OGH 2Ob34/93

OGH2Ob34/938.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H*****, vertreten durch Dr.Christian Obrist, Rechtsanwalt in Zell am See, wider die beklagten Parteien 1. Willibald M*****, und 2.D***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** beide vertreten durch Dr.Diethard Kallab, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 10.Dezember 1992, GZ R 941/92-7, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 12.August 1991, GZ 6 C 311/91p-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.189,12 (darin an Umsatzsteuer S 531,52, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6.Mai 1990 fuhr der Kläger mit seinem Rennrad auf der 6,2 m breiten Fahrbahn der Bundesstraße 115 a mit einer Geschwindigkeit von ca 20 km/h von Leoben in Richtung St.Peter-Freienstein. Die Bundesstraße verläuft in diesem Bereich in flachen, nur teilweise übersichtlichen Kurven; die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beträgt 60 km/h. Der Kläger hielt zum rechten Fahrbahnrand (weiße Randlinie) einen Abstand von 0,5 m ein. An den rechten Fahrbahnrand schließt sich ein 1,3 m breiter, mit Gras bewachsener Streifen an. Neben diesem befindet sich ein 2,5 m breiter asphaltierter Radweg. Er beginnt rund 400 m vor der Unfallstelle und hat eine Gesamtlänge von 3 km. Der Erstbeklagte fuhr mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h in derselben Richtung und wollte den Kläger überholen. Als sich die linken Räder seines Fahrzeuges bereits im Bereich der Fahrbahnmitte befanden, bemerkte er ein entgegenkommendes Fahrzeug. Er bremste stark und lenkte nach rechts, wodurch es zu einem Zusammenstoß mit dem Radfahrer kam, der dabei schwere Verletzungen erlitt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß ihm die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Unfall zu haften haben, die zweitbeklagte Partei jedoch nur im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrages. Der Kläger brachte vor, er habe den Radweg nicht benützt, weil dieser mit Glassplittern und Scherben übersät und mit Rollsplitt bedeckt gewesen sei, was besonders bei einem Rennrad mit einer erheblichen Gefährdung des Lenkers verbunden sei. Den Erstbeklagten treffe daher das Alleinverschulden am Unfall.

Die Beklagten wendeten ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden von 50 %. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der Vorwurf, der Kläger hätte den Radweg benützen müssen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß der Kläger den Radweg deshalb nicht benutzt hatte, weil er wußte, daß auf diesem, vor allem im Bereich des Ortsgebietes von St.Peter-Freienstein, wo sich überdies eine Baustelle befand, sehr viel Rollsplitt lag und aus diesem Grund an seinem Rad schon einmal ein Reifen geplatzt war. Daraus folgerte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht, daß dem Kläger nicht vorgeworfen werden könne, den Radweg nicht benützt zu haben.

Mit Urteil vom 24.2.1992 änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung dahin ab, daß festgestellt wurde, daß die beklagten Parteien nur für 75 % der künftigen Unfallschäden des Klägers hafteten; das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der dagegen erhobenen Revision mit Beschluß vom 9.9.1992, 2 Ob 40/92, Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung bestätigte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes. Nach Beweisergänzung traf es folgende weitere Feststellungen:

Der Kläger fuhr mit seinem Rennrad am Unfallstag zunächst von Trofaiach über St.Peter-Freienstein nach Leoben. Dabei bemerkte er am Ortsende von St.Peter-Freienstein am Beginn des Radweges eine Baustelle mit Unebenheiten. Er querte die Fahrbahn der Bundesstraße, um auf dem dort angelegten Radweg seine Fahrt in Richtung Leoben fortzusetzen. Nach Zurücklegen einer Fahrtstrecke von 180 bis 200 m verließ er den Radweg wegen des dort befindlichen Rollsplitts wieder und fuhr auf der Fahrbahn der Bundesstraße weiter in Richtung Leoben. Rund zwei Stunden später befuhr er diese Strecke in der Gegenrichtung. Auf dem Übergangsstreifen von der Bundesstraße zum Radweg an dessen Beginn (rund 400 m vor der späteren Unfallstelle) nahm er auf dem Radweg Rollsplitt wahr. Deshalb benutzte er den Radweg nicht und fuhr neuerlich auf der Fahrbahn der Bundesstraße. Die Zufahrt zum Radweg ist hier auf einer längeren Strecke möglich; der Kläger blickte in diesem Bereich wiederholt zum Radweg und nahm dort ebenfalls Rollsplitt wahr. Unmittelbar im Unfallsbereich war der Radweg allerdings für Radfahrer ohne erschwerte Bedingungen befahrbar. Aus vorangegangenen Fahrten wußte der Kläger, daß im Verlaufe des Radweges immer wieder Äste lagen. Er wußte auch von der Beschwerde eines Dritten gegenüber dem Straßenerhalter, wonach der Straßenerhalter zur Reinigung des Radweges aufgefordert wurde. Der Kläger hatte den Radweg zuvor über dessen gesamten Länge mit einem Fahrrad, das kein Rennrad war, ohne größere Probleme, wenn auch vorsichtig, befahren.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, gemäß § 68 Abs 1 StVO hätten Radfahrer auf Straßen mit Radfahrstreifen, Radwegen oder Geh- und Radwegen nur diese zu befahren. Solche Sonderanlagen dienten der Verkehrsentflechtung und der Unfallsverhütung. Bei den für das Verhalten von Radfahrern geltenden Vorschriften des § 68 StVO handle es sich um Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB, die auch der eigenen Sicherheit des Radfahrers dienten. Die Nichtbenützung des Radweges durch einen Radfahrer begründe daher im allgemeinen dessen Mitverschulden bei einem Verkehrsunfall. Dies gelte auch für einen trainierenden Radsportler, weil sich der allgemeine Straßenverkehr an den der Sicherheit von Personen und Sachwerten dienenden Vorschriften und nicht an den auf ein sportliches Erfolgsstreben bestimmten Trainingszielen zu orientieren habe. Allerdings verbiete das Gesetz die Benützung der Fahrbahn zu Sportzwecken im allgemeinen nicht; das Verbot des § 87 StVO beziehe sich nicht auf das Radrennfahren. Aufgrund des § 66 Abs 2 a StVO seien durch Verordnung (BGBl Nr.242/1986) die Kriterien eines Rennrades determiniert. Die Benützung von Rennrädern im allgemeinen Straßenverkehr sei nicht ausgeschlossen, sondern sei lediglich eine zeitliche Verwendungseinschränkung normiert. Rennräder dürften demnach nur bei Tageslicht und guter Sicht verwendet werden, diese Voraussetzungen seien zum Unfallszeitpunkt gegeben gewesen. Die Verpflichtung zur Benutzung eines Radweges bestehe nur dann, wenn sich diese Sonderanlage in einem Zustand befinde, der eine gefahrlose Benutzung gewährleiste. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil schon am Beginn des Radweges Rollsplitt lag und der Kläger auch bei dem sich über eine längere Strecke ausdehnenden Übergangsbereich von der Fahrbahn der Bundesstraße zum Radweg Rollsplitt wahrnehmen konnte. Neben den Beobachtungen am Unfallstag sei dem Kläger auch aus vorangegangenen Fahrten die Verschmutzung des Radweges bekannt gewesen. Er habe dort zuvor an seinem Fahrrad deswegen auch einen Reifenplatzer gehabt. Es sei dem Kläger die Benutzung des Radweges mit seinem Rennrad nicht zumutbar gewesen, weil Rollsplitt für die Lenker von Rennrädern eine Gefahrenquelle schaffe. Es schade nicht, wenn unmittelbar an der Unfallstelle eine solche Verunreinigung des Radweges nicht gegeben gewesen sei.

Dem massiven Verschulden des Erstbeklagten, der gegen die Bestimmungen der §§ 16 Abs 1 lit a StVO, 20 StVO verstoßen habe, stehe kein im Sinne der §§ 7 EKHG, 1304 ABGB zu beurteilenden Verschulden des Klägers gegenüber.

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage der Benützungspflicht eines Radweges bei Unzumutbarkeit der Benutzung dieser Sonderanlage eine jüngere Rechtsprechung fehle.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß die Haftung der Beklagten lediglich zu 3/4 aller künftigen Schäden des Klägers festgestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der beklagten Parteien ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, es ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit wurde geprüft, er ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung - wenngleich zum Teil unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit ausgeführt - machen die Beklagten geltend, ein Radfahrer sei selbst dann nicht berechtigt, auf die Hauptfahrbahn auszuweichen, wenn der Radweg nur unter äußersten Risken befahrbar sei; in diesem Falle wäre der Radfahrer verpflichtet, vom Rad abzusteigen und sein Rad schiebend am Radweg fortzubewegen. Die Verpflichtung zur Benützung des Radweges könne nicht damit umgangen werden, daß man sich ganz einfach auf eine Unbenützbarkeit eines Radweges hinausrede. Der Kläger hätte damit rechnen müssen, daß er bei Benützung der Bundesstraße durch Überholmanöver anderer Fahrzeuge mit seinem Rennrad auf den äußersten rechten Fahrbahnrand abgedrängt bzw genötigt werde, das Bankett zu benützen; gerade auf einem solchen befinde sich sehr viel Rollsplitt. Jedenfalls sei der Kläger nicht berechtigt gewesen, den Radweg ganz einfach außer acht zu lassen und statt dessen die Bundesstraße zu benützen. Die den Klagsstandpunkt unterstützenden Überlegungen des Berufungsgerichtes könnten nur Kopfschütteln auslösen und gingen am Kern und Zweck der klaren Bestimmung des § 68 StVO vorbei.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Zutreffend hat das Berufungsgericht auf die grundsätzliche Pflicht der Radfahrer, auf Straßen mit Radwegen diese zu benützen, hingewiesen (§ 68 Abs 1 StVO). Allerdings besteht eine solche Verpflichtung nicht, wenn sich der Radweg in einem Zustand befindet, der eine gefahrlose Benützung nicht gewährleistet (ZVR 1959/239; ZVR 1965/107). Diese Rechtsansicht liegt auch dem im ersten Rechtsgang ergangenen Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 9.September 1992 (2 Ob 40/92) zugrunde, von ihr abzugehen besteht kein Anlaß. Die Frage, wann eine gefahrlose Benützung eines Radweges nicht mehr möglich ist, hängt auch von der Art des Verkehrsmittels ab, mit dem der Radweg benützt wird. Während nämlich die Benützung eines Radweges, auf dem sich Rollsplitt befindet, mit einem Mountainbike eher ungefährlich sein wird, ist die Benutzung durch ein Rennrad mit schmalen Reifen gefährlich. Es hängt sohin sowohl vom Zustand des Radweges, als auch von der Art des Rades ab, ob im Einzelfall eine Verpflichtung zur Benützung des Radweges besteht oder nicht. Im vorliegenden Fall - der Kläger benützte ein Rennrad - bewirkte der auf dem Radweg befindliche Rollsplitt die Gefährlichkeit der Benutzung des Radweges für ihn. Daß sich gerade an der Unfallstelle kein Rollsplitt befand, führt nicht dazu, daß der Kläger gegen § 68 Abs 1 StVO verstoßen hätte, weil von ihm nicht verlangt werden kann, während seiner Fahrt ständig auf den Zustand des Radweges zu achten, bei gefahrloser Benützbarkeit wieder auf den Radweg zu wechseln und diesen auch nur für kurze Strecken zu benützen. Daß der Kläger dazu berechtigt war, ein Rennrad zu benützen, hat das Berufungsgericht bereits zutreffend dargelegt (§ 66 Abs 2 a StVO), dies wird in der Revision auch nicht bestritten.

Zusammenfassend folgt daraus, daß für den Kläger im konkreten Fall keine Verpflichtung zur Benützung des Radweges bestand, so daß ihm eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten nicht angelastet werden kann.

Der Revision der beklagten Parteien war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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