Spruch:
Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen. Die zweit- und drittbeklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Am 18. 4. 2002 fuhr der damals 15-jährige Erstbeklagte, nachdem er den PKW seiner zweitbeklagten Halbschwester (haftpflichtversichert bei der drittbeklagten Partei) ohne deren Zustimmung und ohne Lenkerberechtigung in Betrieb genommen hatte, auf einem Firmengelände in G***** gegen den dort abgestellten PKW des Klägers, welcher hiedurch erheblich beschädigt wurde. Zum Unfallszeitpunkt lebten der Erstbeklagte und die Zweitbeklagte mit ihrer Mutter in einer 65 m2 großen Wohnung, bestehend aus einem Schlafzimmer, Jugendzimmer, einer Küche, einem Abstellraum, einem Vorraum, Bad und WC. Die Zweitbeklagte hatte ihren PKW ordnungsgemäß versperrt und mit eingerasteter Lenkradsperre vor dem Wohnhaus abgestellt. Sie befand sich gegen 17.30 Uhr in der Arbeit und hatte den Originalfahrzeugschlüssel bei sich. Der Reserveschlüssel zum Fahrzeug lag zu dieser Zeit bereits längere Zeit auf einem etwa 160 bis 170 cm hohen Kühlschrank in der Küche der Wohnung neben einigen Zetteln und einem Blumengesteck für jeden frei zugänglich. Die Mutter befand sich damals auf Urlaub in Ungarn.
Ihr erstbeklagter Halbbruder hatte bislang noch nie einen PKW gelenkt und auch seine Halbschwester noch nie gefragt, ob sie ihn mit dem PKW fahren lasse. Auch hat er nie andere Freunde von ihm, die schon ein Kraftfahrzeug besaßen, gefragt, ob sie ihn damit fahren lassen. Der Erstbeklagte hat sich auch bislang nie besonders für Kraftfahrzeuge interessiert, ist jedoch etwa zwei Jahre vor dem verfahrensgegenständlichen Unfall zumindest einmal mit einem Traktor eines Onkels auf einem Acker gefahren. Von diesem Umstand war jedoch weder die Zweitbeklagte noch ihre Mutter in Kenntnis. Da er wusste, dass seine Halbschwester arbeitsbedingt nicht zu Hause war und er weiters wusste, wo allenfalls der Reserveschlüssel zum PKW liegen könnte, erklärte der Erstbeklagte zu einem Freund, mit dem er den Nachmittag auf einem Skaterplatz verbrachte, den Reserveschlüssel suchen zu wollen. Er begab sich zu diesem Zwecke nach Hause und fand tatsächlich nach einer etwa viertelstündigen Suche den Reserveschlüssel frei oben auf dem Kühlschrank in der Küche liegend, nahm ihn an sich und kehrte wiederum zum Skaterplatz zu seinem Freund zurück. Dort fragte er diesen, ob er mit ihm eine Runde mitfahren wolle. Dieser Freund erkundigte sich zuvor, ob der Erstbeklagte überhaupt mit einem Fahrzeug fahren könne, was der Befragte bejahte. Der Erstbeklagte öffnete sodann die Tür des Fahrzeuges, löste die Lenkradsperre und begann das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen, wobei es ihm zunächst zweimal abstarb. In weiterer Folge lenkte er den PKW im Ortsgebiet in Richtung Fabriksgelände der Firma N***** GmbH, wo er - vermutlich infolge unangepasster Geschwindigkeit und mangelnder Fahrpraxis - ins Schleudern geriet und dabei gegen den ordnungsgemäß geparkten Kombi des Klägers und in weiterer Folge auch gegen eine Mauer des Fabriksgebäudes stieß. Danach setzte der Erstbeklagte, ohne sich um den Schaden zu kümmern, die Fahrt fort und parkte den PKW wieder vor dem Wohnhaus in G*****. Am Klagsfahrzeug entstand ein Schaden in der Gesamthöhe von EUR 4.774,20; des weiteren liefen dem Kläger unfallkausale Spesen in Höhe von EUR 150,-- sowie Abschleppkosten in Höhe von EUR 109,-- auf.
Mit der am 23. 7. 2002 eingebrachten Mahnklage begehrt der Kläger seinen mit insgesamt EUR 5.033,20 sA bezifferten Schaden. Der vom Erstgericht erlassene Zahlungsbefehl wurde dem Erstbeklagten gegenüber mangels Erhebung eines Einspruches rechtskräftig. Lediglich die zweit- und die drittbeklagte Partei erhoben Einspruch und wandten im Wesentlichen ein, dass der mj. Erstbeklagte den PKW der Zweitbeklagten ohne deren Wissen und Einverständnis eigenmächtig in Betrieb genommen habe. Die Zweitbeklagte habe den PKW ordnungsgemäß versperrt. Der 15-jährige Erstbeklagte habe heimlich den Fahrzeugschlüssel seiner im selben Haushalt lebenden Schwester an sich genommen, um in weiterer Folge eine Schwarzfahrt durchzuführen. Für die Zweitbeklagte habe es bis dahin keine Veranlassung gegeben, den Reserveschlüssel gesondert bzw versperrt, also für den Erstbeklagten unerreichbar, aufzubewahren. Die Schwarzfahrt sei daher ohne Willen und ohne Verschulden der Fahrzeughalterin durchgeführt worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auch gegenüber der zweit- und drittbeklagten Partei statt. Es beurteilte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Zweitbeklagte den Reserveschlüssel nicht ausreichend sicher verwahrt und dadurch die Schwarzfahrt ihres minderjährigen Halbbruders verschuldet habe.
Das Berufungsgericht gab der lediglich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der zweit- und drittbeklagten Parteien Folge und änderte die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Abweisung des restlichen Klagebegehrens ab. Es sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Anders als das Erstgericht beurteilte das Berufungsgericht den Sachverhalt dahin, dass zwar nach der Rechtsprechung an die Sorgfaltspflicht eines Halters zur Verhinderung von Schwarzfahrten strengste Anforderungen zu stellen seien; vorliegendenfalls dürfe jedoch nicht übersehen werden, dass die Zweitbeklagte den Reserveschlüssel in einer versperrten Wohnung aufbewahrt habe, ein Zugriff darauf also nur einem sehr begrenzten Personenkreis, der Zugang zur Wohnung gehabt habe, nämlich ihren Angehörigen, überhaupt möglich gewesen sei. Die Zweitbeklagte habe auch keine Ursache gehabt, ihrem 15-jährigen Halbbruder zu misstrauen. Es sei ihr bis dahin nicht bekannt gewesen, dass er schon jemals ein Fahrzeug unbefugt in Gebrauch genommen hätte. Sie habe den Reserveschlüssel auch nicht (geradezu einladend) auf einem Schlüsselbord deponiert, sondern vielmehr auf dem etwa 160 bis 170 cm hohen Kühlschrank in der Küche der Wohnung abgelegt, also nicht gerade offensichtlich für ihren Bruder. Der 15-jährige habe den Schlüssel erst suchen müssen, bevor er ihn an sich habe nehmen können. Es würde das Zusammenleben im Familienkreis unerträglich machen, wenn sämtliche Familienmitglieder ihre Fahrzeugschlüssel jedenfalls versperrt aufbewahren müssten, sobald sie die Aufsicht darüber, wenn auch nur relativ kurzfristig, aufgeben. Der strenge Sorgfaltsmaßstab, den die Judikatur zur Ermöglichung einer Schwarzfahrt anlege, dürfe nicht so überspannt werden, dass das tägliche Zusammenleben unvernünftig und wirklichkeitsfremd erschwert werde. Es sei keine Frage, dass die Zweitbeklagte in Hinkunft ein strengerer Maßstab treffen werde, nachdem sie durch die gegenständliche Schwarzfahrt ihres Halbbruders nunmehr bereits vorgewarnt sei. Zu einer übertriebenen Aufmerksamkeit bezüglich ihrer Fahrzeugschlüssel hätte sie jedoch bis zum gegenständlichen Vorfall keine Veranlassung gehabt. Es sei ihr daher insgesamt kein schuldhaftes Verhalten zur Ermöglichung der schädigenden Schwarzfahrt anzulasten.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil der Entscheidung keine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukomme (§ 502 Abs 1 ZPO).
Über Antrag der klagenden Partei gemäß § 508 ZPO änderte das Berufungsgericht in der Folge diesen Ausspruch dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte. Entgegen seiner ursprünglich vertretenen Rechtsansicht führte das Berufungsgericht hiezu aus, dass "nur durch die Entscheidung von Einzelfällen dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit eröffnet wird, für vergleichbare Fälle Haftungsgrenzen vorzugeben." Aus diesem Grunde habe sich das Berufungsgericht veranlasst gesehen, seinen Ausspruch betreffend die Zulässigkeit der ordentlichen Revision antragsgemäß abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes gerichtete und auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer vollständigen Klagestattgebung abzuändern (hilfsweise aufzuheben und zurückzuverweisen), ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
Im Revisionsverfahren ist nur die Frage strittig, ob die Zweitbeklagte die Schwarzfahrt des Erstbeklagten schuldhaft im Sinne des § 6 Abs 1 EKHG ermöglicht hat. Auch wenn nach der Rechtsprechung hiefür grundsätzlich ein strenger Maßstab angesetzt wird, so muss der Halter doch bis zur Grenze des unabwendbaren Zufalles nur alles das tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann (s hiezu die zahlreichen Entscheidungsnachweise in Danzl, EKHG7 E 27 und 45 zu § 6; Apathy, EKHG Rz 17 zu § 6 und Schauer in Schwimann, ABGB2 Rz 14 ff zu § 6 EKHG). Nur dann, wenn einem Fahrzeughalter bekannt war, dass etwa Angehörige schon Schwarzfahrten unternommen haben, sind zur Verhinderung des Gebrauches des Kraftfahrzeuges weitergehende Maßnahmen geboten als gegenüber Außenstehenden (ZVR 1978/78, 1990/88, 1995/94).
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes liegt im Rahmen dieser Rechtsprechung. Die Beurteilung dieses Sachverhaltes ist dabei ganz typisch von der Kasuistik der singulären Wohn- und Familienverhältnisse der beteiligten Personen geprägt; solche typischen Einzelfälle begründen jedoch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO. Aus der Argumentation des Revisionswerbers, es müsste ins Kalkül gezogen werden, "dass es praktisch als Allgemeinwissen angesehen werden kann, dass heranwachsende Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren sehr an Kraftfahrzeugen (Mopeds, Motorräder, PKWs etc) interessiert sind und es daher nicht selten vorkommt, dass diese Jugendlichen die Fahrzeugschlüssel von Fahrzeugen ihrer Eltern oder Bekannten widerrechtlich an sich bringen und so genannte Spritzfahrten mit Freuden etc unternehmen", ist für den vorliegenden Fall nichts zu gewinnen. Die Zweitbeklagte hatte bis zum gegenständlichen Vorfall keinerlei Grund zur Annahme, ihr mj. Halbbruder könnte (etwa aus Fahrleidenschaft oder wegen bereits ähnlicher Vorkommnisse in der Vergangenheit) den in der versperrten Wohnung an einer auch nicht gleich einsehbaren Stelle (immerhin musste er ihn erst suchen) abgelegten Reserveschlüssel ungefragt und heimlich an sich nehmen. Das Berufungsgericht hat sich damit im Rahmen des ihm vom Gesetz eingeräumten Beurteilungsspielraumes bewegt, ohne dass ihm hiebei eine (krasse) Fehlbeurteilung unterlief, welche im Sinne der Rechtssicherheit gemäß § 502 Abs 1 ZPO korrigiert werden müsste. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Die beklagten Parteien haben die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hierin nicht hingewiesen haben (RIS-Justiz RS0035979 und RS0036962).
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