OGH 2Ob271/71

OGH2Ob271/7127.1.1972

 

Spruch:

Ein rechtskräftiges Feststellungserkenntnis schaltet die Einrede der Verjährung ‑ abgesehen von wiederkehrenden Leistungen ‑ für die Dauer von 30 Jahren aus

OGH 27. 1. 1972, 2 Ob 271/71 (OLG Wien 4 R 113/71; LGZ Wien 28 Cg 17/71)

Text

Am 6. 10. 1962 erlitt der bei der Klägerin sozialversicherte Walter S einen vom Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall. Auf Grund einer von der Klägerin am 7. 4. 1964 eingebrachten Klage wurde mit Urteil des LG für ZRS Wien vom 31. 3. 1965, 27 Cg 77/64‑10, festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin für zwei Drittel aller Pflichtaufwendungen hafte, die die Klägerin aus Anlass dieses Unfalles dem Walter S zu erbringen habe, insoferne diese Leistungen im Schaden Deckung fänden, dessen Ersatz der Versicherte Walter S vom Beklagten selbst fordern könnte. Dieses Urteil erwuchs mit 28. 4. 1965 in Rechtskraft.

In der am 15. 1. 1971 eingebrachten Klage behauptete die Klägerin, ihr Versicherter Walter S sei auf Grund seiner Unfallsverletzungen wieder erkrankt. Die Klägerin habe daher in der Zeit vom 7. 10. 1964 bis 21. 9. 1970 für ihn verschiedene Leistungen im Betrage von 53.547,32 S erbracht. Die Klägerin begehrte daher den Ersatz von zwei Dritteln dieser Aufwendungen, also 35.698,22 S sA.

Der Beklagte anerkannte seine Zahlungsverpflichtung hinsichtlich eines Betrages von 10.588,21 S, das sind zwei Drittel der von der Klägerin nach dem 14. 1. 1968 erbrachten Leistungen. Im Übrigen bestritt der Beklagte das Klagsvorbringen und wendete ein, dass sämtliche bis einschließlich 14. 1. 1968 von der Klägerin erbrachten Leistungen verjährt seien.

Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Teilurteil 10.588,21 S zu und wies das Begehren nach weiteren 22.884,66 S sA ab. Über den der Klägerin unterlaufenen Rechenfehler und die Schadenspost „Blutspendegebühren“ wurde nicht abgesprochen.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob den abweisenden Teil des Ersturteils auf und verwies die Rechtssache insoweit unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Erstgericht gelangte zur teilweisen Abweisung des Klagebegehrens, weil es meinte, die Verjährung sei zwar mit dem Tage der Einbringung der Feststellungsklage (7. 4. 1964) unterbrochen worden, nach Beendigung des Unterbrechungszeitraums bezüglich der Einzelansprüche betrage aber die neu angelaufene Verjährungszeit gemäß § 1489 ABGB drei Jahre. Ob die Verjährung mit Rechtswirksamkeit (14. 4. 1965) oder mit Rechtskraft des Feststellungsurteils (28. 4. 1965) zu laufen begonnen habe, könne dahingestellt bleiben, weil vom Beklagten die nach dem 14. 1. 1968 erbrachten Leistungen anerkannt worden seien.

Das Berufungsgericht war hingegen der Ansicht, dass zufolge des Feststellungsurteils Verjährung der Klagsansprüche nicht eingetreten sei.

Der Rekurswerber vertritt den Standpunkt, die Verjährungsfrage müsse für jenen in Zukunft entstehenden Anspruch gesondert nach den für solche Ansprüche grundsätzlich anzuwendenden Gesetzesstellen beurteilt werden. Da für Schadenersatzforderungen eine dreijährige Verjährungsfrist gelte, beginne der Lauf dieser Frist mit dem Zeitpunkt der von der Klägerin gemachten Aufwendungen.

Dieselbe Ansicht wie der Rekurswerber vertrat in der Bundesrepublik Deutschland Wurz in NJW 1960, 470, stieß aber auf Ablehnung. Aus § 218 Abs 1 BGB, der für Judikatschulden eine dreißigjährige Verjährungsfrist vorsieht, wird nämlich abgeleitet, dass durch eine Klage auf Feststellung der Haftung des Beklagten für künftigen Schaden der ganze Schaden rechtshängig geworden sei und die Verjährung unterbrochen werde; der festgestellte Anspruch unterliege der dreißigjährigen Verjährung (Geigel, Haftpflichtprozeß[14], 11, 68; Staudinger, BGB[11] § 218 RZ 2, Münzberg, Feststellungsurteil und Verjährung einzelner Unfallsfolgen, NJW 1960, 1604). Die rechtskräftige Feststellung ersetze jede andere Verjährungsfrist (außer für wiederkehrende Leistungen) durch die von Rechtskraft an laufende dreißigjährige (Palandt, BGBl[30] Anm 1 zu §§ 218, 219). Ansprüche aus neuen, nach dem Feststellungsurteil auftretenden Schadensfolgen verjährten daher nach § 218 Abs 1 BGB (Soergel‑Siebert, BGB[10] Anm 3 zu § 218).

Die mit der deutschen in dieser Hinsicht völlig übereinstimmende österreichische Gesetzeslage gestattet keine anderen Schlussfolgerungen: Klang in Klang[2] VI 609, 638, lehrt, dass auch Feststellungsurteile unter die dreißigjährige Verjährungsfrist für Judikatschulden nach der JMV, RGBl 1858/105, fallen; es lasse sich daher nicht behaupten, dass nach einem Urteil, welches die Schadenersatzpflicht nur dem Grunde, nicht der Höhe nach feststellte, für die Klage auf Leistung eines ziffernmäßigen Ersatzbetrages die dreijährige Verjährungsfrist gelte. Das Feststellungsurteil lässt also den festgestellten Schadenersatzanspruch erst nach 30 Jahren verjähren (anderes gilt nur für die Feststellung der Haftung für künftig wiederkehrende Leistungen, ZVR 1971/103). Wäre der Auffassung des Rekurswerbers in der Verjährungsfrage zu folgen, dann käme einem Feststellungserkenntnis erst recht wieder nur eingeschränkte Wirkung zu; es müsste immer zur Beurteilung der Verjährungsfrage der Eintritt der Fälligkeit weiterer Ansprüche geprüft werden. Gerade das soll aber durch das Feststellungsurteil aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden (ZVR 1966/282). Es ist aber festzuhalten, dass das Vorhandensein eines rechtskräftigen Feststellungserkenntnisses die Einrede der Verjährung (abgesehen von wiederkehrenden Leistungen) für die Dauer von 30 Jahren grundsätzlich ausschaltet.

Da sich somit die dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zugrundeliegende Rechtsansicht als zutreffend erweist, war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

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