OGH 2Ob552/86

OGH2Ob552/868.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrija S***, Elektriker, Wallensteinstraße 14/17, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Erich Haase, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Liselotte B***, Angestellte, Tendlergasse 3/24, 1090 Wien, vertreten durch Dr. Leopold Schön als Verfahrenshelfer, wegen Aufkündigung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 7.Jänner 1986, GZ 41 R 971/85-26, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 20.März 1985, 46 C 558/82 -14, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Beklagten wurde das erstgerichtliche Urteil ON 14 am 30.4.1985 zu Handen ihres gewählten Vertreters zugestellt. Am 10.5.1985 überreichte sie beim Erstgericht das ausgefüllte und unterfertigte ZPO-Formular Nr.1 ("Antrag auf Verfahrenshilfe, Vermögensbekenntnis zur Erlangung der Verfahrenshilfe") und führte hierin aus: "Auf Grund der Aufkündigung ersuche ich um einen Rechtsanwalt für Verfahrenshilfe. Ich beabsichtige Berufung gegen das Urteil einzubringen". Dieses Antragsformular wurde ihr nach der erstgerichtlichen Verfügung vom 14.5.1985 mit dem Auftrage zurückgestellt, eine Verbesserung durch Anschluß von Belegen über das Einkommen vorzunehmen, "dies binnen einer Frist von 14 Tagen, widrigenfalls der Antrag als verspätet zurückgewiesen wird". Nachdem eine Verbesserung innerhalb der gesetzten Frist nicht erfolgt war und ein Nachweis der Zustellung des Gerichtsauftrages an die Beklagte fehlte, traf das Erstgericht am 13.6.1985 die Verfügung, "Verfahrenshilfeantrag neuerlich an die Beklagte senden!" Das übermittelte ZPO-Formular Nr.1 wurde hierauf am 18.6.1985 für die Beklagte beim Postamt hinterlegt. Am 9.7.1985 legte die Beklagte das ursprünglich eingebrachte Antragsformular unter Hinweis auf die durch Anschluß einer Bestätigung des Sozialreferates des Magistrates der Stadt Wien erfolgte Verbesserung vor. Das Erstgericht bewilligte hierauf die Verfahrenshilfe und stellte dem für die Beklagte bestellten Verfahrenshelfer eine von diesem sodann am 9.8.1985 übernommene Urteilsausfertigung zu. Am 27.8.1985 wurde von ihm das Rechtsmittel der Berufung eingebracht.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten wegen Verspätung zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, das Erstgericht habe der Beklagten zur Verbesserung des Verfahrenshilfeantrages zu Recht eine Frist gesetzt, der Antrag sei nach Verbesserung verspätet vorgelegt worden und könne daher keine Rechtswirkung mehr zeitigen. Somit erscheine die Berufung verspätet.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt die Beklagte das Rechtsmittel des Rekurses mit dem Antrage, den angefochtenen Zurückweisungsbeschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen. Für die rechtliche Beurteilung von Bedeutung sei lediglich, daß der Beklagten auf Grund ihres rechtzeitigen Antrages vom Erstgericht schließlich die Verfahrenshilfe bewilligt und die Berufung vom bestellten Verfahrenshelfer sodann fristgerecht eingebracht worden sei. Im übrigen erscheine die ursprüngliche Fristsetzung durch die folgende Zusendung eines Verfahrenshilfeantragsformulares ohne Fristsetzung gegenstandslos. Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Verfahrenshandlung sei schließlich im Sinne der Berufungsausführungen auch auf den psychischen Zustand der Beklagten Bedacht zu nehmen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gerechtfertigt.

Gemäß § 65 Abs1 ZPO ist die Verfahrenshilfe beim Prozeßgericht schriftlich oder zu Protokoll zu beantragen. Nach § 66 Abs1 ZPO sind zugleich mit dem Antrage ein nicht mehr als vier Wochen altes Bekenntnis der Partei über ihre Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse (Vermögensbekenntnis) und, soweit zumutbar, entsprechende Belege beizubringen. Ist dem Antrag kein Vermögensbekenntnis angeschlossen, so ist gemäß der durch die ZPO-Novelle 1983 geänderten vorgenannten Gesetzesstelle nach den §§ 84 und 85 ZPO vorzugehen, wobei in allen Fällen nach § 85 Abs2 - siehe auch dessen Textänderung durch die ZP-Novelle 1983 - eine Frist zu setzen ist; gleichzeitig ist der Partei das Formblatt (= ZPO-Formular Nr.1) zuzustellen. Die Bestimmung des § 66 Abs2 ZPO ordnet an, daß über den Antrag auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses zu entscheiden ist und, wenn gegen dessen Richtigkeit und Vollständigkeit Bedenken bestehen, eine Überprüfung desselben vorgenommen werden muß. Hiebei kann das Gericht die Parteien unter Setzung einer angemessenen Frist zur Ergänzung des Vermögensbekenntnisses, und soweit zumutbar, zur Beibringung weiterer Belege auffordern. Der § 381 ZPO ist sinngemäß anzuwenden. Wird ein rechtzeitig gestellter Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwaltes abgewiesen, so beginnt die Berufungsfrist gemäß § 464 Abs3 ZPO mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses.

Vorliegendenfalls hatte die Beklagte ihrem innerhalb der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Verfassung der Berufung ein ausgefülltes und unterfertigtes Vermögensbekenntnis (ZPO-Formular Nr.1) angeschlossen. Damit war der Antrag aber rechtswirksam gestellt, weil diesbezüglich ausschließlich der Zeitpunkt der Vorlage des Vermögensbekenntnisses maßgebend ist (siehe EB zur ZP-Novelle 1983, 669 Blg XV.GP, 48; 1 Ob 606/80, 5 Ob 746/80, 4 Ob 67/82). Die Rückstellung des Vermögensbekenntnisses zwecks Anschluß von Belegen änderte nichts daran, daß über den rechtswirksam gestellten Antrag der Beklagten zu entscheiden war. Für einen Verbesserungsauftrag im Sinne des § 66 Abs2 letzter Satz ZPO, also wegen Fehlens eines Vermögensbekenntnisses, bestand hier kein Raum. Der erstgerichtliche Auftrag zur Verbesserung unter Fristsetzung bezog sich daher richtigerweise nur auf die Beibringung von Belegen. Bei nicht fristgerechter Vorlage derselben, also in Ermangelung solcher Belege, war gemäß § 66 Abs2 ZPO über den Antrag auf der Grundlage des Vermögensbekenntnisses allein zu entscheiden und hiebei § 381 ZPO sinngemäß anzuwenden. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wäre daher allenfalls abzuweisen gewesen. In diesem Falle hätte sodann die Berufungsfrist aber gemäß § 464 Abs3 ZPO erst nach Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses zu laufen begonnen. Tatsächlich wurde vom Erstgericht kein abweisender Beschluß gefaßt, sondern schließlich die Verfahrenshilfe bewilligt und das Urteil dem bestellten Verfahrenshelfer zugestellt, welcher sodann fristgerecht Berufung erhob.

Somit liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes keine verspätete Antragstellung vor. Da die Berufung fristgerecht eingebracht wurde, ist sie rechtzeitig.

Dem gerechtfertigten Rekurs war demnach Folge zu geben, der Zurückweisungsbeschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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