OGH 2Ob19/53

OGH2Ob19/534.3.1953

SZ 26/60

Normen

Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Straßenpolizeigesetz §7
Straßenpolizeigesetz §17 Abs4
Straßenpolizeigesetz §23
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Straßenpolizeigesetz §7
Straßenpolizeigesetz §17 Abs4
Straßenpolizeigesetz §23

 

Spruch:

Die Übersetzung des Gleises unmittelbar vor Herannahen eines Schienenfahrzeuges ist ohne Rücksicht auf die Rechtsregel auch dann, wenn sich dieses erst im Anfahren mit geringer Geschwindigkeit befand, verboten.

Entscheidung vom 4. März 1953, 2 Ob 19/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht wies das auf Zahlung eines Schadensbetrages von

771.51 Szufolge eines Zusammenstoßes gerichtete Klagebegehren ab, da die Beschädigung des Straßenbahnwagens nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des Zweitbeklagten als Lenker des LKW. zurückzuführen war (§ 18 Abs. 1 KFG.), aber auch für den Erstbeklagten eine Haftung gemäß § 7 Abs. 2 des zitierten Gesetzes deswegen nicht gegeben sei, weil der Unfall auf das als unabwendbares Ereignis zu wertende Verhalten des Straßenbahnführers zurückzuführen sei.

Der dagegen erhobenen Berufung der klagenden Partei wurde Folge gegeben und das erstrichterliche Urteil dahin abgeändert, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt wurden, der klagenden Partei den Betrag von 771.51 S samt 4% Zinsen ab 10. November 1950 binnen 14 Tagen bei Zwangsfolge zu bezahlen.

Das Berufungsgericht gelangte hiebei nach Wiederholung und Ergänzung dererstrichterlichen Beweisaufnahmen zur Feststellung, daß der Straßenbahnzug der Linie 58 bereits in Fahrt war, als der Zweitbeklagte mit seinem Kraftwagen sich anschickte, in einer Linkskurve in die L.zeile einzubiegen, daß weiters der Motorführer von der vierten bis fünften Fahrstufe durch Notbremsung auf die 15. und äußerste Bremsstufe schaltete, als er merkte, daß der vom Zweitbeklagten gelenkte Kraftwagen seine Fahrbahn kreuzen wolle. Daraus ergebe sich aber rechtlich, daß sich der Straßenbahnzug bereits im Verkehr befunden habe, als sich der Kraftwagen dem Gleis und damit der Fahrbahn des Zugesnäherte, so daß § 23 Abs. 3 StPolG. zur Anwendung komme, wonach unmittelbar vor einem herannahenden Schienenfahrzeug das Gleis nicht mehr übersetzt werden dürfe. Habe sich aber der Straßenbahnzug von der Haltestelle weg bereits in Bewegung gesetzt, bevor der Kraftwagen zur Linkskurve ansetzte, dann hätte der nicht schienengebundene Kraftwagen vor dem Gleis des herannahenden Schienenfahrzeuges unbedingt stehen bleiben müssen. Die Schadenshaftung beider Beklagter sei daher gegeben.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Rechtsansicht der Revision, daß eine ausdehnende Auslegung der Bestimmung des § 23 Abs. 3 StPolG. im Zusammenhang mit § 7 des zitierten Gesetzes zulässig sei, kann nicht gefolgt werden. Diese Verbotsbestimmung, wonach unmittelbar vor dem Herannahen eines Schienenfahrzeuges das Gleis nicht mehr übersetzt werden darf, läßt schon ihrer Natur nach eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Der Revision ist daher auch nicht beizupflichten, daß es nicht darauf ankomme, ob sich der Straßenbahnzug bereits in Bewegung befunden hat, als der Zweitbeklagte begann, in die Kurve einzubiegen. War dies der Fall, konnte der Motorführer der Straßenbahn nicht damit rechnen, daß der Zweitbeklagte verbotswidrigerweise unmittelbar vor dem Herannahen des Straßenbahnzuges beabsichtigte, das Gleis zu übersetzen. Zutreffend führt die Revision aus, daß durch die Bestimmung des § 23 Abs. 3 StPolG. der Gesetzgeber die Eigenart der Schienenfahrzeuge besonders berücksichtige und vermeiden wollte, daß solche im Verkehr befindlichen Schienenfahrzeuge mit Rücksicht auf den wesentlich längeren Bremsweg zum plötzlichen Abbremsen veranlaßt werden. Unhaltbar erscheint jedoch die Ansicht der Revision, die letztere Gesetzesbestimmung habe zur Voraussetzung, daß eine gleichförmige Geschwindigkeit eines im flüssigenVerkehr befindlichen Schienenfahrzeuges vorliege, da das Verbot der Übersetzung des Gleises unmittelbar vor dem Herannahen von Schienenfahrzeugen auch dann gilt, wenn sich diese erst im Anfahren befinden, gleichgültig, welche Geschwindigkeit sie bereits erreicht haben. Die zitierte Verbotsbestimmung durchbricht daher auch die Bestimmung des § 17 Abs. 4 StPolG., wonach an Kreuzungen, an denen der Verkehr nicht besonders geregelt ist, das von rechts kommende Fahrzeug den Vorrang hat. Bei richtiger Beurteilung des Sachverhaltes ist daher davon auszugehen, daß sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes der Straßenbahnzug bereits in Fahrt befunden hat, als der Zweitbeklagte sich anschickte, mit seinem Kraftwagen in die Linkskurve einzubiegen. Der Zweitbeklagte war daher bei Anwendung der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt jedenfalls verpflichtet, das Gleis unmittelbar vor dem herannahenden Schienenfahrzeug nicht mehr zu übersetzen. Hat er dies dennoch getan, so liegt ihm eine grobe Fahrlässigkeit zur Last, wogegen der Motorführer des Straßenbahnzuges, mit Rücksicht auf die Feststellung des Berufungsgerichtes, wonach dieser, als er merkte, daß der Zweitbeklagte mit seinem Kraftwagen seine Fahrbahn kreuzen wolle, durch Notbremsung auf die 15. (äußerste) Bremsstufe schaltete, ein Verhalten, das für den eingetretenen Schadenserfolg mitursächlich wäre, nicht angelastet werden kann. Der klagenden Partei als Betriebsunternehmer ist daher ein Anteil an dem Schaden oder dessen Umfang nicht beizumessen (§ 17 Abs. 1 und 2 KFG.). Die zu der letztzitierten Gesetzesstelle erstatteten Rechtsausführungen der Revision sind völlig abwegig. Da eine Haftung der klagenden Partei als Betriebsunternehmer mangels eines Verursachungszusammenhanges ausscheidet, ist lediglich zu prüfen, ob der Erstbeklagte als Fahrzeughalter die Befreiungsgrunde des § 7 Abs. 2 KFG. und der Zweitbeklagte als Führer des Kraftwagens den Befreiungsgrund nach § 18 Abs. 1 des zitierten Gesetzes nachzuweisen vermag. Dies in der Erwägung, daß der in Anspruch genommene Haftpflichtige alle Einwendungen hat, die ihm zustunden, wenn er allein haftpflichtig wäre, da er nur soweit haftet, als seine Haftung nicht nach den für seine Ersatzpflicht geltenden Vorschriften ausgeschlossen ist. Da jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht angenommen werden kann, daß der Schaden nicht durch ein Verschulden des Zweitbeklagten als Führer des Kraftfahrzeuges verursacht wurde, ist ihm der Nachweis der befreienden Tatsache nach § 18 KFG. nicht gelungen. Er haftet daher auf Grund des Tatbestandes des § 7 Abs. 1 des zitierten Gesetzes. Im Hinblick darauf, daß der Zweitbeklagte als Führer nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat, kommt jedoch auch dem Erstbeklagten als Fahrzeughalter nicht der Befreiungsgrund eines unabwendbaren Ereignisses zustatten (§ 7 Abs. 2 KFG.). Die Verurteilung beider beklagten Parteien zur Schadenstragung erscheint daher gemäß § 17 Abs. 1 und 2, § 18 Abs. 1 und 3 KFG. rechtlich begrundet.

Der Revision war sohin der Erfolg zu versagen.

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