Spruch:
Eine allgemeine Abfindungserklärung, die nach einem Vergleich durch Unterfertigung eines nicht durchgelesenen Formulars abgegeben wird, kann unter den allgemeinen Voraussetzungen wegen Irrtums angefochten werden, wenn noch vor Auszahlung des Vergleichsbetrages darauf hingewiesen wird, daß sich der Vergleich nur auf einzelne der offenen Ansprüche beziehen soll.
Entscheidung vom 4. September 1969, 2 Ob 216/69.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Kläger wurde am 18. Mai 1967 bei einem Verkehrsunfall in Linz verletzt; er erlitt dabei auch Fahrzeug- und Kleiderschäden. Der Beklagte wurde mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Linz wegen dieses Unfalles der Übertretung nach § 431 StG. schuldig erkannt. Der Kläger verlangt nun Schmerzengeld, Verdienstentgang und Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle künftigen Schäden.
Der Beklagte bestritt diese Ansprüche dem Gründe und der Höhe nach und behauptete überdies, daß alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall im Zuge eines außergerichtlichen Vergleiches mit dem Haftpflichtversicherer des Beklagten abgefunden worden seien. Der Kläger brachte dagegen vor, daß sich die von ihm unterschriebene Abfindungserklärung nur auf den Fahrzeug- und Kleiderschaden bezogen habe; er habe nur irrtümlich eine allgemeine Abfindungserklärung unterfertigt. Dieser Irrtum sei von der Gegenseite veranlaßt, aber auch noch rechtzeitig aufgeklärt worden. Die Erklärung des Klägers habe überdies auf einem beiderseitigen Irrtum beruht. Schließlich sei das Bestehen des Beklagten auf der Einhaltung des Vergleiches sittenwidrig.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger im Zuge eines Vergleiches unanfechtbar auf alle weiteren Ansprüche verzichtet habe.
Auf Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es war der Auffassung, daß der Abfindungsvergleich vom Kläger mit Recht wegen Irrtums angefochten werde und daher der Bestand der geltend gemachten Ansprüche zu prüfen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach dem festgestellten Sachverhalt wandte sich der Kläger nach dem Unfall zunächst fernmündlich wegen des Ersatzes des Schadens am Moped an den Haftpflichtversicherer des Beklagten. Dieser veranlaßte darauf ein Gutachten über diesen Schaden. Am 23. Oktober 1967 sprach der Kläger beim Schadensreferenten des Haftpflichtversicherers wegen dieses Schadens vor. Es wurde ihm der im Gutachten als angemessen bezeichnete Betrag (3700 S) angeboten, der dann wegen des Kleiderschadens auf 4200 S erhöht wurde. Der Kläger war damit einverstanden und erwähnte nichts von weiteren Schäden, insbesondere auch nicht von Ansprüchen wegen der erlittenen Körperverletzung. Nach seinem Einverständnis mit dem angebotenen Betrag wurde ihm ein Vergleichsformular mit einer allgemeinen Abfindungserklärung zur Unterschrift vorgelegt. Der Kläger unterfertigte es und dann auch einen Auszahlungsbeleg. Er war aber dabei der Meinung, daß sich diese Schriftstücke nur auf den Fahrzeug- und Kleiderschaden beziehen. Erst als er zur Kasse gebeten wurde, erwähnte er, daß er noch weitere Forderungen habe, die er durch seinen Anwalt geltend machen werde. Als ihm darauf vorgehalten wurde, daß sich die Abfindungserklärung auf alle Schäden beziehe, wollte er die unterschriebene Urkunde wieder an sich nehmen und den Vergleichsbetrag nicht annehmen. Erst als ihm gesagt wurde, daß der Betrag dann mit der Post überwiesen werde, nahm er das Geld.
Richtig ist, daß der Kläger, der die Urkunde ungelesen unterschrieb, die darin enthaltene Erklärung grundsätzlich gegen sich gelten lassen muß. Er kann aber diese Erklärung unter denselben Voraussetzungen anfechten wie eine ausdrücklich abgegebene oder eine schriftliche Erklärung nach Durchlesen der Urkunde. Damit wird entgegen der Auffassung des Rekurses das Risiko des Vertragspartners nicht ungebührlich erhöht, weil er mit einer Anfechtungsmöglichkeit einer Erklärung unter den allgemeinen Voraussetzungen auch dann rechnen muß, wenn der Vertragspartner die Urkunde, die er unterschrieb, vorher durchlas. Die Feststellung der Untergerichte, daß der Kläger die Vergleichsurkunde "im Glauben" unterfertigte daß die Abfindungserklärung lediglich seinen Fahrzeug- und Kleiderschaden betreffe, kann - unbefangen betrachtet - nur dahin verstanden werden, daß der Kläger über den Inhalt der Erklärung, nämlich darüber, worauf sich der Vergleich beziehen sollte, und nicht, wie der Rekurs meint, über das Motiv dazu irrte. Der Kläger wollte sich nämlich nur hinsichtlich des Kleider- und Fahrzeugschadens abgefunden erklären, während der Inhalt der unterfertigten Urkunde eine allgemeine Abfindung bedeutete.
Der Kläger hat aber diesen seinen Irrtum rechtzeitig aufgeklärt. Er hat nämlich nach der Unterschriftsleistung, aber noch bevor die Gegenseite im Vertrauen auf seine Erklärung eine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung traf (Gschnitzer in Klang; IV/1 133, Gschnitzer, Allgem. Teil S. 181, SZ. XXIV 288, EvBl. 1956 Nr. 18) mitgeteilt, daß er die Abfindungserklärung nicht auf die Ansprüche wegen Körperverletzung beziehe. Dem Hinweis, daß diese Erklärung erst nach Unterfertigung der Urkunde erfolgte, muß entgegengehalten werden, daß eine Aufklärung des Irrtums vor der Unterfertigung der Urkunde gar nicht möglich war, weil die irrtümliche Erklärung vom Kläger erst mit der Unterfertigung der Urkunde abgegeben wurde. Bei den vorangegangenen Verhandlungen wurden die Punkte, auf die sich der Irrtum bezog, nicht erörtert und es wurde eine Vereinbarung darüber auch nicht getroffen. Die Ausstellung der internen Kassaanweisung durch Angestellte des Haftpflichtversicherers bedeutet weder eine rechtliche noch eine wirtschaftliche Verfügung im Vertrauen auf die vom Kläger abgegebene Erklärung. Der Kläger stellte seine Erklärung richtig, bevor diese Anweisung realisiert wurde. Er war in der Folge mit der Auszahlung des Geldes auch nur deswegen einverstanden, weil ihm gesagt wurde, daß sonst das Geld mit der Post geschickt werde, er also annehmen mußte, daß ihm das Geld ohne Rücksicht auf die erfolgte Aufklärung seines Irrtums zukommen werde. In der Annahme dieses Vergleichsbetrages kann daher auch keine nachträgliche Genehmigung des Vergleiches oder ein Verzicht auf eine Anfechtung wegen des unterlaufenen Irrtums erblickt werden.
Die Anfechtung des Vergleiches ist vielmehr begrundet, sodaß die nunmehr behaupteten Ansprüche nicht schon deswegen verneint werden können, weil der Kläger auf sie im Vergleich verzichtet habe. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht das Urteil des Erstgerichtes zur Prüfung der behaupteten Ansprüche aufgehoben.
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