Spruch:
Wird Mitverschulden des Klägers eingewendet, so kann ein Zwischenurteil nur dann gefällt werden, wenn gleichzeitig über die Frage des Mitverschuldens und über das Ausmaß der Schadensteilung entschieden wird.
Entscheidung vom 18. Februar 1948, 2 Ob 43/48.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Ersatz von Heilungskosten, Schmerzengeld, Sachschaden, entgangenen Gewinn und Zahlung einer Rente infolge eines erlittenen Eisenbahnunfalls dem Gründe nach zu Recht bestehe. Die Berufung hat das erstgerichtliche Urteil insbesondere damit bekämpft, daß das Gericht kein Zwischenurteil hätte fällen dürfen, ohne zur Frage des Mitverschuldens des Klägers Stellung zu nehmen.
Das Berufungsgericht bestätigte die erstrichterliche Entscheidung; zur Frage der Zulässigkeit des Zwischenurteils führte es aus:
Wenn die Berufung mit dem Berufungsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend macht, daß der Erstrichter über die Frage des Selbstverschuldens des Klägers nicht hinweggehen dürfe, so muß ihr entgegengehalten werden, daß der Erstrichter in dem dem Zwischenurteil vorangegangenen Verfahren lediglich festgestellt hat, daß kein den Haftungsausschluß verursachendes Alleinverschulden des Klägers vorliegt und die Feststellung, in welchem Maße auch den Kläger ein Mitverschulden trifft, der Endentscheidung vorbehalten hat, wozu er nach § 393, Abs. 1 ZPO. berechtigt war. Es liegt auch für die beklagte Partei kein Grund vor, sich in diesem Punkte durch das angefochtene Zwischenurteil für beschwert zu erachten, da ja über die Frage der Verschuldensteilung im Endurteil entschieden werden wird, wenn auch zugegeben werden muß, das Zweckmäßigkeitsgrunde dafür gesprochen hätten, daß der Erstrichter schon im Zwischenurteil auch über diese Frage entschieden hätten.
Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile der Unterinstanzen auf.
Rechtliche Beurteilung
Begründung
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die beklagte Partei Revision, in der sie das Urteil wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung deshalb bekämpft, weil ein Zwischenurteil nur dann hätte gefällt werden dürfen, wenn auch über die Frage des Mitverschuldens des Klägers und über das Ausmaß der Schadensteilung entschieden worden wäre. Die Revision ist begrundet.
Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung würde nur im Falle unrichtiger rechtlicher Beurteilung in materiellrechtlicher Beziehung vorliegen. Wegen Verletzung prozeßrechtlicher Vorschriften kann eine Entscheidung des Berufungsgerichtes nur mit dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens oder wegen Nichtigkeit angefochten werden. Die Revision ist daher insoweit im Rechte, als sie unter den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend macht, daß die Erlassung des Zwischenurteils gegen die Verfahrensvorschriften verstößt. Mit Zwischenurteil nach § 393 ZPO. kann entschieden werden, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist und die Verhandlung zunächst bloß in Ansehung des Gründes zur Entscheidung reif ist. Durch das Zwischenurteil wird die Frage des Gründes des Anspruches endgültig gelöst; das dem Zwischenurteil nachfolgende Verfahren beschränkt sich auf die Ermittlung der Höhe des Anspruches. Wird ein Schadenersatzanspruch erhoben und von der Beklagten Selbstverschulden oder Mitverschulden des Kläger eingewendet, kann mit einem Zwischenurteil nur dann vorgegangen werden, wenn zugleich über das Verschulden des Klägers und über die Aufteilung des Schadens entschieden wird. Die Beklagte wendete in erster Instanz unter Anführung konkreter Tatsachen und Beweisanerbietung ein, daß den Kläger ein Mitverschulden treffe. Über diese Einwendung wurden bisher Beweise nicht aufgenommen und das Verfahren war daher zur Entscheidung über das angebliche Mitverschulden des Klägers noch nicht reif. Der Erstrichter erklärte bloß, einem allfälligen Selbstverschulden des Klägers könne die Bedeutung eines Gründes für den Ausschluß der Haftung der Beklagten nicht beigemessen werden. Da demnach die Voraussetzungen für die Fällung eines Zwischenurteils noch nicht gegeben waren, war das angefochtene Urteil und das vorausgegangene Urteil erster Instanz aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur Fortsetzung des Verfahrens zurückzuverweisen.
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