OGH 2Ob314/70

OGH2Ob314/708.7.1971

SZ 44/113

Normen

StPO §§352 ff
ZPO §268
ZPO §482
StPO §§352 ff
ZPO §268
ZPO §482

 

Spruch:

Durch die Beseitigung des Strafurteiles im Wege der Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird die Bindungswirkung des § 268 ZPO nur für solche Zivilverfahren beseitigt, die in diesem Zeitpunkt noch nicht bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz gediehen sind

OGH 8. 7. 1971, 2 Ob 314/70 (OLG Wien 8 R 110/70; KG St Pölten 2 Cg 1065/68)

Text

Am 24. 4. 1966 wurde die bei der Klägerin pflichtversicherte Christine L als Mitfahrerin eines Volkswagenbusses, dessen Halter der Zweitbeklagte ist, bei einem Verkehrsunfall verletzt. Der Erstbeklagte, der den Volkswagenbus lenkte, wurde wegen dieses Unfalles mit Urteil des BG Waidhofen/Ybbs vom 31. 10. 1967 der Übertretung nach § 335 StG schuldig gesprochen (AZ U .../66).

Die Klägerin erbringt der Christine L Sozialversicherungsleistungen (Pension und Hilflosenzuschuß) und verlangt unter Berufung auf § 332 ASVG von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand Zahlung von S 41.040.20 sA; sie begehrt ferner die Feststellung der solidarischen Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Leistungen.

Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestreiten ein Verschulden des Erstbeklagten am Unfall und brachten in erster Instanz vor, der Erstbeklagte habe die Wiederaufnahme des Strafverfahrens U .../66 des BG Waidhofen/Ybbs beantragt.

Das Erstgericht erkannte - bis auf die Abweisung eines Mehrbegehrens von 20 Groschen - im Sinne des Klagebegehrens. Es ging davon aus, daß das Verschulden des Erstbeklagten am Unfall auf Grund seiner strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 268 ZPO für das Zivilgericht bindend feststehe, sodaß beide Beklagte, und zwar der Erstbeklagte als schuldtragender Lenker und der Zweitbeklagte als Halter, für den der Christine L verursachten Schaden haften. Es stellte ferner fest, daß die Klägerin an Christine L in der Zeit vom 23. 10. 1966 bis 31. 10. 1968 Sozialversicherungsleistungen in der Höhe von S 41.040.- erbracht habe. Der Ersatzanspruch der Klägerin sowohl hinsichtlich der gewährten Berufsunfähigkeitspension als auch des Hilflosenzuschusses finde im Schadenersatzanspruch der Christine L Deckung. Das Feststellungsinteresse der Klägerin sei zu bejahen, weil diese an Christine L auch in Zukunft Leistungen zu erbringen habe, deren Ausmaß derzeit noch nicht feststehe.

Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg (zugleich wurde ausgesprochen, daß der Streitwert S 15.000.- übersteige). Dem Standpunkt der Beklagten, auf Grund des Urteiles des BG Waidhofen/Ybbs vom 31. 10. 1967 hätte das Verschulden des Erstbeklagten am Unfall vom 24. 4. 1966 nicht angenommen werden dürfen, weil dem Wiederaufnahmeantrag des Erstbeklagten inzwischen stattgegeben und das genannte Urteil mit Beschluß vom 23. 4. 1970 aufgehoben worden sei, trat das Berufungsgericht mit dem Hinweis entgegen, daß die Bindungswirkung des Strafurteiles nach § 268 ZPO im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz (18. 3. 1970) noch bestanden habe; das Berufungsvorbringen über die Beseitigung des Strafurteiles stelle sich als unzulässige Neuerung dar, auf die nicht einzugehen sei. Dieser Umstand könne nur für eine allfällige Wiederaufnahme des Zivilprozesses von Bedeutung sein. Die erstgerichtlichen Feststellungen über die an Christine L gewährten Sozialversicherungsleistungen und den Schaden, den Christine L durch den Unfall erlitt, wurden vom Berufungsgericht als unbekämpft übernommen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionsausführungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Das Zivilverfahren hätte bis zur rechtskräftigen Erledigung des zur Zeit der Urteilsfällung in erster Instanz bereits gestellten Antrages auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens unterbrochen werden müssen. Zur Zeit der Entscheidung des Berufungsgerichtes sei das Urteil des BG Waidhofen/Ybbs vom 31. 10. 1967 infolge Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens bereits beseitigt gewesen. Es hätte daher das Berufungsgericht die Verurteilung des Erstbeklagten nicht mehr zur Grundlage der Annahme seines Verschuldens am Unfall vom 24. 4. 1966 nehmen dürfen, sondern es hätte die aufgenommenen Beweise, nach denen ein solches Verschulden ausgeschlossen werden könne, seiner Entscheidung zugrunde legen müssen.

Das Berufungsgericht hat den im Berufungsverfahren gestellten Unterbrechungsantrag abgewiesen. Dagegen ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Die Ablehnung einer Verfahrensunterbrechung kann daher unter dem Gesichtspunkt einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht zur Geltung gebracht werden, sofern nicht ein Fall einer im Gesetz zwingend vorgeschriebenen Unterbrechung vorläge (siehe dazu Fasching II 936 f). Dies ist nicht der Fall und wird auch von den Beklagten nicht behauptet. In der Ablehnung des von den Beklagten gestellten Unterbrechungsantrages kann daher ein Verstoß gegen Prozeßgesetze nicht erblickt werden.

Die Frage, ob eine dem Schluß der Verhandlung in erster Instanz nachfolgende Beseitigung eines rechtskräftig gewesenen Strafurteiles im Wege der Wiederaufnahme des Strafverfahrens auf die Entscheidung des Berufungsgerichtes von Einfluß sein könne, hat das Berufungsgericht richtig dahin beantwortet, daß Urteilsgrundlage der Sachverhalt ist, wie er sich im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz darstellt und daß zufolge der Bestimmung des § 482 ZPO die Überprüfung des Ersturteiles durch das Berufungsgericht - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist, weil Tatumstände und Beweise, die nach Inhalt des Urteiles und der Prozeßakten erster Instanz nicht vorgekommen sind, von den Parteien im Berufungsverfahren nur zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Berufungsgrunde vorgebracht werden dürfen. Neue Tatsachen und Beweismittel zum Anspruch sind ausgeschlossen. Der Umstand, daß das für das Zivilgericht bindende Strafurteil nach Schluß der Verhandlung in erster Instanz aufgehoben wurde, stellt sich als neue Tatsache iS des § 482 ZPO dar, auf die das Berufungsgericht nicht Bedacht nehmen durfte und die auch die Revisionsinstanz nicht berücksichtigen darf (vgl Fasching II Anm 13 zu § 268 ZPO). Durch die Beseitigung des Strafurteiles im Wege der Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird die Bindungswirkung des § 268 ZPO nur für solche Zivilverfahren beseitigt, die in diesem Zeitpunkt noch nicht bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz gediehen sind (siehe Fasching IV Anm 34, letzter Abs zu § 503 ZPO). Die Beseitigung des rechtskräftigen Strafurteiles kann daher ihre Wirkung nur insoweit äußern, als sie - unter den sonstigen Voraussetzungen - zur Grundlage einer Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO gemacht werden kann. Die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Beachtung der Bindungswirkung des § 268 ZPO entspricht daher der Sach- und Rechtslage.

Soweit der Erstbeklagte geltend macht, daß er plötzlich bewußtlos geworden sei und ihn daher kein Verschulden treffe, entfernt er sich vom Sachverhalt, den die Untergerichte ihrer Entscheidung gemäß § 268 ZPO zugrunde zu legen hatten. Das Nichtvorliegen einer Bewußtseinsstörung ist bei einer Verurteilung nach § 335 StG denknotwendig und unterliegt daher der Bindungswirkung des § 268 ZPO (2 Ob 334/67).

Demzufolge mußte den Revisionen ein Erfolg versagt bleiben.

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