OGH 2Ob262/82

OGH2Ob262/821.2.1983

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj Ägidius S*****, vertreten durch seinen Vater und gesetzlichen Vertreter Hermann S*****, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Partei 1.) Helmut T*****, und 2.) D*****Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Max Siebenhofer, Rechtsanwalt in Judenburg, wegen Feststellung (Streitwert 65.000 S), infolge (richtig:) Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 22. September 1982, GZ 4 R 129/82-24, womit das Urteil des Kreisgerichts Leoben vom 4. Juni 1982, GZ 9 Cg 92/82-18, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem - unrichtig als Revision bezeichneten - Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die „Revisionsbeantwortung“ wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Die Kosten der „Revisionsbeantwortung“ hat der Kläger selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 21. 7. 1980 gegen 18:00 Uhr ereignete sich auf der Bundesstraße 114 bei Kilometer 7,6 im Gemeindegebiet von H***** ein Verkehrsunfall, an dem der damals im 14. Lebensjahr stehende Kläger als Radfahrer und der Erstbeklagte als Lenker seines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs beteiligt waren. Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad auf der abfallenden Straße talwärts und stieß bei der Begegnung mit dem Fahrzeug des Erstbeklagten gegen dessen Front. Er wurde dabei schwer verletzt. Das gegen den Erstbeklagten wegen dieses Unfalls eingeleitete Strafverfahren endete mit einem Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO.

Der Kläger verlangt die Feststellung der Haftung der Beklagten für seine sämtlichen Unfallschäden mit der Behauptung, der Erstbeklagte sei wegen überhöhter Fahrgeschwindigkeit mit seinem Fahrzeug auf die linke Fahrbahnhälfte geraten und dort gegen den Kläger gestoßen. Neben dem Alleinverschulden werde auch die Haftung der Beklagten nach dem EKHG geltend gemacht. Zufolge der schweren Verletzungen des Klägers bestünden noch gesundheitliche Schäden körperlicher und geistiger Art und sei das Zurückbleiben von Dauerfolgen zu befürchten.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung mit der Behauptung des Alleinverschuldens des Klägers, der dem Erstbeklagten mit hoher Geschwindigkeit deutlich auf der linken Fahrbahnhälfte entgegenkommen und erst auf so kurze Entfernung erkennbar gewesen sei, dass der Erstbeklagte in Form einer verständlichen Reflexhandlung nach links ausgewichen sei, den Anstoß aber trotz Bremsen nicht mehr habe verhindern können. Da die Schadenersatzansprüche des Klägers bereits mit Leistungsklage geltend gemacht werden könnten und auch keine Dauerfolgen bestünden, fehle das Feststellungsinteresse.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil insoweit, als damit ein Klagebegehren auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für aus dem Unfall vom 21. 7. 1980 in H***** dem Kläger bereits entstandene Schäden abgewiesen wurde, als Teilurteil. Im Übrigen, das ist hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei auch für künftige Schäden des Klägers aus dem genannten Unfall, wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache im Umfange der Aufhebung an das Prozessgericht erster Instanz zur Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dies unter Rechtskraftvorbehalt.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts erheben die beklagten Parteien ein als „Revision“ bezeichnetes Rechtsmittel wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Aufhebungsbeschlusses im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete eine „Revisionsbeantwortung“ mit dem Antrag, der Revision („wohl richtiger Rekurs“) nicht Folge zu geben.

Das Rechtsmittel gegen Beschlüsse ist gemäß § 514 ZPO der Rekurs. Es verwehrt aber die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels nicht dessen gesetzmäßige Behandlung. Anträge auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils in einem Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss sind zwar verfehlt, hindern aber ebenfalls die sachliche Erledigung des Rekurses nicht. Das Rekursverfahren ist im Zivilprozess grundsätzlich ein einseitiges Verfahren. Gegenschriften zu einem Rekurs sind daher unzulässig. Die „Revisionsbeantwortung“ war deshalb zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der unrichtig bezeichnete, aber zulässige Rekurs ist jedoch nicht berechtigt.

Das Erstgericht stellte den in den Seiten 4 bis 7 seiner Entscheidung (= Seite 72 bis 75 des Aktes) enthaltenen Sachverhalt fest und ferner, dass der Unfall unterblieben wäre, wenn das Fahrzeug des Erstbeklagten im Zuge der Abbremsung seine Fahrlinie beibehalten hätte und nicht nach links gelenkt worden wäre, da es dem Kläger dann gelungen wäre, an der linken vorderen Ecke des Fahrzeugs des Erstbeklagten gerade noch vorbeizukommen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass das Linkslenken des Erstbeklagten zwar fahrtechnisch unrichtig, jedoch durch das vorschriftswidrige Kurvenschneiden des Klägers ausgelöst worden sei, dem Erstbeklagten daher nicht als verschulden angelastet werden könne. Es bestehe daher auch keine Haftung der Beklagten. Da die bereits eingetretenen Schäden schon mittels Leistungsklage geltend gemacht werden könnten und im Übrigen derzeit keine Verjährung drohe, wäre, da der volle Schaden noch nicht bekannt sei, das Feststellungsbegehren auf die Haftung für künftige Unfallsfolgen einzuschränken gewesen. Auch aus diesem Grund sei die Klage abzuweisen.

In der Begründung des Aufhebungsbeschlusses erwog das Berufungsgericht, die Frage nach der Haftung der Beklagten könnte dann schon abschließend gelöst werden, wenn feststünde, dass der Erstbeklagte zur Unfallszeit auch Halter des von ihm gefahrenen und zugegebenermaßen ihm gehörenden Fahrzeugs war. Dies stehe aber ebensowenig fest wie der Umstand, dass die behaupteten künftigen Unfallsfolgen nicht ausschließbar seien. In diesen Belangen sei somit das erstgerichtliche Verfahren ergänzungsbedürftig.

Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts im Übrigen als unbedenklich und ausreichend und billigte auch die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass ein Verschulden des Erstbeklagten an der Herbeiführung des Unfalls nicht gegeben sei. Nach den den erstgerichtlichen Feststellungen über Unfallspunktlage, Bremsentschlussort und eingehaltene Fahrgeschwindigkeit zugrundeliegenden Sachverständigenausführungen habe der Erstbeklagte prompt auf die erste Sicht hin mittels Bremsen reagiert. Dass er sich in dieser kurzen Reaktionszeit auch zum Linksausweichen entschlossen habe, sei deshalb nicht schuldhaft, weil im Hinblick auf die Kürze der Entfernung zum Kläger für weitere Überlegungen, welche Reaktion der Unfallsvermeidung dienlicher wäre, nicht mehr Zeit geblieben sei und eine Ausweichlenkung mit gebremsten Rädern, also nach der Bremsreaktion auch nicht mehr wirksam hätten werden können. Das Verschulden liege daher allein beim Kläger, der § 7 Abs 2 StVO missachtet habe. Trotzdem müsste es - die sonstigen oben erwähnten Voraussetzungen für eine Klagsstattgebung unterstellt - hinsichtlich der zweitbeklagten Partei jedenfalls und hinsichtlich der erstbeklagten Partei dann zu einer Haftung kommen, wenn die Haltereigenschaft des Erstbeklagten festgestellt werden könnte. Um von jeder Haftung frei zu sein, hätten die Beklagten nach § 9 Abs 2 EKHG beweisen müssen, dass der Erstbeklagte jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet habe. Diese Sorgfalt habe der Erstbeklagte aber nicht beachtet, da ein Linksausweichen zwar eine entschuldbare, aber doch eine Fehlreaktion darstelle, die einem die äußerste Sorgfalt beobachtenden Kraftfahrer, der erkannt hätte, dass ein Rechtsausweichmanöver oder ein bloßes Abbremsen zielführender sei, nicht unterlaufen wäre. Die zweitbeklagte Partei, die auch für die Haftpflicht des Halters einzutreten habe, würde daher auf jeden Fall, der Erstbeklagte dann, wenn er Fahrzeughalter war, für die von seinem Fahrzeug, das mit 60 km/h auf einer unübersichtlichen und nicht allzu breiten Fahrbahn gelenkt wurde, ausgehende Betriebsgefahr, der iSd § 7 EKHG das Verschulden des Klägers gegenüberzustellen wäre, haften. Das Verschulden unmündiger Minderjähriger sei grundsätzlich milder zu beurteilen als das Erwachsener. Jedoch sei der Kläger nahe der Müdigkeitsgrenze und gemäß § 65 Abs 1 StVO (Alter über 12 Jahre) befugt gewesen, auf öffentlichen Straßen ein Fahrrad zu lenken. Damit traue der Gesetzgeber solchen Kindern ein verkehrsgerechtes Verhalten zu, das von den übrigen Verkehrsteilnehmern in der Regel auch erwartet werden könne. Insbesondere das Rechtsfahrgebot sei eine einfache und weithin auch Kindern geläufige Verkehrsregel, deren Verletzung durch einen gerade noch unmündigen Verkehrsteilnehmer nicht vernachlässigt oder auch nur gering gewertet werden könnte. Das Berufungsgericht würde im Falle der von der Klärung der Frage des Feststellungsinteresses und der Haltereigenschaft des Erstbeklagten abhängenden Haftung beider beklagten Parteien iSd § 7 EKHG und des § 1304 ABGB eine Schadensteilung von 1 : 1 als dem Verschulden des Klägers und der Gefährlichkeit des Fahrzeugs des Erstbeklagten entsprechend erachten.

Die beklagten Parteien beschränken sich in ihrem Rekurs darauf, das Verhalten des Klägers als ein für den Erstbeklagten unabwendbares Ereignis darzustellen, und geltendzumachen, dass der Erstbeklagte jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet habe. Ausschließlich der Kläger habe die Gefahrenlage geschaffen, der gegenüber der Erstbeklagte im Reflex lediglich eine Rettungshandlung gesetzt habe.

Die beklagten Parteien vermögen indes eine dem Aufhebungsbeschluss etwa anhaftende unrichtige rechtliche Beurteilung nicht aufzuzeigen. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die nach § 9 Abs 2 EKHG gebotene äußerste Sorgfalt, deren Außerachtlassung den Halter der Rechtswohltat der Befreiung von der Gefährdungshaftung verlustig gehen lässt, nur dann beobachtet ist, wenn der Fahrzeuglenker eine über die gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehende, besonders überlegende Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht gezeigt hat. Es ist auch richtig, dass dies beim Erstbeklagten nicht der Fall war. Bei gewissenhafter Überlegung iSd § 9 Abs 2 EKHG musste der Erstbeklagte nämlich in Betracht ziehen, dass der die Kurve schneidende Radfahrer im Zuge dieses seines Manövers je nach dem Maße seiner Entfernung vom Scheitelpunkt der „geschnittenen“ Kurve auf seine rechte Fahrbahnhälfte zurück zu gelangen trachten werde, wie dies auch dem weiteren Ablauf des Unfallgeschehens entsprach. Der Entlastungsbeweis iSd § 9 Abs 2 EKHG wurde daher von den beklagten Parteien nicht erbracht, weshalb deren Haftung - die noch festzustellende Haltereigenschaft des Erstbeklagten vorausgesetzt - nach dem EKHG zu bejahen ist.

Gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung wenden sich die beklagten Parteien nicht ausdrücklich. Sie wird jedoch vom Obersten Gerichtshof - im Zuge der Überprüfung des Aufhebungsbeschlusses nach allen rechtlichen Gesichtspunkten aufgrund der erhobenen Rechtsrüge - gebilligt.

Dem Rekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Der Vorbehalt der Rekurskosten beruht auf § 52 ZPO, die Entscheidung über die Kosten der „Revisionsbeantwortung“ auf §§ 40, 50 ZPO.

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