Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:
"1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 107.055 samt 4 % Zinsen seit 2.8.1992 zu bezahlen.
Das Mehrbegehren von S 57.185 samt 4 % Zinsen seit 2.8.1992 wird abgewiesen.
2. Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand auch für alle künftigen Schadenersatzansprüche aus dem Unfallereignis vom 26.4.1992 zu drei Vierteln haften und ersatzpflichtig sind, die zweitbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen des mit der erstbeklagten Partei für den PKW Audi 100 Kennzeichen ***** bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrages.
3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 22.749,81 (darin S 3.748,05 Umsatzsteuer und S 261,50 Barauslagen) an Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie
S 4.875,85 (darin S 812,64 Umsatzsteuer) an Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Gemäß § 70 ZPO sind die beklagten Parteien zum Ersatz anteiliger Pauschalgebühren von insgesamt S 8.340 verpflichtet."
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei S 1.867,14 (darin S 311,19 Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Gemäß § 70 ZPO sind die beklagten Parteien zum Ersatz der anteiligen Pauschalgebühr von S 3.750 verpflichtet.
Text
Entscheidungsgründe:
Dem Rechtsstreit liegt ein Verkehrsunfall vom 26.4.1992 zugrunde. Die am 3.7.1985 geborene Klägerin geriet beim Fahren mit einem Damenfahrrad auf eine Bezirksstraße, wo es zur Kollision mit dem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Audi 100 kam.
Die Klägerin begehrte zunächst unter Anrechnung eines Eigenverschuldens von zwei Dritteln den Klagsbetrag von S 54.747, bestehend aus Schmerzengeld, Pflegeaufwand, Spesen für Besuchsfahrten und Fahrradschaden. Weiters wurde ein entsprechendes Feststellungsbegehren betreffend die Haftung der Beklagten für künftige Schäden der Klägerin im Ausmaß von einem Drittel gestellt. Dazu wurde vorgebracht, die Klägerin sei mit einem Damenfahrrad vom Anwesen ihrer Großmutter bis zur asphaltierten Parkfläche eines Gasthauses gefahren. Da sie das Damenfahrrad naturgemäß nicht voll beherrschen habe können, habe sie nicht rechtzeitig vor dem Fahrbahnrand zum Stillstand gelangen können und sei bis auf die Fahrbahn gekommen, wo sie habe umkehren wollen. Der mit seinem PKW herannahende Erstbeklagte habe sich nicht rechtzeitig auf das Fahrverhalten der Klägerin eingestellt und deshalb nicht mehr kollisionsfrei anhalten können. Bei diesem Zusammenstoß habe die Klägerin neben einer Vielzahl von Abschürfungen auch einen Oberschenkelbruch erlitten, sodaß an sich ein Gesamtschmerzengeld von S 150.000 angemessen sei; wegen der nicht auszuschließenden Spät- und Dauerfolgen sei auch das Feststellungsbegehren gerechtfertigt. In der mündlichen Streitverhandlung vom 19.5.1993 wurde das Klagebegehren - nunmehr auf Basis des Alleinverschuldens des Erstbeklagten - auf die vollen behaupteten Schadensbeträge von insgesamt S 164.240 ausgedehnt; desgleichen das Feststellungsbegehren im Sinne einer vollen Haftung der Beklagten für künftige Schäden der Klägerin, weshalb auch die Bewertung von S 10.000 auf S 30.000 erhöht wurde.
Die Beklagten bestritten das Klagebegehren mangels eines dem Erstbeklagten anzulastenden Verschuldens, weil die Klägerin so knapp und unvermittelt in die Fahrbahnhälfte des Erstbeklagten eingefahren sei, daß dieser trotz sofortiger Reaktion den Zusammenstoß nicht mehr habe verhindern können.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten - ausgehend von einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten der Klägerin - zur Zahlung eines Betrages von S 40.000 sA und wies das Mehrbegehren von S
124.240 sA ab. Dem Feststellungsbegehren wurde im Sinne einer Haftung der Beklagten im Ausmaß von einem Drittel für künftige Schadenersatzansprüche der Klägerin aus dem Unfallereignis stattgegeben. Dieser Entscheidung lag folgender wesentlicher Sachverhalt zugrunde:
Am 26.4.1992 mittags fuhr die damals 6-jährige, relativ kleine Klägerin mit dem Fahrrad von ihrem Elternhaus durch den Hof eines Gasthauses und den daran anschließenden Parkplatz talwärts in Richtung Bezirksstraße. Ohne auf dem Parkplatz anzuhalten, lenkte die Klägerin das Fahrrad mit 8 bis 12 km/h auf die Bezirksstraße, wo sie nach einer Wegstrecke von 3,5 m mit dem mit 41 km/h auf der 6 m breiten Bezirksstraße herannahenden PKW des Erstbeklagten kollidierte. Der Erstbeklagte hatte 3,5 sec Sicht auf die Fahrbewegung der Klägerin und reagierte mit einer Bremsung unter Hinterlassung einer 7,7 m langen Bremsspur, als er merkte, daß die Klägerin in die Straße einfuhr. Aufgrund der beim Unfall erlittenen Verletzungen in Form eines Bruches des rechten Oberschenkels und mehrfacher Hautabschürfungen hatte die Klägerin 10 bis 12 Tage starke, 3 bis 4 Wochen mittlere und 6 bis 8 Wochen leichte Schmerzen zu erdulden. Spätfolgen sind nicht auszuschließen.
In rechtlicher Hinsicht lastete das Erstgericht der Klägerin, die auch entgegen § 65 StVO im Alter unter 12 Jahren ein Fahrrad ohne Aufsicht gelenkt habe, eine Vorrangverletzung an. Andererseits sei der Vertrauensgrundsatz bei Kindern ausgeschlossen, und der Erstbeklagte hätte schon im Falle einer Reaktion 1,9 sec vor der Kollision - bei einer Wahrnehmbarkeit der Klägerin über insgesamt 3,5 sec - den Zusammenstoß verhindern können. In diesem angenommenen Reaktionszeitpunkt sei die Klägerin nur noch 0,7 bis 2,8 m von der linksseitigen Asphaltkante entfernt gewesen, was für den Erstbeklagten im Hinblick auf den Wegfall des Vertrauensgrundsatzes ein Anlaß zu einer sofortigen Geschwindigkeitsverminderung hätte sein müssen. Eine Abwägung des jeweiligen Fehlverhaltens lasse eine Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt erscheinen. Somit stehe der Klägerin von den der Höhe nach angemessenen Gesamtschadensbeträgen von S 115.440 ein Drittel oder S 38.480, aufgerundet also S 40.000, zu.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Klägerin und der Beklagten teilweise Folge, bestätigte die Entscheidung über das Feststellungsbegehren, verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von S
47.580 sA und wies das Mehrbegehren von S 116.660 sA ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
In rechtlicher Hinsicht sei zunächst im Hinblick auf die Unanwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes gegenüber einem noch nicht siebenjährigen Kind dem Erstbeklagten der vom Erstgericht aufgezeigte Reaktionsverzug als Fehlverhalten anzulasten. Die dabei an den Erstbeklagten gestellte Anforderung, schon 0,7 bis 2,8 m vor dem Erreichen der Fahrbahn durch die radfahrende Klägerin mit einer Geschwindigkeitsverminderung zu reagieren, stelle keine Überspannung des anzulegenden Sorgfaltsmaßstabes dar. Im Hinblick auf die festgestellte Tatsachengrundlage gehe daher die Argumentation der Beklagten, es könne nicht wegen eines einzelnen außerhalb der Fahrbahn befindlichen Kindes "unter allen Umständen" eine Geschwindigkeitsherabsetzung "nahe an Schrittempo" gefordert werden, an der konkreten Sachverhaltskonstellation vorbei. Umso weniger könnten sich die Beklagten somit auf den Eintrit eines unabwendbaren Ereignisses im Sinn des § 9 EKHG berufen.
Umgekehrt könne aber auch der Gegenseite nicht darin gefolgt werden, daß die im Unfallszeitpunkt 6 3/4-jährige Klägerin aufgrund ihres Alters unter allen Umständen deliktsunfähig sei, und mangels Einsichtsfähigkeit - zumal sie in der Schule auch noch keine Verkehrserziehung gehabt habe - nicht zu einer Mithaftung herangezogen werden könne. Die Fähigkeit eines 6 3/4-jährigen Kindes zu einer gewissen grundlegenden Einsicht betreffend die Gefahren des Straßenverkehrs sei vom Erstgericht durchaus zutreffend als gegeben angenommen worden. Die grundlegendsten Regeln des Straßenverkehrs würden auch schon Kleinkindern beigebracht. Beispielsweise sei eine gleichteilige Schadensteilung vorgenommen worden, als ein 6 3/4-jähriges Kind unachtsam die Straße überquert habe und von einem PKW niedergestoßen wurde, dessen Lenker nur für die Betriebsgefahr seines PKWs nach dem EKHG gehaftet habe (ZVR 1981/195). Grundsätzlich sei natürlich das Mitverschulden Unmündiger milder zu beurteilen (MGA ABGB33 E 17 zu § 1304), doch vermöge auch dies nichts an der Richtigkeit der vom Erstgericht gewählten Schadensteilung (2 : 1 zu Lasten der Klägerin) zu ändern. Immerhin habe die mj. Klägerin eine an sich schwerwiegende Vorrangsverletzung begangen, während dem Erstbeklagten doch lediglich ein nicht allzu gravierender Reaktionsverzug zur Last liege. Folglich sei auch die entsprechend diesem Verschuldensverhältnis ausgefallene Entscheidung über das Feststellungsbegehren der Klägerin zu bestätigen gewesen.
Der Höhe nach sei von einem Gesamtschadensbetrag von S 142.740 (S 130.000 Schmerzengeld, S 6.720 Pflegeaufwand und S 6.020 Besuchsfahrtkosten) auszugehen, weshalb unter Heranziehung einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zugunsten der Beklagten das Ersturteil im Sinn einer Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 47.580 abzuändern gewesen sei.
Die Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen gewesen.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer vollen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht den ihm bei der Verschuldensteilung, welche in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstellt, zustehenden Ermessensspielraum eklatant überschritten hat; sie ist auch teilweise berechtigt.
Die Klägerin macht geltend, wenn man die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung ZVR 1981/195 konsequent weiter denke, müsse die Haftung des Autolenkers über 50 % liegen, da im konkreten Fall ein Verschulden des Autolenkers vorliege. Sie sei aber überhaupt deliktsunfähig gewesen. Es möge schon stimmen, daß Kinder in ihrem Alter üblicherweise schon die mit dem Straßenverkehr verbundenen Gefahren kennen, maßgebend sei aber die Einsicht, die das Kind im Augenblick des schädigenden Verhaltens gehabt habe. Der Klägerin sei untersagt gewesen, sich vom Haus zu entfernen; sie habe es aber trotzdem getan und sei auf die abschüssige Asphaltfläche des Parkplatzes gelangt; das Fahrrad sei viel zu groß gewesen. Es wäre realitätsfremd, in einem solchen Moment von einem Kind noch zu verlangen, sich auf die Gefahren des Straßenverkehrs einzustellen und danach zu handeln, d.h. sich die spärlichen Erkenntnisse, die es bis dahin im Zusammenhang mit dem Fahrzeugverkehr gewonnen habe, in Erinnerung zu rufen und dann zu reagieren.
Hiezu wurde erwogen:
Die Ansicht der Klägerin, es sei ihr überhaupt kein Verschulden anzulasten, kann nicht geteilt werden. Nach ständiger Rechtsprechung sind Unmündige nicht unter allen Umstanden deliktsunfähig. Ihre Verantwortlichkeit ist vielmehr unter Berücksichtigung des Maßes an Einsicht, das bei ihnen zur Zeit des Unfalles vorhanden war und der Art ihres für den Unfall ursächlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen (ZVR 1988/39 mwN; Reischauer in Rummel2 § 1310 ABGB Rz 4, 14, 15). Wenn die Vorinstanzen im Fall der Klägerin die Fähigkeit zur Einsicht, die Einfahrt in die Bezirksstraße wegen des herannahenden PKWs zu unterlassen, trotz ihres Alters als gegeben angenommen haben, so ist dies nicht zu beanstanden.
Das Berufungsgericht hat selbst erkannt, daß das Mitverschulden Unmündiger milder zu beurteilen ist, als unter gleichen Umständen das Verschulden Erwachsener (vgl auch die Judikaturhinweise bei Reischauer aaO Rz 14), ist aber nicht gemäß dieser Erkenntnis vorgegangen. Die von ihm vorgenommene Verschuldensteilung wäre allenfalls vertrebar, wenn die Klägerin bereits mündig gewesen wäre, trägt aber dem Alter der Klägerin nicht Rechnung.
Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, daß in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1981/195 eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 bei - hier nicht gegebener - Schuldlosigkeit des Lenkers und Haftung für bloße Betriebsgefahr vorgenommen wurde. Hingegen hat der Oberste Gerichtshof in Fällen, in denen dem KFZ-Lenker ein schwerwiegendes Verschulden anzulasten war, schon mehrmals eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zugunsten des die Straße unvorsichtig benützenden Kindes vorgenommen (bei ca. 8-jährigen: ZVR 1984/321 und 1988/39 mwN; vgl Reischauer aaO Rz 17). Der erkennende Senat hält eine solche Teilung auch im vorliegenden Fall, in welchem dem Erstbeklagten eine beträchtliche Reaktionsverspätung vorzuwerfen ist, für angemessen.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher in diesem Sinne abzuändern.
Die Kostenentscheidungen beruhen auf den §§ 41, 43, 50 und 70 ZPO.
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