OGH 2Ob278/02z

OGH2Ob278/02z21.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarethe S*****, vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Johann K*****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 6.689,68 sA und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 2. Juli 2002, GZ 4 R 76/02b-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 25. Jänner 2002, GZ 5 Cg 175/99b-22, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes im Umfang seiner Anfechtung - sohin hinsichtlich des klagsstattgebenden Teiles und der Kostenentscheidung - aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes in diesem Umfang aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin fuhr am 23. 6. 1999 gegen 11.30 Uhr mit ihrem Fahrrad auf einem Radweg aus Salzburg kommend in Richtung Hallein. Auf der Höhe des Anwesens A***** kam sie zu Sturz und verletzte sich schwer. Sie begehrt die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 148.625,--, und den Ersatz von Fahrtkosten von S 475,-- mit der Begründung, sie sei in der Mitte des Radweges gefahren, als völlig überraschend von links ein Huhn des Beklagten in ihr Vorderrad geflogen sei. Das Alleinverschulden treffe den Beklagten, weil er es unterlassen habe, die Hühner entsprechend zu verwahren.

Der Beklagte bestritt dass ein ihm gehörendes Huhn die Klägerin zu Sturz gebracht habe. Überdies wendete er ein, die Klägerin habe eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und es an der nötigen Aufmerksamkeit fehlen lassen. Er habe seine Hühner ordnungsgemäß verwahrt und beaufsichtigt. Außerdem habe er sie durch Stutzen der Federn flugunfähig gemacht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im Wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Die ortskundige Klägerin fuhr mit einer Geschwindigkeit von 15 bis 17 km/h, etwas nach rechts versetzt, ca 2 m hinter ihrem Ehemann. Der Radweg ist im Bereich der Unfallstelle rund 2 m breit. In Fahrtrichtung der Klägerin gesehen grenzt links an den Weg ein schmaler Grasstreifen und danach eine mit Sträuchern und Bäumen dicht bewachsene Böschung an, rechts befindet sich zwischen dem Weg und dem Anwesen des Beklagten eine Wiese, auf der er seine Hühner frei laufen ließ. Als sich die Klägerin der Unfallstelle näherte, befanden sich 10 bis 20 Hühner des Beklagten auf der Wiese, weshalb sie nach rechts blickte und ihre Aufmerksamkeit auf diese Tiere richtete. Die Sicht auf den Weg war durch die der Klägerin entgegen scheinende Mittagssonne und einen starken Schlagschatten beeinträchtigt. Plötzlich ertönte Hühnergekreische bzw Gegacker aus dem Böschungsbereich (links) und näherte sich ein dunkelfarbiges Huhn aus dieser Richtung. Dieses lief auf die Fahrbahn, flatterte auf und traf in einer Höhe von ca 30 cm das Vorderrad der Klägerin. Es handelt sich um ein Huhn des Beklagten. Die Klägerin kam zu Sturz und brach sich den Oberarm. Sie erlitt durch die Verletzung 5 Tage starke, 10 Tage mittelstarke und gerafft 10 Wochen leichte bis abklingende Schmerzen. Die Dauerfolgen werden 6 Wochen leichte Schmerzen verursachen. Für den Transport mit dem Roten Kreuz musste die Klägerin EUR 34,52 auslegen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, vom Beklagten könne nicht erwartet werden, seine Tiere durch Käfige oder Umzäunung vom Radweg fernzuhalten. Die Klägerin habe vielmehr den Unfall selbst verschuldet, weil sie trotz der von ihr wahrgenommenen freilaufenden Hühner und einer Sichtbehinderung durch Licht und Schlagschatten mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 15 bis 17 km/h gefahren sei und ihr Augenmerk nur nach rechts gerichtet habe.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass der Beklagte zur Zahlung von EUR 6.689,68 sA verurteilt und ausgesprochen wurde, er hafte der Klägerin für zwei Drittel aller künftigen Schäden aus dem Unfall vom 23. 6. 1999. Das Mehrbegehren auf Zahlung von EUR 4.145,84 samt Zinsen sowie das Feststellungsmehrbegehren im Umfang eines weiteren Drittels wurden abgewiesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige insgesamt EUR 20.000,--, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, dass für einen Kraftfahrer ein Huhn nur dann zur Gefahr werde, wenn er unsachgemäß reagiere und, anstatt es zu überfahren, sein Fahrzeug verreiße oder eine Notbremsung einleite. Ein Radfahrer hingegen sei durch frei herumlaufende Hühner unmittelbar gefährdet, weil er von einem Huhn zu Sturz gebracht werden und sich dabei schwer verletzen könne. Wenn eine geschlossene Verwahrung von Hühnern schon zum Schutz von Kraftfahrern verlangt werden könne, dann umso mehr zum Schutz der viel stärker gefährdeten Radfahrer.

Daraus folge, dass der Beklagte dadurch, dass er seine Hühner im Bereich des Radweges frei herumlaufen lassen habe, gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwahrung der Tiere (§ 1320 ABGB) verstoßen habe. Allerdings treffe die Klägerin ein nicht zu vernachlässigendes Mitverschulden, weil sie trotz Erkennens der Gefahr und der Sichtbehinderung durch die Sonne ihre "normale" Fahrgeschwindigkeit nicht vermindert habe. Das Verschulden des Beklagten überwiege jenes der Klägerin, weil er die Gefahrensituation, die zum Unfall geführte habe, geschaffen habe.

Eine Schadensteilung von 2 : 1 zu Gunsten der Klägerin sei angemessen. Die Verletzungen der Klägerin rechtfertigten ein Schmerzengeld von EUR 10.000,--. Zuzüglich der Transportkosten von EUR 34,52 bestehe ihr Anspruch der Höhe nach mit EUR 10.034,52 zu Recht. Zwei Drittel hievon seien EUR 6.689,68 die ihr in teilweiser Stattgebung der Berufung zuzusprechen seien. Auch dem Feststellungsbegehren sei auf Grund der Dauerfolgen im Umfang von zwei Dritteln stattzugeben.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil die Frage, wie Hühner in der Nähe eines Überland-Radweges zu verwahren seien, angesichts der gestiegenen Beliebtheit des Radfahrens von allgemeiner Bedeutung sei. Da hiezu eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle, seien die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO gegeben.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Der Beklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, zwischen Kraftfahrzeugen und Fahrrädern bestehe in der Haftungsfrage ein fundamentaler Unterschied. Die Gefahren, die mit dem motorisierten Straßenverkehr verbunden seien, könnten keineswegs mit denen von Fahrrädern verglichen werden. In der Entscheidung ZVR 1983/59 habe der Oberste Gerichtshof ausgeführt, dass ein Kraftfahrer in ländlichen Gegenden mit der Anwesenheit von Federvieh auf wenig frequentierten Straßen zu rechnen habe. Ein Kraftfahrzeug unterwerfe den Halter von Federvieh einer strengeren Haftung, weil es eine höhere Geschwindigkeit fahre. Es müsse daher in der Nähe von mit Kraftfahrzeugen stark frequentierten Straßen ein anderer Verwahrungsmaßstab angelegt werden, als in ländlichen Gegenden, wo lediglich ein Radfahrweg führe und wo sich nur Radfahrer und Fußgänger aufhielten. Würde man den Haftungsmaßstab des Berufungsgerichtes anlegen, müsste man von einem Landwirt, welcher Eigentümer eines Waldgrundstückes in der Nähe einer stark befahrenen Straße sei, verlangen, dass er dieses zur Gänze umzäune, um zu verhindern, dass eben dort lebende Tiere die Straße kreuzten. Deshalb habe der Oberste Gerichtshof auch in der Entscheidung ZVR 1983/59 ausgeführt, dass von freigelassenen Turkenten weder eine besondere Gefahr ausgehe, noch durch deren seinerzeitige Freilassung etwa eine neuartige, ansonsten nicht vorhandene Gefahr für den Straßenverkehr geschaffen worden sei. Die von den freigelassenen Turkenten ausgehenden Gefahren seien nicht anders zu beurteilen als jene, die von anderen frei lebenden Tieren ausgingen. Dazu komme, dass die Klägerin seit vielen Jahren mehrmals wöchentlich den gleichen Weg befahre und auch Ortskenntnis gehabt habe, insbesondere hätte sie auch wissen müssen, dass sich eben dort frei laufende Hühner befinden. Die Klägerin hätte ebenso zu Sturz kommen können, wenn ihr eine Ente, ein Fuchs oder eine Turkhenne in das Fahrrad hineingelaufen wäre. Wenn sich auch in den letzten Jahren der Radfahrverkehr verstärkt habe, bedeute dies nicht, dass Tiere, welche sich in ländlicher Gegend aufhielten, versperrt und entfernt werden müssten, um umvorsichtigen Radfahrern jegliche Selbstverantwortung und Vorsicht zu nehmen. Eine Rechtsprechung dahingehend, dass in ländlichen Gegenden, wo sich nicht einmal eine verkehrsfrequentierte Straße befinde, sondern nur ein Radfahrweg verlaufe, Hühner aus dem Grund eingesperrt werden müssten, weil sich Radfahrer dadurch gefährdet fühlten, müsse hintangehalten werden.

Überdies sei auch der vom Berufungsgericht herangezogene Haftungsmaßstab von 2 : 1 zu Gunsten der Klägerin nicht angemessen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmung des § 81 Abs 2 StVO (Weiden auf nicht abgezäunten Grundstücken) nicht für Federvieh gilt (SZ 41/161).

Gemäß § 1320 ABGB ist im Falle einer Beschädigung durch ein Tier derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Welche Verwahrung oder Beaufsichtigung erforderlich ist, richtet sich nach den dem Tierhalter bekannten oder erkennbaren Eigenschaften des Tieres und den jeweiligen Umständen (RIS-Justiz RS0030058; Reischauer in Rummel2, ABGB, § 1320 Rz 12 mwN). Was die Haltung von Hühnern betrifft, hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung EvBl 1961/361 = JBl 1961, 598 ausgeführt, es könne einem Landwirt im Allgemeinen nicht zugemutet werden, seine Hühner dauernd in umzäunten Höfen zu halten, um zu verhindern, dass sie auf die Straße gelangen. Diese Ansicht kann aber in dieser generellen Form nicht mehr aufrechterhalten werden. Da sich der Straßenverkehr gegenüber früheren Jahren auch in ländlichen Gebieten erheblich verstärkt hat, müssen Hühnerhalter grundsätzlich im Interesse der Verkehrssicherheit Vorkehrungen für das Fernhalten der Hühner von der Straße treffen (vgl Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess23, 555 f). In diesem Sinne wurde auch schon in der Entscheidung ZVR 1961/249 ausgeführt, dass der Kraftfahrer mit der Anwesenheit von Federvieh nur auf wenig frequentierten Straßen zu rechnen habe. "Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn Tierhalter in der Nähe einer Straße mit größerem Verkehr gegen das unvermutete, verkehrsbehindernde Auftauchen von Tieren in der Fahrbahn nichts unternähmen". Schließlich hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 41/161 dargelegt, dass Hühner, die auf der Straße laufen, auch für die Kraftfahrer eine Gefahrenquelle darstellen, weil sie diese zu unbedachten Reaktionen veranlassen können oder weil ein auffliegendes Huhn den Wagen beschädigen könne. Diese Gefahr sei umso größer, je näher der Straße die Hühner gehalten würden. Man müsse deshalb vom Hühnerhalter, dessen Haus nahe an einer einigermaßen häufig befahrenen Straße stehe, verlangen, dass er seine Hühner von der Straße fernhalte (vgl die Darstellung der Rsp bei Oberhofer, Tierhalterhaftung im ländlichen Bereich, ZVR 1996, 66 [69]). An dieser differenzierenden Rechtsprechung, wonach auf die Verkehrsdichte abzustellen ist, ist festzuhalten und zwar auch dann, wenn sich die Hühner in der Nähe eines Radweges aufhalten. Es kann zwar nicht gesagt werden, dass von Hühnern neben einem Radweg eine größere Gefahr ausgeht, als neben einer für den Verkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmten Straße. Wohl kann ein KFZ-Lenker eine Huhn ohne Gefahr für sich oder andere überfahren, doch kann ein auffliegendes Huhn den Wagen beschädigen und sind im Falle, dass der Lenker sein Fahrzeug verreißt die davon ausgehenden Gefahren größer. Dies ändert aber nichts daran, dass freilaufende Hühner für Radfahrer eine erhebliche Gefahr darstellen können. Es kann daher selbst im ländlichen Bereich von einer Verwahrung der Hühner nur dann abgesehen werden, wenn die Verkehrsfrequenz (sei es mit Rädern, sei es mit Kraftfahrzeugen) sehr gering ist (vgl hiezu auch Reischauer, aaO, § 1320 Rz 16). Diese Frage wurde mit den Parteien aber nicht erörtert, weshalb das Verfahren an einem Mangel leidet, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindert. Die in der Revision zitierte Entscheidung ZVR 1983/59 kann zur Beurteilung des gegenständlichen Rechtsfalles allerdings nicht herangezogen werden. Sie betrifft die Frage, ob der, der Turkenten eine Zeit lang verwahrt und dann frei lässt, als Tierhalter anzusehen ist. Dass von frei lebenden Tieren Gefahren ausgehen, ist evident, das stellt aber keinen Freibrief für Tierhalter in ländlichen Gebieten, wo es frei lebende Tiere gibt, dar.

Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren die Frage der Verkehrsfrequenz zu erörtern und bei widersprechenden Vorbringen darüber Tatsachenfeststellungen zu treffen haben.

Im Übrigen aber - sollte die Haftung des Beklagten bejaht werden - bestehen gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung keine Bedenken.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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