die Verkehrslichtanlage für ihn schon grünes Licht zeigte, am Ende des Beiwagens stehen, da noch Fahrgäste aus- und einstiegen. Er hatte die Absicht, wegen der herrschenden Grünphase noch innerhalb der Haltestelle vorbeizufahren, sobald sich die Türen geschlossen hätten, weil 13 m nach dem Fußgängerübergang rechts ein PKW abgestellt war, wobei zwischen diesem und den stadtauswärts führenden Straßenbahnschienen nur ein Zwischenraum von 2,6 m Breite bestand. Der Erstbeklagte wollte deshalb knapp an der Zugspitze des Triebwagens vorbeifahren, um den nötigen Seitenabstand zu dem abgestellten PKW gewinnen zu können. Während er sich zu diesem Fahrmanöver anschickte, näherten sich von dem von ihm aus gesehen links von der Billrothstraße gelegenen Gehsteig zwei Schulkinder, darunter der Kläger, die noch den in der Haltestelle befindlichen Straßenbahnzug erreichen wollten. Sie überquerten zu diesem Zweck bereits bei Rotlicht der Fußgängerampel die stadteinwärts führende Fahrbahnhälfte der Billrothstraße, während für den Fahrzeugverkehr die Grünphase aufleuchtete. Zu diesem Zeitpunkt waren die automatischen Türen der Straßenbahngarnitur bereits geschlossen, der Fahrer hatte jedoch noch nicht abgefertigt, d.h. die Türkontakte leuchteten noch auf. Während der Kläger knapp vor der Spitze des Triebwagens vorbeilief, um zum vorderen Einstieg zu gelangen, hatte der Erstbeklagte bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 36 km/h die Gefahr erkannt und befand sich zu diesem Zeitpunkt rund 11 m vor der späteren Kollisionsstelle. Es war ihm trotz eines sofort eingeleiteten Bremsmanövers nicht möglich, den Zusammenstoß mit dem Kläger zu vermeiden. Der Kläger erlitt hiebei ein schweres Schädelhirntrauma mit Hirnprellung und eine Knieverletzung. Bei einer Geschwindigkeit unter 25 km/h wäre für den Erstbeklagten die Kollision vermeidbar gewesen.

Der Kläger begehrt ein Schmerzengeld von S 220.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall.

Die Beklagten wendeten Alleinverschulden des Klägers ein. Das Erstgericht sprach dem Kläger S 165.000 samt Anhang zu und stellte die Haftung der beklagten Parteien für 3/4 der künftigen Schäden - bei der zweitbeklagten Partei begrenzt durch die vereinbarte Versicherungssumme - fest. Es ging davon aus, daß der Kläger gegen die Bestimmung des § 38 Abs 5 und 8 StVO verstoßen habe, weshalb ihn ein Mitverschulden treffe. Auch den Erstbeklagten treffe ein Verschulden, weil er bei der Vorbeifahrt an einem in einer Haltestelle stehenden öffentlichen Verkehrsmittel einen ausreichenden Seitenabstand einhalten oder seine Fahrgeschwindigkeit so hätte einrichten müssen, daß er einen Zusammenstoß mit einem hinter dem öffentlichen Verkehrsmittel hervortretenden Fußgänger vermeiden kann. Schutzzweck der Bestimmung des § 17 Abs 2 StVO sei zwar die Sicherung jener Personen, die auf der vorgeschriebenen Seite eines in einer Haltestelle anhaltenden Schienenfahrzeuges ein- und aussteigen, nicht aber die Sicherung des die Schienenführung der Straßenbahn überschneidenden Querverkehrs. Für den Erstbeklagten habe sich jedoch daraus, daß der Straßenbahnzug noch nicht abgefertigt gewesen sei und trotz Dauergrünlichtes die Haltestelle nicht verlassen gehabt hätte, eine unklare Verkehrssituation ergeben. Er hätte daher nur mit Schrittgeschwindigkeit bis zur Zugspitze vorfahren dürfen, um seinen nicht ausreichenden Sichtverhältnissen nach links Rechnung zu tragen. Ihm seien jedenfalls eine relativ überhöhte Geschwindigkeit und ein zu knapper Seitenabstand zum Straßenbahnzug vorzuwerfen. Dieses Mitverschulden stelle sich im Hinblick auf das jugendliche Alter des Klägers als erheblich schwerwiegender dar, sodaß eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zugunsten des Klägers vorzunehmen sei. Das Berufungsgericht gab der von den Beklagten gegen das Ersturteil erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, der Vertrauensgrundsatz des § 3 StVO gelte keineswegs abstrakt gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber solchen anderen Personen, die einander wahrgenommen hätten. Dies ergebe sich zweifelsfrei daraus, daß sich die Geltung des Vertrauensgrundsatzes nicht auf Kinder und sonstige im § 3 StVO angeführte Personen erstrecke. Gerade deshalb also, weil der Erstbeklagte nicht habe wahrzunehmen vermocht, ob sich etwa auf dem von ihm nicht einsehbaren Teil des Fußgängerüberganges Pesonen, denen gegenüber der Vertrauensgrundsatz nicht gelte, vorschriftswidrig verhalten, könne er sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Dazu komme, daß der Erstbeklagte damit habe rechnen müssen, daß Fußgänger, die die Fahrbahn in Übereinstimmung mit dem Lichtzeichen betreten haben, auch nach Änderung dieses Zeichens gemäß § 76 Abs 3 letzter Satz StVO die Überquerung der Fahrbahn fortsetzen, und zwar im vorliegenden Fall mangels Vorhandenseins einer Schutzinsel bis zum gegenüberliegenden Gehsteig. Aus der Dauer der bereits herrschenden Grünphase habe der Erstbeklagte keinesfalls schließen können, daß aus dem von ihm nicht einsehbaren Bereich des Fußgängerüberganges solche Personen nicht mehr auftauchen werden, da die Befugnis des § 76 Abs 3 letzter Satz StVO auch alten, gebrechlichen oder behinderten Personen zustehe. Durch sein Fahrverhalten habe sich aber der Erstbeklagte außerstande gesetzt, auf Fußgänger, die die Fahrbahn in Gemäßheit der zitierten Vorschriften überqueren, Rücksicht nehmen. Hätte er sein Fahrverhalten danach eingerichtet, dann hätte er auch die Kollision mit dem Kläger vermeiden können, obwohl sich dieser nicht entsprehend dem letzten Satz des § 76 Abs 3 StVO verhalten, sondern gegen dessen ersten Satz verstoßen habe. Das Fehlverhalten des Erstbeklagten sei daher für den Unfall kausal und werde auch durch das grob verkehrswidrige Verhalten des Klägers nicht entschuldigt. Es könne aber auch keine Rede davon sein, daß sich der Erstbeklagte der Bestimmung des § 17 Abs 2 StVO entsprechend verhalten habe. Er habe, als er noch 11 m von der Spitze des noch immer nicht abgefertigten Straßenbahnzuges entfernt gewesen sei, bereits eine Geschwindigkeit von 36 km/h erreicht. Wie häufig beobachtet werden könne, entschließen sich gelegentlich Fahrgäste erst geraume Zeit nach dem Anhalten des Straßenbahnzuges in einer Haltestelle zum Aussteigen. Daß die Türen des Straßenbahnzuges geschlossen waren, während die Kontakte des Türöffners noch leuchteten, habe daher den Erstbeklagten keineswegs zur Annahme berechtigt, daß er gefahrlos knapp neben der Straßenbahn vorbeifahren könne, weil er noch immer mit dem Aussteigen von Fahrgästen habe rechnen müssen. Er habe aber auch damit rechnen müssen, daß für ihn nicht wahrnehmbare Fußgänger, die die Fahrbahn im Sinne des § 76 Abs 3 letzter Satz StVO von links überqueren, vor dem Straßenbahnzug hervortreten werden, um den vorderen Einstieg zu erreichen oder die Überquerung der Fahrbahn zu beenden. Das Verhalten des Straßenbahnführers, der trotz geschlossener Türen und Grünphase der Verkehrslichtanlage den Zug nicht abgefertigt habe und angefahren sei, habe es dem Erstbeklagten geradezu nahelegen müssen, daß der Straßenbahnfahrer solchen Personen entweder das Überqueren der Fahrbahn oder das Einsteigen in die Straßenbahn ermöglichen wolle. Da aber der Kläger beabsichtigt habe, in die haltende Straßenbahn einzusteigen, was ihm auch durchaus möglich gewesen wäre, wenn der Erstbeklagte nicht entgegen § 17 Abs 2 StVO eine überhöhte Geschwindigkeit und einen zu geringen Seitenabstand eingehalten hätte, könne ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung dieser Norm durch den Erstbeklagten und dem eingetretenen Erfolg nicht geleugnet werden. Gegen die Verschuldensaufteilung durch das Erstgericht bestünden daher keine Bedenken.

Die beklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Klage abgewiesen werde. Hilfsweise stellen die beklagten Parteien einen Aufhebungsantrag.

Der klagenden Partei wurde die Mitteilung, daß ihr die Beantwortung der Revision freigestellt werde, am 8. 6. 1990 zugestellt. Am 5. 7. 1990 gab sie eine an das Erstgericht adressierte Revisionsbeantwortung zur Post. Das Landesgericht für ZRS Wien, bei dem der Schriftsatz am 6. 7. 1990 einlangte, übermittelte diesen dem Obersten Gerichtshof, wo er am 10. 7. 1990 eintraf. Da gemäß § 508a Abs 2 ZPO die Beantwortung einer außerordentlichen Revision beim Revisionsgericht einzubringen ist, der Schriftsatz der klagenden Partei hier aber erst nach Ablauf der 4wöchigen Frist einlangte, wurde er verspätet eingebracht (RdW 1988, 424). Die Revisionsbeantwortung war daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist trotz des - den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes - zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt. Soweit die Revisionswerber ausführen, der Kläger habe die Absicht gehabt, die gegenüberliegende Fahrbahnseite zu erreichen, nicht aber die Straßenbahn, gehen sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, insoweit ist die Revision daher nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Mit Recht wenden sich die Revisionswerber aber gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Erstbeklagte könne sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen, weil dieser Grundsatz nicht abstrakt gegenüber jedermann, sondern nur gegenüber solchen anderen Personen gelte, die einander nicht wahrgenommen hätten. Dies ergebe sich daraus, daß sich die Geltung des Vertrauensgrundsatzes nicht auf Kinder und sonstige im § 3 StVO angeführte Personen erstrecke. Gerade deshalb also, weil der Erstbeklagte nicht habe wahrzunehmen vermocht, ob sich etwa auf dem von ihm nicht einsehbaren Teil des Fußgängerüberganges Personen, denen gegenüber der Vertrauensgrundsatz nicht gelte, vorschriftsmäßig verhalten, könne er sich auf den Vertrauensgrundsatz nicht berufen. Diese Ansicht des Berufungsgerichtes läßt außer acht, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Nichtanwendung des Vertrauensgrundsatzes auf Kinder gemäß § 3 StVO nur dann in Betracht kommt, wenn nach den Umständen mit der Benützung der Fahrbahn durch Kinder zu rechnen ist (ZVR 1975/35, ZVR 1975/52, ZVR 1979/293, ZVR 1981/168 ua). Umstände, aus denen zu schließen gewesen wäre, Kinder könnten die Fahrbahn betreten, lagen hier nicht vor. Damit, daß ein vorher nicht wahrnehmbares Kind bei Rotlicht vor der Straßenbahn über die Straße laufen werde, brauchte der Erstbeklagte nicht zu rechnen (vgl. ZVR 1975/23, ZVR 1975/52, ZVR 1979/235). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hindert daher der Umstand, daß es sich beim Kläger um ein Kind handelt, die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes nicht.

Soweit das Berufungsgericht dem Erstbeklagten anlastet, nicht darauf Rücksicht genommen zu haben, daß alte, gebrechliche oder behinderte Personen, die bei Grünlicht den Schutzweg betreten haben, dessen Überquerung bei Rotlicht zulässigerweise fortsetzen, ist darauf hinzuweisen, daß derartige Personen nicht vorhanden waren. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ist dem Erstbeklagten jedoch ein Verstoß gegen § 17 Abs 2 StVO anzulasten. Nach dieser Vorschrift darf der Lenker eines Fahrzeuges an einem in einer Haltestelle stehenden Schienenfahrzeug auf der Seite, die für das Ein- oder Aussteigen bestimmt ist, nur in Schrittgeschwindigkeit und in einem der Verkehrssicherheit entsprechenden seitlichen Abstand vom Schienenfahrzeug vorbeifahren. Ein- oder aussteigende Personen dürfen hiebei weder gefährdet noch behindert werden; wenn es ihre Sicherheit erfordert, ist anzuhalten. Daß sich der Erstbeklagte, der an der in der Haltestelle stehenden Straßenbahn derart beschleunigend vorbeifuhr, daß er noch vor der Spitze des Triebwagens eine Geschwindigkeit von 36 km/h erreichte, nicht im Sinne dieser Bestimmung verhielt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Es besteht aber auch der zur Begründung einer Haftung der beklagten Parteien erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang. Der Hinweis auf ZVR 1976/64 ist nicht zielführend, weil diese Entscheidung eine Kollision zweier Kraftfahrzeuge zum Gegenstand hatte. In dieser Entscheidung wurde ausgesprochen, der Schutzzweck des § 17 Abs 2 StVO umfasse die Sicherung jener Personen, die auf der vorgeschriebenen Seite eines in der Haltestelle stehenden Schienenfahrzeuges ein- und aussteigen. Daher gehörte auch der Kläger, der die Absicht hatte, in die Straßenbahn einzusteigen, zu den durch diese Vorschrift geschützten Personen. Daß der Kläger zum Einstieg der Straßenbahn durch Verletzung einer Verkehrsvorschrift gelangte, vermag daran nichts zu ändern. Der Erstbeklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe darauf vertrauen können, es werde niemand vorschriftswidrig die Fahrbahn überqueren, weil er sich selbst vorschriftswidrig verhielt (vgl. ZVR 1980/116, ZVR 1986/27 ua.).

Den Erstbeklagten trifft daher ein Mitverschulden. Das Verschulden eines Fußgängers, der bei Rotlicht vor der stehenden Straßenbahn über die Fahrbahn läuft, wiegt jedoch wesentlich schwerer. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß der Kläger zur Zeit des Unfalles erst 11 Jahre alt war und nach ständiger Rechtsprechung das Mitverschulden eines Unmündigen geringer zu werten ist als unter gleichen Umständen das Verschulden eines Erwachsenen (EFSlg. 43.510, 56.986 uva). Unter diesen Umständen ist eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt.

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher dahin abzuändern, daß dem Leistungs- und dem Feststellungsbegehren je zur Hälfte stattgegeben wurde.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO, jene über die Kosten des Berufungsverfahrens überdies auf § 50 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, daß der Kläger im Verfahren erster Instanz mit der Hälfte seines Begehrens obsiegte, was zur Kostenaufhebung führt, und im Berufungsverfahren mit 2/3, sodaß ihm hiefür 1/3 seiner Kosten zusteht. Der Anspruch auf Ersatz anteiliger Gerichts- und Sachverständigengebühren beruht auf § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 40, 43 Abs 1 letzter Satz und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte