Spruch:
Es wird der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Gericht zweiter Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Am 2.8.1994 ereignete sich auf der Katschberg-Bundesstraße B 99 in R*****, im Bereich der Zufahrt zur Tauernautobahn A 10 Richtung Villach eine Kollision zwischen dem vom Kläger gelenkten und gehaltenen PKW Mazda 323 (Kennzeichen: SP-*****, 1,67 m breit) und dem von Erwin S***** gelenkten PKW BMW mit dem deutschen Kennzeichen ***** (1,67 m breit). Gleichzeitig lenkte der Erstbeklagte in diesem Bereich den von der zweitbeklagten Partei gehaltenen PKW Peugot 205 mit dem Kennzeichen W-***** (1,57 m breit). Die Fahrbahn war trocken, es herrschten keinerlei Sichthindernisse. Die B 99 verläuft im Unfallsbereich in Nord-Süd-Richtung, in Fahrtrichtung Süden (Fahrtrichtung des Klägers und des Erstbeklagten) weist sie ein Gefälle von rund 3 % auf. Die im Bereich der südlichen Kante der Ordnungslinie des Linksabbiegefahrstreifens gedachte Normale zur Längsachse der B 99 dient als Bezugslinie (folgend: BL). 90 m nördlich der BL öffnet sich ein Linksabbiegestreifen (die Auffahrt zur A 10 Richtung Villach). In einer Entfernung von 75 m nördlich der BL erreicht dieser Linksabbiegestreifen seine volle Breite von 3,4 m. Die Breite des westlichen, in Richtung Süden führenden (vom Erstbeklagten benutzten) Fahrstreifens beträgt 3,7 m, jene des östlichsten, in Richtung Norden führenden (von Erwin S***** benützten) Fahrstreifens beträgt 3,8 m. Die Abgrenzung zwischen dem westlichen und dem Linksabbiegestreifen wird von der BL bis 10 m nördlich der BL als Sperrlinie, dann weiter in Richtung Norden als Leitlinie geführt. Der östlichste Fahrstreifen und der Linksabbiegestreifen sind voneinander durch eine Sperrlinie getrennt. Der PKW Mazda 323 hatte im Unfallszeitpunkt einen Verkehrswert von S 62.000,--; der Aufwand für die Reparatur des durch den Unfall entstandenen Schadens beträgt S 55.430,--.
Der Kläger begehrt vorliegend den Ersatz des PKW-Schadens mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe den Verkehrsunfall zwischen ihm und dem PKW BMW des Erwin S***** durch einen plötzlichen und völlig überraschenden Fahrstreifenwechsel auf den Linksabbiegestreifen verschuldet, indem er den rechtzeitig zum Linksabbiegen eingeordneten Kläger auf den für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen abgedrängt habe.
Die beklagten Parteien wendeten ein, daß der Erstbeklagte in der Absicht, ebenfalls nach links abzubiegen, zwar den linken Blinker betätigt, jedoch die Geradeausfahrspur nicht verlassen habe, weil auf der Linksabbiegespur eine Kolonne von Motorrädern gefahren sei. Die Kollision zwischen dem Kläger und Erwin S***** habe sich vor ihm ereignet. Den Kläger treffe daran das Alleinverschulden, weil er den von Erwin S***** im Gegenverkehr gelenkten PKW übersehen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Betrag von S 55.430,-- samt Nebengebühren statt, (das Mehrbegehren von S 2.010,-- wies es - unangefochten - ab). Es ging dabei noch von folgenden weiteren Feststellungen aus.
Der Kläger habe sein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h gelenkt, Erwin S***** sei mit einer Geschwindigkeit von rund 53 km/h ihm entgegengekommen. Der Kläger und der Erstbeklagte hätten beabsichtigt, auf die A 10 in Fahrtrichtung Villach aufzufahren. Der Erstbeklagte habe die Auffahrt zu spät bemerkt. Der Kläger habe den linken Blinker bereits gesetzt und auf die Linksabbiegespur gewechselt, als der Erstbeklagte sich vor ihm auf der Geradeausfahrspur und zwischen den beiden etwa 8 bis 10 Motorräder befunden hätten. Auf Grund seiner höheren Fahrgeschwindigkeit habe der Kläger - auf der Abbiegespur fahrend - auf das langsamer fahrende Fahrzeug des Erstbeklagten aufgeholt. Das Fahrzeug des Klägers habe sich in einer Position von rund 36 m nördlich der BL (bezogen auf die Sitzposition des Klägers) befunden, als der Erstbeklagte den linken Blinker gesetzt und begonnen habe, das Beklagtenfahrzeug auf den Linksabbiegestreifen zu lenken. Dabei habe sich das Beklagtenfahrzeug auf einer Position rund 10 m bis 15 m nördlich der BL befunden, der Tiefenabstand zwischen den Fahrzeugen habe rund 19 m betragen. Ob das Beklagtenfahrzeug die Abbiegespur tatsächlich befahren habe, könne nicht festgestellt werden. Als Reaktion auf das Einlenken des Erstbeklagten habe der Kläger eine nichtblockierende Bremsung durchgeführt und das Klagsfahrzeug rund 12 m nördlich der BL über die Sperrlinie (auf den östlichsten Fahrstreifen auf die Gegenfahrbahn) gelenkt. 4 m südlich der BL im Bereich der Mitte des östlichen Fahrstreifens sei es zur Kollision zwischen dem Fahrzeug des Klägers und dem von Erwin S***** gelenkten BMW gekommen, wobei die Kollision im Bereich der Mitte des östlichen Fahrstreifens der B 99 erfolgt, der Kollisionswinkel sehr flach - höchsten 15 Grad - gewesen und eine linksseitige Überlappung der Unfallsfahrzeuge von 0,3 m vorgelegen sei, und die Kollisionsgeschwindigkeit beider Fahrzeuge rund je 20 km/h betragen habe. In rechtlicher Beurteilung dieser Feststellungen wies das Erstgericht dem Erstbeklagten das Alleinverschulden am Unfall(schaden) des Klägers zu, weil er viel zu spät den Blinker gesetzt und durch sein Auslenken die Reaktion des Klägers ausgelöst habe.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es stellte ergänzend fest, daß der Erstbeklagte usprünglich auf dem westlichen Fahrstreifen eine Fahrlinie einhielt, bei der die rechte Seite des PKWs etwa 0,8 m von der weißen Randlinie entfernt war, und in der Folge an die Leitlinie heranfuhr, sodaß der PKW um 1,33 m (nach links zur Abbiegespur hin) versetzt wurde. Ob der Erstbeklagte die Leitlinie (zum Linksabbiegestreifen hin) überhaupt überfahren habe - wie dies der Kläger in der Berufungsbeantwortung unter Berufung auf seine Parteienaussage und die Zeugenaussagen seiner beiden bei ihm mitgefahrenen Töchter behauptete - brauche nicht geprüft zu werden. Auf dieser Sachverhaltsgrundlage erweise sich die Rechtsrüge der Berufung als unberechtigt: Ob der Kläger den von Erwin S***** gelenkten PKW übersehen habe und seinen PKW - als Reaktion auf das Einlenken des Erstbeklagten - trotz Sicht auf den entgegenkommenden PKW rund 12 m nördlich der BL, also in einem noch nicht auf die Zufahrt zur Autobahn führenden Bereich - über die Sperrlinie lenkte, sei für das den Kläger und den Erstbeklagten betreffende Verhältnis unbeachtlich. Gemäß § 11 Abs 1 StVO dürfe der Lenker eines Fahrzeuges den Fahrstreifen nur wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung und Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Er hat den bevorstehenden Wechsel des Streifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können (§ 11 Abs 2 StVO). Ein Fahrstreifenwechsel habe schon dann zu unterbleiben, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer im Sinne des § 11 Abs 1 StVO gegeben sei. Eine solche Behinderung liege schon dann vor, wenn der andere Verkehrsteilnehmer zum Bremsen oder Auslenken genötigt werde. Nehme der Lenker eines Kraftfahrzeuges eine gewollte Auslenkung nach links in einem Ausmaß vor, das nicht als Wechsel des Fahrstreifens zu beurteilen sei und demnach auch keine Anzeige erfordere, so habe er sich vorher davon zu überzeugen, ob er dadurch nicht einen anderen Verkehrsteilnehmer gefährde oder behindere. Die Besonderheit des vorliegenden Falles bestehe darin, daß der Erstbeklagte nur an die Leitlinie herangefahren sei, die Abbiegespur aber nicht befahren habe. Das Heranfahren an die Leitlinie falle in den Rahmen des vom Kläger geltend gemachten Klagegrundes des Fahrstreifenwechsels. Das Berufungsgericht sei der Auffassung, daß der Kläger auf Grund des festgestellten Fahrverhaltens des Erstbeklagten ein Überfahren der Leitlinie und somit einen Fahrstreifenwechsel des Erstbeklagten befürchten und auf diese plötzlich auftretende Gefahr reagieren habe müssen. Eine Fehlreaktion des Klägers sei nicht behauptet worden und ergebe sich auch nicht aus dem Akt.
Zur Frage inwieweit im Fall zweier nebeneinander führender Fahrstreifen durch Linksblinken und Heranfahren an die die beiden Fahrstreifen trennende Leitlinie tatsächlich ein Fahrstreifenwechsel "befürchtet und auf diese plötzlich auftretende Gefahr reagiert werden" muß, fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die zweitinstanzliche Entscheidung gerichtete Revision der beklagten Parteien ist mit ihrem Eventualantrag auf Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache vor das Berufungsgericht berechtigt.
Gemäß § 11 Abs 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeuges den Fahrstreifen nur wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß dies ohne Gefährdung und Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Nach Abs 2 leg cit hat der Lenker eines Fahrzeuges den bevorstehenden Fahrstreifenwechsel so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Zutreffend hat das Gericht zweiter Instanz der ständigen Rechtsprechung folgend ausgesprochen, daß ein Fahrstreifenwechsel schon dann zu unterbleiben hat, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer (insbesondere nachkommender) Verkehrsteilnehmer gegeben ist, wobei eine solche Behinderung schon dann vorliegt, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer zum Bremsen oder Auslenken genötigt wird (ZVR 1995/125 = 2 Ob 46/94 mwN; ZVR 1982/217 ua). Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß ein Verstoß gegen § 11 StVO nicht erst dann vorliegt, wenn - nach der verspäteten Anzeige des Fahrstreifenwelchsels - tatsächlich der ursprüngliche Fahrstreifen teilweise oder völlig verlassen und der angestrebte Fahrstreifen teilweise oder gänzlich befahren wird, sondern bereits dann, wenn in einer Weise an die zwischen den beiden Fahrstreifen angebrachte Leitlinie herangefahren wird, daß der dadurch behinderte PKW-Lenker (hier der auf der Linksabbiegespur nachkommende Kläger) zum Bremsen oder Auslenken genötigt wird, um einen sonst vermeintlich drohenden (Auffahr-)Unfall zu vermeiden (vgl ZVR 1983/160). Das Berufungsgericht hat jedoch das zum vorliegenden Unfall (mit dem im Gegenverkehr herannahenden PKW BMW) führende Fahrverhalten des Klägers angesichts der sonst festgestellten Tatumstände unzutreffend als völlig schuldloses, vom Erstbeklagten verursachtes, abgenötigtes Reaktionsverhalten beurteilt. Nach ständiger Rechtsprechung muß von jedem Kraftfahrer verlangt werden, daß er auch in (vermeintlich) gefährlichen Situationen in der Lage bleibt, maßhaltende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen, und zu überstürztem, allenfalls (sonst allgemein) gröblich verkehrswidrigem Verhalten (wie etwa dem Überfahren einer Sperrlinie in den einzigen für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen) ohne Schuldvorwurf erst dann Zuflucht nehmen darf, wenn die (vermeintliche) Gefahr für ihn plötzlich und überraschend auftritt und wenn mit dem Gelingen des Abwehrmanövers gerechnet werden muß (ZVR 1983/231 und 160; 1979/174; 1978/148 ua). Diese Voraussetzungen treffen hier schon nach den bisherigen Sachstand (wobei noch nicht feststeht, ob der Erstbeklagte - im Sinne der Behauptungen des Klägers, die vom Berufungsgericht ungeprüft blieben - die Leitlinie zur Linksabbiegespur überfuhr und letztere zumindest teilweise benützte, als der Kläger auf sein Verhalten reagierte) für den Kläger nicht zu, weil ihm danach eine Reaktion (in Form einer starken Bremsung und/oder nur durch eine leichte Versetzung seines Fahrzeuges nach links an den Rand der 3,4 m breiten Linksabbiegespur im Sinne der obigen Darlegungen durchaus zumutbar gewesen wäre und ein völliges Verlassen der Linksabbiegespur über die Sperrlinie hinweg bis in die Mitte (!) des nur für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifens, all dies nur bei einer ursprünglichen leichten Betriebsbremsung durchaus als (Mit-)Verschulden zugerechnet werden muß. Die Anrechnung dieses Fehlverhaltens des Klägers ist auch im Bestreitungs- vorbringen der beklagten Parteien gedeckt, welche den Verkehrsunfall des Klägers überhaupt nur seinem völlig unaufmerksamen Verhalten in bezug auf seinen Gegenverkehr zugeschrieben haben. Die Sache ist jedoch allein deshalb noch nicht entscheidungsreif, weil nicht feststeht, ob der Erstbeklagte mit dem PKW die Leitlinie zum Linksabbiegefahrstreifen überschritten und letztere zumindest teilweise bereits befahren hat, als der Kläger auf sein Verhalten reagieren mußte. Erst wenn diese, vom Kläger behauptete und zu beweisende Tatsache geklärt ist, kann das Ausmaß des (Mit-)Verschudens des Klägers am vorliegenden Schadensgeschehen verläßlich beurteilt werden. Bleibt es nämlich bei der derzeitigen Sach- und Beweislage, so wird das (Mit-)Verschulden des Klägers höher zu beurteilen sein, als wenn er vom Erstbeklagten auch durch dessen Benützung des Linksabbiegestreifens zum Auslenken (allenfalls in den Gegenverkehrfahrstreifen) abgedrängt oder gar gezwungen worden sein sollte.
Da das Berufungsgericht die darauf bezügliche, vom Kläger gerügte Negativfeststellung des Erstgerichtes dahingestellt ließ und diesen Teil der - in der Berufungsbeantwortung des Klägers erstatteten - Tatsachenrüge auf Grund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht nicht behandelte, ist spruchgemäß zu entscheiden.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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