Normen
AHG §1
AHG §7
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §9
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §11
AHG §1
AHG §7
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §9
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §11
Spruch:
Ein Rechtsträger (hier: Republik Österreich, Militärauto) kann außer der Haftung nach dem Amtshaftungsgesetz auch als Kfz.-Halter nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes in Anspruch genommen werden
Entscheidung vom 5. November 1965, 2 Ob 239/65
I. Instanz: Bezirksgericht Bad Ischl; II. Instanz: Kreisgericht Wels
Text
Nach dem festgestellten Sachverhalt ereignete sich am 17. Juni 1963 auf der Bundesstraße in der Nähe von Bad Goisern ein Verkehrsunfall, bei dem der Kraftwagen des Klägers beschädigt wurde. Der Kläger wollte einen vor ihm fahrenden Sanitätskraftwagen der beklagten Partei überholen, während sich der Lenker dieses Fahrzeuges, der Heeresangehörige Ernst G., anschickte, einen vor ihm fahrenden Omnibus zu überholen. Dadurch kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Im Strafverfahren wurde der Kläger freigesprochen.
Der Kläger hat bereits einen auf das Amtshaftungsgesetz gestützten Anspruch gegen die Republik Österreich als beklagte Partei geltend gemacht, der jedoch gemäß § 7 AHG. mangels der Gegenseitigkeit mit der Deutschen Bundesrepublik rechtskräftig abgewiesen wurde.
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger seine Schadenersatzansprüche, nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes mit der Behauptung geltend, Ernst G. habe den Unfall dadurch herbeigeführt, daß er mit seinem Fahrzeug nach links ausgebogen sei, ohne dies rechtzeitig anzuzeigen und ohne auf den von hinten kommenden Kläger Rücksicht zu nehmen.
Die beklagte Partei hat Klagsabweisung begehrt und eingewendet, daß G. in Ausführung eines dienstlichen Befehles einen Krankentransport durchgeführt und somit als Organ der beklagten Partei in Vollziehung der Gesetze gehandelt habe. Der Kläger könne seine Ansprüche entweder nur nach dem Amtshaftungsgesetz oder überhaupt nicht geltend machen. Die auf das genannte Gesetz gestützten Ansprüche des Klägers seien aber rechtskräftig abgewiesen worden. Die Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes seien durch die Sonderbestimmungen des Amtshaftungsgesetzes ausgeschlossen. Außerdem habe sich G. nicht vorschriftswidrig verhalten. Der Unfall sei nur durch das vorschriftswidrige schuldhafte Verhalten des Klägers entstanden. Dieser sei mit übermäßiger Geschwindigkeit gefahren und habe das von G. rechtzeitig gegebene Zeichen zum Überholen des vor diesem fahrenden Autobusses nicht beachtet. Er habe in dritter Spur überholen wollen, obgleich dies bei der Breite der Fahrbahn nicht möglich gewesen sei. Die beklagte Partei hat eine Gegenforderung in der Höhe der ihr entstandenen Reparaturkosten von 828.25 S eingewendet.
Das Erstgericht hat zu Recht erkannt, daß die Klagsforderung mit 1960.95 DM samt 4% Zinsen zu Recht, das Mehrbegehren von 3.5% Zinsen und die Gegenforderung der beklagten Partei nicht zu Recht bestehen. Die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 1960.95 DM samt 4% Zinsen zu bezahlen.
Das Erstgericht hat als erwiesen angenommen, daß G. den vor ihm fahrenden Omnibus überholen wollte, ohne sich vorher durch einen Blick in den Rückspiegel über den nachkommenden Verkehr Kenntnis verschafft zu haben. Er habe aber erst im letzten Moment vor dem Ausbiegen das linke Blinkzeichen betätigt. Der Kläger habe zum Überholen angesetzt, als er die Überholabsicht des G. noch nicht erkennen konnte. Das Erstgericht war auf Grund des festgestellten Sachverhaltes der Meinung, daß die beklagte Partei als Fahrzeughalter nach den §§ 1 und 5 EKHG. hafte. Der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG. sei ihr nicht gelungen. Ein Mitverschulden des Klägers sei nicht gegeben und daher auch gemäß § 7 EKHG. nicht zu berücksichtigen. Der Kläger habe seine Ansprüche trotz der Abweisung seines Amtshaftungsanspruches nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes geltend machen können.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es die Klagsforderung mit 980.48 DM samt 4% Zinsen als zu Recht bestehend, die Gegenforderung mit 414.43 S als zu Recht bestehend feststellte und somit die beklagte Partei schuldig erkannt hat, dem Kläger die Differenz dieser Beträge zu bezahlen. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß ein Schadensausgleich gemäß § 11 (1) EKHG. vorzunehmen sei und daß der Schaden gleichteilig im Verhältnis 1 : 1 vom Kläger und Ernst G. verursacht worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
I. Zur Revision beklagten Partei:
Im vorliegenden Fall erscheint es zweckmäßig, zuerst die Revision der beklagten Partei zu behandeln, weil die grundsätzliche Frage im Vordergrund steht, ob eine Haftung der beklagten Partei nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes anzunehmen ist, nachdem die auf das Amtshaftungsgesetz gegrundeten Ansprüche des Klägers aus demselben Unfall mangels Gegenseitigkeit rechtskräftig abgewiesen worden sind.
Die beklagte Partei ist der Meinung, daß das Amtshaftungsgesetz gegenüber dem Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz eine sondergesetzliche Regelung darstelle, wodurch die Anwendung des letzteren Gesetzes ausgeschlossen werde. Durch den Gesetzgeber sei für den Sonderbereich der Hoheitsverwaltung die Haftung auf das Verschuldensprinzip nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes beschränkt worden. Im Rahmen der Spezialgesetze sei auch der Grundsatz "lex posterior derogat priori" nicht anzuwenden. Außerdem stelle das Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz nicht das frühere Gesetz gegenüber dem Amtshaftungsgesetz dar, weil es nicht eine Neuregelung, sondern nur eine Fortgeltung bereits bestehender Normen beinhalte. Da Ernst G. nach dem festgestellten Sachverhalt ein Verschulden treffe, könne ihre Haftung nur nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes oder überhaupt nicht angenommen werden.
Diese Ausführungen sind nicht stichhältig. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung ist durch die überwiegende inländische und ausländische Theorie und Rechtsprechung gedeckt (der Vollständigkeit halber sei nochmals darauf verwiesen: Veit, Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz[2] S. 24, Edelbacher, ÖJZ. 1959 S. 314, Steininger, ZVR. 1962 S. 231, Ent, ZVR. 1962 S. 370, Geigl Haftpflichtprozeß[12], 17/62, sowie 2 Ob 243/60 in ZVR. 1961, Nr. 320). Diese Auffassung wird durch die Darstellung der beklagten Partei in der Revision nicht entkräftet. Bei beiden oben angeführten Gesetzen handelt es sich um Sondernormen, die jedoch einander nicht ausschließen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Inhalt wie auch aus dem Umfang der durch diese Gesetze geregelten Materie. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist das Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz auch dem Amtshaftungsgesetz gegenüber noch eine besondere Sonderregelung, weil in jenem Gesetz nur die Haftung aus Verkehrsunfällen beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges oder einer Eisenbahn geregelt wird, während das Amtshaftungsgesetz alle nur möglichen Fälle der Haftung des Rechtsträgers für das schuldhafte Verhalten seiner Organe bei der Vollziehung der Gesetze regelt. Nun nimmt gerade die beklagte Partei als Rechtsträger in einem wesentlichen Umfang mit den von ihr gehaltenen Kraftfahrzeugen (Post, Bahn, Heer usw.) am öffentlichen Verkehr teil und da auch das Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz keine Ausnahme für die beklagte Partei vorsieht, ist kein Grund ersichtlich, warum gerade auf sie die strenge Haftung nach diesem Gesetz keine Anwendung finden sollte, die gerade wegen der Gefährlichkeit beim Betrieb von Kraftfahrzeugen zum Schutze der anderen Verkehrsteilnehmer begrundet wurde. Der Oberste Gerichtshof hat, allerdings in einem anderen Zusammenhang, bereits einmal in seiner in ZVR. 1961, Nr. 320, veröffentlichten Entscheidung 2 Ob 243/60 ähnliche Gedanken vertreten und ausgesprochen, daß das Halten und der Betrieb eines Kraftfahrzeuges durch einen ausländischen Staat und seine Teilnahme am öffentlichen Verkehr mit einem Kraftfahrzeug auch dann, wenn dieses zu dienstlichen Zwecken verwendet wird, der privatrechtlichen Sphäre des ausländischen Staates angehört und dieser daher wegen Schadenersatzansprüchen bei einem inländischen Gericht mit Klage belangt werden könne. Aus den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes ergibt sich der Wille des Gesetzgebers, keinen Verkehrsteilnehmer und daher auch keinen Rechtsträger bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr von der strengen Haftung auszuschließen. Eine solche Ausnahme müßte ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein. Dies ist aber weder im Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetz noch im Amtshaftungsgesetz der Fall.
Der Oberste Gerichtshof ist daher aus diesen Erwägungen der Meinung, daß die Haftung der beklagten Partei, für Unfälle aus den von ihr gehaltenen und betriebenen Kraftfahrzeugen auch dann, wenn diese von ihren Organen in Vollziehung der Gesetze verwendet werden und dabei einem Dritten ein Schaden zugefügt wird, kumulativ sowohl nach den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes wie auch nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes vom Geschädigten in Anspruch genommen werden kann und daß es dem Geschädigten überlassen bleibt, seine Ansprüche nach dem einen oder nach dem anderen Gesetz zu verfolgen.
Diese Frage ist auch unbeschadet der Regelung der Verantwortlichkeit des handelnden Organes der beklagten Partei zu entscheiden. Die beklagte Partei vermag aus der Tatsache, daß der Geschädigte gegen das Organ, das in Vollziehung der Gesetze schuldhaft den Schaden herbeigeführt hat, keine Ansprüche stellen kann, nichts für ihren Standpunkt abzuleiten, weil eine Schadenersatzpflicht des Organes gemäß § 1 AmtsHG. ausdrücklich ausgeschlossen wird. Nur wenn das Organ der beklagten Partei, das den Verkehrsunfall verschuldet hat, selbst Halter des beim Unfall beteiligten Fahrzeuges ist, dann haftet es dem Geschädigten auf Grund dieser Eigenschaft nach den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes (siehe 2 Ob 328/64 in ZVR. 1965, Nr. 169). Gerade diese Umstände aber sprechen dafür, die beklagte Partei jedenfalls als Kraftfahrzeughalter nach den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes haften zu lassen. Die Verurteilung der beklagten Partei erscheint daher gerechtfertigt.
Die Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 wird von der beklagten Partei nicht bekämpft, so daß hiezu nicht Stellung zu nehmen ist.
Der Revision der beklagten Partei kann daher kein Erfolg beschieden sein.
II. Zur Revision des Klägers:
Der Kläger versucht mit seinen Ausführungen darzutun, daß die beklagte Partei auch nach den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes für das alleinige Verschulden des Ernst G. hafte, so daß seine Haftung gemäß § 9 EKHG. ausgeschlossen ist. Er weist darauf hin, daß die beklagte Partei das alleinige Verschulden des Ernst G. in ihrer Berufung anerkannt habe.
Hiezu ist es richtig, daß die beklagte Partei in ihrer Berufung davon ausgeht, das Erstgericht habe das Verschulden des Ernst G. festgestellt. Sie leitet daraus ab, daß sie auch nach den Bestimmungen des Eisenbahnkraftfahrzeughaftpflichtgesetzes nicht haftbar gemacht werden könne, weil ihre Haftung für das Verschulden des Ernst G. nach dem Amtshaftungsgesetz durch die Entscheidung im Vorprozeß rechtskräftig ausgeschlossen wurde. Mit ihren Ausführungen in der Berufung hat aber die beklagte Partei nur ein Verschulden des Ernst G., nicht aber dessen alleiniges Verschulden anerkannt. Die Frage eines Verschuldens des Ernst G. steht aber hier überhaupt nicht mehr zur Debatte, weil über die Haftung der beklagten Partei für das Verschulden des Ernst G. schon im Vorprozeß rechtskräftig abgesprochen wurde. Es geht hier nur darum, inwieweit sowohl der Kläger als auch Ernst G. die nach § 9 (2) EKHG. gebotene Sorgfaltspflicht erfüllt und in welcher Weise sich die Betriebsgefahren der beiden Kraftfahrzeuge ausgewirkt haben. Nach der Sachlage ist ein schuldhaftes Verhalten des Klägers nicht anzunehmen, so daß die Bestimmung des § 7 EKHG. außer Betracht bleibt.
Nach den Feststellungen der Untergerichte über den Unfallshergang ist die Annahme gerechtfertigt, daß sowohl Ernst G. als auch der Kläger nicht jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt bei der Lenkung des Kraftwagens angewendet haben. Ernst G. hat insofern den Unfall verursacht, als er durch seine Fahrweise eine unklare Verkehrssituation geschaffen hat. Er hat seine Überholabsicht nicht klar und rechtzeitig zum Ausdruck gebracht, weil er nicht rechtzeitig das Blinklicht betätigt hat. Außerdem hat er sich auch um die hinter ihm fahrenden Fahrzeuge nicht gekümmert. Aber auch der Kläger hätte der sich ihm bietenden unklaren Verkehrssituation Rechnung tragen und gerade an dieser Stelle den Überholvorgang unterlassen müssen. Er mußte bei gehöriger Aufmerksamkeit bemerkt haben, und zwar daraus, daß Ernst G. einmal seinen Kraftwagen nach links und dann wieder nach rechts lenkte, daß dieser die Absicht habe, den vor ihm fahrenden Omnibus bei günstiger Gelegenheit zu überholen. Das den Unfall verursachende Verhalten der beiden Kraftfahrzeuglenker und auch die von den Kraftfahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr kann hier als gleichwertig angenommen werden, zumal ein klares Überwiegen in der einen oder anderen Richtung nicht erkennbar ist. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung gemäß § 11 EKHG. im Verhältnis 1 : 1 wird der Sachlage durchaus gerecht. Es muß daher auch der Revision des Klägers der Erfolg versagt bleiben.
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