Spruch:
Strenge Haftung des Kraftfahrers gegenüber den von ihm zur Fahrt eingeladenen Insassen nach § 1299 ABGB. wegen fahrtechnisch unrichtiger Betätigung der Bremsen
Entscheidung vom 16. September 1965, 2 Ob 240/65
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck
Text
Die beiden Kläger sind als Insassen des vom Erstbeklagten gelenkten Personenkraftwagens am 26. Mai 1960 auf der Fahrt auf der von T. nach B. führenden Gemeindestraße verunglückt, als der Kraftwagen an der sogenannten Hocheckkurve bei der Talfahrt über die Böschung geriet und 140 m tief stürzte. Der Zweitbeklagte ist der Halter des vom Erstbeklagten, seinem Sohn gelenkten Fahrzeuges. Mit der Behauptung des Verschuldens des erstbeklagten Lenkers an diesem Verkehrsunfall nehmen die geschädigten beiden Kläger die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand auf Schadenersatz wegen der Unfallsfolgen in Anspruch, den Erstbeklagten aus Verschulden und den Zweitbeklagten gemäß § 19 (2) EKHG. Das gegen den Erstbeklagten im Zusammenhang mit diesem Verkehrsunfall beim Erstgericht wegen Vergehens nach den § 335, 337 lit. a StG. eingeleitete Strafverfahren hat mit Freispruch von der Anklage gemäß § 259 Z. 3 StPO. geendet.
Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil erkannt, daß der Anspruch der klagenden Parteien auf Ersatz ihrer Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 26. Mai 1960 (gegenüber den Beklagten) dem Gründe nach zu Recht bestehe; die Entscheidung über die Höhe dieser Ansprüche, über das Feststellungsbegehren und über die Prozeßkosten werden dem Endurteil vorbehalten. Das Erstgericht war auf Grund der Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. G. und Dipl.-Ing. Dr. S. zum Ergebnis gekommen, daß der Erstbeklagte die letzte Strecke vor dem Absturz die Kurve unaufmerksam und nicht genug sorgfältig befahren habe.
In der Berufung haben die Beklagten das Ersturteil wegen der Annahme des Verschuldens des Fahrzeuglenkers am Unfall der Kläger bekämpft und dementsprechend die gänzliche Klagsabweisung hinsichtlich der gegen den Erstbeklagten als Fahrzeuglenker erhobenen Ansprüche und in Bezug auf den zweitbeklagten Kraftfahrzeughalter die Abweisung jener Forderungen, die über den Rahmen der im EKHG. normierten Halterhaftpflicht hinausgehen, zu erreichen gesucht.
Dieser Berufung der Beklagten hat die Berufungsinstanz keine Folge gegeben und das Ersturteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach dem Revisionsvorbringen steht in dritter Instanz auf der Basis der vorinstanzlichen Feststellungen über den Unfallshergang lediglich die Frage zur Erörterung, ob der Erstbeklagte ein Verschulden im Sinne der §§ 1295 ff. ABGB. zu vertreten habe. Die Vorinstanzen haben diese Frage übereinstimmend bejaht, wogegen die beklagten Parteien im Rechtsmittelverfahren geltend machen, daß den Erstbeklagten ein derartiges Verschulden nicht treffe; lediglich die Halterhaftung des Zweitbeklagten sei zu bejahen; demnach seien sämtliche Ansprüche der Kläger gegen den Erstbeklagten unbegrundet und der Zweitbeklagte nur im Rahmen der Bestimmungen des § 13 EKHG. den beiden Klägern ersatzpflichtig. Dieser Auffassung der Revisionswerber vermag jedoch das Revisionsgericht nicht beizupflichten, vielmehr ist die Beurteilung der Vorinstanzen in der Annahme eines zum Schadenersatz verpflichtenden Verschuldens des Erstbeklagten gemäß den Bestimmungen der §§ 1295 ff. ABGB. ohne Rechtsirrtum, dies aus folgenden Erwägungen:
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat sich der Unfall deswegen ereignet, weil die Bodenhaftung des vom Erstbeklagten gelenkten mit insgesamt fünf Personen besetzten Personenkraftwagens bei der schlechten Fahrbahn der Bergstraße, beim starken, in der Kurve zunehmenden Gefälle und bei dem in der engen Kurve auftretenden seitlichen Druck stark vermindert war; durch die vom Erstbeklagten vorgenommene Bremsung ging die Lenkfähigkeit verloren, so daß der Wagen nicht mehr der Straßenkurve folgte, sondern über den Straßenrand fuhr und dann abstürzte; nur bei vorsichtiger Betätigung der Bremsen hätte der Erstbeklagte den Unfall vermeiden können. Zutreffend haben zwar die Revisionswerber auf die Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Strecke verwiesen; sie übersahen aber, daß der Erstbeklagte durch die Einladung an die beiden Kläger und zwei weitere Personen, die Talfahrt in dem von ihm gelenkten Kraftwagen zu unternehmen, ohne Not freiwillig ein Geschäft übernommen hat, dessen Ausführung "eigene Kunstkenntnisse" und "eine nicht gewöhnlichen Fleiß" erforderte, so daß der Erstbeklagte für die fahrtechnisch unrichtige Betätigung der Bremsen den geschädigten Klägern unter dem Gesichtspunkte der in § 1299 ABGB. normierten strengen Haftung eines "Sachverständigen" verantwortlich ist (vgl. Wolff in Klangs Kommentar[2] VI 47 f.). Ein Rechtsirrtum ist also nicht zu erkennen, wenn die Untergerichte ein Verschulden des Erstbeklagten im Sinne der §§ 1295 ff. ABGB. angenommen und damit sowohl seine Haftung wie auch unter dem Gesichtspunkte des § 19 (2) EKHG. jene des zweitbeklagten Kraftfahrzeughalters für die gesamten Folgen des Unfalls der Kläger vom 26. Mai 1960 bejaht haben.
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