OGH 2Ob193/03a

OGH2Ob193/03a12.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am 13. Oktober 2002 verstorbenen, zuletzt in *****, wohnhaft gewesenen Thomas-Ulrich R*****, vertreten durch Dr. Roman Moser, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, 1010 Wien, Elisabethstraße 9, vertreten durch Dr. Wilfried Mayer und andere Rechtsanwälte in Gmunden, wegen EUR 7.147,44 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 12. März 2003, GZ 22 R 83/03t-31, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 17. Dezember 2002, GZ 13 C 144/02f-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 499,39 (darin EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Thomas-Ulrich R***** (im Folgenden kurz: Kläger) fuhr am 30. 5. 2001 mit einem "Bahn-Vorteilsticket-Spezial" zweiter Klasse mit dem täglich auf der Strecke Wien Westbahnhof-Bregenz verkehrenden Nachtschnellzug EN 246 von Wien Westbahnhof nach Attnang-Puchheim.

Die Verlassenschaft nach dem während des Verfahrens am 13. 10. 2002 verstorbenen Kläger begehrte zuletzt von der beklagten Partei EUR 7.147,44 sA (EUR 6.940,25 Schmerzengeld, EUR 85,46 Kosten für Besuchsfahrten, EUR 26,16 Selbstbehalt der zu tragenden Schiene, EUR 22,89 Taggeldpauschale/Krankenhaus und EUR 72,67 Generalunkosten und Spesen). Der Kläger habe beim Einfahren des Zuges im Bahnhof Attnang-Puchheim gegen 0.50 Uhr versucht, die auf den Bahnsteig führende Zugtüre zu öffnen, was ihm aber bei beiden Türen des von ihm benützten Waggons nicht gelungen sei. Auf Grund des nur sehr kurzen Aufenthaltes des Zuges im Bahnhof Attnang-Puchheim habe der Kläger die gegenüberliegende Tür geöffnet und sei dann beim Aussteigen aus einer Höhe von etwa 75 cm zu Boden gestürzt.

Die beklagte Partei wendete ein, dass der Kläger den Vorfall weder dem an Ort und Stelle anwesenden Fahrdienstleiter noch dem Bahnhofspersonal angezeigt und die beklagte Partei auch anderweitig über den Unfall keine Meldung erhalten habe. Über Mängel an den Waggontüren sei ihr nichts bekannt. Ansprüche des Klägers nach dem EKHG seien gemäß § 18 EKHG verfristet. Selbst bei Bejahung einer Haftung der beklagten Partei treffe den Kläger das überwiegende Mitverschulden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen hatte der am 20. 9. 1967 geborene Kläger bereits bei einem Verkehrsunfall am 24. 12. 1999 einen Hüftpfannenbruch und Luxation des linken Hüftgelenkes, Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers, Weichteilverletzungen im Bereich des Gesichtes, Sprunggelenksfraktur rechts, Fraktur der rechten Großzehe, Fraktur der linken Kleinzehe und der 4. Zehe links, Rissquetschwunde am rechten Knie (und Entfernung des Schleimbeutels), Riss des vorderen Kreuzbandes und des inneren Seitenbandes am linken Kniegelenk sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten. Auf Grund dieser Verletzungen bestand beim Kläger eine "Invalidität" von 60 %. Zusätzlich bestand beim Kläger eine Gesichtsfeldeinschränkung am linken Auge sowie eine nicht näher bezeichnete psychische Krankheit.

Der Kläger beabsichtigte, in Attnang-Puchheim - bei fahrplanmäßiger Ankunft um 0.52 Uhr auf Gleis 3 am Bahnsteig 3 (Abfahrt 0.54 Uhr) - auszusteigen. Dieser Bahnsteig ist in der Regel der Durchgangsbahnsteig für alle aus Richtung Wien kommenden Fernzüge.

Bei dem vom Kläger benützten Zug waren keine Einrichtung vorhanden, welche auf die zu verwendende Ausstiegsseite hinweisen bzw verhindern, dass ein Fahrgast auf der "falschen", dem Durchgangsbahnsteig abgewandten Seite aussteigt. Selbst bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen für eine seitenselektive Sperre sämtlicher Türen einer Zugseite vor dem Zielbahnhof war diese nicht aktiviert. Auch sonst gab es keine Warnhinweise zur besonderen Beachtung der richtigen Ausstiegsseite.

Auf der anderen Seite eines auf Gleis 3 haltenden Zuges befindet sich ein sogenannter befestigter Erdbahnsteig, der primär zum Einsteigen in Regionalzüge für das Salzkammergut dient; dazu müssen die Fahrgäste vom Bahnsteig 3 über das Gleis 3, das bei den Zugängen zwischen den Schienen mit Holz ausgebohlt ist, zum Erdbahnsteig absteigen. Dieser Erdbahnsteig weist keine ausgebildete Einsteigkante auf und bietet eine gegen Gleis 4 ansteigende in sich jedoch annähernd ebene teils beschotterte, teils asphaltierte Fläche mit einer Breite von ca 140 bis 150 cm. Steigt ein Fahrgast aus einem zwischen Bahnsteig 3 und diesem Erdbahnsteig haltenden Zug auf dieser Seite aus, so beträgt die Höhendifferenz zwischen der Kante der untersten Trittstufe eines Waggons und der Oberfläche des Erdbahnsteiges etwa 55 bis 58 cm, dh der Fahrgast muss mindestens eine Schritthöhe dieser Abmessung überwinden.

Auf Höhe des Unfallortes gibt es keine dem Erdbahnsteig zugehörige Beleuchtung. Wenn das Gleis 3 frei von Zügen ist, fällt allerdings von der auf Bahnsteig 3 bestehenden Beleuchtung Licht mit Beleuchtungswerten zwischen 40 und 50 Lux auf den Erdbahnsteig. Bei auf Gleis 3 haltenden Zügen bilden deren Waggons allerdings ein Hindernis für Lichteinfall. In diesen Fällen fällt das einzige Licht aus den Waggonbeleuchtungen auf den Erdbahnsteig, wobei sich hier Beleuchtungsstärken zwischen 1 und 7 Lux je nach Abstand zu den beleuchteten Waggonfenstern - ergeben. Ein sicheres Erkennen der Bahnsteigoberfläche bzw eine ausreichende Abschätzung des Abstandes von den Trittstufen bis zu Bahnsteigoberfläche ist bei derartigen Lichtverhältnissen kaum möglich.

Der Kläger verließ in Annäherung an den Bahnhof Attnang-Puchheim seinen Sitzplatz und versuchte, eine der beiden in Richtung Bahnsteig 3 weisenden Waggontüren durch mehrmaliges Hinunterdrücken des dort befindlichen Griffs zu öffnen, was ihm aber nicht gelang. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Zug zum Zeitpunkt des Hinunterdrückens durch den Kläger noch in Bewegung war oder bereits still stand. In weiterer Folge versuchte der Kläger wiederum vergeblich, die zweite bahnsteigseitig gelegene Tür des Waggons zu öffnen. Da der Kläger keine anderen Fahrgäste und auch keinen Schaffner sah und bereits in zunehmender Sorge wegen der zu erwartenden Abfahrt des Zuges war, versuchte er schließlich die gegenüberliegende, dem Bahnsteig 3 abgewandte Tür zu öffnen, wobei er dies auch bewerkstelligen konnte. Es kann nicht festgestellt werden, ob sich die beiden bahnsteigseitig gelegenen Waggontüren auf Grund eines technischen Defekts oder auf Grund einer Ungeschicklichkeit des Klägers (zu frühe Betätigung des Hebels bzw Zustand beginnender Panik) nicht öffnen ließen.

Bei allen für derartige Reisezüge verwendeten Waggons werden die Türen mittels Pneumatik geöffnet, dh die Türe öffnet sich automatisch bei hinuntergedrücktem Öffnungshebel, wobei eine Zeitspanne von etwa zwei Sekunden gewartet werden muss, bis dieser Öffnungsmechanismus anspricht. Die Freigabe der Tür ist zudem abhängig von der Waggongeschwindigkeit während des Anhaltsvorganges, und hängt es hier von der (variablen) Einstellung des Öffnungsmechanismus ab, ob dieser erst anspricht, wenn der Zug sich in völligem Stillstand befindet oder bereits bei einer geringen Auslaufgeschwindigkeit. Grundsätzlich hat jede Waggontür ein eigenes Öffnungssystem, sodass ein Defekt an einer Tür nicht bedeutet, dass auch die zweite Tür sich nicht öffnen lässt. Lediglich bei Bestehen einer - hier nicht als vorliegend angenommenen - seitenselektiven Sperre wäre unter Umständen denkbar, dass bei diesem einzelnen Waggon infolge eines Defekts die Sperre aktiviert wurde. Da die Züge jeweils vor Antritt der Fahrt neu zusammengestellt werden und daher der unfallsgegenständliche Waggon nicht mehr ausgeforscht werden kann, und weiters auch jede Art von Waggon auf dieser Strecke eingesetzt wird, können hinsichtlich der bestehenden Vorrichtungen und Einstellungen keine Feststellungen getroffen werden.

Auf Grund der Dunkelheit im Bereich der dem Bahnsteig 3 abgewandten Seite des Zuges erkannte der Kläger nicht, dass sich hier lediglich ein befestigter Erdbahnsteig und nicht ein dem Bahnsteig 3 entsprechender, erhöhter Bahnsteig befand bzw konnte er die Höhendifferenz zwischen Trittstufen und Bahnsteigoberfläche nicht abschätzen. Er stieg daher im Zuge des Aussteigens ins Leere und stürzte in weiterer Folge auf den Erdbahnsteig. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Sturz des Klägers von der der Bahnsteigoberfläche nächstgelegenen, untersten Trittstufe oder direkt vom Niveau des Waggonbodens aus erfolgte.

Nach mehrmaligen vergeblichen Hilferufen sowohl vor als auch nach Abfahrt des Zuges versuchte der Kläger, sich Richtung Bahnsteig 3 zu bewegen. Nach Anruf durch seine vor dem Bahnhofsgebäude ihn erwartende Gattin kam ihm diese zu Hilfe und geleitete ihn schließlich zum Ausgang bzw zum Auto. Eine Information an etwa anwesende ÖBB-Bedienstete über den Vorfall erfolgte nicht.

Noch am gleichen Tag am Morgen begab sich der Kläger in Begleitung seiner Gattin in das LKH Vöcklabruck, wo ein Riss der Seitenbänder des linken Sprunggelenkes diagnostiziert wurde. Bei der Aufnahme im Krankenhaus schilderte der Kläger den genauen Unfallhergang und erhielt auf Anfrage die Information, dass bei derartigen Unfällen eine - nicht näher bezeichnete - Anzeige durch das Krankenhaus erfolge. Weiters stand der Kläger in telefonischem Kontakt mit dem zuständigen Gendarmerieposten Attnang-Puchheim und wurde ihm von einem Revierinspektor nach Schilderung des Unfallherganges zunächst telefonisch mitgeteilt, dass die Anzeige zur Gendarmerie Vöcklamarkt geschickt würde, um dem Kläger eine persönliche Befragung zu erleichtern. Eine derartige Befragung erfolgte jedoch trotz mehrmaliger telefonischer und persönlicher Urgenz nicht. Vielmehr wurde eine beim Gendarmerieposten Attnang-Puchheim verfasste Anzeige mit kurzer Unfallschilderung und dem Zusatz, dass Fremdverschulden ausgeschlossen werden könne, ohne vorherige Information des Klägers der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck übermittelt. Der Kläger hatte zwischenzeitlich auch seiner rechtsfreundlichen Vertreterin den Unfall sowie die Vorgehensweise beim Gendarmerieposten Attnang-Puchheim geschildert. Eine Anzeige des Unfalls direkt an die beklagte Partei erstattete der Kläger selbst nicht. Es kann nicht festgestellt werden, ob die beklagte Partei vom Gendarmerieposten Attnang-Puchheim oder von der rechtsfreundlichen Vertreterin des Klägers informiert wurde.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht eine Verschuldenshaftung der beklagten Partei und ein Mitverschulden des Klägers, bejahte aber eine Gefährdungshaftung der beklagten Partei gemäß EKHG. Der Unfall habe sich beim Betrieb einer Eisenbahn ereignet. Die Ungewissheit, ob der Unfall auf einem technischen Defekt der Waggontüre oder der Ungeschicklichkeit des Klägers beruhte, gehe zu Lasten des Betriebsunternehmers. Anspruchsverlust gemäß § 18 EKHG sei trotz Unterbleibens einer rechtzeitigen Anzeige nicht eingetreten, weil der Kläger darauf vertrauen habe können, dass vom Gendarmerieposten eine Anzeige an die beklagte Partei erfolgen werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klagsabweisenden Sinne ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision - mangels höchstgerichtlicher Judikatur zu § 18 EKHG - zulässig sei und führte im Wesentlichen folgendes aus:

Nach herrschender Ansicht seien von der Gefährdungshaftung des EKHG auch Unfälle erfasst, die sich beim Ein- und Aussteigen ereignen, wenn sich im konkreten Fall eine besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebes verwirklicht habe, so etwa bei Überwindung hoher Stufen oder bei Überschreiten eines Spaltes oder wenn der Passagier mangels Alternative keine sichere Stelle zum Ein- oder Aussteigen wählen könne. Nach diesen Grundsätzen sei daher entgegen der Ansicht der beklagten Partei vom Vorliegen eines Betriebsunfalles im Sinne des § 1 EKHG auszugehen.

Allerdings seien allfällige Ansprüche der klagenden Partei nach dem EKHG wegen Verletzung der Anzeigepflicht im Sinne des § 18 EKHG erloschen. Nach dieser Bestimmung verliere der Ersatzberechtigte die im EKHG festgesetzten Ersatzansprüche, wenn er nicht innerhalb dreier Monate, nachdem er von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt habe, diesem den Unfall anzeige. Der Verlust trete nicht ein, wenn die Anzeige infolge eines vom Ersatzberechtigten nicht zu vertretenden Umstandes unterblieben sei oder der Ersatzpflichtige innerhalb der bezeichneten Frist auf andere Weise von dem Schaden Kenntnis erlangt habe.

Nach allgemeinen Beweislastregeln habe der Eisenbahnunternehmer die Unterlassung der Anzeige durch den Ersatzberechtigten als befreiende Tatsache zu behaupten und zu beweisen. Der Ersatzberechtigte wiederum sei für den Ausnahmetatbestand des § 18 Satz 2 EKHG behauptungs- und beweispflichtig, nämlich, dass die Anzeige infolge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes unterblieben sei oder dass der Ersatzpflichtige anderweitig Kenntnis von dem Schaden erhalten habe. Für die auf andere Weise erlangte Kenntnis des Haftpflichtschuldners von dem Schaden treffe jedenfalls die Behauptungs- und Beweispflicht den Ersatzberechtigten, sodass die vom Erstgericht getroffene Negativfeststellung zur Frage, ob die beklagte Partei von dem Unfall des Klägers seitens des Gendarmeriepostens Attnang-Puchheim informiert worden sei, zu Lasten der klagenden Partei gehe. Die beklagte Partei habe sich im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nie darauf berufen, dass eine entsprechende Anzeige des Unfalles an die beklagte Partei durch ihren Vertreter erfolgt wäre, sodass insoweit von einem schlüssigen Zugeständnis im Sinne des § 267 Abs 1 ZPO auszugehen sei.

Die Versäumung der Frist schade nicht, wenn die Anzeige auf Grund eines vom Geschädigten nicht zu vertretenden Umstandes unterblieben sei. Die Versäumung sei zu vertreten, wenn dem Anzeigepflichtigen Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zur Last falle. Der Anzeigepflichtige sei somit entschuldigt, wenn er etwa wegen Krankheit an der Erstattung der Anzeige gehindert sei oder wenn die Anzeige auf dem Postweg verloren gehe. Im vorliegenden Fall habe für den Kläger kein Hinderungsgrund für eine Anzeigeerstattung im Sinne des § 18 Satz 1 EKHG bestanden und seien daher die Unterlassung der Anzeige auch als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten anzulasten. Alleine der Umstand, dass der Geschädigte den Unfallhergang im Krankenhaus und/oder gegenüber der Gendarmerie - wahrheitsgemäß - geschildert habe, ändere nicht daran, dass er seiner Obliegenheit, dem Ersatzpflichtigen innerhalb dreier Monate Mitteilung vom Unfall zu machen, ausschließlich aus von ihm zu vertretenden Umständen nicht entsprochen habe, wenn er für die Unterlassung der Anzeige bzw die Unterlassung der Beauftragung eines Dritten mit der Anzeigeerstattung keine gesundheitlichen Gründe ins Treffen zu führen vermochte. Vor allem schade dem Ersatzpflichtigen weder Kennenmüssen des Schadens noch eine Kenntniserlangung erst nach Ablauf der dreimonatigen Frist und könne daher die bloße Erwartungshaltung des Geschädigten, dass der Haftpflichtschuldner innerhalb der dreimonatigen Frist durch die Gendarmerie von dem Unfall verständigt werden werde, nicht als rechtmäßiges Alternativverhalten im Sinne des § 18 Satz 2 EKHG gewertet werden. Etwas anderes könnte nach Ansicht des Berufungsgerichtes nur dann gelten, wenn dem Geschädigten von der Gendarmerie ausdrücklich mitgeteilt worden wäre, dass in jedem Fall eine Verständigung des Haftpflichtigen von dem Schaden durch sie erfolgen werde, wovon im vorliegenden Fall aber auch nicht andeutungsweise die Rede gewesen sei. Der in der Krankengeschichte der Unfallabteilung des LKH Vöcklabruck festgehaltene Unfallhergang, wonach der Patient beim Aussteigen vom Zug überknöchelte und sich dabei das linke Sprunggelenk verletzte, lasse jeglichen Hinweis auf ein allfälliges Fremdverschulden an der vom Kläger erlittenen Verletzung vermissen, sodass dieser auch unter diesem Gesichtspunkt keineswegs auf eine Anzeigeerstattung durch das GPK Attnang-Puchheim gegen Verantwortliche der beklagten Partei an die Staatsanwaltschaft vertrauen habe dürfen.

Ein Eingehen auf die in der Berufung der beklagten Partei enthaltene Beweis- und Tatsachenrüge sei somit als rechtlichen Erwägungen entbehrlich, weil auch nach der vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung zur allfälligen anderweitigen Kenntniserlangung von dem Schaden durch die beklagte Partei auf das EKHG gegründete Schadenersatzansprüche der klagenden Partei mangels rechtzeitiger Anzeigeerstattung im Sinne des § 18 EKHG erloschen seien.

Zu prüfen bleibe allerdings noch, ob der beklagten Partei bzw deren Erfüllungsgehilfen ein Verschulden an der vom Kläger erlittenen Verletzung anzulasten sei, zumal die Anzeigepflicht des § 18 EKHG nur im Hinblick auf Ansprüche nach dem EKHG, nicht aber für solche nach dem ABGB gelte und daher Ansprüche aus der Verschuldenshaftung durch die Unterlassung rechtzeitiger Anzeige nicht erlöschen würden. In gleicher Weise wie bei Vorliegen eines Betriebsunfalles hafte der Betriebsunternehmer in einem solchen Fall dem Geschädigten aus dem Beförderungsvertrag, wenn er sich nicht entsprechend § 1298 ABGB entlasten können.

Mit dem Abschluss von Beförderungsverträgen entstehe für den Beförderungsunternehmer die vertragliche Nebenpflicht, die Sicherheit seiner Fahrgäste zu gewährleisten und deren körperliches Wohlbefinden nicht zu verletzen. Zu dieser Pflicht gehöre es auch, die Zu- bzw Abgänge zu bzw von den Verkehrsmitteln in einem Zustand zu erhalten, der das gefahrlose Ein- und Aussteigen der Fahrgäste gewährleiste. Auch der Eisenbahnunternehmer habe daher für die Verkehrssicherung (Verkehrssicherheit) der Zu- bzw Abgänge zu bzw von den Zügen zu sorgen. Die in § 1298 ABGB angeordnete Beweislastumkehr erstrecke sich auch auf die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten. Es müsse allerdings nach Lage der Sache der Schluss gerechtfertigt sein, dass der kausal handelnde Schädiger eine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Bei Sorgfaltspflichten bestehe die Nichterfüllung in der Sorgfaltsverletzung, welche als Ursache des entstandenen Schadens vom Geschädigten zu beweisen sei. Erst wenn die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt feststehe, komme die Beweislast des Schuldners für mangelndes Verschulden im Sinne des § 1298 ABGB zum Tragen. Die nachgewiesene Verletzung einer Vertragspflicht sei Grundvoraussetzung für eine vertragliche Haftung des Beförderungsunternehmers. Mangels Anwendbarkeit der Regeln des prima-facie-Beweises gehe auch im Bereich der Vertragshaftung die Unaufklärbarkeit der konkreten Unfallsursache zu Lasten der klagenden Partei, zumal dieser damit der Nachweis einer Sorgfaltsverletzung durch die beklagte Partei bzw deren Erfüllungsgehilfen insoweit nicht gelungen sei.

Nach § 44 Abs 2 Eisenbahngesetz 1957 dürften die Bahnbenützer nur an den dazu bestimmten Stellen und nur an der dazu bestimmten Seite der Fahrzeuge ein- und aussteigen; unter der "dazu bestimmten Seite der Fahrzeuge" sei - für jedermann erkennbar - die dem Bahnsteig zugewandte und nicht die auf das Nachbargleis führende Seite zu verstehen. Gegenteiliges sei auch vom Kläger nicht in Erwägung gezogen worden, weil er eben nur deshalb auf der "falschen" Seite des Waggons ausgestiegen sei, weil es ihm - aus im Einzelnen nicht näher feststellbaren Gründen - nicht gelungen sei, die beiden bahnsteigseitigen Türen des von ihm benützten Waggons zu öffnen. Nach der Verkehrsauffassung könne ein Bahnreisender auch keineswegs erwarten, dass sich in jedem Waggon Zugpersonal befinde, das ihm bei entsprechenden Bedarf als Hilfe beim Aussteigen zur Verfügung stehe. Körperlich behinderte Fahrgäste, die ohne fremde Hilfe die Waggontüre nicht öffnen und aus dem Zug aussteigen könnten, hätten daher grundsätzlich selbst für eine solche Unterstützung, etwa durch eine Begleitperson, andere Fahrgäste oder einen Zugbegleiter, Sorge zu tragen. Dass für den Fahrdienstleiter am Bahnsteig oder für das Zugbegleitpersonal die Schwierigkeiten des Klägers beim Öffnen der bahnsteigseitigen Waggontüren bei entsprechender Aufmerksamkeit erkennbar gewesen wären oder sich diese Personen sonst in irgend einer Weise sorglos verhalten hätten, sei im durchgeführten Beweisverfahren nicht hervorgekommen.

Da außer in Notsituationen kein Fahrgast auf der dem Bahnsteig abgewandten Seite aus dem Zug aussteigen dürfe und die Gefahren bei einem Aussteigen auf der "falschen" Seite für jedermann leicht erkennbar seien (kein Bahnsteig und damit verbunden tiefer liegendes Niveau des Bodens; zumeist in unmittelbarer Nähe befindliche Gleisanlage, die von einem anderen Zug gerade befahren werden könnte), müsse eine Verpflichtung der beklagten Partei, die Fahrgäste auf diese Gefahren durch entsprechende Warntafeln im Zug oder mittels Lautsprecherdurchsagen vor jedem Einfahren in einen Bahnhof ausdrücklich hinzuweisen, verneint werden, zumal vor offenkundigen Gefahren durch den Verkehrssicherungspflichtigen grundsätzlich nicht gewarnt zu werden brauche. Auch gebe es keine eisenbahnrechtlichen Normen, die die Verwendung eines seitensselektiven Türblockiersystems vorschreiben würden, sondern diesbezüglich bloße Empfehlungen des internationalen Eisenbahnverbandes, die nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen bei Fernzügen auch nicht dem allgemein üblichen Sicherheitsstandard entsprechen würden.

Auch die mangelnde Beleuchtung des sogenannten Erdbahnsteiges, wenn auf Gleis 3 ein Zug halte, könne nach Ansicht des Berufungsgerichtes der klagenden Partei nicht als Verschulden angelastet werden, weil der Erdbahnsteig (Bahnsteig 4) nach dem üblichen Betriebsablauf nicht als Ein- und Ausstiegsmöglichkeit für einen auf Gleis 3 haltenden Zug vorgesehen sei und für das Ein- bzw Aussteigen in einen bzw aus einem auf Gleis 4 haltenden Zug durch die dem Bahnsteig 3 zugehörige Beleuchtung eine ausreichende Lichtquelle auch für den Erdbahnsteig bestehe, zumal ein gleichzeitiges Halten von Zügen auf Gleis 3 und Gleis 4 ausgeschlossen sei.

Nach der Entscheidung ZVR 2001/37 bedeute das Unterlassen des - durch verbindliche Vorschriften nicht geforderten - Nachrüstens des Türmechanismus eines Eisenbahnwaggons durch die Anbringung einer während der Fahrt wirksamen Blockadeeinrichtung keine Verletzung der nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG, wenn die Türen gegen unbeabsichtigtes Öffnen entsprechend gesichert seien. Um so weniger könne es daher ein Verschulden des Eisenbahnunternehmers begründen, wenn im Fernreiseverkehr eingesetzte Eisenbahnwaggons nicht mit dem vom Sachverständigen angesprochenen seitenselektiven Türblocksystem nachgerüstet würden.

Zusammenfassend könne der beklagten Partei somit eine (schuldhafte) Verletzung ihrer vertraglichen Nebenverpflichtung, für die Verkehrssicherheit der Zu- bzw Abgänge zu bzw von den Zügen zu sorgen, nicht angelastet werden, sodass eine vertragliche Haftung der beklagten Partei für den vom Kläger erlittenen Unfall und dessen Folgen vom Erstgericht zu Recht verneint worden sei. Eine Gefährdungshaftung der beklagten Partei nach dem EKHG sei wegen unterlassener rechtzeitiger Anzeigeerstattung im Sinne des § 18 Satz 1 ABGB und Fehlens der Voraussetzungen des § 18 Satz 2 EKHG ausgeschlossen, sodass dem Schadenersatzbegehren der klagenden Partei die rechtliche Grundlage fehle.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Der erkennende Senat erachtet das Urteil des Berufungsgerichtes und dessen Begründung für zutreffend, weshalb es gemäß § 510 Abs 3 Satz 2 ZPO ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen. Den Rechtsmittelausführungen ist kurz noch folgendes entgegenzuhalten:

Zweck des § 18 EKHG ist es, den Ersatzpflichtigen möglichst rasch über die drohende Inanspruchnahme zu informieren und ihm die Gelegenheit zu geben, den Sachverhalt zu klären und für ihn günstige Tatsachen (Befreiungsgründe) zu sichern (Schauer in Schwimann VII2 § 18 EKHG Rz 1; Apathy, EKHG § 18 Rz 1; Danzl, EKHG7 § 18 Anm 1).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Kläger selbst der beklagten Partei den Unfall nicht (innerhalb dreier Monate) angezeigt hat, was gemäß § 18 EKHG grundsätzlich zum Verlust der in diesem Bundesgesetz festgesetzten Ersatzansprüche führt. Im Hinblick auf diese Feststellung stellt sich insoweit keine Beweislastfrage (vgl hiezu Danzl aaO § 18 Anm 7; dagegen Schauer aaO Rz 7). Für die Hinderung auf Grund eines vom Ersatzberechtigten nicht zu vertretenden Umstandes oder die auf andere Weise erhaltene fristgerechte Kenntnis des Ersatzpflichtigen - in diesen beiden Fällen würde kein Anspruchsverlust eintreten - ist der Ersatzberechtigte beweispflichtig (Schauer aaO Rz 7; Danzl aaO Anm 7). Der Umstand, dass zur anderweitigen Verständigung der beklagten Partei keine Feststellung getroffen werden konnte, wirkt sich daher zu Lasten der klagenden Partei aus.

Entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Ansicht durfte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass die Gendarmerie die richtige Stelle wäre, um die im § 18 EKHG vorgesehene Anzeige vorzunehmen. Vielmehr ist diese gegenüber dem Ersatzpflichtigen selbst zu erstatten. Die (strafrechtliche) Anzeige bei der Gendarmerie ist von der (zivilrechtlichen) Anzeige gegenüber dem Ersatzpflichtigen zu unterscheiden. Es ist nicht Aufgabe der Gendarmeriebeamten, zivilrechtliche Obliegenheiten von Verletzten wahrzunehmen, hierum müssen sich diese oder deren Rechtsfreunde selbst kümmern. Der Kläger durfte daher auch nicht darauf vertrauen, die Gendarmeriebeamten würden die beklagte Partei fristgerecht vom Unfall informieren. Hiezu hatten sie schon im Hinblick auf die Krankengeschichte, die keinen Hinweis auf Fremdverschulden enthielt, keine besondere Veranlassung. Die Unterlassung der Anzeige ist somit vom Kläger zu vertreten.

Was die Frage einer Verschuldenshaftung nach ABGB anlangt, ist es richtig, dass ein Beförderungsvertrag die Nebenpflicht enthält, die Gesundheit des Beförderten nicht zu beeinträchtigen; der Unternehmer ist zur sicheren und gefahrlosen Beförderung verpflichtet; im Falle der Verletzung dieser Pflicht obliegt ihm nach § 1298 ABGB der Nachweis seiner Schuldlosigkeit (RIS-Justiz RS0021735; Harrer in Schwimann2 § 1298 ABGB Rz 13; Reischauer in Rummel2 § 1298 ABGB Rz 23). Für den vom Geschädigten zu erbringenden Beweis der Schlechterfüllung des Vertrages und der Kausalität der Schlechterfüllung für den Unfall (vgl RIS-Justiz RS0022686 T 4, 17) reicht aber nicht schon die Feststellung aus, dass der Kläger sich als Eisenbahnfahrgast beim Aussteigen auf der "falschen" Seite des Zuges verletzte. Vielmehr hätte er beweisen müssen, dass sich die bahnsteigseitigen Waggontüren trotz ordnungsgemäßer Bedienung nicht öffnen ließen. Die Unklarheit, ob für die Nichtöffnen ein technischer Defekt oder eine Ungeschicklichkeit des Klägers ursächlich war, geht im Bereich der Verschuldenshaftung zu seinen Lasten.

Zu den konkreten Vorwürfen von Sorgfaltspflichtverletzungen (Warnhinweise an Waggontüren, seitenselektive Türsperre, Beleuchtung der Ausstiegsstelle, Austrittshöhe, Unterstützung durch Zugpersonal) wird neuerlich auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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