OGH 2Ob598/88

OGH2Ob598/8811.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Serap E***, geboren am 24.Juni 1973, Serpil E***, geboren am 17. Dezember 1974, Bilal E***, geboren am 17.Dezember 1980, und Ümit E***, geboren am 10.November 1984, infolge Revisionsrekurses des Vaters Hasan E***, Arbeiter, Daniel-Gran-Straße 31, 3100 St. Pölten, vertreten durch Dr.Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 26.Juli 1988, GZ R 426/88-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 17.Juni 1988, GZ 1 P 14/87-24, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach der Aktenlage sind die am 24.Juni 1973 geborene Serap E*** und die am 17.Dezember 1974 geborene Serpil E*** eheliche Kinder des Hasan und der Yüksel E***. Eltern und Kinder sind türkische Staatsangehörige. Die Ehe der Eltern ist geschieden. Die Mutter ist unbekannten Aufenthaltes. Die Kinder wuchsen im Haushalt des Vaters in St. Pölten auf und hatten dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Mit Beschluß vom 9.März 1988 (ON 16) ordnete das Erstgericht hinsichtlich dieser beiden Kinder gemäß § 31 Abs 2 JWG die vorläufige Fürsorgeerziehung zur Prüfung an, ob die Fürsorgeerziehung Aussicht auf Erfolg verspricht. Es begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß die beiden Mädchen, die seit 16.Jänner 1988 im NÖ. Landesjugendheim Hollabrunn untergebracht sind, seit September 1987 bereits zweimal von zu Hause weggelaufen seien, weil es immer wieder zu Streitigkeiten und Schwierigkeiten mit ihrem Vater gekommen sei und sie es bei ihm nicht mehr ausgehalten hätten. Seit Oktober 1987 hätten sie den Schulunterricht nur an einigen Tagen besucht. Die Anordnung der Fürsorgeerziehung nach § 31 Abs 2 JWG sei für beide Mädchen gerechtfertigt, weil die Beseitigung geistiger, seelischer und sittlicher Verwahrlosung notwendig und die Entfernung der Kinder aus der bisherigen Umgebung wegen unzulänglicher bzw. verfehlter Erziehung unumgänglich erforderlich sei.

Dieser Beschluß erwuchs in Rechtskraft.

Anläßlich einer am 17.Mai 1988 beim Erstgericht (durch einen dort tätigen Rechtspraktikanten) durchgeführten Vernehmung gab der Vater nach dem Inhalt des aufgenommenen Protokolles (ON 23) an, er finde, daß die beiden Kinder nicht gern im Heim seien, weil sie immer wieder Briefe an ihn schrieben, in denen dies zum Ausdruck komme. Er glaube jedoch, daß sie bis zur Beendigung der Schulausbildung im Heim bleiben sollten, weil er keine Möglichkeit habe, sie gehörig zu beaufsichtigen. Er habe gegen eine endgültige Fürsorgeerziehung nichts einzuwenden.

Hierauf ordnete das Erstgericht mit Beschluß vom 17.Juni 1988 (ON 24) an, daß hinsichtlich der beiden Mädchen Serap und Serpil E*** gemäß § 31 Abs 2 JWG die vorläufige Fürsorgeerziehung in eine endgültige umgewandelt wird. Es begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß beide Mädchen bereits sichtbare Symptome von geistiger, seelischer und sittlicher Verwahrlosung aufwiesen, daß sie aber nach den vorliegenden Heimberichten im Rahmen der Fürsorgeerziehung durchaus förderbar seien.

Dem gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß keine Folge. Der Vater hatte in seinem Rechtsmittel nur geltend gemacht, auf Grund seiner finanziellen Lage sei die Heimunterbringung der Kinder für ihn zu teuer; außerdem sei es der Wunsch der Kinder, in Zukunft bei ihm zu leben. Das Rekursgericht verneinte die sachliche Berechtigung dieser Einwände des Vaters. Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Aufhebung der angeordneten vorläufigen Fürsorgeerziehung abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

Gemäß § 16 Abs 1 AußStrG findet gegen bestätigende Entscheidungen des Rekursgerichtes nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt. Diese Rechtsmittelgründe liegen nicht vor.

Entgegen der vom Vater in seinem Rechtsmittel vertretenen Ansicht begründet seine Vernehmung durch einen beim Erstgericht tätigen Rechtspraktikanten am 17.Mai 1988 keine Nichtigkeit (NZ 1936, 188; ähnlich auch 7 Ob 313/65). Selbst wenn es zutreffen sollte, daß die Stellungnahme des Vaters anläßlich dieser Vernehmung nicht richtig bzw nicht vollständig protokolliert worden sei, würde dadurch keine Nichtigkeit des Verfahrens begründet. Denn nach ständiger Rechtsprechung wird im Verfahren außer Streitsachen selbst der völlige Mangel des rechtlichen Gehörs in erster Instanz dadurch behoben, daß für den Betroffenen Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (EFSlg 30.388, 37.153, 49.984 uva). Dies trifft auch im vorliegenden Fall für den Vater zu. Der geltendgemachte Rechtsmittelgrund der Nichtigkeit liegt daher nicht vor.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (EFSlg 44.642, 52.757 uva).

Die Anordnung der Fürsorgeerziehung (zur Frage der inländischen Gerichtsbarkeit und des anzuwendenden Rechtes siehe EvBl 1978/159) setzt gemäß § 29 Abs 1 JWG voraus, daß diese Maßnahme zur Beseitigung geistiger, seelischer oder sittlicher Verwahrlosung eines Minderjährigen notwendig und die Entfernung des Minderjährigen aus seiner bisherigen Umgebung insbesondere wegen des verderblichen Einflusses der Erziehungsberechtigten oder wegen unzulänglicher oder verfehlter Erziehung erforderlich ist. Gemäß § 29 Abs 2 JWG darf die Fürsorgeerziehung im allgemeinen nicht angeordnet werden, wenn sie offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Welche tatsächlichen Umstände im konkreten Einzelfall die Annahme dieser im Gesetz normierten (positiven und negativen) Voraussetzungen für die Anordnung der Fürsorgeerziehung rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Es vermag daher die Behauptung, daß diese im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umstände zur Rechtfertigung der Anordnung der Fürsorgeerziehung nicht ausreichten, den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG nicht zu begründen.

Bei den im Revisionsrekurs aufgestellten Behauptungen des Vaters, daß sich ein entfernter Verwandter bereit erklärt habe, für die beiden Mädchen während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters während des Tages zu sorgen und daß die beiden Mädchen im Heim schlechten Einflüssen ausgesetzt seien, weil sich dort dreizehnjährige Mädchen vor ihnen gebrüstet hätten, daß sie bereits "auf den Strich gingen", handelt es sich um Neuerungen, die keinen Rechtsmittelgrund im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG begründen können (EFSlg 44.637, 52.740 uva). Zu diesen Behauptungen des Vaters ist daher nicht inhaltlich Stellung zu nehmen.

Zusammenfassend zeigt der Vater in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs das Vorliegen von Rechtsmittelgründen im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG nicht auf. Dieses Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.

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