Normen
ABGB §1295
Warschauer Abkommen BGBl 1961/286 Art17
ABGB §1295
Warschauer Abkommen BGBl 1961/286 Art17
Spruch:
Ein Unfall, der noch vor dem Aufruf des Fluges (hier: auf einer Rolltreppe des Flughafens) geschehen ist, hat sich nicht "beim Einsteigen" i S des Art 17 des Warschauer Abkommens ereignet
OGH 27. 4. 1972, 2 Ob 238/71 (OLG Wien 5 R 245/70; LGZ Wien 37 b Cg 111/68)
Text
Der Kläger hatte bei der Drittbeklagten (Fluggesellschaft) für den 5. 9. 1966 einen Flug mit einer Kursmaschine von W nach T gebucht. Bei der Benützung der Rolltreppe im Flughafengebäude in W wurde er infolge eines an der Rolltreppe entstandenen Gebrechens schwer verletzt.
Der Kläger verlangt von den drei Beklagten zur ungeteilten Hand Zahlung eines Schadenersatzbetrages von S 348.921.80 sA, Zahlung einer monatlichen Rente von S 6000.- ab 1. 7. 1968 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sonstige künftige Schäden aus dem Unfallsereignis. Er brachte dazu im wesentlichen vor:
Die Zweitbeklagte (Aufzug-Firma) hafte ihm wegen Verschuldens, denn der Defekt an der Rolltreppe sei durch einen Konstruktionsfehler hervorgerufen worden; dazu komme, daß die Zweitbeklagte die ihr übertragene Wartung der Rolltreppe dadurch vernachlässigt habe, daß sie nach einer am 26. 8. 1966 erfolgten Reparatur die Rolltreppe ohne Abnahmeprüfung zum Betrieb freigegeben habe. Die Erst- (Flughafen-Betriebsgesellschaft) und die Drittbeklagte haften dem Kläger für das Verschulden der Zweitbeklagten, derer sie sich bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger bedient haben. Die Drittbeklagte hafte dem Kläger außerdem als Luftfrachtführer nach Art 17 des Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Warschauer Abkommen), BGBl 1961/286, denn der Unfall habe sich nach dem Aufruf des Fluges und somit noch beim Einsteigen in das Flugzeug ereignet.
Die Beklagten beantragen Abweisung des Klagebegehrens. Die Zweitbeklagte bestreitet jedes Verschulden bei der Herstellung und Wartung der Rolltreppe und macht geltend, sie sei zum Kläger in keiner Rechtsbeziehung gestanden. Die Erstbeklagte schloß sich dem an und brachte außerdem vor, zwischen ihr und dem Kläger habe kein Vertragsverhältnis bestanden, sodaß eine Haftung nach § 1313a ABGB nicht in Betracht komme. Die Drittbeklagte bestritt, daß sich der Unfall beim Einsteigen ereignet habe; die Passagiere zu dem vom Kläger gebuchten Flug seien noch nicht einmal aufgerufen gewesen. Sie stehe mit der Zweitbeklagten nicht in vertraglichen Beziehungen und habe auf den Betrieb der Rolltreppe keinen Einfluß.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil nach Beweiswiederholung. Es ging dabei von folgenden Feststellungen aus, die es zum Teil vom Erstgericht als unbedenklich übernommen, zum Teil selbst getroffen hat:
Die Erstbeklagte ist auf Grund von mit der Drittbeklagten getroffenen Vereinbarungen zur Herstellung der flugbetrieblichen Unterlagen für die Fluggäste, die Betreuung der Fluggäste und die Beförderung der Fracht verpflichtet. Nach den bestehenden Vorschriften ist sie ferner verpflichtet, den Fluggästen der Drittbeklagten und anderer Fluggesellschaften das Flughafengebäude, dessen Anlagen und Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Diese Dienste leistet die Erstbeklagte entgeltlich auf Grund bestehender Tarifforderungen.
Die Abfertigung der Fluggäste der Drittbeklagten erfolgt im Flughafen W durch die Erstbeklagte im Auftrag der Drittbeklagten. Die Fluggäste erhalten beim vorgesehenen Abfertigungsschalter eine Einsteigkarte, die mit der Nummer des betreffenden Fluges versehen ist. Sobald diese Nummer aufgerufen wird, haben sich die Fluggäste zum Ausgang (auf das Rollfeld hin) zu begeben. Der Aufruf erfolgt etwa 15 bis 20 Minuten vor dem Abflug des betreffenden Flugzeuges. Nach Prüfung der Einsteigkarte beim Ausgang werden die Fluggäste von der sogenannten Groundhostess, einer Angestellten der Erstbeklagten, zum vorfahrenden Autobus geleitet, der sie zum Flugzeug bringt. Zwischen Abfertigungsschalter und Ausgang zum Flugfeld werden die Fluggäste weder von Angestellten der Erstbeklagten noch von solchen der Drittbeklagten betraut. Der Sammelort für die zusteigenden Fluggäste befindet sich beim Ausgang zum Flugfeld.
Als sich der Unfall des Klägers auf der Rolltreppe ereignete, war der Aufruf für den Flug nach T noch nicht erfolgt. Wohl aber war zum Abflug einer Maschine nach B aufgerufen worden. Die Fluggäste, die diese Maschine benützten, kamen zum Teil über die Rolltreppe, auf der sich der Unfall ereignete, zum Teil über die daneben liegende Stiege. Der Aufruf zu dem vom Kläger gebuchten Flug nach T erfolgte erst etwa 3/4 Stunden nach dem Unfall.
Die Ursache des bei der Rolltreppe aufgetretenen Defektes war nur das Eindringen eines Fremdkörpers, wahrscheinlich der Plastiktasche eines anderen Flugpassagiers, der in den Spalt zwischen Kammplatte und Rippenplatte der Rolltreppe gekommen war, dort von mehreren Zähnen der Kammplatte erfaßt und eingeklemmt wurde, nicht aber ein zu großes Spiel der Rippenplatten. Durch den Gegendruck des eingeklemmten Gegenstandes brach die zweite Kammplatte ab und blieb auf den darunter durchlaufenden Stufen der Rolltreppe (Stufenwagen) liegen, was das vom Kläger wahrgenommene klirrende Geräusch verursachte. Durch den Defekt wurde die Trittfläche des Stufenwagens auf der der Kläger stand, so verformt, daß sie nach hinten abfiel. Sie verursachte den Sturz des Klägers nach hinten und daß er mit beiden Beinen in eine entstehende Spalte zwischen den Stufenwagen der Rolltreppe und der Kammplatte geriet und schwer verletzt wurde. Die Zeugin Greta R, die beim Ausgang zum Flugfeld stand, als sich der Unfall ereignete und die durch Schreie des Klägers darauf aufmerksam gemacht wurde, eilte sofort zur Rolltreppe und stellte diese ab.
Die Rolltreppe entsprach sowohl im Zeitpunkt ihrer Inbetriebsetzung als auch zur Zeit des Unfalles dem letzten technischen Stand des Rolltreppenbaues. Jeder Stufenwagen war durch ein Distanzrohr mit der Kette kraftschlüssig verbunden, die ihrerseits durch eine durchlaufende Schiene geführt wurde. Im kritischen Ein- und Auslaufbereich erfolgte die Führung der Stufenwagen durch eine zweite Schiene auch von oben. Das festgestellte Spiel von etwa 3.5 mm, das im übrigen kleiner ist als das zulässige, bestand nur außerhalb der kritischen Bereiche beim Treppenauslauf und wurde zur Vermeidung einer unnötigen Kettenabnützung durch eine entsprechende Einstellung der Führungsschienen absichtlich erzwungen. Die Stufenwagen waren mit den Distanzrohren verschraubt und wiesen daher das gleiche Spiel auf wie diese selbst. Im kritischen Bereich bestand eine zusätzliche Kettenführung und damit eine weitere zwangsläufige Zentrierung des Laufes der Stufenwagen.
Ein Wartungsfehler beim Austausch der vier bei einem früheren Unfall beschädigten Stufenwagen ist nicht feststellbar. Die Rolltreppe war auch nachher bis zum Unfall des Klägers anstandslos in Betrieb. Eine Abnahmeprüfung ist nur bei neu errichteten Anlagen vorgeschrieben. Eine Kommissionierung nach einer Instandsetzung ist nach der geltenden Ö-Norm 2460 nicht erforderlich.
Die Zweitbeklagte brachte bei einer von ihr errichteten Rolltreppe in einer Fußgängerpassage nachträglich äußere Führungsschienen zusätzlich an, doch geschah dies nicht aus Sicherheitsgrunden, sondern vorwiegend aus wirtschaftlichen Erwägungen.
Seit 1969 wird von der Zweitbeklagten eine Kammplattensicherung auf den Markt gebracht, die bei Einklemmen von Fremdkörpern den Motor der Rolltreppe sofort abstellt. Diese Konstruktion wurde bisher von anderen Erzeugern von Rolltreppen nicht übernommen, weil sie den Nachteil hat, daß es oft zu einem ungewollten Abstellen der Rolltreppe kommt, so zum Beispiel schon dann, wenn sich ein Rolltreppenbenützer durch die laufende Treppe auf die Kammplatte hinaufschieben läßt. In Frage käme auch der Einbau hochempfindlicher Relais, die den Motor bei jeder Änderung der Belastung abschalten. Auch diese Möglichkeit ist sehr problematisch, weil die zum Betrieb der Treppe notwendige Antriebskraft sehr stark von der Temperatur abhängig ist und es deshalb leicht zu ungewollten Störungen kommen kann. Nach dem derzeitigen Stand der Technik gibt es keine befriedigende Lösung des Problems, wie das Entstehen von Unfällen durch Eindringen von Fremdkörpern zwischen Tritt- und Kammplatte verhindert werden könnte.
Beide Vorinstanzen verneinten die Haftung der Zweitbeklagten mit der Begründung, daß diese weder an der Errichtung noch beim Betrieb der Rolltreppe ein Verschulden treffe. Damit entfalle auch eine Haftung der Erstbeklagten. Die Haftung der Drittbeklagten nach den Bestimmungen des Art 17 des Warschauer Abkommens sei nicht gegeben, weil sich der Unfall nicht beim Einsteigen ereignet habe; von einem Einsteigen könne nicht gesprochen werden, solange die zusteigenden Fluggäste noch keinen Zutritt zum Flugfeld erhalten haben. Das Berufungsgericht führte dazu noch weiter aus, wohl stelle die Gewährleistung des sicheren Zuganges zum Flugzeug eine Nebenpflicht aus dem Beförderungsvertrag dar. Wenn die Drittbeklagte mit der Erbringung der daraus resultierenden Leistungen die Erstbeklagte betraut habe, dann sei diese nicht als Erfüllungsgehilfe, sondern als Substitut der Drittbeklagten anzusehen und die Drittbeklagte hafte nur für ein Auswahlverschulden, das hier aber nicht vorliege.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge wendet sich gegen die Auslegung des hier zur Anwendung kommenden Art 17 des sogenannten Warschauer Abkommens, daß ein Unfall auf dem Weg vom Abfertigungsschalter zum Ausgang des Flughafengebäudes zum Flugfeld sich nicht beim "Einsteigen" ereignet habe. Der Kläger vertritt die Ansicht, es hätten sich sämtliche Passagiere, die sich zur Zeit des Unfalles auf der Rolltreppe aufhielten, schon in der Obhut der Beauftragten der Drittbeklagten, als welche die beim Ausgang zum Rollfeld befindlichen und mit der Abfertigung der Flugpassagiere beschäftigten Angestellten der Drittbeklagten V und K anzusehen seien, befunden, denn sie seien in der Überzeugung über die Rolltreppe zum Einsteigen in das Flugzeug gegangen, daß dieses Flugzeug bereits aufgerufen sei und daß es sich um den von ihnen gebuchten Flug gehandelt habe. Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil bei der Beurteilung der Frage, welche Fluggäste vom Luftfrachtführer zum Zwecke der Beförderung in seine Obhut genommen wurden, die subjektive, jedoch objektiv unrichtige Ansicht des betreffenden Fluggastes nicht maßgebend sein kann. Selbst wenn man der dem Standpunkt des Klägers am meisten entgegenkommenden Meinung Wessels, ZLR 1958, 216, zitiert in Schleicher - Reimann - Abraham. Das Recht der Luftfahrt, Bd I 345, folgt, der Art 17 des Warschauer Abkommens dahin auslegt, daß die Haftung des Luftfrachtführers bereits mit der auf das Erreichen des für die Luftreise bestimmten Luftfahrzeuges gerichteten Tätigkeit des Luftreisenden beginne, die in aller Regel ihren Anfang nehme, wenn der Luftfrachtführer die Fluggäste auffordere, sich in das Luftfahrzeug zu begeben, ist daraus für den Kläger nichts zu gewinnen. Als sich der Unfall des Klägers ereignete, war eben der von ihm gebuchte Flug noch nicht aufgerufen. Es war also noch keine Aufforderung des Luftfrachtführers an den Kläger ergangen, sich in das für seine Beförderung bestimmte Luftfahrzeug zu begeben. Es kann daher auch keine Rede davon sein, daß die Drittbeklagte in ihrer Eigenschaft als Luftfrachtführer den Kläger bereits in seine Obhut genommen hätte, um ihn zu dem Luftfahrzeug zu bringen oder zu geleiten. Das zeigt sich am deutlichsten darin, daß Fluggäste, die einem Aufruf eines Fluges in der irrigen Meinung folgen, es handle sich um den von ihnen gebuchten Flug, beim Ausgang zum Rollfeld anläßlich der Überprüfung der Einsteigkarte von den dort Dienst tuenden Angestellten des Luftfrachtführers auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht und zurückgewiesen werden müßten. Der vom Kläger bezogene Fall der Entscheidung NJW 1961, 1170 war insofern ganz anders gelagert, als sich dort der Unfall zu einer Zeit ereignete, als der betreffende Flug bereits aufgerufen und die von der Wartehalle zum Rollfeld führende Türe bereits geöffnet war, um den Fluggästen den Weg zum Flugzeug freizugeben. Daraus ist also für den Standpunkt des Klägers ebenfalls nichts zu gewinnen.
Das Berufungsgericht hat demnach richtig erkannt, daß sich der Unfall nicht beim "Einsteigen" iS des Art 17 des Warschauer Abkommens ereignet hat, sodaß es an der vom Kläger herangezogenen Grundlage einer Haftung der Drittbeklagten fehlt. Daß für eine Haftung der Erst- und der Zweitbeklagten mangels Nachweises eines Verschuldens bei der Herstellung, beim Betrieb oder der Wartung der Rolltreppe ebenfalls die Grundlage fehlt, wird in der Revision nicht mehr angezweifelt. Dem sei noch hinzugefügt, daß auch eine Haftung der Beklagten nach einem anderen Haftpflichtgesetz nicht besteht. Sofern eine Rolltreppe allenfalls als Seilbahn iS des § 6 Eisenbahngesetz, BGBl 1957/60, anzusehen sein und damit den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes unterfallen sollte, könnte auch daraus für den Kläger kein günstigeres Ergebnis abgeleitet werden, weil der Unfall nach den vorliegenden Feststellungen als ein die Ersatzpflicht ausschließendes, unabwendbares Ereignis nach § 9 des zitierten Gesetzes angesehen werden müßte.
Demzufolge mußte der Revision ein Erfolg versagt werden.
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