Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 617,33 S bestimmten Revisionskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Vorprozess 2 Cg 506/46 des Handelsgerichtes Wien erging wider den Beklagten Rudolf K*****, vertreten durch den mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 17. Jänner 1947 bestellten Prozesskurator Rechtsanwalt Dr. Otto Ka*****, im Sinne des geänderten Klagebegehrens das Urteil vom 17. 1. 1948, mit dem zu Recht erkannt wurde, die zwischen den Streitteilen Josef B***** und Rudolf K***** bestehende offene Handelsgesellschaft werde aufgelöst. Dieses Urteil, dem Prozesskurator am 10. 3. 1948 zugestellt, erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
In der vorliegenden Klage behauptet Josef K*****, vertreten durch seine Gattin Leopoldine K***** als mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wien Innere Stadt vom 19. 12. 1947, GZ 1 P 520/47-2, bestellte Abwesenheitskuratorin, die Kuratorbestellung im Vorprozess sei unzulässig gewesen, weil er "Betroffener" im Sinn der Schutzverordnung vom 4. 12. 1943, DRGBl I S 666 gewesen und das ergangene Urteil nichtig sei, weil der Prozess gemäß Art 1 (1) SchVdg ex lege unterbrochen sei, sofern der Betroffene nicht durch einen Prozessbevollmächtigten oder sonstigen, zur Wahrung seiner Rechte berufenen Vertreter im Verfahren vertreten gewesen sei. Als solcher könne aber ein Prozesskurator nach § 116 ZPO nicht gelten. Überdies sei das Verfahren auch nach Art 3 (3) SchVdg nichtig, weil der Prozesskurator uninformiert war zufolge der kriegsbedingten Unmöglichkeit, sich mit dem vermissten Kläger oder dessen Angehörigen in Verbindung zu setzen, und dass andernfalls eine diesem günstigere Entscheidung erwartet werden konnte. Zugleich bestritt der Nichtigkeitskläger die Richtigkeit der dem Urteil im Vorprozess zugrundegelegten, als wichtiger Auflösungsgrund iSd § 33 HGB gewerteten Tatsachen. Das Klagebegehren ging auf Nichtigerklärung des Urteils des Handelsgerichtes Wien vom 17. 1. 1946, GZ 2 Cg 505/46-10. Eine Erklärung, welche andere Entscheidung in der Hauptsache beantragt werde (§ 536 Z 5 ZPO), enthält das Klagebegehren nicht. Der Beklagte bestritt die Anwendbarkeit der SchutzVdg und das Vorliegen der Anfechtungsgründe nach Art 1 (1), 3 (3) dieser Verordnung und verwies ferner darauf, dass die Abwesenheitskuratorin Leopoldine K***** die an das Handelsgericht Wien gerichtete Eingabe vom 18. 6. 1949 um Bewilligung der Eintragung der Auflösung und Liquidation und das Ansuchen an das Pflegschaftsgericht um pflegschaftsbehördliche Genehmigung dieses Antrages gemeinsam mit dem Beklagten unterfertigt habe, wodurch die seinerzeitige Prozessführung genehmigt wurde. Auch sei die Frist des § 534 ZPO überschritten worden.
Das Erstgericht wies nach Aufnahme von Beweisen (Akten 1 P 520/47 des Bezirksgerichtes Innere Stadt und 2 Cg 505/46 des Handelsgerichtes Wien) die Klage ab, indem es sich der Ansicht des Beklagten betreffend die nachträgliche Genehmigung der Prozessführung durch die oben erwähnten Anträge der Abwesenheitskuratorin, in denen ausdrücklich auf das Urteil im Vorprozess Bezug genommen wird, anschloss.
Der Berufung des Klägers versagte das Berufungsgericht den Erfolg. Gegen diese Entscheidung wendet sich unter Heranziehung des Revisionsgrundes nach § 503 Z 4 ZPO die Revision des Klägers mit dem Antrage sie aufzuheben, und die Sache zur Fortsetzung der Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist unbegründet.
Zwar entspräche dem allein angerufenen Revisionsgrund nur der Abänderungs- nicht der Aufhebungsantrag (GLUnF 2005), allein die Revision will offenbar den Standpunkt vertreten, dass infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der nach dem Inhalt der Prozessakten maßgebende Sachverhalt ohne Verschulden des Revisionswerbers nicht festgestellt erscheine. In diesem Falle müsste der Oberste Gerichtshof freilich auch ohne einen darauf abzielenden Aufhebungsantrag das Urteil des Berufungsgerichtes und allenfalls auch das des Prozessgerichtes aufheben und die Sache zur Behebung des Mangels an die Unterinstanzen zurückweisen (Judikat 230). Die Rechtzeitigkeit der Nichtigkeitsklage erscheint bereits durch die Rekursentscheidung GZ 1 R 265/50-4 vom 29. 3. 1951 zutreffend festgestellt.
Mit Recht bemängelt das Berufungsgericht das Fehlen einer Erklärung nach § 536 Z 5 ZPO. Allein dieses Formgebrechen hätte durch Auftrag zur Verbesserung nach § 84 ZPO behoben werden sollen. Erst bei Vergeblichkeit des Verbesserungsversuches konnte aus diesem Grunde die Klage gemäß § 538 ZPO zurückgewiesen werden (Pollak S 622, SZ VIII/64).
Ob der Kläger zum Kreise der "Betroffenen" iSd Art 1 (2) SchVdg gehört, haben die Untergerichte nicht ausdrücklich geprüft, aber offenbar bejaht, da sonst die nur auf die SchVdg gestützte Nichtigkeitsklage schon aus diesem Grunde abzuweisen gewesen wäre. Die Frage ist aber iSd Art 1 (2) Z 2 zur Verordnung zu bejahen. Auch mit dem behaupteten Nichtigkeitsgrund nach Art 1 (7) Verordnung haben sich die Untergerichte nicht näher auseinandergesetzt, weil sie davon ausgingen, dass die Geltendmachung selbst einer begründeten Nichtigkeit iSd § 477 (Abs 2) und § 529 (Abs 2) ZPO infolge nachträglicher Genehmigung der Prozessführung durch die Abwesenheitskuratorin verwirkt sei. Immerhin kann in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, dass der Oberste Gerichtshof seit längerer Zeit von der ursprünglichen strengen Auslegung des Begriffes des "sonstigen, zur Wahrnehmung der Rechte des Kriegsbetroffenen berufenen Vertreters", wie sie noch in 1 Ob 129/46 ausgesprochen worden war und in der Lehre von Nowak (ÖJZ 1946, S 458) vertreten wird, abgegangen ist. In wiederholten Entscheidungen ist seither die Meinung des Höchstgerichtes dahin formuliert worden, dass diese strenge Auslegung heute nicht mehr geboten und Rechtssuchenden, die gegen Kriegsbetroffene Ansprüche durchsetzen wollen, nicht länger zumutbar ist (1 Ob 53/46, 1 Ob 430/49, 1 Ob 155/50 uam). Der vom Handelsgericht Wien in der Sache 2 Cg 505/46 bestellte Prozesskurator ist darum als ein sonstiger, zur Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen berufener Vertreter anzusehen.
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Anwendbarkeit des Art 3 (3) SchVdg sei schon dadurch ausgeschlossen, dass das im Vorprozess ergangene Urteil nach §§ 500, 502 ZPO anfechtbar gewesen sei, aber nicht im ordentlichen Rechtszuge angefochten wurde, vermag sich der Oberste Gerichtshof allerdings nicht anzuschließen. In 2 Ob 114/50 hat der Oberste Gerichtshof dargelegt, dass diese Vorschrift nur den Sinn haben kann, dass die Nichtigkeitsklage, alle übrigen Voraussetzungen als gegeben angenommen, nur zulässig ist, wenn gegen ein anfechtbares Urteil - und grundsätzlich sind alle Urteile anfechtbar - der behauptete Mangel nicht mit einem solchen Rechtsmittel geltend gemacht werden kann, welches nach seiner in den Prozessgesetzen getroffenen Regelung zur Geltendmachung der infolge des Kriegsgeschehens in I. Instanz unausgeführt gebliebenen tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen geeignet ist. Stand einem solchen Rechtsmittel das Neuerungsverbot des § 482 ZPO entgegen, so ist das Urteil in diesem Umfang als nicht anfechtbar anzusehen. Es kann indessen unerörtert bleiben, ob allenfalls diese Voraussetzungen vorliegend zutreffen, weil der Oberste Gerichtshof der Ansicht der Unterinstanzen, die Nichtigkeitsklage sei verwirkt, beitritt.
Das Gesetz (§ 477 Z 5 und § 529 Abs 1 Z 2 ZPO) lässt eine Verwirkung des Nichtigkeitsgrundes des Mangels des beiderseitigen Gehörs oder der gesetzlichen Vertretung für den Bereich des Rechtsmittelverfahrens wie für den der Nichtigkeitsklage eintreten, wenn die Prozessführung nachträglich von dem unvertretenen oder durch einen nicht legitimierten Vertreter repräsentierten Rechtssubjekt "ordnungsgemäß" genehmigt wird. Nur als Beispiel einer solchen Genehmigung führt § 477 Abs 2 ZPO den Eintritt des gesetzlichen Vertreters in das Berufungsverfahren ohne Geltendmachung des Mangels an. Lehre und Rechtsprechung sind darüber einig (Neumann S 1298, 1409, Sperl 702, Pollak S 105, 621 GLUnF 3052), dass ein bloß passives Verhalten zur Genehmigung zwar nicht hinreiche, dass aber die Nichtigkeit beseitigt ist, wenn die Prozesshandlungen vom gesetzlichen Vertreter des handlungsunfähigen Rechtssubjektes erkennbar genehmigt wurden. Aus dem Gebrauch des Wortes "insbesondere" ergibt sich, dass das Gesetz nur einen praktisch wichtigen Fall einer solchen Genehmigung ins Auge fasste. Sie kann aber auch in jeder anderen Form, prozessual, zB durch Erscheinen bei einer späteren Streit- oder bei der Berufungsverhandlung, oder - lege non distinguente - auch durch ausdrückliche außergerichtliche Erklärung, ja selbst durch konkludente Handlungen iSd § 863 ABGB erfolgen.
Vorliegend hat die Abwesenheitskuratorin des Klägers unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das im Vorprozess erflossene Urteil als Rechtsgrundlage beim Registergericht gemeinsam mit dem gegenwärtigen Beklagten als Mitgesellschafter der durch das Urteil aufgelösten OHG, Auflösung und Liquidation derselben angemeldet (§ 143, 148 HGB) und beim Pflegschaftsgericht um pflegschaftsbehördliche Genehmigung dieses Antrages ersucht. Diesen Anträgen wurde Folge gegeben. Die Klägerin hat demnach den Inhalt des Urteiles 2 Cg 505/46-16 gekannt und gebilligt, indem sie aus ihm die handelsgerichtlich, vorgeschriebenen Folgerungen zog (vgl GLUnF 5704).
Dadurch hat sie in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Klägers die im vorangegangenen Verfahren gesetzten Prozesshandlungen selbst für den Fall gebilligt, als sie mit den nunmehr behaupteten Nichtigkeiten behaftet gewesen sein sollten.
Die Behauptung, sie habe dabei in Unkenntnis der Sach- und Rechtslage gehandelt, hat bereits das Berufungsgericht als unzulässige Neuerung zurückgewiesen.
Ebenso verfehlt ist aber die Behauptung der Revision, die Kuratorin habe so gehandelt, um einen nach der damaligen Sach- und Rechtslage aussichtslosen, kostspieligen Prozess zu vermeiden. Die Sach- und Rechtslage hat sich seit 1949 nicht geändert, die damals in Kraft gestandenen einschlägigen Vorschriften (HGB, NSG, Verbotsgesetz 1947 etc) gelten auch heute noch.
Im Fall einer unbegründeten Weigerung der Kuratorin, die ihr als Vertreterin des Mitgesellschafters Rudolf K***** gemäß §§ 143, 149 HGB obliegende Pflicht zur Anmeldung der mit Urteilsrechtskraft eingetretenen Auflösung der bestandenen OHG sowie ihrer Liquidation zum Handelsregister zu erfüllen, hätte sie vom Handelsgericht mit Ordnungsstrafen gemäß § 14 HGB gezwungen werden können. Daneben besteht aber auch noch eine privatrechtliche Verpflichtung der Gesellschafter gegeneinander, bei der Anmeldung mitzuwirken, die auf dem Gesellschaftsvertrag beruht und durch Klage geltend gemacht werden kann (Schlegelberger S 626, 646). Klagsberechtigt war der Mitgesellschafter, also der heutige Beklagte, und es lässt sich nicht vorhersehen, ob er diesen Prozess angestrengt hätte. Wenn aber die Kuratorin nunmehr versucht, die Grundlagen des früheren Urteils mittels einer Nichtigkeitsklage zu erschüttern, so tut sie eben das, was sie angeblich im Jahre 1949 durch Mitfertigung des Antrages an das Registergericht bzw Pflegschaftsgericht vermeiden wollte: nämlich einen aussichtslosen und kostspieligen Prozess führen. Ihr Verhalten kommt dem wegen Verstoßes gegen die guten Sitten verpönten "recurrere contra se ipsum" gleich und kann nicht zum Erfolg führen.
Der Revision war darum der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO.
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