Normen
ABGB §1295
ABGB §1298
ABGB §1315
Straßenpolizeigesetz §44
ABGB §1295
ABGB §1298
ABGB §1315
Straßenpolizeigesetz §44
Spruch:
Bei einem durch Nichtbeleuchtung einer Baugrube auf öffentlichem Straßengrund verursachten Unfall haftet der Bauführer für mangelnde oder mangelhafte Beaufsichtigung der Arbeitskräfte, wenn die Beaufsichtigung der Gehilfen unter Bedachtnahme auf deren berufliche Ausbildung und mit Rücksicht auf die von ihnen zu verrichtende Tätigkeit notwendig und darüber hinaus auch dem Bauführer zumutbar ist.
Entscheidung vom 14. Oktober 1954, 2 Ob 638/54.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Am 18. Oktober 1950 ließ die zweitbeklagte Partei durch den bei ihr bediensteten Erstbeklagten zur Behebung eines Wasserrohrbruches auf dem Platz vor dem Sporthotel in I. Erdreich ausheben. Das Erdreich wurde in der Längsrichtung der etwa 80 cm tiefen Grube gelagert. Nach Behebung des Schadens wurde die Grube mit Brettern abgedeckt. An den beiden Breitseiten wurden Schragen aufgestellt, die Anbringung einer Lichtquelle bei der Baustelle aber unterlassen. Zwischen 18.30 und 18.40 Uhr abends benützte die Klägerin die zwischen der Grube und dem Aushubmaterial befindliche straßengleiche Fläche. Hiebei stürzte sie in die Grube und zog sich hiedurch einen Knöchelbruch am rechten Bein zu.
Das Strafbezirksgericht verurteilte den Erstbeklagten wegen ungenügender Sicherung der Baustelle und Unterlassung der Anbringung einer Lichtquelle nach § 335 StG. Es erblickt nach seinen Feststellungen die ungenügende Sicherung darin, daß es der Erstbeklagte unterlassen habe, ein an die Grube anschließendes, 60 cm tiefes Loch entsprechend abzudecken, und auch eine Sicherung dieser Stelle durch Schragen und Latten nicht vorgenommen habe. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging von der Feststellung des Untergerichtes aus, billigte dessen Rechtsansicht und fügte bei, daß auch dann, wenn die Verletzte infolge Nachrutschens des Materials in die Grube gestürzt sein sollte, eine ungenügende Sicherung der Baustelle angenommen werden müßte, weil bei der Abplankung auf ein solches Nachrutschen hätte Bedacht genommen werden müssen, zumal bei diesem Rohrbruch das Erdreich locker und in der Umgebung der Baustelle aufgeweicht gewesen sei. Es wäre auch angebracht gewesen, den, wenn auch schmalen Durchlaß zwischen Abplankung und Erdaushub abzusperren.
Die Klägerin begehrt nunmehr von beiden Beklagten die Bezahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 S, den Ersatz des Aufwandes für eine Pflegerin und den entgangenen Verdienst, wobei sie den ihr seitens der Krankenkasse entrichteten Betrag von 1822.50 S in Abzug bringt. Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß der Klagsanspruch der Klägerin mit der Hälfte dem Gründe nach zu Recht bestehe. Damit erscheint auch zum Ausdruck gebracht, daß dieser Anspruch mit seiner anderen Hälfte dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe, was sich auch aus den Entscheidungsgründen des Urteiles ergibt. Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Streitteile Folge, hob die Urteile der Untergerichte im angefochtenen Umfange auf und verwies die Rechtssache im Umfange der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Unterlassung der Anbringung einer entsprechenden Lichtquelle durch den Erstbeklagten für den Unfall der Klägerin kausal war. Das Zivilgericht ist jedenfalls - worauf das Berufungsgericht bereits zutreffend hingewiesen hat - an den Inhalt der verurteilenden Straferkenntnisse gebunden (§ 268 ZPO.). Zur Tragweite des strafgerichtlichen Urteilsspruches sind auch dessen Gründe heranzuziehen (SZ. XVIII/148). Der Zivilrichter ist daher an jene tatsächlichen Feststellungen der Gründe gebunden, die den Spruch des Strafgerichtes rechtfertigen (EvBl. 1937 Nr. 74 und EvBl. 1936 Nr. 688). Der Zivilrichter hat von der Annahme auszugehen, daß der Verurteilte die ihm zur Last gelegte Tat wirklich begangen habe. Es bedurfte daher einer Erhebung des Tatbestandes, soweit das Verschulden des Erstbeklagten in Frage steht, überhaupt nicht mehr. Das Revisionsgericht ist schließlich an die Auffassung des Strafgerichtes gebunden, daß eine ungenügende Sicherung der Baustelle im Sinne der Auffassung des Strafberufungsgerichtes vorliege, weil die rechtliche Beurteilung, die das Strafgericht dem seiner Entscheidung zugrunde gelegten Tatbestand zuteil werden läßt, erst das verurteilende Erkenntnis rechtfertigt. Es ist auch dem Berufungsgerichte darin beizupflichten, daß der Erstbeklagte mit der Benützung des Grundstreifens zwischen Erdaufschüttung und Grube durch dritte Personen rechnen und die darin liegende Gefahr erkennen mußte.
Das Sachverständigengutachten löst in unzulässiger Weise die Rechtsfrage, ob eine gesetzliche Pflicht des Bauführers zur Sicherung der Baustelle durch Absperrung des erwähnten Grundstreifens bestehe. Diese Frage hat allein das Gericht zu beantworten. Da das Strafgericht bereits ausgesprochen hat, daß der strafbare Tatbestand in der Unterlassung des Beklagten liege, den Grundstreifen in die Absperrung einzubeziehen, ist jede Beschäftigung mit dieser Frage müßig. Sicherlich hätte auch die Klägerin die Gefahr bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen können. Auch sie hätte sich sagen müssen, daß das Betreten eines Grundstreifens in nächster Nähe eines Erdaushubes nicht ratsam sei. Die Sicherung einer Baustelle bedeutet ja noch nicht, daß der in nächster Nähe der Baustelle befindliche Boden gefahrlos betreten werden kann. Das Revisionsgericht pflichtet demnach auch den Untergerichten insofern bei, daß auch die Klägerin ein Mitverschulden trifft. Ihr Verschulden ist jedoch ein weitaus geringeres gegenüber dem des Erstbeklagten, so daß die Aufteilung mit 4 (Erstbeklagter) zu 1 (Klägerin) gerechtfertigt erscheint. Da das Berufungsurteil, soweit der Anspruch der Klägerin mit 1/5 als nicht zu Recht bestehend erkannt wurde, unangefochten blieb, erweist sich die Revision der Klägerin zur Gänze begrundet. Aber auch die Revision der Beklagten ist aus den nachstehenden Erwägungen berechtigt. Über den Grund eines Anspruches kann nur dann mit Zwischenurteil abgesprochen werden, wenn der klagenden Partei irgendein Betrag zur Befriedigung ihres geltend gemachten Anspruches gebührt (EvBl. 1934, Nr. 444, 3 Ob 465/53). Es bedarf daher zumindest einer Feststellung in der Richtung, daß die Verletzung Schmerzen ausgelöst, die Klägerin tatsächlich einen Verdienstentgang gehabt habe und Aufwendungen für ihre Betreung durch eine Pflegeperson notwendig gewesen seien. Schließlich müßte erwiesen sein, daß der Klägerin ein Betrag zukomme, der über den von ihr selbst in Abzug gebrachten Betrag von 1.822.50 S hinausgeht. Da es an diesbezüglichen Feststellungen fehlt, ist das Revisionsgericht nicht in der Lage, zu beurteilen, ob der Klägerin irgendein Betrag im Rahmen der von ihr geltend gemachten Ansprüche gebühre.
Was die Haftung der zweitbeklagten Partei für das Verschulden des Erstbeklagten an der Herbeiführung des Unfalles betrifft, ist dazu folgendes zu sagen:
Nach § 44 StPolG. hat der Bauführer Arbeitsstellen auf Straßen ausreichend zu kennzeichnen und soweit erforderlich, abzusperren. Diese der zweitbeklagten Partei obliegende gesetzliche Verpflichtung hat der Erstbeklagte, wie oben ausgeführt, verletzt. Es ist daher zu untersuchen, wie weit die Zweitbeklagte für diese Unterlassung des Erstbeklagten einzustehen hat.
Die zweitbeklagte Partei hat als Bauführer im Hinblick auf § 1298 ABGB. zu beweisen, daß sie an der Erfüllung ihrer in § 44 StPolG. festgelegten gesetzlichen Verpflichtung ohne ihr Verschulden verhindert worden sei. Es ist bei Beurteilung dieser Frage davon auszugehen, daß der Erstbeklagte als Gehilfe der zweitbeklagten Partei die angeführte Gesetzesvorschrift, wie oben dargestellt, außer Acht gelassen hat. Mit dem Nachweis allein, daß der Erstbeklagte weder als eine gefährliche Person noch als untüchtig anzusehen sei (§ 1315 ABGB.), ist für die zweitbeklagte Partei nichts gewonnen. Denn diese haftet nicht nur für die Auswahl der Personen, der sie sich zur Besorgung ihrer Angelegenheiten bedient, sondern darüber hinaus für Verschulden ihrer Organe bei Beaufsichtigung ihrer Gehilfen (SZ. VIII/68, 2 Ob 286/54 und damit übereinstimmend Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 692). Eine mangelnde oder mangelhafte Beaufsichtigung der Arbeitskräfte fällt der Zweitbeklagten aber nur dann zur Last, wenn die Beaufsichtigung der Gehilfen unter Bedachtnahme auf deren berufliche Ausbildung und mit Rücksicht auf die von ihnen zu verrichtende Tätigkeit notwendig und darüberhinaus auch der Zweitbeklagten zumutbar ist. Bei Beurteilung der Zumutbarkeit wird die Häufigkeit der Schaffung gefährlicher Zustände bei derartigen Arbeiten im allgemeinen sowie die Möglichkeit der Herbeiführung eines solchen Zustandes im konkreten Fall (in diesem Zusammenhange ist auch die Lage des Arbeitsplatzes zu beachten) und die wirtschaftliche Tragbarkeit der Einrichtung entsprechender Kontrollen in Betracht zu ziehen sein. Unverhältnismäßige Aufwendungen in bezug auf die Überwachung der Arbeiten an einer Baustelle werden die Beaufsichtigung als unzumutbar erscheinen lassen, weil es sich bei der Behebung eines Rohrbruches auf der Straße nicht um einen gefährlichen Betrieb handelt oder mit anderen Worten von Schaffung besonders gefährlicher Verhältnisse durch die Arbeiten der Gehilfen nicht gesprochen werden kann. Eine Kontrolle muß allerdings, selbst bei Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen für diese dann durchgeführt werden, wenn die Gehilfen ihrer Berufsausbildung nach überhaupt nicht in der Lage sind, die gesetzlichen Verpflichtungen der zweitbeklagten Partei bei Ausführung der ihnen übertragenen Arbeiten einzuhalten. Die angeführte Einschränkung der Haftung der Beklagten für die Unterlassung einer Kontrolle ergibt sich zwangsläufig aus der Überlegung, daß das moderne Leben gewisse Gefahren mit sich bringt, die von allen getragen werden müssen.
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