OGH 2Ob257/05s

OGH2Ob257/05s19.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Markus S*****, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. Gabriele S*****, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Ehescheidung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 7. September 2005, GZ 4 R 289/05m-53, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 2005, GZ 3 C 13/05b-41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung über den Rekurs der klagenden Partei an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte in seiner am 19. 1. 2004 bei Gericht eingelangten Klage die Scheidung der mit der Beklagten am 29. 12. 1994 in Texas/USA geschlossenen Ehe aus deren Verschulden.

Die Beklagte wendete Streitanhängigkeit ein; sie habe am 3. 12. 2003 beim Bezirksgericht Nueces in Texas eine Scheidungsklage eingereicht, das Verfahren behänge. Die dort ergehende Gerichtsentscheidung werde in Österreich anerkannt und sei vollstreckbar, weshalb in Österreich kein Parallelverfahren geführt werden könne.

Das Erstgericht wies die Scheidungsklage wegen Streitanhängigkeit zurück. Es ging davon aus, dass die Beklagte bereits am 6. 12. 2003 in Nueces eine Ehescheidungsklage eingebracht habe, der Kläger habe im Jänner 2004 eine Klagserwiderung erstattet und Gegenklage auf Ehescheidung erhoben. Damit sei sichergestellt, dass der Kläger die Möglichkeit habe, sich am Verfahren in Texas zu beteiligen, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sei somit ausgeschlossen. Da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Texas habe, ergebe sich auch die Zuständigkeit des texanischen Gerichtes. Das dort ergehende Urteil sei in Österreich anerkennungsfähig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge, sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs - im Hinblick auf die klare gesetzliche Regelung - nicht zulässig sei, und führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Sowohl die Frage der Streitanhängigkeit als auch die der allfälligen materiellen Rechtskraft einer bereits ergangenen Entscheidung sei von Amts wegen zu berücksichtigen, dies auch in höherer Instanz. Diese Prüfung erfolge jeweils nach österreichischem Recht, weil vor österreichischen Gerichten grundsätzlich nur inländisches Verfahrensrecht zur Anwendung gelange. Im Hinblick auf die Feststellung des Erstgerichtes, der Kläger habe bereits in Texas Gegenklage erhoben, habe das Rekursgericht Erhebungen gepflogen, inwiefern der Kläger sein Klagerecht allenfalls bereits konsumiert habe. Im Zuge dieser Erhebungen habe sich Nachstehendes ergeben:

Am 31. 5. 2005 habe das Bezirksgericht für den 214. Gerichtsbezirk, Nueces County, Texas, in der Ehesache der Streitteile verhandelt, ein Endurteil gefällt und am 22. 6. 2005 offiziell unterzeichnet. Es sei beschlossen und verkündet worden, dass die Streitteile geschieden werden und dass die am 29. 12. 1994 geschlossene Ehe der beiden aufgelöst werde. Am 15. 8. 2005 habe das Gericht festgehalten, dass die Parteien auf Rechtsmittel verzichten, einschließlich jeglichem Recht, Berufung gegen das endgültige Scheidungsurteil und die Urteilsbegründung rechtswirksam zu machen, welche vom Gericht am 22. 6. 2005 vorgelegt worden sei, und dass die Parteien vereinbart hätten, keine Ankündigung einer Berufung gegen das Urteil einzubringen und dass sie anerkennen und bestätigen, dass gegen das Urteil zukünftig kein Einspruch mehr möglich sei.

Gemäß § 232 Abs 1 ZPO werde die Rechtsanhängigkeit der Streitsache (Streitanhängigkeit) durch die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet. Nach § 233 Abs 1 ZPO habe die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden dürfe. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruches angebrachte Klage sei auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Sei allerdings bereits rechtskräftig entschieden, stelle sich nicht mehr die Frage der Streitanhängigkeit, sondern die der materiellen Rechtskraft des Urteiles im Sinne des § 411 ZPO. Auf diese sei nach dessen Abs 2 von Amts wegen Bedacht zu nehmen. Es sei also zu überprüfen, inwieweit das Urteil des texanischen Gerichtes Rechtskraft auch in Österreich entfalte.

Mangels zwischenstaatlicher Übereinkommen komme es darauf an, inwieweit das amerikanische Urteil in Österreich nach inländischen Vorschriften vollstreckbar sei. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen über den Bestand der Ehe regle nun § 97 AußStrG. Demnach werde eine ausländische Entscheidung über die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, die Ehescheidung oder die Ungültigkeitserklärung einer Ehe sowie über die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe in Österreich anerkannt, wenn sie rechtskräftig sei und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliege. Die Anerkennung könne als Vorfrage selbständig beurteilt werden, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedürfe. Nach Abs 2 sei die Anerkennung der Entscheidung zu verweigern, wenn 1. sie den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) offensichtlich widerspreche; 2. das rechtliche Gehör eines der Ehegatten nicht gewahrt worden sei, es sei denn, er sei mit der Entscheidung offenkundig einverstanden; 3. die Entscheidung mit einer österreichischen oder einer früheren die Voraussetzungen für eine Anerkennung in Österreich erfüllenden Entscheidung unvereinbar sei, mit der die betreffende Ehe getrennt, geschieden, für ungültig erklärt oder das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe festgestellt worden sei; 4. die erkennende Behörde bei Anwendung österreichischen Rechtes international nicht zuständig gewesen wäre.

Die Entscheidung des texanischen Gerichtes, wonach die Ehe der Streitteile geschieden werde, verstoße gegen keinerlei Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung; ob mit der Entscheidung auch vermögensrechtliche Fragen geregelt würden, ändere daran nichts; dies habe jedenfalls auf die Frage der Auflösung der Ehe keine Auswirkung. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor; die Entscheidung sei mit allfälligen anderen Entscheidungen nicht unvereinbar; das amerikanische Urteil sei rechtskräftig.

Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Ursprungstaates erfolge durch eine spiegelbildliche Anwendung des eigenen (internationalen) Zuständigkeitsrechtes, also insbesondere der §§ 76 Abs 2 und 114a Abs 4 JN: Nach § 76 Abs 2 JN sei die internationale Zuständigkeit für Ehesachen gegeben, wenn a) einer der Ehegatten Österreichischer Staatsbürger sei; oder b) der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe; oder c) der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inhalt habe und beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben; oder d) der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe und staatenlos sei; oder e) der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe und zur Zeit der Eheschließung österreichischer Staatsbürger gewesen sei. Übertragen auf das texanische Scheidungsurteil sei also zu fragen, ob einer der Ehegatten amerikanischer Staatsbürger sei; dies sei nicht der Fall. Strittig sei, ob der dortige Beklagte (hier Kläger) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland - also in Texas - gehabt habe, wobei maßgeblich der Zeitpunkt der Klagseinbringung beim Bezirksgericht Nueces sei. Dies könne dahingestellt bleiben. Nach dem oben erwähnten dritten Fall sei die internationale Zuständigkeit nämlich gegeben, wenn der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe und beide Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ebendort. Die dortige Klägerin (hier Beklagte) habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt noch immer in Texas. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien sei ebenfalls dort gelegen gewesen. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Bescheinigungsmitteln ohne Zweifel (Reisepass des Klägers, ausgestellt am 12. 3. 2001; Fahrerlaubnis des Texas Departement of Public Safety; Notariatsakt vom 25. 5. 2000). Der Kläger beziehe sich in der Bestreitung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 76 Abs 2 Z 3 JN insbesondere auf das Vorbringen der Beklagten am 18. 4. 2005. Dort werde aber ausdrücklich festgehalten, dass der letzte gemeinsame Aufenthalt in Corpus Christi, Texas, und in A***** gelegen sei. Im Übrigen komme es für die Prüfung der Zuständigkeit auf das objektive Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen an, nicht auf Parteienbehauptungen. Die internationale Zuständigkeit des Bezirksgerichtes in Texas sei also gegeben.

Unzweifelhaft sei auch, dass im amerikanischen Verfahren über den identen Anspruch wie im hiesigen Verfahren entschieden worden sei, zumal eine Ehe nur einmal geschieden werden könne.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den außerordentlichen Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig, er ist auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht ua Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

Hiezu wurde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung muss den Parteien auch im rekursgerichtlichen Verfahren Gelegenheit gegeben werden, zu den Ergebnissen von Erhebungen oder Beweisaufnahmen Stellung zu nehmen (RIS-Justiz RS0041857, RS0041847, RS0086612; Zechner in Fasching2 § 526 ZPO Rz 11). Legt das Gericht seiner Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde, zu denen sich die Parteien nicht äußern konnten, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (RIS-Justiz RS0005915; Zechner aaO § 503 ZPO Rz 115).

Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht amtswegige Erhebungen über den weiteren Verlauf des texanischen Scheidungsverfahrens angestellt. Der Klagevertreter hat hiezu mit drei an den Berichterstatter des Rekurssenates gerichteten Schreiben (ON 49 bis 51), die keine Einlaufstampiglie des Rekursgerichtes tragen, Urkunden vorgelegt, darunter eine Übersetzung des texanischen Scheidungsurteiles. Das Rekursgericht hat aus diesen Urkunden - zur Zurückweisung der Klage wegen rechtskräftig entschiedener Sache führende - Feststellungen getroffen, ohne dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Damit wurde dessen rechtliches Gehör verletzt.

Im Zuge der Inzidenzanerkennung gemäß § 97 AußStrG (2003) hat das Rekursgericht die internationale Zuständigkeit des texanischen Gerichtes bejaht, weil der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien in Texas liege, wie sich aus den vorgelegten Bescheinigungsmitteln ohne Zweifel ergebe. Die hiezu genannten Urkunden wurden von der Beklagten nach der Tagsatzung vom 18. 4. 2005, die zur Entscheidung über die Einrede der Streitanhängigkeit auf unbestimmte Zeit erstreckt wurde, mit Schriftsatz vom 17. 5. 2005 (ON 39) vorgelegt. Dieser Schriftsatz wurde vom Erstgericht allerdings - zugleich mit der Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit - als verspätet zurückgewiesen. Wenn das Rekursgericht seine Entscheidung auf die mit dem zurückgewiesenen Schriftsatz vorgelegte Urkunden stützen wollte, so hätte es dem Beklagten zuvor auch insoweit in Wahrung seines rechtlichen Gehörs Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen.

Im Hinblick auf diese gravierenden Verfahrensfehler war der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Rekursgericht dem Beklagten das rechtliche Gehör zu den von der Klägerin mit ON 39, 49 bis 51 vorgelegten Urkunden, auf die es seine Entscheidung gründen will, zu gewähren haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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