Spruch:
Der Pflichtteilsberechtigte kann die Hinzurechnung des Wertes von vor Inkrafttreten des Eherechtsänderungsgesetzes BGBl. 1978/280, erfolgten Schenkungen des Erblassers an seine Ehegattin zum Nachlaß verlangen, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch aufrecht war
OGH 31. 5. 1983, 2 Ob 575/82 (OLG Innsbruck 2 R 161/82; LG Innsbruck 10 Cg 778/81)
Text
Der 1962 geborene Kläger ist ein unehelicher Sohn des am 2. 10. 1980 in W verstorbenen Simon F und der Elisabeth H; die Beklagte war dessen Ehegattin. Im Zeitpunkt des Todes des Simon F waren dessen Eltern bereits verstorben, doch hinterließ der Erblasser an "nächsten Verwandten" Georg F und Elisabeth S, die in der Klage als Geschwister bezeichnet werden. Mit den Schenkungsverträgen vom 11. 11. 1976 und 14. 11. 1977 übereignete Simon F je einen ideellen Hälfteanteil der Liegenschaft EZ 336 II KG W an die Beklagte.
Am 14. 11. 1977 errichteten Simon F und die Beklagte vor dem öffentlichen Notar Dr. Rudolf L, der Notariatskandidatin Dr. Alice L und der Sekretärin Martha B ein gemeinsames, mit Maschine geschriebenes und eigenhändig unterschriebenes Ehegattentestament, welches im Zentralen Testamentsregister der Österreichischen Notariatskammer registriert und am 7. 11. 1980 von Notar Dr. Christian P als Gerichtskommissär kundgemacht wurde. In dieser letztwilligen Verfügung erklärt die Beklagte, daß ihr Vermögen in der Hauptsache aus dem Grundbuchskörper in EZ 336 II KG W bestehe, widerrufen beide Ehegatten alle ihre früheren letztwilligen Anordnungen und setzen einander gegenseitig zum Alleinerben ein. Weitere Verfügungen sind in diesem Testament nicht enthalten. Unter Zugrundelegung einer Nachlaßüberschuldung von 3077.91 S wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Hopfgarten vom 20. 3. 1981 ua. der Beklagten als Witwe des Simon F der Nachlaß an Zahlungs Statt überlassen, die Einantwortungsurkunde ausgefertigt und die Verlassenschaftsabhandlung für beendet erklärt.
Der Kläger begehrte mit der am 16. 12. 1981 eingebrachten Klage von der Beklagten die Zahlung eines Betrages von 500 000 S samt 4% Zinsen seit 3. 10. 1980 als Pflichtteilsanspruch. Ihm stehe gemäß §§ 757 Abs. 2 und 763 ABGB ein gesetzliches Erbrecht im Ausmaß von einem Drittel des Nachlasses zu. Sein Pflichtteilsanspruch betrage demgemäß ein Sechstel, was unter Zugrundelegung des Verkehrswertes der Liegenschaft EZ 336 II KG W von 5 000 000 S eine Pflichtteilsquote von 800 000 S ergebe. Aus prozeßökonomischen Gründen werde vorerst nur ein Betrag von 500 000 S geltend gemacht.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete im wesentlichen ein, daß die genannten Schenkungsverträge vor dem Inkrafttreten der neuen Regelung des Ehegattenerbrechtes abgeschlossen worden seien. Da Simon F zwei Jahre nach Abschluß der Schenkungsverträge verstorben und die Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verträge nicht pflichtteilsberechtigt gewesen sei, sei eine Pflichtteilsanrechnung der Schenkungen wegen Ablaufs der Frist ausgeschlossen. Überdies liege beim Kläger der Enterbungsgrund des § 768 Z 2 ABGB vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Eine fristenlose Anrechnung von Schenkungen sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Noterbenqualität sowohl zum Zeitpunkt des Erbanfalles als auch im Zeitpunkt der Schenkung gegeben sei. Da die Beklagte im Zeitpunkt der Schenkung noch kein Anwartschaftsrecht auf einen Pflichtteil gehabt habe, sei die zweijährige Frist des § 785 Abs. 3 ABGB anzuwenden. Wegen des Ablaufes dieser Frist stehe daher dem Kläger kein Pflichtteil zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge; es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Den Vorinstanzen kann eingeräumt werden, daß der Wortlaut des § 785 ABGB in der ab 1. 7. 1978 geltenden, durch das Eherechts-Änderungsgesetz, BGBl. 1978/280, eingeführten Fassung die Ablehnung eines Pflichtteilsanspruches des Klägers nahelegt, weil die Beklagte im Zeitpunkt der Schenkungen nicht pflichtteilsberechtigt war. Indes wird solch eine wörtliche Auslegung des § 785 Abs. 3 ABGB, der die Anrechnung von Schenkungen des Erblassers an Ehegatten auf den Pflichtteil regelt, der aus den Materialien zweifelsfrei feststellbaren Absicht des Gesetzgebers (vgl. Koziol - Welser[5] I 20) nicht gerecht. § 785 ABGB wurde durch die III. Teilnovelle zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Kaiserliche Verordnung vom 19. 3. 1916, RGBl. 69, neu gefaßt. Nach seinem Abs. 2 hatten ua. Schenkungen unberücksichtigt zu bleiben, die an nicht pflichtteilsberechtigte Personen mehr als zwei Jahre vor dem Tode des Erblassers gemacht wurden. Der letzte Satz des Abs. 2 bestimmte, daß bei Schenkungen an den Ehegatten die Frist nicht vor Auflösung oder Scheidung der Ehe beginne. Die damalige Gesetzesänderung erfolgte - allgemein - zu dem Zweck, das Pflichtteilsrecht gegen die Umgehung durch Schenkungen unter Lebenden zu schützen (vgl. Begründung der Kaiserlichen Verordnung mit Materialien, Wien 1916, 39). Hinsichtlich der Anrechnung von Schenkungen an Ehegatten sollte die Frist nicht vor dem Zeitpunkt beginnen, "da die eheliche Gemeinschaft aufhört" (Bericht der Kommission für Justizgegenstände, 78 BlgHH XXI. Session 1912, Begründung aaO 238). Diese Regelung ging auf § 2325 Abs. 3 BGB zurück, wonach die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe zu laufen beginnt, und wurde auch seit der Änderung durch die III. TN nicht anders verstanden (vgl. Weiß in Klang[1] III 709; derselbe in Klang[2] III 915). Nach Ehrenzweig[2] II/2, 595, beginnt, wenn die Frau der überlebende Teil ist, die Frist überhaupt nicht zu laufen, und die Kinder des Mannes können nach seinem Tode die Hinzurechnung des Geschenkes verlangen. Auch nach Weiß (aaO 116) hat der überlebende Ehegatte die Schenkung, mag sie noch so weit zurückliegen, herauszugeben, wenn der Nachlaß zur Deckung der Pflichtteile nicht hinreicht. Deutlich spricht auch Gschnitzer, Erbrecht 93, aus, daß bei Schenkungen an den Ehegatten die Frist nicht vor Auflösung der Ehe beginnt und Geschenke an ihn immer anzurechnen sind.
Diese bis zum Inkrafttreten des Eherechts-Änderungsgesetzes mit 1. 7. 1978 bestehende Rechtslage sollte durch die Neufassung des § 785 ABGB nicht geändert werden. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (136 BlgNR 14. GP 18) besagen nämlich hinsichtlich der "Schenkungen, die jedenfalls unberücksichtigt bleiben sollen, also in keinem Falle in die Grundlage für die Berechnung des Pflichtteiles einbezogen werden dürfen", wörtlich: "Gegenüber der geltenden Rechtslage soll da keine Änderung eintreten". Die Weglassung des letzten Satzes des Abs. 2 erfolgte vielmehr nur deshalb, "da der überlebende Ehegatte ja in Zukunft selbst Noterbe ist", nicht also deshalb, um den beschenkten Ehegatten von der Verpflichtung, sich Schenkungen unbefristet anrechnen zu lassen, zu befreien.
Somit ist aber die Absicht des Gesetzgebers erwiesen, die Anfechtung von Schenkungen an einen Ehegatten, dessen Ehe im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch aufrecht war, auch dann ohne Befristung zuzulassen, wenn die Schenkung vor dem Eherechtsänderungsgesetz erfolgte. Insoweit ist demgemäß der buchstäbliche Wortlaut des § 785 Abs. 3 ABGB idF des Eherechtsänderungsgesetzes, BGBl. 1978/280, daher im Wege der teleologischen Reduktion (vgl. Koziol - Welser, Grundriß[6] I 24) einschränkend auszulegen. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, daß sich die durch die Schenkungsverträge vom 11. 11. 1976 und 14. 11. 1977 bedachte Ehegattin des erst am 2. 10. 1980 verstorbenen Erblassers, der ein pflichtteilsberechtigtes uneheliches Kind, den Kläger, hinterließ, die Schenkungen anrechnen lassen muß, also der Kläger deren Anrechnung auf seinen Pflichtteilsanspruch verlangen kann. Die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen war daher verfehlt.
Die Rechtssache ist allerdings nicht spruchreif, weil es genauer Feststellungen zunächst zur Erbenqualität des Klägers iS des § 757 Abs. 2 ABGB (vgl. Ehrenzweig - Kralik, Erbrecht 73, 74 oben:
Feststellung des Verwandtschaftsgrades der erwähnten "nächsten Verwandten"), ferner allenfalls zur Frage der von der Beklagten behaupteten Erbausschließung des Klägers und in weiterer Folge zur Höhe des Anspruches bedarf.
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