Spruch:
Die Beurteilung der für eine Mäßigung des Schadenersatzes nach § 2 DHG in Betracht kommenden Umstände hat sich auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung zu beziehen, wobei die Frage des Schadenersatzes dem Gründe nach bis auf weiteres (unter der Voraussetzung gleichbleibender Verhältnisse) geregelt wird
OGH 29. Jänner 1976, 2 Ob 279/75 (OLG Wien 9 R 153/75; KG Korneuburg 2 Cg 378/74)
Text
Der bei der Klägerin pensionsversicherte Karl K wurde bei einem Verkehrsunfall als Mitfahrer in dem von ihm gehaltenen und vom Beklagten, der bei ihm beschäftigt war, gelenkten PKW getötet.
Die Klägerin begehrte zuletzt den Ersatz der von ihr in der Zeit vom 5. November 1969 bis 30. April 1972 an Adele K bezahlten Witwenpension von 2125 S und an minderjährigen Alfred K bezahlten Waisenpension von 5572.20 S insgesamt daher 7697.20 S samt Anhang, gemäß § 109 GSPVG. Außerdem erhob sie ein Feststellungsbegehren.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Nachdem im ersten Rechtsgang die Untergerichte dem Klagebegehren teilweise stattgegeben hatten, hob der OGH mit Beschluß vom 17. Oktober 1974, 2 Ob 137/74 (ONr. 23), diese Urteile auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, weil die Bestimmungen des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes anzuwenden seien. Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht sprach jedoch der Klägerin 3500 S samt 4% Zinsen seit 1. Mai 1972 zu, wies das Zahlungsmehrbegehren ab und stellte fest, daß der Beklagte der Klägerin für den Ersatz aller Pflichtaufwendungen - vorbehaltlich eines richterlichen Mäßigungsrechtes im Sinne des § 2 Abs. 1 DHG - hafte, welche die Klägerin an Adele K und minderjährigen Alfred K zu erbringen haben werde, weil Karl K am 5. November 1969 bei einem vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall den Tod gefunden habe. Die Haftung des Beklagten könne jedoch niemals weitergehend sein, weder der Höhe nach noch in zeitlicher Hinsicht, als die Schadenersatzansprüche wären, die Adele K und der minderjährige Alfred K gegen den Beklagten richten könnten, wenn es den Rechtsübergang nach § 109 GSPVG nicht gäbe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge. Der Revision der Klägerin wurde teilweise dahin Folge gegeben, daß in Abänderung des Berufungsurteils die Entscheidung zu lauten hat:
1. Der Beklagte hat der Klägerin einen Betrag von 3848.60 S samt 4% Zinsen seit 1. Mai 1972 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, daß der Beklagte der Klägerin Ersatz für ihre Pflichtaufwendungen an Adele K und minderjährigen Alfred K wegen des Todes des Karl K zu leisten haben wird, soweit diese Pflichtleistungen in der Hälfte der Schadenersatzansprüche Deckung finden, welche die genannten Hinterbliebenen ohne den Rechtsübergang nach § 109 GSPVG erheben könnten. 3.Das Mehrbegehren an Leistung und Feststellung wird abgewiesen. 4. Die Kosten des gesamten Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Untergerichte sind von folgenden Feststellungen ausgegangen: Der Beklagte war zur Zeit des Unfalles und auch vorher Tankwart in B. Außerdem war er gegen eine Entlohnung von 200 bis 300 S Pro Fahrt für den Bettfedernhändler Karl K als Kraftfahrer tätig. Eine derartige Fahrt wurde auch am 5. November 1969 in das Waldviertel unternommen, wobei der Beklagte den PKW lenkte und Karl K auf dem Beifahrersitz saß. Um 6.00 Uhr früh, als es bereits zu dämmern begann, kamen die beiden auf der Bundesstraße 4 in die Nähe der Ortschaft Z, wo infolge einer Baustelle die Bundesstraße eine leichte Krümmung nach rechts machte. Der Beklagte hatte das Abblendlicht eingeschaltet und fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h. In diesem Augenblick kam ihm ein LKW entgegen, der gleichfalls das Abblendlicht eingeschaltet hatte, aber knapp vor dem entgegenkommenden Beklagten den Scheinwerfer voll aufblendete. Dadurch verlor der Beklagte kurz die Orientierung und stieg auf die Bremse, geriet auf die Gegenfahrbahn und stieß mit dem entgegenkommenden, von Franz F gelenkten LKW zusammen. Beide Fahrzeuge berührten einander mit ihren linken Vorderenden. Karl K wurde tödlich, Franz Beklagte wurden schwer verletzt. Der Beklagte wurde nach § 335 StG rechtskräftig schuldig erkannt, weil er durch Unterlassung der im Verkehr notwendigen Vorsicht und Aufmerksamkeit und durch Nichtbeachtung des Gebotes des Fahrens auf Sicht auf die linke Fahrbahn geraten war. Der Beklagte ist für Gattin und ein Kind sorgepflichtig und bezog zur Unfallszeit einen Nettowochenlohn von
639.95 S. Am 4. April 1975 bezog er einen Nettowochenlohn von 1324.32 S und am 30. Mai 1975 einen solchen von 1529.30 S.
Außer Streit steht, daß die Klägerin Pensionsleistungen an Adele und den mj. Alfred K erbringt und daß in der Zeit vom 5. November 1969 bis 30. April 1972 auf Grund der Leistungen, die Karl K seiner Gattin und seinem Kind erbrachte, hinsichtlich der Witwe ein Deckungsfond von 2125 S und hinsichtlich des Kindes ein solcher von 5572.20 S vorhanden ist, so daß das Leistungsbegehren der Höhe nach mit 7697.20 S unbestritten ist.
Das Erstgericht war der Ansicht, der Unfall sei im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Beklagte geblendet worden sei. Es habe sich daher um ein minderes Verschulden und ein minderes Fehlverhalten, somit um eine entschuldbare Fehlleistung gehandelt. Auf Grund der bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse wäre es unbillig, dem Beklagten den Ersatz der begehrten Leistungen aufzuerlegen.
Das Berufungsgericht meinte aber, eine entschuldbare Fehlleistung müsse schon wegen der strafgerichtlichen Verurteilung verneint werden. Andererseits liege aber auch keine grobe Fahrlässigkeit, sondern bloß ein minderer Grad des Versehens vor. Das Lenken eines Kraftfahrzeuge gehöre zu den schadensgeneigten Tätigkeiten. Besondere Umstände, die eine gänzliche Erlassung des Ersatzes rechtfertigen würden, seien jedoch nicht vorhanden. Daß sich die Größe des Verschuldens mehr einer entschuldbaren Fehlleistung nähere, könne nicht gesagt werden, wenn man berücksichtige, daß der Beklagte nicht auf Sicht gefahren und unaufmerksam gewesen sei. Der Ersatz sei jedoch zu mäßigen, wobei auf das eher bescheidene Einkommen des Beklagten Bedacht zu nehmen sei. Dem Beklagten sei daher ein Ersatz von 3500 S aufzuerlegen, wodurch sein Monatsbezug in der fraglichen Zeit nur um durchschnittlich 100 S belastet werde. Ob diese Leistung durch eine Haftpflichtversicherung gedeckt sei, könne dahingestellt bleiben. Eine allenfalls bestehende Versicherung habe den Betrag zu ersetzen, für den der Beklagte hafte. Erst wenn dieser Betrag feststehe, ergebe sich der Umfang der Ersatzpflicht der Versicherung. Das Bestehen der Versicherung könne daher auf die Höhe der Ersatzpflicht des Beklagten keinen Einfluß haben.
Die Entscheidung über das Feststellungsbegehren biete Schwierigkeiten, weil die Frage des Mäßigungsrechtes nach § 2 Abs. 1 DHG eine solche des Gründes des Anspruches sei, über den Umfang der Mäßigung aber nicht entschieden werden könne. Dafür sei nämlich einerseits die Höhe des nicht feststehenden Gesamtschadens maßgebend, andererseits sei aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten von Bedeutung (SZ 45/42). Die wirtschaftliche Lage des Beklagten zu einer Zeit, in der weitere Ansprüche der Klägerin entstanden sein werden, könne aber nicht beurteilt werden. Es sei daher unmöglich, derzeit über den Umfang der Mäßigung hinsichtlich der künftigen Ansprüche abzusprechen. Dies könne jedoch der Klägerin nicht die Möglichkeit nehmen, ein Feststellungsbegehren zu erheben, denn ein solches diene insbesondere zur Vermeidung der Verjährung sowie zur Verhinderung künftiger Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Gründes des Anspruches. Es bestehe daher nur die Möglichkeit, die grundsätzliche Haftung des Beklagten für künftige Schäden auszusprechen, die Ausübung des Mäßigungsrechtes jedoch einer künftigen Entscheidung über weitere Ansprüche der Klägerin vorzubehalten.
Die Klägerin meint in ihrer Revision, das Berufungsgericht habe das Mäßigungsrecht unrichtig angewendet. Der Beklagte hätte in den 43 Monaten seit Einbringung der Klage genug Zeit und Gelegenheit gehabt, 7700 S für Aufwandersatz zurückzulegen. Überdies gehöre zum Vermögen des Beklagten auch sein Anspruch auf Versicherungsschutz gegen den Haftpflichtversicherer, so daß der Beklagte aus seinem Einkommen überhaupt nichts bezahlen müßte.
Der Beklagte bringt in seiner Revision vor, das Strafurteil besage nichts über den Grad des Versehens. Seine Geschwindigkeit sei nicht wesentlich überhöht gewesen und infolge der Blendung habe er sofort bremsen müssen. Daß die Straße eine Krümmung mache, habe er nicht wissen können. Sein Verschulden sei daher so gering, daß es sich einer entschuldbaren Fehlleistung nähere, weshalb ein völliger Nachlaß des Schadenersatzes gerechtfertigt wäre.
Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung hat das vom Strafgericht geführt hat, zu sein. Die Fahrweise des Beklagten kann nun weder als entschuldbare Fehlleistung noch als grobes Verschulden gewertet werden; sie stellt sich vielmehr als leichtes Versehen dar. Es ergibt sich daher die Frage, ob gemäß § 2 Abs. 1 DHG aus Gründen der Billigkeit der Ersatz zu mäßigen oder mit Rücksicht auf die besonderen Umstände ganz zu erlassen ist. Hiebei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß das Lenken eines Kraftwagens zu den "schadensgeneigten Tätigkeiten" gehört (4 Ob 8/74; 4 Ob 66/73 = Arb. 9153), daß bei der Bemessung des Entgeltes das mit dieser Tätigkeit verbundene Wagnis diesfalls nicht berücksichtigt erscheint, sowie daß sich die Größe des Verschuldens des Beklagten weder mehr einer auffallenden Sorglosigkeit noch einer entschuldbaren Fehlleistung nähert. Ob der Beklagte Versicherungsschutz genießt oder nicht, hat außer Betracht zu bleiben, weil (wie der OGH schon im Aufhebungsbeschluß ONr. 23 angedeutet hat) nach den Erläuternden Bemerkungen zu § 2 der Regierungsvorlage des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (631 BlgNR X. GP) das Bestehen einer solchen Versicherung nicht dafür maßgebend sein kann, ob bzw. in welcher Höhe ein Schadenersatzanspruch gegen den Dienstnehmer besteht. In Erwägung aller Umstände erscheint es daher billig, dem Beklagten die Hälfte des Schadenersatzes aufzuerlegen. Da sich die Beurteilung der für eine Mäßigung des Schadenersatzes in Betracht kommenden Umstände auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung zu beziehen hat und daher die Frage des Schadenersatzes dem Gründe nach bis auf weiteres (unter der Voraussetzung gleichbleibender Verhältnisse) geregelt wird, war das Feststellungsurteil dementsprechend zu fassen.
Da sich im ganzen gesehen Erfolg und Mißerfolg beider Parteien in etwa die Waage halten, war nach § 43 Abs. 1 ZPO auszusprechen, daß die Prozeßkosten aller Instanzen gegenseitig aufgehoben werden.
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