OGH 2Ob5/75

OGH2Ob5/7530.1.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Thoma und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* M*, Angestellter, *, vertreten durch Dr. Leo Ulrich, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) E* H*, Reifengroßhändler, *, 2.) D*Aktiengesellschaft, *, Zustelladresse: *, beide vertreten durch Dr. Alois Ruschitzger, Rechtsanwalt in Graz, wegen restlicher S 12.138,73 samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Oktober 1974, GZ. 1 R 120/74‑19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Graz vom 24. Juni 1974, GZ. 12 Cg 349/73‑14, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00005.75.0130.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten die mit S 2.122,29 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 121,65 Umsatzsteuer und S 480,— Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 6. 8. 1973 um etwa 10 Uhr 30 ereignete sich im Stadtgebiet von Graz im Bereich der automatisch geregelten Kreuzung Lazarettgürtel - Kärntnerstraße -Lazarettgasse ein Verkehrsunfall, an dem G* M*, die Gattin des Klägers, als Lenkerin eines dem Kläger gehörenden Personenkraftwagens und P* S* als Lenker eines dem Erstbeklagten gehörenden und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Personenkraftwagens beteiligt waren. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Der Schaden des Klägers beträgt S 21.548,83.

Der Kläger behauptet zwar, P* S* habe den Unfall allein verschuldet, weil er zu früh in die vom Querverkehr noch nicht gänzlich geräumte Kreuzung eingefahren sei, er verlangt jedoch von den Beklagten nur den Ersatz von 3/4 seines Schadens, somit Zahlung von S 16.161,63 samt Anhang zur ungeteilten Hand.

Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens. Sie wenden ein, die Gattin des Klägers trage allein das Verschulden an dem Unfall, denn sie sei noch bei Gelb- oder Rotlicht in die Kreuzung eingefahren. Hilfsweise machen sie ihren mit S 19.591,60 behaupteten Schaden – davon der Höhe nach unbestritten Reparaturkosten von S 10.951,60 und Mietwagenkosten von S 3.650,—, während der Rest auf die bestrittene Wertminderung von S 5.000,—entfällt – bis zur Höhe einer allfällig bestehenden Klagsforderung aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Alleinverschuldens der Gattin des Klägers ab. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

G* Ma* lenkte den Wagen ihres Mannes, von Westen her kommend, durch die Kärntnerstraße, wobei sie in einer Kolonne fuhr. Etwa 30 bis 32 m westlich der nördlichen Begrenzung der südlichen Verkehrsinsel, also 15 bis 17 m westlich der westlichen Haltelinie, mußte sie stehen bleiben, weil die Verkehrsampel auf der genannten Kreuzung in ihrer Fahrtrichtung Rotlicht zeigte. G* M* wollte die Kreuzung in gerader Richtung nach Nordosten zu überqueren und stand nun hinter zwei oder drei anderen Fahrzeugen vor der Ampel, normal zum Überqueren der Kreuzung eingeordnet. Das erste oder zweite dieser Fahrzeuge war ein Lieferwagen, über den G* M* nicht hinaussehen konnte. Als sie wegen des Rotlichtes der Ampel vor der Kreuzung anhielt, war für den Verkehr auf dem Lazarettgürtel in Nord-Süd-Sichtung freie Fahrt gegeben. Als die Ampel für G* M* grünes Licht zeigte, fuhr sie mit eingelegtem ersten Gang in die Kreuzungsfläche ein. Da die vor ihr fahrenden Fahrzeuge stehen blieben, hielt auch sie ihr Fahrzeug an, und zwar so, daß sie mit ihrer Sitzposition in Höhe der nördlichen Begrenzung der südlichen Verkehrsinsel (im weiteren als Bezugspunkt bezeichnet) war. Das Heck des vor ihr stehenden Fahrzeuges war etwa 1,50 m von der Vorderseite des Wagens des Klägers entfernt. Das davor stehende Fahrzeug fuhr dann, die Kreuzung räumend, rechts neben seinen Vordermann heran. In der dargestellten Stillstandsposition hatte G* M* von ihrem Sitz aus hinsichtlich des aus Süden vom Lazarettgürtel nach Norden in der Richtung zum Eggenbergergürtel fließenden Verkehr auf der dritten Spur der östlichen Fahrbahn ein Lastkraftwagen-Zugfahrzeug mit Pritschenaufbau (ohne Planenaufbau) stehen gesehen. Vor der späteren Einfahrt in die Unfallkreuzung sah sie hinter diesem Fahrzeug in einem Abstand von 1 bis 1,50 m auch noch einen Personenkraftwagen stehen. Der erwähnte Lastkraftwagen stand mit seinem Vorderteil etwa in der Mitte des südlichen Zebrastreifens. Auf der östlichen Fahrspur stand 5 bis 6 m südlich der Höhe des Bezugspunktes ein weißer Kraftwagen der Marke Mercedes. Auf der mittleren Fahrspur hatte G* M* weder ein stehendes noch ein sich bewegendes Fahrzeug gesehen. Nachdem sie eine Zeit hindurch, die ihr kurz erschien, gestanden war – eine genauere Feststellung über die Dauer dieses Zeitraumes ist nicht möglich – und nachdem sich die in ihrer Fahrtrichtung nach Nordosten fahrende Kolonne wieder in Bewegung gesetzt hatte, fuhr sie normal beschleunigend in ihrer Fahrtrichtung weiter. Dann kam es mit dem auf der Mittelspur der östlichen Fahrbahn von P* S* gelenkten Wagen zum Zusammenstoß. Dieses Fahrzeug nahm G* M* erst im Momente des Zusammenstoßes wahr. Nach dem Anfahren hatte sie bis zum Zusammenstoß eine Geschwindigkeit von etwa 20 km/h erreicht.

P* S* war mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h auf dem Lazarettgürtel in nördlicher Richtung gefahren. Ab einer Position von etwa 50 m südlich des Bezugspunktes hatte er den Mittelstreifen überfahren. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Ampel in seiner Fahrtrichtung rotes Licht.

Dem Phasenplan ist zu entnehmen, daß in der Fahrtrichtung des P* S* vor Aufleuchten der Grünphase die Rot-Gelb-Phase 3 Sekunden dauerte. In 3 Sekunden legte das Fahrzeug des Erstbeklagten bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h 33 m und bei einer solchen von 50 km/h 42 m zurück. Bei Einhalten einer gleichmäßigen Geschwindigkeit von 40 km/h befand sich dieses Fahrzeug unter der Voraussetzung, daß es sich am Beginn der Grünphase in einer Position 15 m südlich des Bezugspunktes befand, bei Beginn der Gelbphase 48 m südlich des Bezugspunktes.

Als P* S* das Fahrzeug des Klägers auf kurze Distanz links von sich in östlicher Richtung fahren sah, bremste er aus einer Geschwindigkeit von rund 40 km/h und zog den Wagen nach rechts. Der rechts von S* fahrende Personenkraftwagen Mercedes kam an ihm noch rechts vorbei. Als dieser angefahren war, war S* etwa eine Wagenlänge hinter ihm gewesen. Im Zeitpunkt des Zusammenstoßes fuhr der genannte Wagen rechts vorbei. Als S* in die Kreuzung einfuhr, sah er auf dieser in seiner Fahrtrichtung keine anderen Fahrzeuge. Wohl standen infolge des Rückstaues Fahrzeuge nordöstlich der östlichen Ampel.

Der Zusammenstoß erfolgte zwischen der linken vorderen Ecke des Wagens des Erstbeklagten und der rechten Tür bzw. dem rechten vorderen Kotflügel des Wagens des Klägers. Der von S* gelenkte Wagen zeichnete eine 5,50 m lange Blockierspur ab. Diese begann rund 40 cm nördlich der nördlichen Begrenzung des südlichen Zebrastreifens, verlief zuerst gerade und war im letzten Abschnitt 1 bis 1,50 m nach rechts gekrümmt. Sie stammte von den Vorderrädern. Durch den Anprall wurde der Wagen des Klägers mit der vorderen Hälfte etwa um die Breite eines Personenkraftwagens nach Norden verschoben, wodurch er eine linksschräge Endstelllung erreichte.

Die Örtlichkeit, die Fahrbahnbreiten, Länge und Breite der Zebrastreifen sind in der Skizze Beilage I richtig dargestellt.

P* S* hätte das von ihm gelenkte Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 40 km/h unter Zugrundelegung einer Reaktionszeit von 0,75 Sekunden und einer bei einer Notbremsung erzielbaren Verzögerung von 7 m/sec.² auf einer Strecke von 17,10 m anhalten können, wobei auf die Reaktionsstrecke 8,30 m und auf die Bremsstrecke 8,80 m entfallen wären. Die 17,10 m wären in der Zeit von 2,35 Sekunden durchfahren worden. Durch den Anstoß erfolgte eine zusätzliche Bremswirkung von 3 bis 3,50 Bremsmetern. Ohne Zusammenstoß hätte der von S* gelenkte Wagen bis zum Stillstand noch rund 5 Bremsmeter zurückgelegt. Die Anstoßgeschwindigkeit dieses Fahrzeuges betrug etwa 30 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit ist bei einer Notbremsung eine restliche Bremsstrecke von rund 5 m gegeben, die in 1,3 Sekunden durchfahren worden wäre. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h muß sich S* rund 12,10 m vor Erreichen des Unfallspunktes zur Bremsung entschlossen haben, was einer Zeit von 1,15 Sekunden vor dem Zusammenstoß entspricht.

Der Vorderteil des am westlichen Fahrstreifen der östlichen Fahrbahnhälfte des Lazarettgürtels gestandenen Lastkraftwagens befand sich in der Mitte des 4 m breiten südlichen Zebrastreifens. Die hintere Begrenzung dieses etwa 6 m langen Lastkraftwagens war etwa 11 m südlich der Höhe des Bezugspunktes. Ein etwa 1 m hinter diesem Lastkraftwagen stehender Personenkraftwagen befand sich mit seiner hinteren Begrenzung etwa 16 m südlich des Bezugspunktes. Dieser Lastkraftwagen und der nachfolgende Personenkraftwagen hinderten vor dem Unfall die Sicht auf das Fahrzeug des Klägers. Hätte der links sitzende Lenker P* S* über den hinter dem Lastkraftwagen stehenden Personenkraftwagen geblickt und nach links geschaut, so hätte er allenfalls Fahrzeuge gesehen, die sich westlich des Standortes des Wagens des Klägers befanden. Da die linke vordere Ecke des Wagens des Erstbeklagten 9,50 m nördlich der Höhe des Bezugspunktes zum Stehen kam und der Wagen des Klägers um 1,50 bis 1,60 m anstoßbedingt nach Norden verschoben wurde, ergibt sich eine Lage des Unfallspunktes 8 m nördlich der Höhe des Bezugspunktes. Bei einer von P* S* eingehaltenen Geschwindigkeit von 40 km/h war der Ort, wo er den Bremsentschluß faßte, 12,10 m südlich des Unfallspunktes und 4,10 m südlich des Bezugspunktes. In dieser Position mußte er eindeutig Sicht auf den Wagen des Klägers haben, weil dieser ursprünglich mit seiner vorderen Begrenzung in Höhe der östlichen Begrenzung der in Fahrbahnmitte liegenden, etwa 3 m breiten Verkehrsinsel gestanden ist und die anschließende linke vordere Ecke des Wagens des Erstbeklagten 2,60 m westlich der östlichen Begrenzung (Fluchtlinie) der insgesamt 10,60 m breiten östlichen Fahrbahnhälfte in rechtsschräger Stellung zum Stehen gekommen ist. Der Wagen des Klägers hatte somit von seiner Halteposition nach Wiederanfahren etwa 7 m zurückgelegt. Zum Erreichen einer Geschwindigkeit von 20 km/h benötigte er 2,2 Sekunden. Unter Zugrundelegung einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 12 bis 13 km/h legte das Fahrzeug des Klägers pro Sekunde also 3,30 bis 3,60 m zurück. Als S* den Bremsentschluß faßte, war der Wagen des Klägers schon wieder in Bewegung und er befand sich 3,80 bis 4 m vor der Unfallstelle. Die vordere Begrenzung des Wagens des Klägers war somit, als P* S* den Bremsentschluß faßte, 5 bis 5,50 m östlich des Bezugspunktes.

Die 5,50 m lange Blockierspur des Wagens des Erstbeklagten stellt nur eine Teilbremsstrecke dar. Der Beginn einer sichtbaren Bremsspur muß mit dem Beginn der Bremswirkung nicht zusammenfallen.

Die Grünphase in Anfahrtsrichtung des P* S* begann 6 Sekunden nach dem Ende der Grünphase in Anfahrtsrichtung der G* M*. Für den am westlichen Fahrstreifen stehenden Lastkraftwagen begann die Linksabbiegephase 17 Sekunden nach Beginn der Grünphase für den Wagen des Erstbeklagten. Da die linke vordere Ecke dieses Wagens in seiner Endstellung 2,60 m westlich der Fluchtlinie des östlichen Randes des Lazarettgürtels stand und das Fahrzeug in rechtsschräger Stellung zum Stillstand gekommen war, mußte bei einer Fahrzeugbreite des Wagens des Erstbeklagten von 1,90 m die rechte vordere Ecke dieses Fahrzeuges 1,10 m westlich der Fluchtlinie des östlichen Fahrbahnrandes gewesen sein. Eine solche Endstellung des Wagens des Erstbeklagten konnte bei einer Position der linken vorderen Ecke 9,50 m nördlich der Höhe des Bezugspunktes äußerst knapp eine Möglichkeit zur Vorbeifahrt für einen Personenkraftwagen der Marke Mercedes, wenn dieser extrem nach rechts ausschwenkte, geboten haben.

Bei dem Fahrzeug des Erstbeklagten handelt es sich um einen Lieferwagen mit kastenförmigem Aufbau. Die unfallsbedingte technische Wertminderung beträgt S 1.500,-.

Es ist nicht feststellbar, daß P* S* beim Einfahren in die Kreuzung sehen konnte, daß noch Fahrzeuge in östlicher Richtung fuhren, um die Kreuzung zu räumen. Es kann ihm auch eine verspätete Reaktion nicht nachgewiesen werden.

In rechtlicher Beziehung ging das Erstgericht davon aus, daß P* S* nicht damit habe rechnen müssen, daß noch Fahrzeuge des Querverkehrs seine Fahrbahn kreuzen werden. G* M* hingegen, die sich auf der Kreuzung offenbar länger als nötig aufgehalten habe, hätte damit rechnen müssen, daß dem Querverkehr inzwischen freie Fahrt gegeben wird, und sie hätte ihre Fahrweise diesem Umstand anpassen müssen. Sie hätte äußerst verhalten, nach Möglichkeit mit intermittierender Fahrbewegung, versuchen müssen, die Kreuzung zu verlassen. Dadurch daß sie aber trotz Sichtbehinderung versucht habe, die Kreuzung in zügiger Fahrt zu verlassen, habe sie den Unfall ausgelöst. Dieses Verhalten der G* M* habe für P* S* ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG dargestellt. Es bestehe daher die Klagsforderung zur Gänze nicht zu Recht.

Die Abweisung eines Teilbetrages von S 4.022,90 samt Anhang (entsprechend einem Viertel der mit S 16.091,60 festgestellten Gegenforderung) blieb unangefochten. Der gegen den übrigen Teil des Ersturteiles erhobenen Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht – ausgehend von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers „mit der Maßgabe keine Folge“, daß es die Klagsforderung als mit S 5.387,20 und die eingewendete Gegenforderung mit mindestens S 5.387,20 als zu Recht bestehend erklärte und demzufolge das Klagsbegehren abwies. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, beurteilte auch das Verfahren als mangelfrei, war aber der Ansicht, daß P* S* ein Mitverschulden treffe. Bei einer automatischen Verkehrsregelung müsse jeder Verkehrsteilnehmer, insbesondere in den ersten Sekunden nach Beginn der Grünphase, damit rechnen, daß nicht alle Verkehrsteilnehmer der Querrichtung die Kreuzung bereits verlassen haben. Es treffe daher jeden Verkehrsteilnehmer die Verpflichtung, die Räumung des Kreuzungsbereiches durch die noch darin befindlichen Fahrzeuge abzuwarten und die Kreuzung mit der gebotenen Vorsicht zu überqueren. Diesem Gebot habe P* S* nicht entsprochen, der bei seiner Fahrweise nicht habe feststellen können, ob sich nicht doch noch ein Fahrzeug im Kreuzungsbereich befinde, das infolge der Verkehrslage die Kreuzung noch nicht habe räumen können. P* S* hätte daher, zumal er erst wenige Sekunden nach Beginn der Grünphase in die Kreuzung eingefahren sei, seine Fahrgeschwindigkeit so wählen müssen daß er sein Fahrzeug bei Auftauchen eines Querverkehrs rechtzeitig hätte anhalten können. Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der von der Gattin des Klägers verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs und die Größe der durch ihr Verhalten hervorgerufenen Gefahr sei ihr Verschulden weitaus schwerwiegender zu beurteilen als das des P* S*, sodaß eine Schadensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Klägers vorzunehmen sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung auf der Grundlage einer Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu seinen Gunsten dahin abzuändern, daß die Klagsforderung mit S 16.161,63 und die Gegenforderung mit S 4.022,90 als zu Recht bestehend erkannt und die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 12.138,73 samt Anhang verurteilt werden.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Mit Rücksicht auf die Formulierung des Spruches durch das Berufungsgericht als Bestätigung des erstinstanzlichen abweisenden Urteiles war zunächst auf die Frage der Zulässigkeit der Revision einzugehen, auch wenn sie von den Beklagten nicht angeschnitten wurde. Streitverfangen war – auch im Berufungs- und Revisionsverfahren jeweils ein unter S 50.000,— liegender Betrag. Dennoch ist die Revision nicht nach § 502 Abs. 3 ZPO unzulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes in Wahrheit nicht bestätigend, sondern abändernd ist. Hat das Erstgericht das Klagebegehren mit eingliedrigem Spruch abgewiesen, weil es schon die Klagsforderung als nicht zu Recht bestehend angesehen hat, dann hatte es keinen Anlaß, sich mit der hilfsweise zur Aufrechnung eingewendeten Gegenforderung zu befassen. Das Berufungsgericht hingegen, das Klagsforderung und Gegenforderung teilweise als zu Recht bestehend erkannte, hat gemäß § 411 Abs. 1 Satz 2 ZPO. über den Bestand der Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung mit Rechtskraftwirkung entschieden. Das Berufungsgericht hat also die Entscheidung des Erstgerichtes tatsächlich abgeändert, denn dadurch sind die Beklagten besser und der Kläger schlechter gestellt als durch die Entscheidung des Erstgerichtes. Die Revision des Klägers ist daher zulässig (vgl. dazu Fasching, Ergänzungsband S. 94, EvBl 1969/396, RiZ 1970 S. 168 und Arb. 8398).

Die Revision ist aber nicht gerechtfertigt.

Der Kläger führt die Revision dahin aus, es wäre der Verschuldensanteil des P* S* als erheblich überwiegend anzusehen gewesen. Er hätte in die durch Lichtzeichen automatisch geregelte Kreuzung nur einfahren dürfen, wenn die Verkehrslage es zugelassen hätte. Da ihm die Sicht nach links verstellt gewesen sei, hätte er wegen der Möglichkeit, daß bei Beginn der Grünphase noch nicht alle Fahrzeuge des Querverkehrs die Kreuzung verlassen haben, nur langsam und vorsichtig in die Kreuzung einfahren dürfen, zumal er den Rückstau nordöstlich der östlichen Ampel gesehen habe. Der Gattin des Klägers hingegen könne nicht mehr vorgeworfen werden, als daß sie nicht schneller gefahren sei oder nicht stärker beschleunigt habe.

Dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig. Dem Phasenplan (ON. 7) ist zu entnehmen, daß zwischen dem Beginn des für die Gattin des Klägers geltenden Grünlichtes und dem Beginn des für P* S* geltenden Grünlichtes ein Zeitraum von nicht weniger als 28 Sekunden liegt, innerhalb welcher die Gattin des Klägers in die Kreuzung eingefahren ist und sie nicht wieder verlassen hat. Da die Einfahrt in die Kreuzung unmittelbar nach Beginn der Grünphase erfolgte, muß sich also das Fahrzeug des Klägers geraume Zeit im Kreuzungsbereich befunden haben. Als sich der Unfall ereignete, zeigte die Ampel in der Fahrtrichtung des P* S* schon einige Sekunden Grünlicht. Das bedeutet aber, daß die Gattin des Klägers zur Zeit, als sie ihre Fahrt fortsetzte, mit einsetzendem Querverkehr rechnen mußte, und zwar auch dann, wenn sie von ihrer Position aus zu einer Beobachtung der Verkehrsampeln auf der Kreuzung nicht in der Lage gewesen sein sollte. Da unmittelbar vor dem Einfahren des P* S* in die Kreuzung ein West-Ost-Verkehr auf derselben nicht mehr stattgefunden hatte, konnte die Gattin des Klägers also auch nicht damit rechnen, daß die Lenker von Fahrzeugen, die die Kreuzung in Süd-Nord-Richtung durchfahren, noch einen sogenannten Nachzügler erwarten. Die Gattin des Klägers, die bei Grünlicht in die Kreuzung einfuhr und dort aufgehalten wurde, durfte zwar selbst dann, wenn für sie bereits Rotlicht galt, weiterfahren, sie mußte aber unter den gegebenen Umständen besonders vorsichtig fahren und auf den möglichen, einsetzenden Querverkehr achten (vgl. Jagusch, Straßenverkehrsrecht, Anm. 45 zu § 37 der deutschen Straßenverkehrsordnung, der dem § 38 StVO. 1960 inhaltlich entspricht). Diesem Gebot hat aber ihr Fahrverhalten gröblich widersprochen.

Für die Annahme eines größeren als des vom Berufungsgericht angenommenen Verschuldensanteiles des P* S* kann die Revision ebenfalls keine überzeugenden Gründe ins Treffen führen. Es ist zwar richtig, daß Grünlicht den betreffenden Verkehrsteilnehmer nicht davon befreit, die Verkehrslage zu beobachten und seine Weiterfahrt danach einzurichten (vgl. ZVR 1971/95 u.a.). Er muß auch damit rechnen, daß nach Beginn der Grünphase in seiner Richtung noch nicht alle Fahrzeuge, die aus der Querrichtung kommen, die Kreuzung geräumt haben (ZVR 1967/33, ZVR 1971/95), im allgemeinen darf er aber annehmen, daß der Querverkehr stillsteht (ZVR 1962/135, vgl auch Jagusch a.a.). Geht man davon aus, daß P* S* bei Annäherung an die Kreuzung einen Querverkehr nicht mehr beobachten konnte und daß er den am östlichen Ende der Kreuzung entstandenen Rückstau hätte beobachten können, dann muß man ihm zubilligen, daß er mit einem von links kommenden Nachzügler mit Wahrscheinlichkeit nicht rechnen mußte. Wenn er trotz Sichtbehinderung nach links in die Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h bald nach dem Umspringen der Ampel auf Grünlicht eingefahren ist, dann begründet das keinen größeren Verschuldensanteil als 1/4, wenn man das äußerst unvorsichtige Verhalten der Gattin des Klägers danebenstellt.

Demzufolge mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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