OGH 2Ob20/86

OGH2Ob20/867.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fred F***, Inhaber einer Segelschule, Nautic-Club Riva, Viale Rovereto 123, Riva del Garda, Italien, und Ambergstraße Nr. 24, 6430 Ötztal-Bahnhof, vertreten durch Dr.Hermann Graus, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. S*** S***-H***

Gesellschaft mbH & Co KG, 2. S*** S***-H***

Gesellschaft mbH, 6450 Sölden, beide vertreten durch Herbert Hillebrand und Dr. Walter Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 7 Cg 343/78 des Landesgerichtes Innsbruck, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8. Jänner 1986, GZ 1 R 231/85-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. April 1985, GZ 7 Cg 55/84-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Kostenentscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Verfahren 7 Cg 343/78 des Landesgerichtes Innsbruck begehrte der nunmehrige Wiederaufnahmskläger von den beklagten Parteien die Zahlung eines Betrages von 250.000 S sowie die Feststellung ihrer Haftung für seine zukünftigen Unfallsfolgen mit der Begründung, er sei am 10.März 1976 als zahlender Fahrgast des von den beklagten Parteien betriebenen Sesselliftes "Rotkogel" in Hochsölden auf Grund einer starken Schaukelbewegung des Liftsessels gegen die Sesselstange geschleudert worden und bewußtlos aus dem Sessel gestürzt. Dabei habe er sich schwere Verletzungen zugezogen, für welche die beklagten Parteien einzustehen hätten. Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung der Klage, weil der Unfall ausschließlich auf einem Fehlverhalten des Klägers beruhe und auch die Voraussetzungen für die Annahme einer Gefährdungshaftung nicht vorlägen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Sein Urteil wurde vom Berufungsgericht (1 R 181/82 des Oberlandesgerichtes Innsbruck) und dessen Urteil vom Obersten Gerichtshof (2 Ob 159/83) bestätigt.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Wiederaufnahme des vorgenannten Verfahrens aus dem Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, weil er in Kenntnis neuer Tatsachen und Beweismittel gelangt sei, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Er beantragt weiters, dem seinerzeit gestellten Klagebegehren stattzugeben.

Die beklagten Parteien beantragten Abweisung der Wiederaufnahmsklage.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, bewilligte die Wiederaufnahme des Verfahrens und hob die in diesem seinerzeit ergangenen Urteile auf. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von 15.000 S, nicht aber von 300.000 S übersteige und daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erheben die beklagten Parteien eine auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt:

Die Wiederaufnahmsklage wird vom Kläger auf folgendes Vorbringen gestützt: Der Hergang des Unfalles sei seinerzeit durch Zeugenaussagen nicht geklärt worden, weil niemand den Absturz beobachtet habe. Die beklagten Parteien und die von ihr namhaft gemachten Zeugen hätten lediglich die Vermutung geäußert, daß sich der Kläger nach rechts umgedreht und dabei mit den Schispitzen an der Liftstütze verhängt habe, was von ihm jedoch stets bestritten worden sei. Das Gericht habe damals die Version der beklagten Parteien und weiters zugrundegelegt, daß es sich bei der gegenständlichen Liftanlage um eine genehmigte Anlage handle, welche entsprechend den Betriebsvorschriften betrieben und gewartet worden sei. Zu dieser Meinung sei das Gericht offenbar auch auf Grund des Sachverständigengutachtens des Ing. K*** gekommen, der darauf hingewiesen habe, daß die Anlage des Rotkogelliftes seit mehr als zwanzig Jahren bestehe, seither sicherlich einige Millionen Menschen befördert habe und diese Zahl nie erreicht worden wäre, wenn es sich um eine gefährliche Anlage gehandelt hätte. Nunmehr sei dem Kläger bekannt geworden, daß im Verfahren 16 Cg 575/76 (= 16 Cg 609/81) des Landesgerichtes Innsbruck der Kläger Ulrich K*** Schadenersatzansprüche auf Grund eines Unfalles vom 14.April 1974 geltend gemacht habe, der ihm am Rotkogellift an der gleichen Stelle zugestoßen sei. In diesem Verfahren sei die Unfallsursache nicht genau feststellbar gewesen. Weiters sei dem Kläger bekannt geworden, daß außer Ulrich K*** auch eine Frau Maria R*** bei eben dieser Stelle aus dem Liftsessel abgestürzt sei. Ulrich K*** habe anläßlich seiner Unfallsmeldung von einem Gendarmen erfahren, daß es schon dreißig bis vierzig Abstürze auf den von den beklagten Parteien betriebenen Sesselliften von Sölden bis zum Rotkogel gegeben habe. Wären dem Erstgericht im Vorprozeß alle diese Tatumstände bekannt gewesen, so hätte es zum Ergebnis kommen müssen, daß auf dem Rotkogellift allzu häufig Unfälle passierten, als daß man auf der Grundlage der im Verfahren aufgenommenen Beweise von einem Verschulden des Klägers ausgehen könne. Das Erstgericht wäre daher zu Tatsachenfeststellungen gelangt, welche eine Haftung der beklagten Parteien nach dem EKHG begründet hätten. Auf Grund des Inhaltes des Aktes 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck sei es dem Wiederaufnahmskläger nun auch möglich, darauf hinzuweisen, daß der Sachverständige Ing. Hans K*** früher Betriebsleiter bei den beklagten Parteien gewesen sei und offenbar befangen erscheine. Dieser Sachverständige sei auch im Verfahren 16 Cg 575/76 tätig gewesen und habe sein Gutachten zeitlich vor jenem im wiederaufzunehmenden Verfahren erstattet. Im erstgenannten Verfahren sei er jedoch schließlich wegen Befangenheit seines Amtes enthoben worden. Ihm sei sohin der Unfall des Ulrich K*** genauestens bekannt gewesen, welchen Umstand er nicht unerwähnt hätte lassen dürfen, um eine vollständige und objektive Beurteilung des Falles zu ermöglichen. Tatsächlich habe er sich auch in Widerspruch zu seinem früheren, im Verfahren K*** erstatteten Gutachten vom 15.März 1977 gesetzt. Darin habe er nämlich ausgeführt, daß nach den bestehenden Vorschriften die Sessel bei 20 %iger Auspendelung die Stützenschäfte mit ausreichendem Sicherheitsabstand - mindestens 0,5 m - passieren müßten und daß im vorliegenden Fall der Sicherheitsabstand ca. 45 cm betrage. Im wiederaufzunehmenden Verfahren habe er dagegen folgendes angegeben: "Die Konstruktionsausführungen der Liftsessel, der Sicherheitsketten, der Liftstützen usw. sind behördlich zugelassen. Die Sesselrohre, die Liftstützen und Rollen ..... müssen so beschaffen sein, daß bei einer seitlichen Auspendelung eines Sessels um 20 %, d.s. bei einer Sessellänge von 2,5 m horizontal gemessen 50 cm, der Sessel noch mit einem Sicherheitsabstand von etwa 0,5 m den Stützenschaft passieren muß". Dem Sachverständigen sei sohin bekannt gewesen, daß der vorgeschriebene Sicherheitsabstand um 5 cm unterschritten werde. Trotzdem habe er diesen Punkt nicht erwähnt. Der Wiederaufnahmskläger sei daher nunmehr in der Lage darzutun, daß die Liftanlage den Sicherheitsvorschriften nicht entsprochen habe. Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Der dem Verfahren 16 Cg 575/76 zugrundeliegende Unfall beruhe auf einem völlig anderen Unfallshergang. Der in jenem Verfahren einvernommene Sachverständige Dipl.Ing.A*** habe festgestellt, daß weder ein Versagen der Vorrichtungen im Sinne des EKHG noch ein Fehlverhalten des Liftpersonals vorgelegen sei. Auch der Unfall der Maria R*** sei dem des Klägers nicht vergleichbar. Im übrigen hätten beide Sachverständige die Liftanlage "in Ordnung" befunden. Da der Kläger kostenlos befördert worden sei, erscheine die Anwendung der Bestimmungen des EKHG von vornherein ausgeschlossen. Das Erstgericht nahm hinsichtlich des ebenfalls bei der zweiten Liftstütze erfolgten Unfalles des Ulrich K*** vom 14.April 1974 auf Grund des ergangenen Urteiles an, daß Feststellungen über den diesbezüglichen Unfallshergang nicht getroffen werden konnten und die Unfallsursache somit ungeklärt geblieben sei. In diesem Zusammenhang habe der Sachverständige Ing. Hans K*** in seinem Gutachten vom 15.März 1977 ausgeführt: "Die Spurweite der Seiltrasse beträgt 2,8 m, die Sessellänge 2,5 m. Nach den Vorschriften müssen die Sessel bei 20 %iger Auspendelung (d.s. in diesem Falle 0,5 m) die Stützenschäfte mit ausreichendem Sicherheitsabstand passieren. Im vorliegenden Fall beträgt dieser Sicherheitsabstand ca. 45 cm". In der Folge sei im Verfahren des Ulrich K*** der Sachverständige Ing. Hans K*** seines Amtes wegen Befangenheit enthoben worden. Der sodann bestellte Sachverständige Dipl.Ing.Wolfgang A*** habe gutächtlich angegeben: "Zur Freigängigkeit des Sessels bei der Stütze ist zu bemerken, daß nach den Sesselliftvorschriften bei 20 % gegen die Lotrechte ausgependeltem Sessel im Bereich des Fahrgastes zur Stütze hin in der Regel der Sicherheitsabstand 50 cm zu betragen hat. Als Bereich des Fahrgastes kann eine Pyramide angenommen werden, deren Grundfläche der Sessel ist und deren Spitze in der Schwerachse einen Meter über dem Sitz liegt. Bei der Stütze 2 wurden zwei Messungen mit verschiedenen Sesseln durchgeführt, wobei als ungünstigster Wert 47 cm gemessen wurden. Diese geringfügige Unterschreitung ist bedeutungslos." Im vorliegenden Verfahren zur Wiederaufnahme hat der Zeuge Ulrich K*** angegeben, ihm habe anläßlich der Meldung seines Unfalles bei der Gendarmeriedienststelle ein Gendarm gesagt, auf den beiden von den beklagten Parteien betriebenen Sesselliften von Sölden bis zum Rotkogel hätte es schon etwa 30 bis 40 Abstürze gegeben. Der Gendarm selbst sei bei Befahren dieses Liftes bereits einmal gegen einen Masten geschleudert worden. Die Zeugin Maria R*** gab im vorliegenden Verfahren zur Wiederaufnahme an, sie habe im März 1975 den Rotkogellift benutzt, wobei nach dem Besteigen des Sessels dieser stark in seitliche Richtung zu schwanken begonnen habe, ohne daß es windig gewesen sei. Sie habe versucht, die quergelegten Schi seitlich wegzunehmen, wahrscheinlich seien die Spitzen ihrer Schi dennoch mit der Stütze in Berührung gekommen, worauf sie aus dem Sessel gestürzt sei. Ein Jahr später habe sie wieder den Rotkogellift benützt und in Erfahrung gebracht, daß ein Schilehrer - der Kläger - aus dem Lift gefallen sei. Vom Bedienungspersonal des Liftes habe sie erfahren, daß dieser Schilehrer die Schi angeschnallt gehabt und sich nach den Kindern seiner Gruppe umgedreht habe. Eine Bekannte habe ihr nach dem Unfall erzählt, das Liftpersonal bei der Bergstation des Rotkogelliftes habe gesagt: "Schon wieder eine oder einer beim Zweier raus". In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Erstgericht, im Hauptprozeß sei das Klagebegehren seinerzeit mangels Verschuldens der beklagten Parteien und im Hinblick auf den von diesen erbrachten Befreiungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG abgewiesen worden. Nach den damaligen Feststellungen habe sich der Kläger vor der zweiten Stütze umgedreht und dabei die Schi mitgedreht, sodaß er mit ihnen den Stützenmast berührt habe, wodurch der Unfall verursacht worden sei. Weiters sei festgestellt worden, daß der Liftsessel nur leicht geschaukelt habe, was weder auf einen Fehler in der Beschaffenheit noch auf ein Versagen der Vorrichtungen zurückzuführen, vielmehr ein normales Ereignis während des Betriebes eines Sesselliftes gewesen sei. Es obliege dem Fahrgast, dieser Gefahrenlage durch die erforderliche Sorgfalt Rechnung zu tragen. Daß sich bei dieser Liftstütze schon mehrere Unfälle dieser Art ereignet hätten, könne an der Beurteilung dieses Falles nichts ändern, weil auch in Kentnnis dieser Tatsache der vorgenannte Sachverhalt festgestellt worden wäre. Er gründe sich vor allem auf die Aussage des Zeugen Raimund A***, der angegeben habe, daß der Lift nicht derart stark geschaukelt habe, wie dies vom Kläger angegeben worden sei, ansonsten er den Lift sofort abgeschaltet hätte. Daß im Verfahren 16 Cg 609/81 = 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck die Unfallsursache nicht festgestellt habe werden können, lasse keine geänderte Beweiswürdigung in diesem Fall zu und erweise sich nicht als geeignet, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu ermöglichen. Auch der von Maria R*** geschilderte Unfall könne daran nichts ändern, weil sich daraus keine Rückschlüsse auf das diesem Verfahren zugrundeliegende Unfallsgeschehen ziehen ließen. Auch die Befangenheit des Sachverständigen Ing. K*** sei nicht geeignet, zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung zu führen. Selbst wenn der Seitenabstand des Sessels zur Liftstütze im Falle einer 20 %igen seitlichen Auspendelung geringfügig weniger als 50 cm betragen habe, wäre das Gericht zu keiner anderen Feststellung gelangt, weil der Liftsessel nur leicht geschwankt habe, also nie bis zu 20 % seitlich ausgependelt sei und sich diese Feststellung nicht auf das Gutachten des Sachverständigen Ing. K***, sondern auf die überzeugende Aussage des Raimund A*** stütze. Der ungefähre Seitenabstand des Sessels vom Stützenmast im Falle eines 20 %igen seitlichen Auspendelns spiele daher keine Rolle, weshalb auch dieser Umstand nicht geeignet sei, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen. Außerdem stimmten die Gutachten der Sachverständigen K*** und A*** hinsichtlich der behördlichen Genehmigung und der Betriebssicherheit der Anlage nahezu wortwörtlich überein, sodaß eine allfällige Befangenheit des Sachverständigen K*** für die Beurteilung dieser Fragen keine Rolle spiele.

Das Berufungsgericht verwies darauf, daß gemäß § 541 Abs 1 ZPO bei der Geltendmachung des Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zunächst nur über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens durch Urteil zu entscheiden sei. Das Gericht habe daher nur zu prüfen, ob der behauptete Wiederaufnahmsgrund bestehe und ob und inwieweit auf Grund dessen die vorangegangene Entscheidung aufzuheben sei. Die Wiederaufnahme zufolge eines solchen Wiederaufnahmsgrundes sei dann zu bewilligen, wenn die dem Wiederaufnahmskläger zur Kenntnis gekommenen neuen Tatsachen oder Beweismittel solcherart seien, daß deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine für den Wiederaufnahmswerber günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt haben würde. Im Vorprüfungsverfahren über die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Wiederaufnahmsklage (§ 538 ZPO) sei diese Eignung in abstracto festzustellen, erst im darauffolgenden Erneuerungsverfahren sei eine weitergehende sachliche Prüfung in der Richtung vorzunehmen, ob die Außerachtlassung solcher Tatsachen und Beweismittel im Vorprozeß die Wahrheitsfindung in concreto für den Wiederaufnahmswerber nachteilig beeinflussen habe können. Zur Bewilligung der Wiederaufnahme genüge also schon die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses. Die Frage jedoch, ob diese Möglichkeit zur Wirklichkeit werde, sei erst im wiederaufgenommenen Verfahren zu lösen. Erst in diesem Verfahren könne sich dann auf Grund erschöpfender Erörterung des vervollständigten Tatsachen- und Beweismaterials ergeben, daß die ursprüngliche Entscheidung abzuändern sei oder daß das Ergebnis des Vorprozesses unverändert bleibe.

Vorliegendenfalls habe das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage abgewiesen, weil es die ihm als neu vorgetragenen Tatumstände und Beweismittel nicht für geeignet erachtete, eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen. Dem diese Ansicht bekämpfenden Berufungswerber sei zuzugeben, daß die Tatsache von nicht weniger als drei bekannt gewordenen Unglücksfällen mit ähnlichem Verlauf (Sturz des Fahrgastes aus dem Liftsessel) während der Vorbeifahrt an der Stütze 2 des Liftes prima facie den Eindruck erwecke, die Ursachen hiefür seien in den Besonderheiten der Liftanlage zu suchen. Dennoch müsse in jedem einzelnen Fall konkret der Unfallshergang geprüft und daher erhoben werden, ob im Falle des Klägers der bisher angenommene Unfallsverlauf durch die neu hinzugekommenen Tatbestände in Zweifel gezogen werden könne oder zumindest in einem anderen Licht erscheine. Da die Sesselliftanlage der beklagten Parteien eine Eisenbahn im Sinne des § 2 Abs 1 EKHG darstelle, hätten sie die Beweislast dafür zu tragen, daß der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG verursacht worden sei, welches weder auf einen Fehler in der Beschaffenheit noch auf ein Versagen der Vorrichtungen des Sesselliftes beruht habe. Im Urteil des Hauptprozesses sei das Erstgericht auf Grund der Aussage des Zeugen Raimund A*** zu seinen Feststellungen gelangt, denen zufolge der Sessel nach dem Aufsitzen des Klägers nicht so stark in eine Schaukelbewegung geraten sei, wie dies der Kläger behauptet habe, ansonsten der Zeuge A*** den Lift abgeschaltet hätte. Mit den zum Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens vorgetragenen Tatumständen (angebliche Häufung von Unfällen beim Rotkogellift) könnten allerdings weder diese Feststellungen noch die Glaubwürdigkeit des Zeugen A*** ernstlich in Zweifel gezogen werden, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt habe. Was hingegen den Sachverständigen Ing. K*** beträfe, dem der Wiederaufnahmskläger Befangenheit und in der Tendenz eine die beklagten Parteien begünstigende Gutachtenserstattung vorwerfe, müsse davon ausgegangen werden, daß dieser Sachverständige in seinem Gutachten vom 8.März 1982 (ON 36 und 37) den Umstand nicht angeführt habe, daß der Sicherheitsabstand des um 20 % ausgependelten Liftsessels vom Stützenschaft bei der Stütze 2 nur ca. 45 cm betragen habe, wie dies von ihm im Verfahren 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck (Ulrich K***) in dem dort erstatteten Gutachten vom 15.März 1977 (ON 10) angegeben worden sei. Es treffe auch zu, daß nach den für diese Seilbahnanlage geltenden Bau- und Betriebsvorschriften, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe, Ausgabe 1952 (§ 16 Abs 7), der lichte Abstand des Sessels im Bereich des Fahrgastes von den Stützen und sonstigen Konstruktionsteilen bei um 20 % gegen die Lotrechte ausgependeltem Sessel "in der Regel" 0,5 m und zwischen gegeneinander ausgependelten Sesseln mindestens 1 m zu betragen habe. Nach dem Inhalt des Aktes 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck sei diese Bestimmung aber durch einen Erlaß aus dem Jahr 1957 dahingehend abgeändert worden, daß dieser Abstand mindestens 0,5 m vom Bereiche des Fahrgastes aus gemessen, zu betragen habe. Weiters ergebe sich aus diesem Akt, daß im Jahre 1956 ein Umbau der Liftanlage auf Betonstützen genehmigt und im Jahre 1957 im Zuge eines Zubaues zur Talstation die Stütze 2 als Stahlmaststütze errichtet worden sei. Im vorgenannten Prozeß sei die Art der Messung der in Rede stehenden Sicherheitsabstände zwar umstritten gewesen, auch der gerichtliche Sachverständige Dipl.Ing.A*** sei aber bei einer Messung des Abstandes bei zwei Sesseln zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser nicht ganz die vorgeschriebene Größe erreicht habe. Entspreche die Liftanlage in diesem entscheidenden Punkt aber nicht jenen Vorschriften, welche dazu bestimmt seien, den möglichen Kontakt zwischen einem Fahrgast und dem Stützenschaft zu verhindern (§ 1311 ABGB), so obliege den beklagten Parteien der Beweis, daß der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Sicherheitsabstand eingetreten wäre. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes sei ein derartiger Beweis nicht erbracht worden. Wenn auch nach der unwiderlegt gebliebenen Aussage des Zeugen A*** die seitliche Pendelbewegung des Liftsessels nicht so stark gewesen sei, daß er bis zu 20 % in der Waagrechten ausgependelt sei, so könnte doch im Falle der Feststellung einer Unterschreitung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes dieser Umstand im Zusammenwirken mit einem gewissen, nicht zu vermeidenden Pendeln des Sessels und einer Seitwärtsdrehung der Schi des Klägers zur Stütze hin den Unfall erklären. In diesem Fall wäre eine Mitverantwortung der beklagten Parteien am Unfall festzustellen, woran auch die behördliche Genehmigung der Anlage nichts ändere. Durch diese würde nämlich der Betreiber einer derartigen Anlage nicht entschuldigt, wenn er auf Grund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle wisse oder wissen müsse und er ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlasse. Immerhin sei der Unfall des Wiederaufnahmsklägers der letzte in einer Reihe von derartigen Unfällen, bei denen der Abstand des Liftsessels zum Stützenschaft der Stütze 2 eine Rolle gespielt habe.

Wenngleich es also auf Grund der in dieser Hinsicht unwiderlegt gebliebenen Aussage des Zeugen A*** nicht zu bezweifeln sein dürfte, daß der Kläger durch eine Wendung seines Körpers und ein Verdrehen der Schi zur Seite hin an den Stützmast angestreift sei und sich dabei verhängt habe, so wäre doch im Falle der Unterschreitung des vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes zwischen Sessel und Stützenschaft eine (teilweise) Entlastung des Klägers vom Vorwurf des Eigenverschuldens nicht auszuschließen. Im selben Ausmaß, als die festgestellte Eigenverantwortung des Klägers entfalle, könnte dann die Haftung der beklagten Parteien eintreten, was eine für den Kläger günstigere Entscheidung zur Folge hätte. Hinzuweisen sei noch darauf, daß nicht festgestellt habe werden können, um wieviel der Kläger im Zuge der Pendelbewegungen an die Liftstützen "zu nahe herangekommen", also wie groß die "Überdeckung" zwischen Liftstütze und seitwärts gedrehten Schiern des Klägers gewesen sei. Insgesamt betrachtet erscheine somit entgegen der Ansicht des Erstgerichtes zunächst entscheidend, ob bei der vorgegebenen Meßmethode der Liftsessel noch im vorgeschriebenen Abstand an der Liftstütze vorbeigeführt werde. Die Frage, ob der Unfall auch im Falle eines vorschriftsmäßigen Seitenabstandes des Sessels nicht verhindert worden wäre, sei dagegen im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht zu prüfen, denn es genüge die Möglichkeit, daß bei Bedachtnahme auf die in einem solchen Fall gegebene Beweislastverteilung eine andere als klagsabweisende Entscheidung dem Grunde nach in Frage komme.

In ihrer Revision bringen die beklagten Parteien vor, im Hauptprozeß seien keine schwerwiegenden Fehler bei der Gewinnung der Entscheidungsgrundlagen begangen worden. Das Vorbringen in der Wiederaufnahmsklage hätte bereits in der seinerzeitigen Revision erstattet werden können, soweit es nicht durch das Neuerungsverbot ausgeschlossen gewesen wäre. Auch das im Verfahren 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck eingeholte Sachverständigengutachten schließe eine günstigere Entscheidung für den Kläger aus, weil die geringfügige Unterschreitung des nur in der Regel geltenden Abstandes von 0,5 m um lediglich 3 cm bedeutungslos und die Anlage ordnungsgemäß genehmigt worden sei. Den beiden anderen Unfällen liege ein völlig anderes Sachverhaltsbild zugrunde, weitere Unfälle seien nicht erfolgt. Der Kläger hätte dem leichten Pendeln des Liftsessels, welches nichts Außergewöhnliches gewesen sei, entsprechende Aufmerksamkeit widmen und sich richtig verhalten müssen. Da er den Lift gratis benützt habe, sei die Anwendung des EKHG im Hinblick auf dessen Bestimmung des § 3 Abs 2 überhaupt ausgeschlossen. Jedenfalls habe das Erstgericht zu Recht erkannt, daß die vom Kläger geltend gemachten Tatumstände und Beweismittel nicht geeignet seien, eine ihm günstigere Entscheidung herbeizuführen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Das Berufungsgericht hat die allgemeinen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens aus dem Grunde des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zutreffend dargestellt (vgl. Fasching IV, 509 ff, 497; Lehrbuch Rz 2.068, 2.052) und deren Vorliegen im konkreten Fall im Ergebnis mit Recht bejaht. Beide Unterinstanzen sind davon ausgegangen, daß die im Verfahren des Ulrich K*** vom Sachverständigen Ing. K*** gemachten Ausführungen, der Sicherheitsabstand der Liftsessel von den Stützenschäften betrage bei 20 %iger Auspendelung beim gegenständlichen Lift ca. 45 cm, dem Kläger im Hauptprozeß vor Schluß der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht bekannt gewesen seien, zumal da der Sachverständige diese Tatsache in seinem im Hauptprozeß erstatteten Gutachten nicht erwähnt habe. Entgegen der Ansicht der nunmehrigen Revisionswerber hätte der Kläger in seiner im Hauptprozeß erstatteten Revision diesen ihm zwischenzeitig bekannt gewordenen Umstand wegen des gemäß § 504 Abs 2 ZPO geltenden Neuerungsverbotes nicht erfolgreich vorzubringen vermocht. Es steht ihm somit ein neues, wenngleich schon früher vorhandenes, Beweismittel zu Verfügung, dessen Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren in abstracto geeignet gewesen wäre, eine für ihn günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Sollte ausgehend von den auf dieses Beweismittel gegründeten Behauptungen des Wiederaufnahmsklägers festgestellt werden, daß der Sicherheitsabstand unter den angeführten Bedingungen weniger als 50 cm betrug, wäre den beklagten Parteien der Befreiungsbeweis im Sinne des § 9 EKHG zufolge Vorliegens eines Fehlers in der Beschaffenheit der Anlage mißlungen. Ein Sicherheitsabstand von 50 cm wird nämlich von den für die gegenständliche, im Jahre 1952 errichtete Seilbahnanlage geltenden Bau- und Betriebsvorschriften des Bundesministeriums für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe, Ausgabe 1952, bei um 20 % ausgependelten Sesseln in der Regel gefordert. Die beklagten Parteien haben keine Behauptungen dahin aufgestellt, warum dieses Maß im vorliegenden Fall als Ausnahme von der Regel nicht gelten sollte. Dafür, daß im Sinne des aus dem Jahre 1957 stammenden Erlasses des Bundesministeriums für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft SBB/L 1957 (Bedingnisse für den Bau und Betrieb für Seilförderanlagen zur Personenbeförderung, III. Teil, Kleinseilbahnen), welcher unter Punkt 7.04 ausnahmslos einen Mindestsicherheitsabstand von 50 cm festlegt, nachträglich eine diesbezügliche Änderung der Betriebsbewilligung eingetreten sei, fehlt es allerdings an einer eindeutigen urkundlichen Feststellungsgrundlage (siehe hiezu die im vom Berufungsgericht bezogenen Akt 16 Cg 575/76 des Landesgerichtes Innsbruck erfolgten Zeugenaussagen AS 165 ff, 207 ff).

Ein Verstoß gegen die in der Regel einen Sicherheitsabstand von 50 cm fordernde Betriebsvorschrift könnte den beklagten Parteien zwar nicht als Verschulden angelastet werden, was auch bei Übertretungen von Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB Voraussetzung wäre (ZVR 1975/195; RZ 1979/67; ZVR 1980/33 uva), weil die Anlage in der ursprünglichen Bauweise und hinsichtlich der späteren Umbauten genehmigt worden war. Die Anlage hätte aber insoweit den für Seilbahnanlagen geltenden Bau- und Betriebsvorschriften objektiv nicht entsprochen und somit einen Fehler in der Beschaffenheit aufgewiesen. Im Hinblick darauf, daß es schon vor dem Unfall des Wiederaufnahmsklägers bei der Stütze 2 zu zwei Abstürzen von Liftbenützern gekommen war, könnte auch nicht gesagt werden, daß der Halter der Anlage jegliche Sorgfalt angewendet habe und der Unfall unvermeidbar gewesen sei. Da sich der Kläger festgestelltermaßen wegen der ständigen leichten Schaukelbewegungen umgedreht hat, um deren Ursache zu erkunden und dabei mit den Schispitzen an den Stützenmast streifte, weist sein Fehlverhalten keinen gravierenden Schuldgehalt auf. Sein Verschulden schließt eine Schadensteilung (§ 1304 ABGB) auf Grund der von den beklagten Parteien zu vertretenden Gefährdungshaftung nach dem EKHG daher nicht aus. Im Ergebnis hat das Berufungsgericht somit zu Recht angenommen, daß im Falle der Erweislichkeit eines Verstoßes der beklagten Parteien gegen die Betriebsvorschrift über den erforderlichen Seitenabstand der Liftsessel zu den Stützenschäften eine (Mit-)Haftung der beklagten Parteien für die Unfallsfolgen gegeben ist.

Der Behauptung der beklagten Parteien, der Wiederaufnahmskläger habe die Sesselliftanlage gratis benützt, sodaß die Anwendung der Haftungsbestimmungen des EKHG ausgeschlossen sei, ist zu entgegnen, daß sie eine solche Einwendung im Hauptprozeß nicht erhoben hatten und dort von der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmungen ausgegangen wurde.

Da somit im Hinblick auf die vom Kläger neu geltend gemachten Tatsachen bzw. Beweismittel die Möglichkeit einer ihm günstigeren Entscheidung in der Hauptsache besteht, hat das Berufungsgericht die beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens zu Recht bewilligt. Der Revision war demnach ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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