OGH 2Ob347/50

OGH2Ob347/5020.10.1950

SZ 23/297

Normen

VersVG §23
VersVG §25
VersVG §29
VersVG §23
VersVG §25
VersVG §29

 

Spruch:

Auch das Unterlassen der Beseitigung einer unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eingetretenen Gefahrenerhöhung ist "Vornahme" derselben im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG.

Auch bei der Kaskoversicherung darf ohne Einwilligung des Versicherers kein besonders gefährlicher Einstellungsort für das Fahrzeug gewählt werden.

Entscheidung vom 20. Oktober 1950, 2 Ob 347/50.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagende Partei verlangt von den beklagten Parteien die Bezahlung der Entschädigung für bei ihr versicherte Kraftfahrzeuge, die durch Einsturz des Hauses, in dem sie eingestellt waren, beschädigt wurden. Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil die Klagsansprüche als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannt, das Berufungsgericht hat die Klagebegehren abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der klagenden Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die klagende Partei hat die Kraftfahrzeuge regelmäßig in dem schwer bombenbeschädigten, in Abbruch befindlichen Haus garagiert. Die klagende Partei wußte nach ihrem eigenen Vorbringen, daß ein Einsturz dieses Hauses an einer Seite drohte, und hat daher im April 1948 mit einer Baufirma vereinbart, daß dort eine Abstützung vorgenommen werde. Obwohl diese Abstützung nicht vorgenommen wurde, hat die klagende Partei ihre Kraftfahrzeuge weiter in der Ruine eingestellt, bis diese am 29. Mai 1948 an der erwarteten Stelle einstürzte und die Fahrzeuge dadurch beschädigt wurden. Der Anspruch der klagenden Partei besteht schon nach diesem ihrem eigenen Vorbringen nicht zu Recht. Es kann dahingestellt bleiben, ob die klagende Partei durch das regelmäßige Einstellen der Fahrzeuge in ein Gebäude, dessen Einsturz sie erwartete, vor Vornahme der als notwendig erkannten Sicherungsarbeiten den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Die beklagten Parteien sind jedenfalls nach § 25 Abs. 1 VersVG. befreit. Denn durch das Einstellen der Fahrzeuge nach Erkennen der Einsturzwahrscheinlichkeit hat die klagende Partei ohne Einwilligung der beklagten Parteien eine Gefahrerhöhung gemäß § 23 Abs. 1 VersVG. vorgenommen. Auch das Unterlassen der Beseitigung einer unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eingetretenen Gefahrerhöhung ist Vornahme derselben im Sinne der angeführten Gesetzesstelle. Der Eintritt des Versicherungsfalles ist dadurch objektiv wahrscheinlicher, das Vertragsrisiko des Versicherers größer geworden. Es liegt auf der Hand, daß "vom Standpunkt sachgemäßer vernünftiger Versicherungstechnik" die eingetretene Einsturzgefahr den Versicherer vernünftigerweise hätte veranlassen können, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen. Das gilt auch bei der sogenannten Kaskoversicherung. Das in der Einstellung der Fahrzeuge in das einsturzgefährdete Haus gelegene Wagnis wurde durch geeignete Schutzmaßnahmen nicht ausgeglichen. Abgesehen von dem bisher Ausgeführten ist aber dem Berufungsgericht darin beizustimmen, daß schon in der regelmäßigen Garagierung der Fahrzeuge in einer in Demolierung befindlichen Bombenruine nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG. erblickt werden muß, da hiedurch die Fahrzeuge einer besonderen Gefahr ausgesetzt wurden. Dies wird eindringlich dadurch illustriert, daß die Hauseigentümerin schon am 16. Februar 1948 "mit sofortiger Wirksamkeit" jede Haftung gegen allfällige Beschädigungen der eingestellten Fahrzeuge abgelehnt und die klagende Partei am 12. März 1948 ausdrücklich die Verantwortung für das weitere Einstellen übernommen hat.

Im einzelnen ist zu den Revisionsausführungen zu bemerken: Die Revision übersieht, daß die Benützung eines Kraftfahrzeuges bei Sturm und Glatteis und dessen Abstellung auf der Straße unter die gewöhnlichen, beim Abschluß der Versicherung als selbstverständlich vorausgesetzten Betriebsgefahren fallen und sich nicht mit der außergewöhnlichen, besonders gefährlichen regelmäßigen Einstellung des Fahrzeuges in eine Bombenruine, deren Einsturz erwartet wird, vergleichen lassen, ganz abgesehen davon, daß auch bei der gelegentlichen Einstellung eines Kraftfahrzeuges der Versicherer von seiner Leistungspflicht dann frei wird, wenn dadurch der Versicherungsfall grobfahrlässig herbeigeführt wird, ja daß auch einmalige Gefährdungshandlungen diese Befreiung bewirken können. Es kann im gegenständlichen Fall keine Rede von einer Vereinbarung im Sinne des § 29 VersVG. sein, daß durch die besonders gefährliche Garagierung das Versicherungsverhältnis nicht berührt werden soll. Wenn auch bei der Kaskoversicherung der Versicherungsnehmer den Einstellungsort des Fahrzeuges oder dessen Wechsel nicht anzeigen muß, darf er doch nicht ohne Einwilligung des Versicherers einen besonders gefährlichen Einstellungsort wählen oder durch die Einstellung den Versicherungsfall geradezu vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeiführen. Die Ansicht der Revision, daß die Einsturzgefahr bei einer in Demolierung befindlichen Bombenruine viel geringer sei als bei anderen Häusern, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und verträgt sich schlecht mit dem Klagevorbringen, demzufolge die klagende Partei den Einsturz erwartet hat. Wegen dieser von der klagenden Partei zugegebenen Erwartung des Hauseinsturzes fällt aber auch nicht ins Gewicht, daß die Baupolizei sich zu einem Einschreiten gegen die Weiterbenützung des Einstellraumes nicht veranlaßt sah - wobei übrigens auch nicht klargestellt ist, ob die Baupolizei hiebei die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen vorausgesetzt hat -, ganz abgesehen davon, daß dem Standpunkt der Baupolizei für die Beurteilung der Frage der Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG. keine Bedeutung zukommt.

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