Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit S 4.337,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 600,-- Barauslagen und S 339,73 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 5.6.1981 ereignete sich in der Simmeringer-Hauptstraße im
11. Wiener Gemeindebezirk ein Verkehrsunfall. Die Fahrbahn dieser Straße ist 9,6 m breit, stadtauswärts gesehen schließen rechts Straßenbahngeleise und an diese eine Nebenfahrbahn an. In Fahrtrichtung stadtauswärts kam es vor der Kreuzung mit der Pachmayergasse zu einem Rückstau von Fahrzeugen. Der Erstbeklagte beabsichtigte, von der Nebenfahrbahn auf die Hauptfahrbahn zu fahren und dort nach links abzubiegen und in Richtung stadteinwärts zu fahren. Er begann dieses Fahrmanöver durchzuführen, als ihm ein in der stehenden Fahrzeugkolonne befindlicher Lenker hiezu den nötigen Raum freiließ. Der PKW des Erstbeklagten kollidierte mit dem vom Kläger gelenkten Motorfahrrad. Der Kläger war links an der stehenden Kolonne vorbeigefahren und wollte nach links in die Pachmayergasse einbiegen. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles rechtskräftig des Vergehens nach § 88 Abs 1 und 4 1.Fall StGB schuldig erkannt.
Der Kläger, der von den Beklagten einen Schadenersatzbetrag von S 76.426,-- erhalten hat, begehrt Zahlung weiterer S 73.054,-- samt Zinsen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, der Kläger habe gegen § 12 Abs 5 StVO verstoßen, weshalb ihn ein Mitverschulden von 50 % treffe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, der Kläger sei nach § 17 Abs 4 StVO zu Recht an der im ersten Fahrstreifen zum Anhalten gekommenen Kolonne im zweiten Fahrstreifen vorbeigefahren; dem § 12 Abs 5 StVO könne dieses Fahrmanöver schon deshalb nicht zugeordnet werden, weil sich der Kläger nicht - unter Beibehaltung seiner Fahrtrichtung - 'vorschlängeln' wollte, sondern sich eingereiht hatte, um in der Pachmayergasse nach links einzubiegen. Daß er sich allenfalls zu früh eingeordnet hatte, lasse den Rechtswidrigkeitszusammenhang zu dem Unfallsgeschehen vermissen. Der Zweitbeklagte aber habe sich als Kraftfahrer, der aus einer Nebenfahrbahn gekommen sei, gegenüber dem Kläger im Nachrang befunden und habe daher auch mit Verkehrsteilnehmern rechnen müssen, welche sich am zweiten Fahrstreifen bewegen. Das Verkehrsgeschehen sei daher allein auf die Vorrangverletzung des Zweitbeklagten zurückzuführen, zumal dem Kläger auch eine Reaktionsverspätung nicht angelastet werden könne. Das Berufungsgericht ließ die Revision nach § 502 Abs 4 ZPO mit der Begründung zu, daß zur Frage des Schutzzweckes der Verbotsnorm des § 12 Abs 5 StVO sowie der näheren Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeit (Berücksichtigung nur des objektiven Fahrverhaltens oder auch der damit verfolgten Absichten des Vorfahrenden) - soweit ersichtlich - vom Obersten Gerichtshof bisher nicht Stellung genommen worden sei. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der hier maßgeblichen Frage fehlt; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Die Revisionswerber wenden sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, der Kläger habe deshalb nicht gegen § 12 Abs 5 StVO verstoßen,weil er die Absicht gehabt habe, an der Kreuzung nach links einzubiegen. Weiters lasten die Revisionswerber dem Kläger an, das Einordnen zu früh vorgenommen zu haben. Schließlich vertreten sie die Ansicht, der Kläger habe gegen § 17 Abs 4 StVO verstoßen.
Zu diesen Ausführungen ist folgendes zu bemerken:
Das Berufungsgericht ging unwidersprochen davon aus, daß sich die aufgestaute Fahrzeugkolonne auf dem ersten Fahrstreifen befand und der Kläger den zweiten Fahrstreifen benützte. Es nahm also an, daß für die Fahrtrichtung des Klägers zwei Fahrstreifen zur Verfügung standen. Diese Annahme entspricht auch der im Strafakt befindlichen maßstabgetreuen Skizze. Zu prüfen ist, ob § 12 Abs 5 StVO dem Lenker eines einspurigen Fahrzeuges überhaupt verbietet, auf dem zweiten Fahrstreifen an einer auf dem ersten Fahrstreifen aufgestauten Fahrzeugkolonne vorbeizufahren. Zweck der genannten Vorschrift ist es, das sogenannte 'Vorschlängeln' einspuriger Fahrzeuge an mehreren angehaltenen Fahrzeugen vorbei hintanzuhalten (ZVR 1981/155, 1984/204). Von einem 'Vorschlängeln' kann aber nicht gesprochen werden, wenn nicht auf dem Fahrstreifen gefahren wird, auf dem eine Kolonne aufgestaut ist, sondern auf einem anderen, der für diese Fahrtrichtung bestimmt ist und auf dem sich keine angehaltenen Fahrzeuge befinden. Bei Vorhandensein von zwei oder mehr Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung ist es dem Lenker eines einspurigen Fahrzeuges nicht verboten, an einer auf einem Fahrstreifen aufgestauten Kolonne auf einem anderen Fahrstreifen vorbeizufahren. Es kommt daher weder darauf an, daß der Kläger nach links einbiegen wollte, noch, ob er sich schon so nahe an der Kreuzung befand, daß er sich gemäß § 12 Abs 1 StVO links einordnen mußte.
Ein Verstoß gegen § 17 Abs 4 StVO ist dem Kläger ebenfalls nicht anzulasten. Abgesehen davon, daß zwei Fahrstreifen vorhanden waren, kam der Erstbeklagte nicht aus einer Querstraße im Sinne des § 18 Abs 3 StVO.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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