OGH 2Ob260/99w

OGH2Ob260/99w5.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jochen P*****, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, wider die beklagten Parteien 1. Udo R*****, 2.***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr. Ulrich Polley, Rechtsanwalt in Klagenfurt, 3. Thomas S***** und 4. I***** Versicherungs-AG, ***** letztere vertreten durch Dr. Gernot Schreckeneder, Rechtsanwalt in Zell am See, wegen S 134.750,37 sA, infolge Revision der erst- und zweitbeklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 19. Mai 1999, GZ 4 R 49/99d-38, womit infolge Berufung des Klägers und der erst- und zweitbeklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 20. November 1998, GZ 22 Cg 17/98m-25, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 19. 5. 1997 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger, der Erstbeklagte und der Drittbeklagte je als Halter und Lenker eines Motorrades sowie ein entgegenkommender PKW beteiligt waren. Das Motorrad des Erstbeklagten ist bei der zweitbeklagten Partei, jenes des Drittbeklagten bei der viertbeklagten Partei haftpflichtversichert. Die Unfallsstelle befindet sich in einer in Fahrtrichtung der Motorräder gesehen engen Rechtskurve einer 6,3 m bereiten, asphaltierten Straße. Der den Motorrädern entgegenkommende PKW fuhr mit 30 bis 40 km/h. Der Erstbeklagte, der Drittbeklagte und der Kläger fuhren in einer lockeren Kolonne mit einer Geschwindigkeit zwischen 45 und 50 km/h. Der Drittbeklagte fuhr in einem Abstand von 40 m hinter dem Erstbeklagten, der Kläger mit einem solchen von 30 bis 35 m hinter dem Drittbeklagten. Als der Erstbeklagte den entgegenkommenden PKW sah, erschrak er und bremste sowohl mit der Fuß-, als auch mit der Handbremse. Dadurch stellte sich sein Motorrad auf. Er geriet über die Fahrbahnmitte und streifte mit dem linken Lenkerende den entgegenkommenden PKW. Der Drittbeklagte erkannte zunächst, daß der Erstbeklagte genau auf Kollisionskurs mit dem PKW war. Aus diesem Grunde betätigte er sowohl Fuß-, als auch Handbremse. Daraufhin brach das Vorderrad weg, das Motorrad rutschte davon und kollidierte mit dem PKW. Der Kläger sah den Sturz des Drittbeklagten nicht. Als er sich der späteren Unfallstelle näherte, sah er das stehende Auto und das davor liegende Motorrad des Drittbeklagten und diesen in sitzender Haltung. Er reagierte darauf mit einer Bremsung des Vorder- und Hinterrades, worauf beide Räder ausbrachen. Der Kläger schlitterte daraufhin mit seinem Motorrad gegen den PKW. Im Hinblick auf die Sichtstrecke in der Kurve hätte die maximale Geschwindigkeit bei einer Vollbremsung 27,6 km/h, bei einer Betriebsbremsung 21,6 km/h betragen dürfen. Der Kläger, der Erst- und der Drittbeklagte hätten die Kurve in der gewählten Fahrlinie in der Mitte ihrer rechten Fahrbahnhälfte mit einer Geschwindigkeit von 45 bis 50 km/h ungebremst durchfahren können. Bei einer stärkeren Bremsung im Kurvenverlauf war aber mit dem Ausbrechen der Motorräder zu rechnen. Fahrtechnisch richtig wären eine Fahrlinie nahe dem rechten Fahrbahnrand an der Kurveninnenseite und eine Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h gewesen, was einem Fahren auf volle Sicht entsprochen hätte.

Der Kläger begehrt von den beklagten Parteien die Zahlung von S 134.750,37 sA mit der Begründung, den Erst- und den Drittbeklagten treffe das Verschulden an dem Unfall.

Die beklagten Parteien wendeten ein, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet.

Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 67.375,18 und wies das Mehrbegehren auf Zahlung eines ebensolchen Betrages ab.

Das vom Kläger und der erst- und zweitbeklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß es die erst- und zweitbeklagte Partei einerseits und die dritt- und viertbeklagte Partei andererseits jeweils zur ungeteilten Hand verurteilte, dem Kläger den Betrag von S 67.375,18 samt Zinsen zu bezahlen. Es sprach aus, daß aber alle beklagten Parteien insgesamt dem Kläger nur den Betrag von S 89.833,58 samt Zinsen schuldeten.

Es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der Kollisionskurs bzw die Streifung des Erstbeklagten mit dem entgegenkommenden PKW sei Ursache für die Bremsreaktion des Drittbeklagten sowie dessen Sturz gewesen, dieser wiederum habe zur Bremsreaktion und damit zum Sturz des Klägers geführt. Alle drei Motorradfahrer hätten eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Den ihnen im Sinne des § 1311 ABGB obliegenden Beweis, daß sich die nachfolgenden Unfälle des Drittbeklagten und des Klägers auch bei vorschriftsgemäßem Verhalten des Erstbeklagten mit denselben Folgen ereignet hätten, hätten die erst- und zweitbeklagte Partei nicht erbracht. Dem Drittbeklagten sei seine Bremsreaktion nicht als (zusätzliches) Verschulden anzulasten, weil selbst dann, wenn er unter dem Eindruck der drohenden Gefahr eine - rückschauend betrachtet - unrichtige Maßnahme getroffen hätte, ihm dies nicht als weiteres Mitverschulden angerechnet werden könne.

Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei aber das Verschulden nicht im Verhältnis 1 : 1 zwischen dem Kläger und allen Beklagten zu teilen. Vielmehr sei nach ständiger Rechtsprechung, wenn der Geschädigte, der selbst einen Teil des Schadens zu tragen habe, Schadenersatzansprüche gegen mehrere Haftpflichtige geltend mache, die unabhängig voneinander eine Bedingung für den eingetretenen Erfolg gesetzt hätten (sogenannte Nebentäter) eine Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung der von den einzelnen Schädigern zu tragenden Schadensteile mit einer Gesamtabwägung vorzunehmen, wenn der Kläger seinen Schaden gegen mehrere Schädiger gleichzeitig einklage. Im Fall der Nebentäterschaft mehrerer vom mitschuldigen Geschädigten gleichzeitig in Anspruch genommener Schädiger sei so vorzugehen, daß im Rahmen der Einzelabwägung der vom einzelnen Schädiger zu tragende Schadensanteil festzusetzen und im Rahmen der Gesamtabwägung eine Proportion zu bilden sei, die die Haftungsanteile aller Beteiligten entsprechend berücksichtige und aus der sich auch ergebe, welcher Anteil am Schaden der Geschädigte letztlich selbst zu tragen habe. Im vorliegenden Fall hafte der Drittbeklagte dem Kläger für die Hälfte des Schadens. Diese Schadensteilung im Ersturteil sei unangefochten geblieben. Die Auffassung des Erstgerichtes, es sei das Verschulden aller beteiligter Motorradlenker gleich schwer zu gewichten, sei richtig. Dies führe im Rahmen der Einzelabwägung zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten zu einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1. Das Verhältnis der Gesamtschau laute daher 1 (Kläger) : 1 (Erstbeklagter und Zweitbeklagte) : 1 (Drittbeklagter und Viertbeklagte). Der Kläger habe somit gegen den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte Anspruch auf Ersatz der Hälfte seines Schadens; ebenso hätten ihm der Drittbeklagte und die Viertbeklagte die Hälfte seines Schadens zu ersetzen, gegen alle Beklagten zusammen habe er aber nur Anspruch auf Ersatz von 2/3 seines Schadens, 1/3 davon habe er selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage fehle, ob auch bei einem Schaden, der erst durch das Zusammentreffen der einzelnen Tatbeiträge mehrerer Schädiger eingetreten sei, die Verknüpfung der Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung vorzunehmen sei.

Dagegen richtet sich die Revision der erst- und zweitbeklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das gegen sie gerichtete Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der erst- und zweitbeklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufteilung des Schadens zwischen Nebentätern und dem mitschuldigen Geschädigten selbst nach der Methode der Verknüpfung der Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (RIS-Justiz RS0017470) und auch der herrschenden Lehre (Apathy, KommzEKHG Rz 11 zu § 11; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 12/107 f; Reischauer in Rummel**2, Rz 6 zu § 1304). Die gegenteilige Ansicht von Harrer in Schwimann**2, ABGB Rz 93 f zu § 1304 ist vereinzelt geblieben. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht daher insoweit der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre, weshalb hinsichtlich der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Aber auch im übrigen werden im Rechtsmittel des Erst- und der Zweitbeklagten keine erheblichen Rechtsfragen dargetan. Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht ergibt sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes, daß das Verhalten des Erstbeklagten kausal für den Schaden des Klägers war, weil der Drittbeklagte, auf Grund seiner Wahrnehmung, daß der Erstbeklagte genau auf Kollisionskurs mit dem PKW war, die Fuß- und Handbremse betätigte und aus diesem Grunde in der Folge stürzte.

Der im übrigen in der Revision relevierten Frage, wie das Verschulden der am Unfall beteiligten einzelnen Verkehrsteilnehmer zu gewichten sei, kommt ebenfalls keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 502 mwN).

Die Revision der erst- und zweitbeklagten Partei war deshalb zurückzuweisen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen, weil sie nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der erst- und zweitbeklagten Parteien hingewiesen hat.

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