OGH 2Ob22/86

OGH2Ob22/8617.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herwig Z***, Angestellter, Ziernreith 4, 3823 Weikertschlag, vertreten durch Dr.Peter Fiegl und Dr.Frank Riel, Rechtsanwälte in Krems a.d.Donau, wider die beklagten Parteien 1.) Alois S***, kaufm.Angestellter,

3562 Buchbergerwaldhütten 14, 2.) W*** A*** Versicherungs-AG, Landesdirektion West, Ringstraße 12, 3500 Krems a.d.Donau,

  1. 3.) Thomas S***, Arbeiter, Bärensteig 9, 3730 Eggenburg,
  2. 4.) W*** S*** W*** V***,

    1010 Wien, Ringturm, alle vertreten durch Dr.Josef Lentschig, Rechtsanwalt in Horn, wegen S 876.216,-- s.A. und Feststellung (Revisionsinteresse S 400.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 26.Februar 1986, GZ18 R 287/85-25, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Krems a. d.Donau vom 9.August 1985, GZ14 Cg 37/84-19, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit S 17.563,98 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.920,-- Barauslagen und S 1.422,18 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der damals 24 Jahre alte Kläger erlitt am 10.9.1982 bei einem Verkehrsunfall einen Unfallschock, einen Abriß des linken Beines im Oberschenkelbereich, einen Abriß des linken Unterarmes im mittleren Drittel und eine schwere Schädigung des Oberarmnervengeflechtes links. Er wurde in lebensbedrohendem Zustand in das Krankenhaus eingeliefert. Während des bis 5.11.1982 dauernden stationären Aufenthaltes wurden wiederholt Operationen an den Muskelstümpfen durchgeführt, es kam zu starken Eiterungen an den Amputationsstellen. In der Zeit vom 16.11.1982 bis 15.3.1983 befand sich der Kläger im Rehabilitationszentrum. Es wurde ihm eine Beinprothese angepaßt. Das Anlegen einer Armprothese mißlang wegen der schweren Schädigung des Nervengeflechts, welche praktisch eine vollständige Lähmung der noch erhalten gebliebenen Abschnitte des linken Armes verursacht. Der Kläger benützt daher keine Armprothese, wohl aber eine Beinprothese, die er außerhalb der Wohnung, von seltenen Ausnahmen abgesehen, ständig trägt. Der Kläger hatte als Folge des Unfalls 40 Tage starke, 40 bis 42 Tage mittelstarke und 120 bis 135 Tage leichte Schmerzen. Stumpfbeschwerden werden in einem Zeitraum bis zu 5 Jahren nach dem Unfall noch weitere 100 bis 110 Tage leichte Schmerzen hervorrufen. Der Kläger erlernte den Beruf eines Kochs und Kellners, übte diesen Beruf auch einige Jahre aus und beabsichtigte, sich selbständig zu machen. Aufgrund der Verletzungsfolgen, die eine 100 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hatten, ist ihm die Ausübung des erlernten Berufes nicht mehr möglich, sein Vorhaben, als Selbständiger im Gastronomiebereich tätig zu werden, ist praktisch als gescheitert anzusehen. Seit 1984 ist er als nicht voll einsetzbare Bürohilfskraft (er kann keine Schreibmaschine betätigen) tätig, er empfindet diese Tätigkeit als wenig befriedigend. Der Kläger hat vor dem Unfall verschiedene Sportarten betrieben und hatte eine besondere Vorliebe für das Motorradfahren. Das Ausüben dieser Tätigkeiten ist ihm nicht mehr möglich. Wegen der Unfallsfolgen hat er einen Großteil seiner Freunde verloren, auch seine Freundin brach ihre Beziehungen zu ihm ab. Der Kläger fühlt sich als Krüppel. Obwohl er eine Beinprothese trägt, ist die Behinderung auch beim Tragen langer Hosen unübersehbar, ebenso bleibt die Verstümmelung des Armes auch in bekleidetem Zustand nicht verborgen, was zu gravierenden Beeinträchtigungen bei der Anknüpfung zwischenmenschlicher Kontakte führt.

Der Kläger begehrt unter anderem Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung (nur diese Ansprüche sind Gegenstand des Revisionsverfahrens).

Die Beklagten bestritten ihre Haftpflicht dem Grunde nach nicht. Das Erstgericht hielt ein Schmerzengeld von S 750.000,-- und eine Verunstaltungsentschädigung von S 250.000,-- für gerechtfertigt, das Berufungsgericht gab den Berufungen aller Parteien, soweit sie Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung betrafen, nicht Folge.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten, die eine Herabsetzung des Schmerzengeldes auf S 500.000,-- und der Verunstaltungsentschädigung auf S 100.000,-- anstreben.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revisionswerber führen aus, nach Tagessätzen würde sich ein Schmerzengeld von S 350.000,-- errechnen, unter Berücksichtigung seelischer Schmerzen wäre ein Betrag von S 500.000,-- angemessen. Hiezu werde auf die Entscheidungen 2 Ob 178/82, ZVR 1983/200, ZVR 1986/13 und ZVR 1986/18 verwiesen. Berücksichtigte man hinsichtlich der Verunstaltungsentschädigung, daß zu 8 Ob 114/78 für die Amputation eines Oberarmes S 50.000,-- zugesprochen worden seien, erscheine im vorliegenden Fall, in dem noch eine Beinamputation vorliege, ein Betrag von S 100.000,-- angemessen. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Eine Bemessung des Schmerzengeldes nach Tagessätzen hat nach ständiger Rechtsprechung und Lehre nicht zu erfolgen (Reischauer im Rummel, ABGB, Rdz 45 zu § 1325; 2 Ob 148/81 uva). Das Schmerzengeld ist vielmehr in einem Pauschalbetrag zuzusprechen, wobei die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Dauer und Intensität der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen sind (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld 4 , 157). Zu berücksichtigen sind auch seelische Schmerzen. Zu diesen gehören unter anderem alle Beeinträchtigungen der Lebensfreude (1 Ob 619/85), die Belastung eines durch die Verletzung bedingten Berufswechsels (2 Ob 154/71, 2 Ob 223/81 ua) sowie die Kränkung wegen dauernder Zurücksetzung durch die Umwelt aufgrund körperlicher Behinderung (2 Ob 357/69). Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, daß der Kläger durch den Unfall ein Bein und einen Arm verloren hat und dadurch auf Dauer sowohl im Berufsleben als auch bei vielen Verrichtungen des täglichen Lebens wesentlich behindert ist und bei Gestaltung seiner Freizeit ebenso wie bei der Anknüpfung zwischenmenschlicher Kontakte erheblich beeinträchtigt ist. Dazu kommen die festgestellten Schmerzperioden. Unter Berücksichtgung all dieser Umstände kann in der Bemessung des Schmerzengeldes mit S 750.000,-- kein Rechtsirrtum erblickt werden. Daran vermag auch der Hinweis der Revisionswerber auf mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs nichts zu ändern. In ZVR 1983/200 wurden für einen Verlust beider Beine S 700.000,-- zuerkannt, wobei die Revision nur von den Beklagten ergriffen worden war, sodaß der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob nicht allenfalls ein höheres Schmerzengeld gebühren könnte, nicht Stellung zu nehmen hatte. Auch in ZVR 1986/18, die überdies ganz andere nicht vergleichbare Verletzungsfolgen betraf, war nur über eine Revision der Beklagten zu entscheiden. Bei den den Entscheidungen 2 Ob 178/82 und ZVR 1986/13 zugrundeliegenden Fällen, in denen S 250.000,-- bzw. S 300.000,-- zuerkannt wurden, hatte der Kläger jeweils nur ein Bein verloren. Der Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 750.000,-- an den Kläger steht daher mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs in keinem Widerspruch.

Zur Verunstaltungsentschädigung ist der Hinweis auf die Entscheidung 8 Ob 114/78 nicht zielführend. Abgesehen davon, daß die Klägerin in diesem Fall nur einen Arm verloren hatte, hatte der Oberste Gerichtshof auch in diesem Fall über eine Revision der Beklagten zu entscheiden. Berücksichtigt man, daß zu 2 Ob 183/83 und 8 Ob 68/85 für den Verlust eines Beines Entschädigungen nach § 1326 ABGB in der Höhe von S 140.000,-- und S 150.000,-- zuerkannt wurden, dann kann im vorliegenden Fall eine Verunstaltungsentschädigung von S 250.000,-- nicht als überhöht bezeichnet werden, zumal sowohl auf die vergleichsweise erheblich verschlechterten Berufsaussichten als auch auf eine wesentliche Verminderung der Heiratsaussichten des unverheirateten Klägers Bedacht zu nehmen ist.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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