Spruch:
Ein Haftungsverzicht der Ehegattin gegenüber ihrem Gatten als Kraftfahrer im Falle eines Unfalles ist nicht ohne weiteres anzunehmen.
Der Abfindungsvergleich einer minderjährigen Ehegattin ist mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung nichtig.
Entscheidung vom 3. Jänner 1958, 2 Ob 506/57.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die am 21. Juni 1935 geborene Klägerin und der 1926 geborene Beklagte schlossen am 1. März 1952 miteinander die Ehe. Obzwar der Beklagte keinen Führerschein besaß, beschaffte er sich einen Personenkraftwagen und fuhr mit ihm. Er wurde bei diesen Fahrten häufig von der Klägerin begleitet und dabei von ihr auch öfter wegen zu schnellen Fahrens ermahnt. Er versprach ihr auch immer wieder langsameres Fahren. Am 27. Oktober 1952 geriet der Beklagte durch Fahren mit übermäßiger Geschwindigkeit, nämlich mit einer Stundengeschwindigkeit von mindestens 80 Kilometern auf nasser, rutschiger Fahrbahn unter Verwendung ungleich abgenützter Reifen, ins Schleudern und stieß an einen Baum, wodurch die ihn begleitende Klägerin eine Gehirnerschütterung leichten Grades, eine Quetschung des Brustkorbes, Hautverletzungen an Armen und Beinen und geringfügige Schnittwunden im Gesicht erlitt. Der Beklagte wurde wegen Übertretung nach § 431 StG. rechtskräftig verurteilt.
Die Ehe der Streitteile ging - ohne Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall - später in Brüche. Im Zusammenhang mit der Einleitung des Ehescheidungsverfahrens schlossen die Streitteile im Beisein des Vaters und gesetzlichen Vertreters der Klägerin am 2. April 1954 eine Vereinbarung über die Zahlung einer Abfindungssumme von 22.000 S durch den Beklagten an die Klägerin. Dabei war von Ersatzansprüchen aus dem oben erwähnten Verkehrsunfall nicht die Rede. Eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung dieser Vereinbarung wurde nicht eingeholt.
Die Klägerin erhob in diesem Verfahren wegen ihrer erwähnten Körperverletzung einen Anspruch auf ein Schmerzengeld in der Höhe von 5000 S.
Das Erstgericht wies dieses Begehren wegen stillschweigenden Verzichtes der Klägerin ab.
Das Berufungsgericht sprach der Klägerin in teilweiser Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles ein Schmerzengeld von 3000 S zu, im übrigen, also bezüglich des weiteren Schmerzengeldanspruches von 2000 S, hob es mit Beschluß das erstgerichtliche Urteil ohne Rechtskraftvorbehalt zur Klärung der Frage auf, inwieweit infolge körperlicher Mißhandlungen der Klägerin durch den Beklagten nach dem Unfall Grad und Dauer der durch den Unfall verursachten Schmerzen beeinflußt worden seien.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei Zugrundelegung des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhaltes kann ein Haftungsverzicht der Klägerin nicht angenommen werden. Die von der damals noch minderjährigen Klägerin am 2. April 1954 bei Einleitung des Ehescheidungsverfahrens geschlossene, die verfahrensgegenständlichen Ansprüche nicht erwähnende Abfindungsvereinbarung ist - als über den ordentlichen Betrieb einer Vermögensverwaltung hinausgehend - mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung analog § 233 ABGB. nichtig (vgl. SZ. XXIII 126; Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 252 f.; Bartsch in Klang 1. Aufl. I/1 S. 872 f. zu § 149 ABGB.), was ein Eingehen auf die Frage, ob sich diese Vereinbarung auf die gegenständlichen Schadenersatzansprüche erstreckte, erübrigt. Aber auch aus dem sonstigen Verhalten der Klägerin kann, selbst wenn diesbezüglich von ihrer Minderjährigkeit abgesehen würde, im Hinblick auf die Übung des redlichen Verkehres nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise die Erklärung eines Haftungsverzichtes erschlossen werden (§ 863 ABGB.), vor allem nicht bei dem (im Hinblick auf die Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h bei Straßenglätte und abgenützten Reifen trotz erfolgter Abmahnungen) hier vorliegenden groben Verschulden. Die Klägerin hat nur ihrer sittlichen Pflicht als Ehegattin entsprochen, wenn sie das Mitfahren nicht abgelehnt, sondern durch Mitfahren und Ermahnungen ein vorsichtigeres Fahren des Beklagten zu erwirken versucht hat, wenn sie ferner nach dem Unfall die Ehe fortgesetzt hat, ohne durch Erhebung von Schadenersatzansprüchen den Ehefrieden zu stören (hier ist auf den Rechtsgrund des § 1495 ABGB. zu verweisen), und wenn sie sich im Strafverfahren der Zeugenaussage entschlagen hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)