Spruch:
Wurde die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bestimmter Art ausdrücklich außergerichtlich vorbehalten und macht der Beschädigte Ansprüche dieser Art geltend, die ihm innerhalb von drei Jahren vor der Klage entstanden, so verstößt die Verjährungseinrede des Schädigers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Entscheidung vom 6. Juli 1967, 2 Ob 166/67.
I. Instanz: Bezirksgericht Villach; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Der Kläger Anton B. wurde am 12. April 1958 in V. bei einem Verkehrsunfall verletzt, der die Verurteilung des Beklagten wegen Übertretung nach § 335 StG. zur Folge hatte.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 1959, dem Verhandlungen vorausgegangen waren, unterbreitete die "Z."-Versicherungs-Gesellschaft als Haftpflichtversicherer des Beklagten Egon P. dem durch den nunmehrigen Klagsanwalt vertretenen Kläger einen Abfindungsvorschlag folgenden Inhaltes:
"Gegen Herrn Egon P. und die "Z."-Versicherungs-Gesellschaft habe ich, der Unterzeichnete Anton B., wegen des am 12. April 1958 von mir erlittenen Schadens Ersatzansprüche erhoben, mit der Behauptung, daß der - die Genannte(n) den fraglichen Schaden verschuldet oder zu vertreten habe(n).
Ich mache folgendes Angebot:
Gegen Erhalt einer einmaligen Entschädigung von 25.000 S, - zuzüglich 3500 S -, Anwaltskosten, bin ich wegen aller Ansprüche aus dem oben bezeichneten Schadenfall - vorhersehbarer und nicht vorhersehbarer Art - für jetzt und die Zukunft auch gegenüber sonstigen Personen und Firmen volkommen abgefunden.
Die Annahme dieses Angebotes erfolgt durch Zahlung der obigen Entschädigung innerhalb einer Frist von 3 Wochen ab heute.
Vorbehalten bleiben Ansprüche für evtl. zukünftige unfallskausale Einbußen aus meinen Dienstbezügen und angemessene unfallscausale Heilkosten, unter Zugrundelegung einer Verschuldensteilung 75%:25% zu Ungunsten des Autolenkers Egon P.
Dieser vom Kläger am 26. Oktober 1959 unterfertigte Abfindungsvorschlag wurde von der Gegenseite angenommen.
Mit der am 19. November 1965 bei Gericht eingelangten Klage machte der Kläger Ersatzansprüche für Verdienstentgang für die Zeit vom 1. März
1963 bis einschließlich September 1965 in der Höhe von 14.383 S, später eingeschränkt auf 14.618 S, geltend. Der Entgang ergibt sich nach dem Klagsvorbringen daraus, daß der Kläger unfallsbedingt nur mehr innendienstfähig ist.
Der Beklagte bestritt nach Grund und Höhe. Nach siebenmonatiger Prozeßdauer wendete er auch Verjährung ein. Der Verjährungseinrede begegnete der Kläger mit dem Einwand, daß auf diese unter dem Gesichtspunkt der Arglist nicht einzugehen sei.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung ab. Der Anspruch betreffe nicht unvorhersehbare, auch nach Ablauf der Verjährungszeit verfolgbare Folgewirkungen des Unfalles. Den bereits im Unfallszeitpunkt erkennbaren Schaden habe der Kläger aber innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist des - mit Rücksicht auf die Unfallszeit zur Anwendung gelangenden - § 14 KfzVerkG. nicht geltend gemacht und in dieser Zeit auch kein Feststellungsurteil erwirkt. Der Einwand des Klägers, es sei bei Abschluß des Vergleiches vom 26. Oktober 1959 beiden Vertragsteilen klar gewesen, daß eine Verjährungseinrede nicht gebraucht werden dürfe, könne an diesem Ergebnis mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 1502 ABGB. nichts ändern. Es erübrige sich daher, Feststellungen über den vom Kläger behaupteten Verzicht der Gegenseite auf die Verjährungseinrede, über die Unfallskausalität der Schäden und die Höhe des Verdienstentganges zu treffen. Auch wenn bei der vergleichsweisen Regelung künftig entstehende Schäden unberücksichtigt und deren Geltendmachung vorbehalten worden sei, könnten sich diese nur auf einen Zeitraum von zwei Jahren seit dem Unfallstag beziehen.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf. Im Abfindungsvorschlag sei ein Anerkenntnis der Haftpflichtansprüche des Klägers auch bezüglich drei Vierteln der vorbehaltenen Ansprüche dem Gründe nach zu erblicken. Der Sinn des Vorbehaltes habe nur der sein können, Risiko und Kosten eines Feststellungsprozesses zu ersparen. Die Verjährungseinrede des Beklagten laufe darauf hinaus, daß der Kläger trotz des Vorbehaltes die Feststellungsklage hätte erheben müssen. Gerade dies hätten sich die Beteiligten ersparen wollen. Dies ergebe sich aus der eindeutigen Abgrenzung der noch erhebbaren Ansprüche und aus der Verschuldensteilung dem Gründe nach. Zwar könne die Vereinbarung ein Feststellungsurteil nicht ersetzen, trotzdem hätte der Beklagte gegen eine Feststellungsklage einwenden können, daß diese überflüssig sei. Es dürfe keinen Zwang zur Klage geben, die der Kläger selbst für unzweckmäßig halte und die nur die Gerichte zusätzlich belaste. Angesichts des Vorbehaltes könne der Beklagte auch nicht einwenden, es seien seit dem 26. Oktober 1959 bereits mehr als zwei Jahre verstrichen. Denn der Vorbehalt enthalte keine Einschränkung dahin, daß die dem Gründe nach anerkannte Ersatzpflicht nur innerhalb von zwei Jahren nach Abschluß der Vereinbarung in Anspruch genommen werden könne. Nur in diesem Sinne könne die diesfällige im Ersturteil wiedergegebene, jedoch nicht erkennbar festgestellte Zeugenaussage der Prokuristin der "Z."- Versicherungs-Gesellschaft aufgefaßt werden. Sollte aber mit dieser Aussage gemeint gewesen sein, daß der Haftpflichtversicherer auf die Verjährungseinrede nicht verzichtet habe, dann habe jedenfalls der Kläger aus dem Verhalten der Gegenseite den gegenteiligen Eindruck gewinnen müssen. Die trotzdem erhobene Verjährungseinrede verstoße in diesem Fall gegen Treu und Glauben. Bei dem vereinbarten Vorbehalt, der nach der Absicht der Parteien ein Feststellungsurteil ersetzen sollte, handle es sich um ein deklaratorisches Anerkenntnis. Von einem Feststellungsurteil könne der Geschädigte 30 Jahre lang Gebrauch machen. Jedoch unterlägen nicht die einzelnen Ansprüche der dreißigjährigen Verjährungsfrist, vielmehr müßten die Ansprüche aus späteren Folgen innerhalb der kurzen Verjährungsfrist erhoben werden, dies insbesondere im vorliegenden Fall, wo kein Feststellungsurteil, sondern eine Parteienvereinbarung vorliege. Diese könne dem Kläger nach der aus ihr hervorgehenden Parteienabsicht zwar die Möglichkeit einräumen, vorbehaltene Ansprüche innerhalb der dreißigjährigen Verjährungsfrist geltend zu machen, indem die Verjährungseinrede dem Gründe nach als gegen Treu und Glauben verstoßend angesehen werden müsse. Nicht als arglistig könne sie jedoch gelten, soweit die Forderung des Klägers einen länger als zwei Jahre vor Klagseinbringung zurückliegenden Zeitraum erfasse. Es bestehe nämlich kein Anlaß, anzunehmen, daß nach der Absicht der Parteien eine längere Verjährungszeit als jene des § 14 KfzVerkG. gelten sollte. Die auf unrichtiger Rechtsansicht beruhende gänzliche Klagsabweisung durch das Erstgericht, ohne in der Sache selbst Feststellungen zu treffen, mache die Aufhebung des Ersturteiles erforderlich. Der Kläger habe behauptet, seit 1. März 1964 nur mehr innendienstfähig zu sein, mit der am 18. November 1965 erhobenen Klage jedoch Schadenersatzansprüche für die Zeit vom 1. März 1963 bis einschließlich September 1965, also für zwei Jahre und sieben Monate, geltend gemacht. Er könne Ersatz nur für die zwei Jahre vor Klagserhebung begehren, die Forderung für den davor liegenden Zeitraum wäre verjährt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zutreffend hat das Berufungsgericht den in der Vereinbarung vom 26. Oktober 1959 enthaltenen Vorbehalt als Anerkenntnis dem Gründe nach hinsichtlich künftiger, nach Art und Ausmaß fixierter Schadenersatzansprüche beurteilt. Ebenso ist aber dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß der Wortlaut des Vorbehaltes beim Kläger bzw. seinem Vertreter den Eindruck erwecken mußte, es werde der seinerzeitigen Geltendmachung der vorbehaltenen Ansprüche die Verjährungseinrede nicht entgegengesetzt werden. Unter diesem Gesichtspunkt widerspricht die trotzdem erhobene Einrede dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozeß[12], 9, 70). Brauchte der Kläger hienach mit der Erhebung der Einrede nicht zu rechnen, dann bedarf es keiner Untersuchung, ob es sich bei den geltend gemachten Ersatzansprüchen um solche für vorhersehbare Schäden handelt. Dahingestellt bleiben kann bei diesen Umständen auch die Richtigkeit der bereits wiedergegebenen Erwägungen des Berufungsgerichtes, betreffend die dreißigjährige Verjährungszeit. Maßgeblich ist die kurze, für Schadenersatzansprüche geltende Verjährungszeit. Diesfalls kann nicht der Ansicht der Vorinstanzen gefolgt werden, daß dies ausschließlich die zweijährige Frist des § 14 KfzVerkG. sein könne. Der Kläger hat seine Schadenersatzansprüche nicht auf die Bestimmungen dieses Gesetzes gestützt. Er hat schon in der Klage auf das strafgerichtlich festgestellte Verschulden des Beklagten verwiesen und damit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er einen Schadenersatzanspruch nach bürgerlichem Recht geltend macht. Für diesen gilt aber die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB. Der Kläger begehrt Ersatz für Verdienstentgang, der ihm in der Zeit vom 1. März 1963 bis einschließlich September 1965 entstanden sein soll. Die Klage wurde am 19. November 1965 erhoben. Verjährung ist daher nicht eingetreten. Da es an jeglichen Feststellungen zum übrigen Parteienvorbringen fehlt, hat das Berufungsgericht das Ersturteil mit Recht aufgehoben.
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