Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.262,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 710,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung eines Vertrages, mit dem sie von den Beklagten Anteile eines Wohnhauses, mit welchem Wohnungseigentum verbunden werden sollte, erworben hat. Außerdem fordert sie die bereits geleistete Zahlung von S 54.000,-- zurück. Sie macht laesio enormis und Irrtum im Sinne des § 871 ABGB geltend, weiters daß die beklagten Parteien ihre Unerfahrenheit im Sinne des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ausgebeutet haben und sie im Sinne des § 874 ABGB listig in Irrtum geführt haben.
Das Erstgericht sprach mit Punkt 1. seines Urteils aus, daß der Notariatsakt des öffentlichen Notars Dr. Winfried Kralik vom 4. August 1986, GZ 212/86, nichtig ist. Mit Punkt 2. wurde dem Begehren auf Bezahlung eines Betrages von S 54.000,-- sA stattgegeben. Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Aufgrund eines Inserates in der Zeitschrift "Bazar" erlangte die Klägerin Kenntnis von der Wohnung. Diese hat eine Nutzfläche von 20,94 m2 und besteht aus Gangküche und Kabinett. Sie ist mit Strom und Gas versorgt, Wasserzu- und -ableitungen sind jedoch nicht vorhanden. Das WC befindet sich am Gang und steht noch einer anderen Hauspartei zur Verfügung. Die Klägerin besichtigte die Wohnung, leistete zunächst eine Anzahlung von S 5.000 und erfuhr, daß sie außer einer Barzahlung von S 45.000 noch 360 Raten a S 950 zu bezahlen habe. Zu Hause errechnete sie dann, daß sie insgesamt
S 396.000 zu bezahlen hätte und sagte dem Erstbeklagten telefonisch, sie nehme die Wohnung nicht. Bei diesem Gespräch sagte ihr der Erstbeklagte, die Wohnung koste S 125.000, wenn die Klägerin diesen Betrag in einem Jahr zahle. Die Klägerin begab sich dann in die Notariatskanzlei des Dr. Winfried Kralik, wo Dr. Stefan Kralik als Notarsubstitut mit der Sache beschäftigt war. Mit dem aufgrund der Angaben der Verkäufer schon vorbereiteten Kaufvertrag vom 4.8.1986 verkauften die Beklagten der Klägerin 19/1668-Anteile der Liegenschaft EZ 1331, KG Alsergrund (Haus Rögergasse 29, Stroheckgasse 8), mit denen untrennbar Wohnungseigentum an der Wohnung Tür Nr. 19/20 verbunden werden soll. Die Vereinbarung über den Kaufpreis ist in den Punkten III und VII des Notariatsaktes enthalten, die folgenden Wortlaut haben:
III.
Der Kaufpreis wird wie folgt beglichen:--------------------
a) S 45.000,-- (Schilling vierzigfünftausend) wurden bereits vor Unterfertigung dieses Vertrages beglichen;-------
b) der Restbetrag von S 160.512 (Schilling einhundertsechzigtausendfünfhundertzwölf) wird in 360 (dreihundertsechzig) monatlichen Pauschalraten, welche unter Zugrundelegung einer Verzinsung von 6 % (sechs Prozent) per anno monatlich S 950,-- (Schilling neunhundertfünfzig) betragen, beglichen, und zwar beginnend mit 1. (ersten) September 1986 (Tausendneunhundertachzigsechs).------------------
Die Monatsraten sind jeweils am Ersten eines Monates zur Zahlung fällig.--------------------------------------------
Die monatlichen Pauschalraten werden wertgesichert. Als Maß für die Berechnung der Wertsicherung wird der vom Österreichischen Statistischen Zentralamt verlautbarte Verbraucherpreisindex 1976 (Tausendneunhundertsiebzigsechs) oder ein an seine Stelle tretender Index vereinbart. Als Ausgangsbasis dient die für den Monat der Vertragsunterfertigung verlautbarte Indexzahl. Schwankungen bis ausschließlich 5 % (fünf Prozent) nach oben oder unten bleiben unberücksichtigt. Jedoch wird bei Überschreitung die gesamte Änderung berücksichtigt. Die neue Indexzahl bildet jeweils die neue Ausgangsgrundlage für die Errechnung der weiteren Überschreitungen.-----------------
Sämtliche Zahlungen sind bar und spesenfrei auf das zuletzt bekanntgegebene Konto der Verkäufer bei einem inländischen Kreditinstitut zu bezahlen. Für die Bezahlung wird ein Respiro von fünf Tagen gewährt. Im Falle des Verzuges sind ab dem Tag der Fälligkeit 12 % (zwölf Prozent) per anno Verzugszinsen zu bezahlen.---------------------------
VII.
Die Käuferin ist berechtigt, die Kaufpreisrestschuld jeweils zum Jahresende unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist aufzukündigen. Es ist sodann der restliche Kapitalwert zu errechnen und diesem Wert die Wertsicherung, wie oben erwähnt, hinzuzuschlagen. Dieses Ergebnis ist um weitere 5 % (fünf Prozent) des Gesamtbetrages zu vermehren. Das Ergebnis hieraus ist der Betrag, der zur vorzeitigen Tilgung des noch offenen Kaufpreisrestes erforderlich ist. Wird dieser Betrag bis spätestens
31. (einunddreißigsten) Jänner, der auf den Kündigungstermin folgt, ordnungsgemäß beglichen, so ist die Kaufpreisrestschuld getilgt. Erfolgt die Zahlung bis zu diesem Zeitpunkt nicht, oder nur teilweise, so wird die Kündigung hinfällig und es gelten die übrigen Zahlungs- und Verzugsbedingungen dieses Vertrages.------------------------------
Der Kaufpreis reduziert sich auf insgesamt S 125.000,-- (Schilling einhundertzwanzigfünftausend), soferne die Käuferin diesen Betrag samt 10 % (zehn Prozent) Zinsen per anno bis zum Zahlungstag binnen zwölf Monaten an die Verkäufer bezahlt.--------------------------------------------
Vor der Vertragsunterfertigung erkundigten sich weder der Erstbeklagte noch der Notarsubstitut über die wirtschaftliche Lage der Klägerin. Es bestand damals die Absicht, im Haus Wohnungseigentum zu begründen. Die Begründung von Wohnungseigentum ist auch an dem von der Klägerin erworbenen Liegenschaftsanteil möglich. Es ist bereits im Grundbuch vorgemerkt, nur die Bezahlung der Grunderwerbsteuer durch die Klägerin fehlt noch. Die Klägerin hat bisher außer einer Anzahlung von S 54.000 nichts bezahlt, und zwar auch keine Betriebskosten und kein Benützungsentgelt. Sie hat die Wohnung nicht bezogen. Der Verkehrswert der Wohnung betrug zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrages und auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz S 73.000. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, Vertragsaufhebungsgründe im Sinne der §§ 871, 874 und 879 Abs 2 Z 4 ABGB lägen nicht vor, die Vertragsaufhebung aus dem Grunde des § 934 ABGB komme jedoch zum Tragen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß der Punkt 1. zu lauten hat: "Der zwischen den Streitteilen am 4.8.1986 zu GZ 212/86 vor dem öffentlichen Notar Dr. Winfried Kralik errichtete Notariatsakt wird aufgehoben". Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, bei Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB müsse sich das Mißverhältnis aus dem Vergleich der vereinbarten Leistungen ergeben, und zwar sei der im Punkt III. vereinbarte Kaufpreis von S 205.512 (S 45.000 + S 160.512) dem Wert von S 73.000 gegenüberzustellen. Ein Entgelt für die Finanzierung sei im Betrag von S 205.512 nicht enthalten. Weil die Pauschalraten von S 950 6 % Zinsen enthielten und wertgesichert seien, für den Verzugsfall 12 % Verzugszinsen vereinbart seien und gemäß Punkt V. des Vertrages eine grundbücherliche Sicherstellung vereinbart worden sei. Die in Punkt VII. enthaltene Reduzierung des Kaufpreises auf S 125.000 stelle nicht den aus dem Vertrag geschuldeten Kaufpreis dar, sondern nur das Recht (nicht aber eine Verpflichtung) des Schuldners, den allein geschuldeten Kaufpreis von S 205.512 (in 360 Monatsraten zu je S 950) durch eine andere Leistung zu ersetzen. Da die Klägerin von dieser Ersetzungsbefugnis innerhalb der ihr hiezu eingeräumten Frist keinen Gebrauch gemacht habe, könnten die S 125.000 für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 934 ABGB nicht herangezogen werden. Das auf § 934 ABGB gestützte Anfechtungsbegehren sei ein Rechtsgestaltungsbegehren, das Gericht habe dem Klagebegehren die richtige Fassung zu geben. Die Anfechtung nach § 934 ABGB könne schon vor Erfüllung geltend gemacht werden. Eine Zug-um-Zug-Verpflichtung der Klägerin zur Rückabwicklung der Grundbuchseintragungen hätte nur über Einrede der Beklagten zu erfolgen gehabt. Die Beklagten hätten auch die nach § 934 ABGB mögliche Ersetzungsbefugnis nicht angeboten.
Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellen die Beklagten einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Revisionswerber führen aus, das Geschäft müsse in Wohnungskauf und Kreditgewährung aufgelöst werden. Bei Zahlung innerhalb eines Jahres wären S 125.000 zu leisten gewesen, es könne davon ausgegangen werden, daß die Vorstellungen der Beklagten darauf gerichtet gewesen seien, für die Wohnung S 125.000 zu erhalten. Lediglich für den Fall, daß sich die Klägerin nicht entschließen sollte, den Kaufpreis innerhalb eines Jahres zu bezahlen, sollte dieser ihr dergestalt krediert werden, daß eine Gesamtsumme von S 205.512 zuzüglich Verzinsung und Wertsicherung zu bezahlen sei. Bei der Ratenzahlung sei daher überwiegend das Kreditgeschäft zu beurteilen. Für dieses könne die Grenze jedoch nicht die Vorschrift des § 934 ABGB sein, sondern die Sittenwidrigkeit des § 879 ABGB. Eine solche liege nicht vor. Es könne nicht Treu und Glauben entsprechen, daß jemand die Frist für die Barzahlungsmöglichkeit verstreichen lasse und dann den aufgrund einer Ratenvereinbarung zurückzuzahlenden Betrag als Kaufpreis zugrunde lege.
Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Voraussetzung für die Vertragsanfechtung nach § 934 ABGB ist, daß "ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Werte erhalten hat." Das Mißverhältnis wird gemäß § 934 letzter Satz ABGB nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestimmt. Gegenüberzustellen sind im vorliegenden Fall somit der Wert der Sache, die die Klägerin erworben hat und der Preis, den die Klägerin zu leisten hat. Der Wert des erworbenen Liegenschaftsanteiles mit dem Benützungsrecht an der Wohnung steht mit S 73.000 unbekämpft fest. Strittig ist lediglich, was als Preis zu gelten hat, nämlich die in Punkt III. des Kaufvertrages angeführten Beträge von S 45.000 und S 160.512, zusammen daher S 205.512, oder die der Klägerin im letzten Satz des Punktes VII. eingeräumte Möglichkeit, innerhalb eines Jahres S 125.000 zu bezahlen. Nach dem Wortlaut des Kaufvertrages betrug der Kaufpreis S 205.512 (wovon ein Teilbetrag von S 160.512 in 360 Monatsraten zu entrichten war), bei dem Betrag von S 125.000, der innerhalb eines Jahres zu bezahlen gewesen wäre, handelte es sich um eine Alternativermächtigung der Klägerin. Die Beklagten, die diese Formulierung des Vertragstextes gewählt haben, können der auf § 934 ABGB gestützten Vertragsanfechtung der Klägerin nicht entgegenhalten, in Wahrheit habe der Kaufpreis S 125.000 betragen. Wäre nur dieser Betrag als Kaufpreis vereinbart worden und hätte die Klägerin den nach Abzug der vereinbarten Barzahlung von S 45.000 verbleibenden Restbetrag von S 80.000 in 360 Monatsraten a S 950 (was einen Betrag von S 342.000 ergibt) zu bezahlen gehabt und wäre nach Ablauf eines Jahres bei gänzlicher Zahlung des Kaufpreises nicht von einem Kaufpreis von S 125.000 samt Zinsen, sondern von einem solchen von S 205.512 samt Zinsen auszugehen, dann wäre zu prüfen, ob der Vertrag nach § 879 ABGB nichtig ist. Die Beklagten haben mit der Klägerin eine derartige Vereinbarung aber nicht geschlossen, sondern den Kaufpreis mit S 205.512 festgesetzt. Von diesem Kaufpreis ist bei Prüfung der Frage, ob der Vertrag nichtig ist, auszugehen ebenso aber auch bei der Beurteilung, ob Verkürzung über die Hälfte vorliegt. Nicht entscheidend ist die der Klägerin eingeräumte Alternativermächtigung, von der nicht feststeht, ob die Klägerin überhaupt die Chance gehabt hätte, innerhalb eines Jahres die erforderlichen Geldmittel aufzubringen (die Klägerin war im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 20 Jahre alt und Hilfsarbeiterin). Den Revisionsausführungen, das Geschäft müsse in Wohnungskauf und Kreditgewährung aufgelöst werden, ist entgegenzuhalten, daß es sich bei dem Betrag von S 205.512 um den reinen Kaufpreis handelte, zu dem noch die Zinsen und die Wertsicherung kamen. Vergleicht man aber den in Punkt III. des Kaufvertrages angeführten Kaufpreis mit dem Wert der Wohnung, dann ergibt sich das im § 934 ABGB für eine Vertragsanfechtung erforderliche Mißverhältnis. Zutreffend erkannten daher die Vorinstanzen im Sinne des (vom Berufungsgericht neu formulierten) Klagebegehrens, zumal die Vertragsanfechtung schon vor vollständiger Erfüllung des Vertrages geltend gemacht werden kann (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 7 zu § 934; SZ 6/89; 1 Ob 436/58). Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Costen des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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