OGH 2Ob519/86

OGH2Ob519/8618.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef G***, Pensionist, Kundl, Weinberg 8, vertreten durch Dr.Anton Schiessling, Rechtsanwalt in Rattenberg, wider die beklagte Partei Juliana G***, Pensionistin, Kundl, Lindenweg 10, vertreten durch Dr.Josef Steinbacher und Dr.Max Steinbacher, Rechtsanwälte in Wörgl, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 7. November 1985, GZ 2 R 196/85-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. April 1985, GZ 5 Cg 140/84-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.877,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 480 S Barauslagen und 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 18.November 1955 die Ehe geschlossen. Beide sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Kundl. Der Ehe entstammt der am 13. September 1955 geborene Sohn Martin. Die häusliche Gemeinschaft der Streitteile ist seit 1974 aufgehoben.

Mit der am 15.März 1984 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt der Kläger die Scheidung der Ehe nach § 55 EheG. Die Beklagte stellte den Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs 3 EheG auszusprechen. Der Kläger habe sie von Anfang an lieblos behandelt und ihr zu Silvester 1965 aus nichtigem Anlaß mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt. Er habe nach dem zuletzt genannten Vorfall die gesamten gemeinsamen Ersparnisse an sich genommen. Als es mit dem Sohn Erziehungsschwierigkeiten gegeben habe, habe der Kläger die Partei des Sohnes ergriffen und diesen in seinem von der Beklagten getadelten Verhalten bestärkt. Die Beklagte habe deshalb einen Selbstmordversuch unternommen. Im Jahre 1974 habe der Kläger grundlos die häusliche Gemeinschaft verlassen. Seit 1983 unterhalte er ehewidrige Beziehungen zu Maria G***.

Der Kläger bestritt die behaupteten Eheverfehlungen und warf der Beklagten vor, ihm den ehelichen Verkehr grundlos verweigert, ihn im Jahre 1972 aus dem ehelichen Schlafzimmer und in der Folge aus der Ehewohnung gewiesen zu haben.

Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 55 EheG und sprach aus, daß den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe.

Das Berufungsgericht änderte nach Beweiswiederholung das nur vom Kläger im Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angefochtene Ersturteil dahin ab, daß es den Antrag der Beklagten nach § 61 Abs 3 EheG abwies.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes kam es schon vor dem Silvester 1965 zwischen den Streitteilen immer wieder zu Streitigkeiten, weil der Kläger an Wochenenden viel allein ausging, vornehmlich zum Kartenspielen. Der Kläger besuchte aber auch Sportveranstaltungen, wozu er die Beklagte einlud, die die Einladungen aber ausschlug. Zu Silvester 1965 konnte der Kläger ein Rauchpfandl nicht auffinden, was er der Beklagten anlastete. Die Beklagte nannte daraufhin den Kläger einen Lügner und bedrohte ihn mit dem Abspültuch. Dies erzürnte den Kläger so, daß er der Beklagten mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, wodurch diese Schwellungen und Blutunterlaufungen im Gesicht erlitt. Dies bewirkte, daß die Beklagte am Kläger kein Interesse mehr hatte. Sie verweigerte ihm seit 1965 den ehelichen Verkehr, wobei sie eine nicht bestehende Unterleibserkrankung vorschützte. Sie erklärte dem Kläger mehrfach, daß ihn die Erziehung des Sohnes nichts angehe. Sie unternahm ohne Wissen des Klägers Schritte, um den Sohn in einem Heim in Innsbruck unterzubringen. Schließlich war der Kläger mit einem Ausbildungsplatz des Sohnes in Graz einverstanden. Wegen der Erziehung des Sohnes kam es zwischen den Streitteilen immer wieder zu Differenzen, deren nähere Umstände nicht festgestellt werden konnten. Die Beklagte forderte den Kläger mehrfach auf, die eheliche Wohnung zu verlassen. Einmal erwiderte er, daß er weggehen werde, wenn sie ihn nochmals dazu auffordern sollte. Als die Beklagte ca. ein bis eineinhalb Monate danach dem Kläger sagte, er habe in der Ehewohnung nichts mehr zu suchen und solle gehen, zog der Kläger aus der Ehewohnung aus.

Das Berufungsgericht nahm nicht als erwiesen an, daß der Kläger die Ersparnisse der Streitteile in Höhe von rund 100.000 S an sich genommen habe, daß er den ehelichen Verkehr verweigere und ehewidrige Beziehungen zu Maria G*** unterhalte.

Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes sei der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe nach § 61 Abs 3 EheG nur dann gerechtfertigt, wenn das Zerrüttungsverschulden des Klägers deutlich überwiege. Im vorliegenden Fall habe der Kläger zwar durch sein Verhalten, insbesondere durch seine Tätlichkeit gegen die Beklagte zu Silvester 1965, schwere Eheverfehlungen begangen. Entscheidend für die Zerrüttung der Ehe seien jedoch die Verweigerung des ehelichen Verkehrs durch die Beklagte und deren wiederholte Aufforderungen an den Kläger gewesen, die Ehewohnung zu verlassen. Bei einem Gesamtvergleich des Verhaltens beider Ehegatten ergebe sich kein überwiegendes Zerrüttungsverschulden des Klägers.

Gegen den abändernden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der behauptete Verfahrensmangel wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Beizupflichten ist der Revisionswerberin darin, daß für die Beurteilung des Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe im Sinne des § 61 Abs 3 EheG das gesamte Verhalten der Ehegatten während der Dauer der Ehe und insbesondere zu berücksichtigen ist, welcher der Ehegatten den entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, daß die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (EFSlg. 41.294, 41.288 u.a.). Ergänzend ist jedoch festzuhalten, daß unbeschadet des Umstandes, daß für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG unter Umständen ein geringgradiges Zerrüttungsverschulden genügt, der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Klägers dennoch nur dann gerechtfertigt ist, wenn ein gradueller Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile ganz augenscheinlich hervortritt (EFSlg. 43.698, 41.291 u.a.). Nach der zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichtes ist dies hier nicht der Fall. Die Mißhandlung der Beklagten durch den Kläger ist zwar als schwere Eheverfehlung anzusehen (EFSlg. 43.619), da es sich jedoch um einen einmaligen Vorfall handelte, können die nachfolgenden schweren Eheverfehlungen der Beklagten nicht bloß als Reaktionshandlungen auf die Mißhandlung angesehen werden. Die Verweigerung des ehelichen Verkehrs und die wiederholten Aufforderungen der Beklagten an den Kläger, die häusliche Gemeinschaft zu verlassen, stellen schwerwiegende Verstöße gegen das Wesen der Ehe dar, die geeignet waren, die Zerrüttung ernsthaft zu vertiefen und endgültig zu machen. Erst die Eheverfehlungen der Beklagten führten zur Aufhebung der körperlichen Gemeinschaft und der Wohnungsgemeinschaft zwischen den Streitteilen. Damit leistete aber die Beklagte einen ganz erheblichen Beitrag zur endgültigen Zerrüttung der Ehe, so daß, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ein gradueller Unterschied zu Ungunsten des Klägers nicht gegeben ist. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man die Ursache für den Selbstmordversuch der Beklagten berücksichtigte, hatte dieser doch nach den von der Beklagten nicht bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes seinen Grund vornehmlich im Verhalten des Sohnes und in der subjektiven Annahme der Beklagten, daß sie der Kläger zu wenig unterstützte (AS 42 f.). Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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