OGH 2Ob222/01p

OGH2Ob222/01p20.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig L*****, vertreten durch Dr. Paul Friedl, Rechtsanwalt in Eibiswald, wider die beklagten Parteien 1. Evelyn B*****, und 2. ***** Versicherungs AG, ***** beide vertreten durch Dr. Harald Christandl, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 70.068,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 31. Mai 2001, GZ 17 R 70/01s-17, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Februar 2001, GZ 26 C 1562/00d-13, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Partei begehrt die Zahlung von S 70.068 sA und brachte dazu ausschließlich vor, die Erstbeklagte habe am 21. 5. 2000 einen Verkehrsunfal verursacht, wobei das Alleinverschulden am Zustandekommen des gegenständlichen Verkehrsunfalles die Erstbeklagte treffe. Dadurch sei ein Schaden in der Höhe des Klagsbetrages entstanden.

Die beklagten Parteien wendeten ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall. Er habe rechts geblinkt und sich auf dem Rechtsabbiegestreifen befunden. Die Erstbeklagte habe ihr Linksabbiegemanöver fortgesetzt, weil die in die beabsichtigte Fahrtrichtung der Erstbeklagten verlaufende Wiener Straße dort zwei Fahrstreifen aufweise; der Kläger habe die Kreuzung jedoch unvorhersehbar geradeaus übersetzt, weshalb trotz einer sofortigen Reaktion der Erstbeklagten der Unfall nicht zu verhindern gewesen sei. Aufrechnungsweise wendeten die Beklagten eine Gegenforderung von 39.029 S ein.

Das Erstgericht stellte fest, die Klagsforderung bestehe mit S 70.068 zu Recht, nicht hingegen die eingewendete Gegenforderung; es verurteilte daher die beklagten Parteien zur Zahlung von S 70.068 sA.

Dabei wurden folgende Feststellungen getroffen:

Die Wiener Straße verläuft im Bereich der gegenständlichen Kreuzung aus Süden kommend in einem flachen Linksbogen und setzt sich nördlich des Kreuzungsbereiches in der Zufahrt zur A 9 fort. Südlich des Kreuzungsbereiches ist die Straße durch eine Grüninsel in zwei Fahrbahnhälften geteilt. Aus Osten mündet die Fortsetzung der Wiener Straße in den Kreuzungsbereich, wobei die Einmündung durch drei durch Grüninseln getrennte Fahrstreifen erfolgt. Der Teil der Richtungsfahrbahn zur Einfahrt in die Wiener Straße sowie zum Queren der Wiener Straße ist durch Leitlinien in drei Fahrstreifen geteilt, wobei der mittlere Fahrstreifen für den richtungsbeibehaltenden, der südliche Fahrstreifen für den linksabbiegenden und der nördliche Fahrstreifen für den in Richtung Norden nach rechts abbiegenden Verkehr eingerichtet ist. Die drei Fahrstreifen sind durch eine Haltelinie begrenzt.

Aus Westen mündet die Ausfahrt des Industrieparkes Nord. Auf dieser Ausfahrt sind drei Fahrstreifen markiert, der südliche Fahrstreifen ist für den nach rechts in Richtung Süden in die Wiener Straße abbiegenden Verkehr vorgesehen. "Der mittlere Fahrstreifen ist für den die Richtung beibehaltenden, die Kreuzung querenden Verkehr vorgesehen, und zusätzlich zum Rechtsabbiegen der nördliche Fahrstreifen zur Mittelgrüninsel dient dem Linksabbiegeverkehr in Richtung Norden". Die drei Fahrstreifen sind durch eine Haltelinie begrenzt.

Der gesamte Kreuzungsbereich ist durch Ampelanlagen geregelt, er ist aus Westen kommend frei einsehbar, die Sicht in Richtung Osten reicht bis etwa 50 m östlich des Kreuzungsbereiches.

Zum Unfallszeitpunkt herrschte Tageslicht, die Fahrbahnen waren trocken.

Der Kläger kam vom Industriepark aus Westen und beabsichtigte, den Kreuzungsbereich richtungsbeibehaltend in Richtung Osten zu queren. Zu diesem Zweck benutzte er die mittlere Fahrspur und hielt vor der Haltelinie an, weil die Ampelanlage Rotlicht zeigte. Nach dem Umschalten auf Grün fuhr er zügig in die Kreuzung ein; zu diesem Zeitpunkt war das von der Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug noch etwa 31 m vor der Unfallstelle und somit rund 4 m vor der Haltelinie. Für die Erstbeklagte, welche auf der Wiener Straße aus Osten kommend an den Kreuzungsbereich heranfuhr, zeigte die Ampelanlage Grünlicht. Die Erstbeklagte bog nach links ab, worauf der Kläger versuchte, nach rechts auszulenken, dennoch kam es im Bereich der Kreuzungsmitte zur Kollision.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass die linksabbiegende Erstbeklagte den Vorrang des Klägers, der die mittlere Fahrspur benützt habe, um den Kreuzungsbereich in richtungsbeibehaltender Weise zu queren, verletzt habe (§ 19 Abs 5 StVO).

Gegen dieses Urteil erhoben die beklagten Parteien Berufung, in der sie geltend machen, das Erstgericht habe im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers unzulässigerweise überschießende Feststellungen getroffen; die klagende Partei habe ihrer Behauptungspflicht, soweit sie für die Schlüssigkeit der Klage notwendig sei, nicht entsprochen, die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens sei nicht saniert worden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre das Erstgericht verpflichtet gewesen, festzustellen, dass es ihm auf Grund eines mangelnden Vorbringens der klagenden Partei verwehrt sei, für diese günstige Feststellungen zu treffen, weshalb der erstbeklagten Partei auch kein Verstoß gegen § 19 Abs 5 StVO angelastet werden könne.

Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz wurde vom Kläger in der von ihm erstatteten Berufungsbeantwortung nicht gerügt.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück; es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, unvollständiges Sachvorbringen führe zu einer dem Behauptungspflichtigen nachteiligen Sachentscheidung, doch sei die Behauptungslast nicht uneingeschränkt, sondern werde durch die richterliche Prozessleitung ergänzt. Lasse sich der behauptete Sachverhalt unter den Tatbestand eines Rechtssatzes subsumieren und entspreche die Rechtsfolge dieses Rechtssatzes dem Klagebegehren, so sei die Klage schlüssig. Sei dies aber nicht der Fall, sei die Klage unschlüssig und müsse mit Urteil abgewiesen werden. Zuvor müsse das Gericht aber eine Verbesserung anregen.

Im vorliegenden Fall sei die Klage unschlüssig, weil nicht einmal ansatzweise ein Sachverhalt behauptet worden sei, der sich unter einen Rechtssatz der StVO subsumieren lasse. Das Erstgericht hätte daher nach § 182 ZPO das unschlüssige Klagebegehren erörtern und der klagenden Partei Gelegenheit geben müssen, dieses zu ergänzen.

Wenn das Berufungsgericht ein Klagebegehren für unschlüssig halte, müsse es entweder selbst einen Verbesserungsauftrag erteilen oder das erstinstanzliche Urteil aufheben und dem Erstgericht ein Verbesserungsverfahren auftragen. Die sofortige Klagsabweisung mache das Berufungsverfahren mangelhaft. Die Verbesserung habe amtswegig zu erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob der Kläger rechtsfreundlich vertreten sei oder nicht.

Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren die unschlüssige Klage zu erörtern und nach der allfälligen Verbesserung eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

Zur Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof führte das Berufungsgericht aus, die Verletzung der Anleitungspflicht begründe einen Verfahrensmangel, der nur wahrgenommen werden könne, wenn ihn der Rechtsmittelwerber geltend mache. Obwohl die beklagten Parteien in ihrer Berufung die "überschießenden Feststellungen" bzw die Unschlüssigkeit der Klage geltend gemacht hätten, habe es die klagende Partei unterlassen, in der Berufungsbeantwortung die Verletzung der Anleitungspflicht zu rügen. Man könne daher auch den Standpunkt vertreten, der Berufungsgegner wäre im Hinblick auf die Berufungsausführungen zur Unschlüssigkeit der Klage gehalten gewesen, die Verletzung der Anleitungspflicht als Verfahrensmangel zu rügen. Zur Frage, inwieweit der im Verfahren erster Instanz obsiegende Berufungsgegner gehalten sei, in seiner Berufungsbeantwortung die ihm im Hinblick auf eine unschlüssige Klage zur Last fallende Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht als Verfahrensmangel zu rügen, fehle eine Rechtsprechung. Weiters fehle auch eine neuere Rechtsprechung dazu, ob es eine unzulässige Neuerung darstelle, wenn erstmals in der Berufung geltend gemacht werde, das Begehren sei nicht schlüssig.

Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Parteien mit dem Antrag, den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes aufzuheben und das Klagebegehren abzuweisen.

Die klagende Partei hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Die beklagten Parteien machen in ihrem Rechtsmittel geltend, die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens sei weder verbesserbar noch sei es erforderlich, die klagende Partei im Anwaltsprozess diesbezüglich anzuleiten. Die Anleitungspflicht beziehe sich nämlich immer nur auf die verfahrensrechtliche Seite einer Parteierklärung, nicht aber auf den ihr möglicherweise innewohnenden materiellen Gehalt. Überdies müsse das Gericht rechtsfreundlich vertretene Parteien nicht weiter belehren.

Weiters begründe die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht einen Verfahrensmangel, der nur dann wahrgenommen werden könne, wenn ihn der Rechtsmittelwerber geltend mache. Trotz der Tatsache, dass die beklagten Parteien im Rahmen der Berufung mehrfach darauf hingewiesen hätten, dass das Klagebegehren den Voraussetzungen des § 226 Abs 1 ZPO nicht entspreche, habe die klagende Partei lediglich lapidar ausgeführt, ihrer Ansicht nach sei das Klagebegehren als schlüssig zu betrachten. Eine Verletzung der Anleitungspflicht sei nicht einmal ansatzweise behauptet worden. Das Berufungsgericht hätte daher diesen Verfahrensmangel nicht aufgreifen dürfen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Nach Lehre und Rechtsprechung ist § 84 Abs 3 ZPO, der die amtswegige Anordnung der Verbesserung vorsieht, wenn in einem Schriftsatz Erklärungen oder sonstiges Vorbringen fehlen, die für die mit dem Schriftsatz vorgenommenen Prozesshandlungen vorgeschrieben sind, auch auf (nicht fristgebundene) Klagen anzuwenden (Gitschthaler in Rechberger2 ZPO § 85 Rz 14). Diese Bestimmung verpflichtet das Gericht zur Einleitung eines Verbesserungsverfahrens dann, wenn einem bestimmten Schriftsatz der gesetzlich vorgeschriebene Inhalt fehlt, weshalb ein Antrag nicht sachlich erledigt werden kann; hingegen ist eine Verbesserung nicht möglich, wenn das Vorbringen zwar unvollständig und damit auch unschlüssig ist, darüber jedoch, wenn auch nicht im stattgebenden Sinne, abgesprochen werden kann. Die Unschlüssigkeit ist also dann verbesserungsfähig, wenn sie auf einer solchen Unvollständigkeit des Sachvorbringens beruht, welche die sachliche Antragserledigung nach jeder Richtung hin ausschließt, nicht aber dann, wenn sie die Folge unrichtiger Beurteilung (Subsumtion) ist (RIS-Justiz RS0036455; 8 ObA 149/00w mwN). Im vorliegenden Fall liegt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Unvollständigkeit des Sachvorbringens vor, welche die sachliche Antragserledigung nach jeder Richtung hin ausschließt, nicht aber eine solche, welche die Folge unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist. Das Erstgericht wäre daher im Rahmen der richterlichen Anleitungspflicht dazu gehalten gewesen, darauf hinzuwirken, dass alle entscheidungserheblichen Angaben gemacht werden (Fucik in Rechberger2, ZPO, § 182 Rz 1). Der Verbesserungsauftrag ist von Amts wegen zu erteilen, selbst wenn die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (RZ 2000/26 mwN). Wenn das Berufungsgericht ein Klagebegehren für zu wenig bestimmt oder unschlüssig hält, hat es selbst in der Berufungsverhandlung einen Verbesserungsauftrag zu erteilen oder das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und dem Erstgericht ein Verbesserungsverfahren aufzutragen. Die sofortige Klageabweisung macht das Berufungsverfahren mangelhaft (RIS-Justiz RS0036355; RZ 2000/76).

An sich begründet die Verletzung der richterlichen Anleitungspflicht einen Verfahrensmangel, der nur wahrgenommen werden kann, wenn ihn der Rechtsmittelwerber geltend macht (Fucik, aaO, § 182 Rz 2 mwN). Dies gilt aber nur dann, wenn das Klagebegehren wegen Unschlüssigkeit abgewiesen wurde. Im vorliegenden Fall ist aber das Erstgericht - wenngleich zu Unrecht - davon ausgegangen, dass das Klagebegehren schlüssig ist, andernfalls hätte es ja keine klagsstattgebende Entscheidung treffen können. Die unrichtige Annahme der rechtlichen Schlüssigkeit stellt aber eine unrichtige rechtliche Beurteilung dar, deren Folge eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz ist. Unabhängig von der Frage, inwieweit Verfahrensmängel die im Verfahren erster Instanz obsiegende Partei in der Berufungsbeantwortung zu rügen hat (s hiezu Kodek in Rechberger2 ZPO § 468 Rz 5), bestand jedenfalls keine Verpflichtung der in erster Instanz obsiegenden Partei, die (zu ihren Gunsten erfolgte) unrichtige rechtliche Beurteilung in der Berufungsbeantwortung zu rügen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht auch dargelegt, dass dann, wenn erstmals in der Berufung geltend gemacht wird, dass das Begehren mangelhaft gefasst und nicht schlüssig begründet sei, nicht gegen das Neuerungsverbot verstoßen wird. Die mangelnde Bestimmtheit des Begehrens ist nämlich von Amts wegen zu beachten und unterliegen rechtliche Ausführungen auf der erstinstanzlichen Tatsachengrundlage nicht dem Neuerungsverbot (Kodek, aaO, § 482 Rz 10). Die gegenteilige Ansicht in ZBl 1923/185 kann nicht aufrecht erhalten werden.

Es war daher dem Rekurs der beklagten Parteien nicht Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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