OGH 2Ob208/18d

OGH2Ob208/18d29.4.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch Mag. Alois Pirkner, Rechtsanwalt in Tamsweg, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Karlheinz de Cillia, Mag. Michael Kalmann in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. M***** B*****, 2. S***** AG, *****, beide vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael, wegen 5.370 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 27. Juli 2018, GZ 53 R 73/18v‑32, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tamsweg vom 23. August 2017, GZ 1 C 35/16k‑27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00208.18D.0429.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin jeweils die mit 551,85 EUR (darin enthalten 91,97 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Am 20. 11. 2015 um 18:50 Uhr ereignete sich auf der Turracher Bundesstraße ein Verkehrsunfall zwischen dem Kläger als Lenker und Halter eines Pkw, dem Erstbeklagten als Lenker und Halter eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkw und M***** K***** (idF: Drittbeteiligter) als Lenker und Halter eines bei der Nebenintervenientin haftpflichtversicherten Pkw.

Dem Kläger, der eine zulässige Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h einhielt, kam in Annäherung an die Unfallstelle auf der Gegenfahrbahn ein Sattelfahrzeug entgegen. Hinter diesem fuhr der Erstbeklagte. Dieser überholte bei eine Sichtweite von rund 440 m (für einen sicheren Überholvorgang wären zumindest 560 m notwendig gewesen) das Sattelfahrzeug. Als er sich auf Höhe des Führerhauses des Sattelfahrzeugs befand, erkannte er erstmalig das entgegenkommende Klagsfahrzeug und leitete eine Vollbremsung ein. Der Kläger bremste ebenfalls voll. Zur gleichen Zeit fuhr der Drittbeteiligte hinter dem Kläger. Als er bemerkte, dass sich der Tiefenabstand zum Klagsfahrzeug verringerte, reduzierte er seine Geschwindigkeit, und als ihm eine drastische Verringerung des Tiefenabstands auffiel, leitete auch er eine Vollbremsung ein. Er konnte jedoch eine Kollision mit dem Klagsfahrzeug, das bereits im Stillstand war oder nur mehr mit ganz geringer Geschwindigkeit fuhr, nicht mehr verhindern. Durch den Anprall wurde das Klagsfahrzeug um 24 bis 28 km/h beschleunigt, weshalb es auf das Beklagtenfahrzeug, das sich ebenfalls bereits im Stillstand befand oder nur mehr mit geringer Geschwindigkeit fuhr, „aufgeschoben“ wurde.

Der Kläger hätte sein Fahrzeug kollisionsfrei zum Stillstand bringen können, wäre es nicht durch den Aufprall des hinter ihm fahrenden Fahrzeugs beschleunigt worden.

Der Kläger begehrt den Zuspruch von 5.370 EUR sA und brachte dazu vor, der Erstbeklagte habe das alleinige Verschulden an der Kollision zu verantworten. Das Überholmanöver bei Gegenverkehr an einer völlig ungeeigneten, unübersichtlichen und gefährlichen Straßenstelle habe den Verkehrsunfall ausgelöst.

Die Beklagten wandten ein, dass der Erstbeklagte zwar ein Überholmanöver begonnen habe, sowohl er als auch der Kläger ihre Fahrzeuge aber rechtzeitig zum Stillstand bringen hätten können. Der Unfall sei einzig auf das Verschulden des dem Kläger nachfolgenden PKW-Lenkers zurückzuführen, weil dieser eine überhöhte Geschwindigkeit oder einen zu geringen Tiefenabstand eingehalten habe. Der durch den Unfall am Beklagtenfahrzeug entstandene Schaden von 1.000 EUR wurde gegen die Klagsforderung eingewendet.

Die Nebenintervenientin bestritt das Vorbringen der beklagten Parteien. Der Erstbeklagte habe ein grob verkehrswidriges Überholmanöver durchgeführt, obwohl er keine ausreichende Sicht auf den Gegenverkehr gehabt habe. Der Drittbeteiligte habe ab Erkennbarkeit der Vollbremsung des Klägers sofort mit einer Vollbremsung reagiert. Durch das vorschriftswidrige Überholmanöver des Erstbeklagten, sei ihm der Bremsweg verkürzt worden.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zu Recht, die Gegenforderung hingegen als nicht zu Recht bestehend und gab daher dem Klagebegehren statt. Den Erstbeklagten treffe ein Verschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls, weil er den Überholvorgang in einer unübersichtlichen Rechtskurve ohne ausreichende Sichtweite begonnen habe. Hingegen sei für den Kläger der Unfall unvermeidbar gewesen. Den Lenker des bei der Nebenintervenientin haftpflichtversicherten Pkw treffe ebenfalls ein Verschulden dahingehend, dass ihm eine Reaktionsverspätung und/oder die Einhaltung eines zu geringen Tiefenabstands vorzuwerfen sei. Da gemäß § 8 EKHG der Geschädigte seine Ersatzansprüche gegen jeden Verursacher richten könne, sei dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Erstbeklagte habe gegen das Überholverbot des § 16 Abs 1 lit a StVO verstoßen. Zwar sei es zu keinem Frontalzusammenstoß gekommen, aufgrund der Abwehrreaktion des Klägers habe sich aber die geradezu typische Gefahr eines Folgeunfalls verwirklicht. Eine Gesamtschau der Verantwortlichkeit aller Haftpflichtigen habe bei Inanspruchnahme nur eines Schädigers nicht zu erfolgen, sondern erst in einem späteren Verfahren gegen den anderen Nebentäter, dessen Verschulden anhand der getroffenen Feststellungen auch noch gar nicht beurteilbar wäre.

Die Revision wurde zugelassen, weil die Frage der Anwendung der Rechtsprechung zu § 8 EKHG auf die hier vorliegende Konstellation eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO bilde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger und die Nebenintervenientin beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

1. Haben mehrere Täter als Nebentäter unabhängig voneinander eine Bedingung für den eingetretenen Schaden gesetzt, berücksichtigt der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 8 Ob 107/77 ZVR 1978/207 = EvBl 1978/84 in ständiger Rechtsprechung das Mitverschulden des (jeweiligen) Geschädigten – und nur darum geht es dabei – im Wege einer Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung (2 Ob 103/17m; RS0017470).

2. Die Methode der Gesamtschau durch Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung ist allerdings nur anzuwenden, wenn der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgeht oder wenn sich nach der Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben. Bei der Inanspruchnahme nur eines mehrerer Schädiger kann hingegen nicht über die Beteiligung der übrigen nach freier Überzeugung mitbefunden und daran eine Gesamtschau angeschlossen werden. Die angenommenen Quoten der außerhalb des Rechtsstreits stehenden Schädiger wären diesen gegenüber nicht bindend (2 Ob 103/17m mwN; RS0017470 [T1, T6]).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger nur einen Schädiger in Anspruch genommen. Eine Gesamtabwägung kommt daher schon deshalb nicht in Frage. Daran ändert nichts, dass der andere Schädiger als Nebenintervenient aufgrund einer Streitverkündung am Verfahren beteiligt ist, weil die Frage seiner Bindung an das Ergebnis dieses Prozesses erst in einem allfälligen Folgeprozess von Bedeutung sein kann (dazu ausführlich 2 Ob 103/17m).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtslage und ist daher nicht korrekturbedürftig.

3. Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens trifft den Kläger kein Mitverschulden am Verkehrsunfall. Die gewöhnliche Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs wird durch das Verschulden des/der Schädiger(s) als Unfallursache ganz zurückgedrängt (RS0058551).

Der Kläger kann daher als ausschließlich Geschädigter nach § 8 Abs 2 EKHG seine Ansprüche gegen jeden unfallverursachenden Beteiligten zur Gänze geltend machen (2 Ob 43/01i). Auch insoweit liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor.

4. Ein Schaden ist adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde. Der Schädiger haftet für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, nur nicht für einen atypischen Erfolg (RS0022906; RS0022546; RS0022944; RS0022914). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht außergewöhnlich ist (RS0022918). Es betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist (RS0110361).

Auf dieser Grundlage wirft die Beurteilung des Berufungsgerichts abermals keine erhebliche Rechtsfrage auf. Wird ein Fahrzeuglenker (hier) bei einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h aufgrund des Fehlverhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers zu einer Vollbremsung gezwungen, so ist es keinesfalls außergewöhnlich, dass es aufgrund dieser Abwehrhandlung zu einem Auffahrunfall kommt. Selbst ein – ebenfalls nicht untypischer – Aufmerksamkeitsfehler des Auffahrenden würde nichts an der grundsätzlichen Verantwortlichkeit desjenigen ändern, der die Vollbremsung schuldhaft erzwungen hat (vgl RS0022675 [T3, T6]). Sonstige Kausalitätsfragen stellen sich nicht.

5. Da keine erhebliche Rechtsfrage beantwortet werden muss, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger und die Nebenintervenientin haben in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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