Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.205,72 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 473,24, keine Barauslagen) und die mit S 4.911,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 1.500,-- und Umsatzsteuer von S 568,56) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15. Juni 1986 ereignete sich gegen 0,40 Uhr in Graz auf der Neutorgasse südlich des Andreas-Hofer-Platzes ein Verkehrsunfall, an dem Johannes C*** als Lenker des PKW des Klägers mit dem Kennzeichen G 506 und der Erstbeklagte als Lenker des Omnibusses mit dem Kennzeichen St 13.110 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Halter, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer dieses Omnibusses. Die beiden in Richtung Süden fahrenden Fahrzeuge kollidierten bei der Einfahrt in eine durch eine Straßenbaustelle bedingte Engstelle. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt; Personenschaden trat nicht ein. Ein gerichtliches Strafverfahren fand nach der Aktenlage gegen keinen der beiden beteiligten Lenker statt. Dem Kläger entstand ein Schaden von S 33.161,--, der Zweitbeklagten ein solcher von S 6.200,--.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall unter Berücksichtigung einer von der Drittbeklagten geleisteten Zahlung von S 17.281,-- zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 15.880,-- s. A. Der Höhe nach ist der Klagsbetrag nicht strittig. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er ohne Beachtung des Verkehrs am rechten Fahrstreifen und ohne Betätigung des rechten Blinkers den Omnibus vom linken auf den rechten Fahrstreifen der Neutorgasse gelenkt habe und dabei gegen den hinteren Bereich der linken Seite des PKW des Klägers gestoßen sei.
Die Beklagten wendeten im wesentlichen ein, daß zwar den Erstbeklagten ein mit 50 % zu bewertendes Verschulden treffe, daß aber dem Lenker des PKW des Klägers ein gleich zu bewertendes Mitverschulden anzulasten sei. Der Erstbeklagte habe im südlichen Bereich des Andreas-Hofer-Platzes den beabsichtigten Fahrstreifenwechsel angezeigt und sich davon überzeugt, daß er dadurch andere Verkehrsteilnehmer nicht behinderte oder gefährdete. Der Lenker des PKW des Klägers habe jedoch versucht, sich mit wesentlich höherer Geschwindigkeit rechts am Omnibus vorbeizuzwängen. Für den Lenker des PKW des Klägers habe zumindest eine unklare Verkehrssituation bestanden, die ihn veranlassen hätte müssen, vor einem Rechtsüberholen des Omnibusses mit dem Lenker dieses Fahrzeuges Kontakt aufzunehmen. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung der Zweitbeklagten aus diesem Verkehrsunfall von S 6.200,-- aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.
Das Erstgericht entschied - im zweiten Rechtsgang - daß die Klagsforderung mit S 15.880,-- zu Recht und die von den Beklagten eingewendete Gegenforderung von S 6.200,-- nicht zu Recht besteht. Es gab daher dem Klagebegehren statt.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Unfall ereignete sich am Beginn der Neutorgasse am südlichen Ende des Andreas-Hofer-Platzes. Die nähere Beschreibung der Unfallsörtlichkeit, insbesondere hinsichtlich der Fahrspuren und der am Beginn der Neutorgasse damals vorhandenen Baustelleneinrichtung, ergibt sich aus der vom Sachverständigen Dipl.Ing. H*** maßstabgetreu verfaßten und seinem Gutachten beigegebenen Skizze. Zur Unfallszeit fuhren der PKW (es handelte sich um ein Taxi) des Klägers und der Omnibus der Zweitbeklagten von der Tegetthoffbrücke kommend über den Andreas-Hofer-Platz. Der PKW befuhr die rechte, der Omnibus die linke (mittlere) Fahrspur. Beide Fahrzeuglenker beabsichtigten, in die Neutorgasse in Richtung Süden weiterzufahren. Die Verkehrsampeln bei der Kreuzung Neutorgasse-Landhausgasse waren auf gelb blinkendes Licht geschaltet. In den linken Fahrstreifen der Neutorgasse hinein ragte die erwähnte Baustelle, wobei der Verkehr vom linken Fahrstreifen nach Süden durch Schilder nach rechts auf den rechten Fahrstreifen abgelenkt wurde. Johannes C*** fuhr mit dem mit drei Fahrgästen besetzten Taxi des Klägers auf dem rechten Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von ca 35 km/h. Als er etwa auf der Höhe des Zebrastreifens über die Neutorgasse war, bemerkte er, daß der auf dem linken Fahrstreifen fahrende Omnibus ohne Abgabe eines Blinkzeichens nach rechts auszuscheren begann, um sich wegen der Baustellenabsperrung auf dem rechten Fahrstreifen einzuordnen. Da er eine Kollision befürchtete, wich er nach rechts auf den Gehsteig aus und bremste.
Der Erstbeklagte hatte sich vorerst mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h auf dem linken Fahrstreifen der Kreuzung genähert, wechselte dann aber am südlichen Ende der Kreuzung wegen der auf dem linken Fahrstreifen befindlichen Absperrung ohne Betätigung des rechten Blinkers in einer Schrägfahrt entlang einer Strecke von 20 m auf den rechten Fahrstreifen, wobei er seine Geschwindigkeit auf etwa 30 km/h verringerte. Als er dann etwa zur Hälfte am rechten Fahrstreifen war, bemerkte er plötzlich den PKW des Klägers, der sich mit einer geringfügig höheren Geschwindigkeit auf dem rechten Fahrstreifen neben dem Omnibus bewegte. Dennoch kam es zur Streifung des PKW des Klägers, wobei die rechte vordere Ecke des Omnibusses in einem spitzen Winkel gegen die linke hintere Tür des PKW stieß. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß dem Erstbeklagten das alleinige Verschulden an diesem Unfall anzulasten sei, weil er den Omnibus ohne Betätigung des rechten Blinkers vom linken auf den rechten Fahrstreifen gelenkt habe. Den Lenker des Taxis des Klägers treffe kein Mitverschulden.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Klagsforderung als nicht zu Recht bestehend erkannte und deshalb das Klagebegehren abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht traf nach teilweiser Beweiswiederholung folgende Feststellungen:
Ca 30 bis 40 m vor der Kreuzung (Einmündung der Landhausgasse) bemerkte der Erstbeklagte, daß im weiteren Verlauf der Neutorgasse nur die rechte Fahrspur frei war. Daher begann er nach rechts zu blinken, bevor er über die Kreuzung vom linken auf den rechten Fahrstreifen in südliche Richtung wechselte.
Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich.
Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, die Beklagten hätten ein Mitverschulden des Erstbeklagten von 50 % eingeräumt. Zu beurteilen bleibe nur die Frage, in welchem Umfang den Lenker des PKW des Klägers ein Mitverschulden treffe. Dabei sei zu berücksichtigen, daß das Übersehen eines in Tätigkeit befindlichen Blinkers stets schwerwiegend sei. Im Verhältnis zum unachtsamen Fahrstreifenwechsel durch den Erstbeklagten sei die Annahme eines gleichteiligen Verschuldens beider unfallsbeteiligter Fahrzeuglenker angebracht und vertretbar.
Der Kläger habe Anspruch auf Ersatz der Hälfte seines Schadens, also eines Betrages von S 16.580,50. Dieser Betrag einschließlich der darauf entfallenden Zinsen sei bereits bezahlt worden. Das restliche Klagebegehren sei daher abzuweisen, ohne daß über den Bestand der Gegenforderung zu entscheiden sei.
Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, daß die Entscheidung im wesentlichen nur von der Beweiswürdigung und somit nicht von der Lösung einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung abhängig sei.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Er bekämpft sie ihrem gesamten Umfang nach aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Beklagten, denen im Sinne des § 508 a Abs 2 ZPO die Beantwortung der Revision freigestellt wurde, haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Klägers keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil wie sich aus den folgenden Rechtsausführungen ergibt, das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Beurteilung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgegangen ist; sie ist auch sachlich berechtigt.
Der vom Berufungsgericht als Begründung für seine Rechtsansicht, daß dem Lenker des PKW des Klägers ein Mitverschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall anzulasten sei, angeführte Rechtssatz, daß das Übersehen eines in Tätigkeit befindlichen Blinkers stets einen schweren Aufmerksamkeitsfehler begründe (ZVR 1980/207 mwN uva), sagt nichts darüber, zu welchem Verhalten ein Verkehrsteilnehmer durch ein solches Blinksignal im jeweiligen konkreten Einzelfall verpflichtet ist. Bei der Beurteilung eines Fahrstreifenwechsels nebeneinanderfahrender Fahrzeuge kann er keinesfalls in der Weise angewendet werden, wie dies das Berufungsgericht getan hat.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, daß (abgesehen von der Vorschrift des § 11 Abs 5 StVO, auf die hier nicht einzugehen ist, weil die dafür erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen nicht vorliegen) der auf einem aufhörenden Fahrstreifen fahrende Fahrzeuglenker dem auf dem geradeaus fortgeführten Fahrstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt zu überlassen hat (ZVR 1982/299 mwN uva). Dies ist aus den im § 11 StVO normierten Bestimmungen über den Wechsel des Fahrstreifens abzuleiten. Für diesen ist die Frage der Zeichengebung von untergeordneter Bedeutung. Er hat jedenfalls zu unterbleiben, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gegeben ist (ZVR 1979/60; ZVR 1984/197 uva). Daraus folgt aber, daß in derartigen Fällen der auf dem geradeaus fortgeführten Fahrstreifen weiterfahrende Fahrzeuglenker darauf vertrauen darf, daß der den aufhörenden Fahrstreifen befahrende Verkehrsteilnehmer trotz Betätigung des Blinkers den angezeigten Fahrstreifenwechsel erst vornehmen wird, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist, wie dies der Vorschrift des § 11 Abs 1 StVO entspricht (8 Ob 303/81, teilweise veröffentlicht in ZVR 1982/287; vgl auch ZVR 1984/269).
Für den vorliegenden Fall, in dem das in einem verkehrsordnungswidrigen Fahrstreifenwechsel begründete Verschulden des Erstbeklagten unbestritten feststeht, folgt daraus, daß es dem Lenker des PKW des Klägers keinesfalls als Verschulden angerechnet werden könnte, wenn er auf die bloße Betätigung des rechten Blinkers am Omnibus der Zweitbeklagten nicht reagierte, sondern auf dem von ihm benützten geradeaus weiterführenden Fahrstreifen weiterfuhr, weil er - bis zur Wahrnehmung des Gegenteils - zunächst darauf vertrauen durfte, daß der Erstbeklagte den von ihm angezeigten Fahrstreifenwechsel erst vornehmen werde, wenn dies ohne Gefährdung des auf dem rechten Fahrstreifen fahrenden Fahrzeuges möglich sei. Unter diesem Gesichtspunkt kommt auch einem Übersehen des am Omnibus in Tätigkeit befindlichen Blinkers durch den Lenker des PKW des Klägers keine rechtliche Relevanz zu. Daß der Lenker des PKW des Klägers aber dann, als er aus der tatsächlich eingeleiteten Richtungsänderung des Omnibusses wahrnehmen konnte, daß dessen Lenker entgegen der Vorschrift des § 11 Abs 1 StVO den von ihm befahrenen Fahrstreifen wechselte, noch die Möglichkeit gehabt hätte, durch eine ihm zumutbare Reaktion den Unfall zu vermeiden, läßt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht ableiten. Unter diesen Umständen ist aber entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes dem Lenker des PKW des Klägers kein Mitverschulden an dem eingetretenen Verkehrsunfall anzulasten, sodaß im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG für eine Kürzung der Schadenersatzansprüche des Klägers bzw für die Bejahung von Schadenersatzansprüchen der Zweitbeklagten kein Anlaß und keine Möglichkeit besteht.
Es war daher in Stattgebung der außerordentlichen Revision des Klägers das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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