OGH 2Ob164/16f

OGH2Ob164/16f19.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr.

 Veith und Dr.

 Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache E***** L*****, Sachwalter Dr. W***** M*****, Rechtsanwalt in L*****, wegen Enthebung des Sachwalters, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 27. Juni 2016, GZ 15 R 225/16p‑57, womit über Rekurs des Sachwalters der Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 22. April 2016, GZ 1 P 310/15y‑52 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00164.16F.1219.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 30. 5. 2015 wurde der Revisionsrekurswerber, ein Rechtsanwalt, dem Betroffenen für die Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Sozialversicherungsträgern sowie gegenüber Banken und anderen Gläubigern sowie zur Schuldenregulierung als Sachwalter beigegeben. Mit Beschluss dieses Gerichts vom 19. 6. 2015 wurde der Wirkungskreis auf Einkommensverwaltung durch Sicherstellung, dass notwendige Fixausgaben wie Wohnungskosten und andere laufende Verpflichtungen bezahlt werden, sowie Übergabe des verbleibenden Einkommens an die betreffende Person durch Überweisung auf ein der betroffenen Person gehörendes Konto erweitert.

Am 21. 1. 2016 beantragte der Sachwalter seine Enthebung und brachte dazu vor, die Hausverwaltung, seine ständige Mandantschaft, habe mitgeteilt, dass der Betroffene als Mieter im betreffenden Haus bereits seit geraumer Zeit ein unleidliches Verhalten gegenüber den übrigen Mietern im Haus zeige. Diese würden durch ständiges Läuten zur Nachtzeit und durch das Schlagen gegen die Wände erheblich belästigt und hätten sich bereits verängstigt an die Polizei gewandt. Beschädigungen am Gebäude würden dem Betroffenen angelastet. Auch die Vermieterin sei eine langjährige Mandantin des Rechtsmittelwerbers. Aufgrund des langjährigen Mandats und Vertrauensverhältnisses zu Vermieter und Hausverwaltung sehe er sich als Sachwalter des Betroffenen in einem unauflöslichen Interessenskonflikt, sodass seine Eignung iSd § 278 Abs 1 ABGB für die Ausübung der Sachwalterschaft nicht weiter vorliege. Eine weitere Ausübung der Sachwalterschaft sei ihm nicht zumutbar und auch nicht im Interesse des Betroffenen.

Mit Beschluss vom 22. 4. 2016 erweiterte das Erstgericht den Umfang der Sachwalterschaft auf folgende Angelegenheiten: Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen; Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen; Organisieren einer angemessenen Betreuung (mobile Hausdienste und Ähnliches). Den Enthebungsantrag des Sachwalters wies es ab. Es stellte ua fest, die Wohnungsgenossenschaft habe sich zuletzt vor etwa drei Monaten beim Sachwalter gemeldet, aktuell gebe es keine Probleme. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Sachwalter sei mit den Angelegenheiten des Betroffenen bereits vertraut und es bestehe auch kein aktueller Anlass für die Annahme einer Interessenkollision. Davon sei der Sachwalter offenbar bislang selbst nicht ausgegangen, weil er auch den Mietvertrag namens des Betroffenen unterfertigt habe. Ansonsten lägen keine geeigneten Umstände für einen Sachwalterwechsel vor.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sachwalters nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Der Rekurswerber gehe selbst davon aus, dass der bloße Vertragsschluss im Namen des Betroffenen mit seiner Mandantschaft keine Interessenkollision darstelle. Dies müsse aber auch für die gegenwärtige Situation gelten, wenn keinerlei wie immer geartete Handlungen des Sachwalters als Rechtsanwalt der Hausverwaltung bzw der Vermieterin anstünden. Er habe selbst angegeben, dass derzeit keine akute Situation mit der Genossenschaft bestehe und er nichts mehr von ihnen gehört habe. Er habe nicht behauptet, dass er die Hausverwaltung oder Vermieterin außergerichtlich in irgendeiner Form, sei es durch ein bloßes Aufforderungsschreiben, Telefonate etc, gegen den Betroffenen zu vertreten gehabt hätte. Er bringe nicht einmal vor, dass die Hausverwaltung oder die Vermieterin in irgendeiner Form wegen des behaupteten unleidlichen Verhaltens des Betroffenen an diesen oder an den Sachwalter herangetreten seien. Der Umstand, dass sich andere Hausparteien bei der Mandantschaft des Sachwalters beschwert hätten, bewirke weder eine Interessenkollision noch eine Doppelvertretung.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Sachwalters mit dem Antrag, ihn als Sachwalter des Betroffenen zu entheben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Er wiederholt im Wesentlichen sein Vorbringen, er sei wegen der dargestellten Interessenkollision abzuberufen.

Der Betroffene, dem vom Obersten Gerichtshof die Revisionsrekursbeantwortung freigestellt wurde, äußerte sich nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist, da die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts einer Korrektur bedarf, zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Gemäß § 279 Abs 1 Satz 1 ABGB ist bei der Auswahl des Sachwalters besonders auf die Bedürfnisse der behinderten Person und darauf Bedacht zu nehmen, dass der Sachwalter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung zu einer Krankenanstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung steht, in der sich die behinderte Person aufhält oder von der sie betreut wird.

Diese Bestimmung hat einen bestimmten Fall einer Interessenkollision vor Augen. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass nicht auch andere Fälle von Interessenkollisionen denkbar sind: Nach der Rechtsprechung ist beherrschender Grundsatz für die Auswahl des Sachwalters das Wohl der behinderten Person. Allerdings ist bei Beurteilung der Eignung einer dem Behinderten nahestehenden Person zum Sachwalter auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0048982; vgl auch RS0049104). Um den grundsätzlich zum Sachwalter zu bestellenden nahen Angehörigen übergehen zu können, müssen mögliche Interessenkollisionen wahrscheinlich sein (RIS‑Justiz RS0049104 [T9]).

Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar nur auf die primär zur Sachwalterschaft berufenen, dem Betroffenen nahe stehenden Personen. Typischerweise besteht bei diesen relativ oft der beschriebene Interessenkonflikt. Die Möglichkeit einer Interessenkollision ist jedoch bei nicht nahestehenden Personen als Sachwalter – wie hier bei einem Rechtsanwalt – ebenso ernst zu nehmen. So wurde in der Entscheidung 5 Ob 44/06s die Ansicht der Vorinstanzen für vertretbar erachtet, es liege eine Interessenkollision vor, wenn ein Rechtsanwalt, der Rechtsberater und Rechtsvertreter der Eltern ist, gleichzeitig Sachwalter deren Sohnes ist.

Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus das standesrechtliche Verbot der Doppelvertretung zu beachten. Nach § 10 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rats abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen.

Das in § 10 Abs 1 RAO statuierte Verbot der Doppelvertretung ist sowohl begrifflich als auch aus der Sicht rechtspolitischer Zielsetzung als weitreichend zu verstehen. Es betrifft überhaupt alle Rechtskonstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen bzw sich bereits abzeichnen (RIS‑Justiz RS0117715). Der Begriff der „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist weit auszulegen, er ist demnach nicht nur auf die formal prozessbeteiligten Personen beschränkt, sondern es ist auch auf den Widerstreit der Interessenlagen abzustellen (RIS‑Justiz RS0054995 [T26]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO9 § 10 Rz 11). Eine unechte (formelle) Doppelvertretung ist wegen Interessenkollision disziplinarrechtlich selbst dann fassbar, wenn sie im Einzelfall ohne Vertrauensbruch gegenüber dem Klienten oder ohne dessen Schädigung realisiert wurde. Die unechte Doppelvertretung ist selbst dann disziplinär, wenn auch nur die konkrete Gefahr einer Interessenkollision besteht (RIS‑Justiz RS0055014 [T4]; RS0055534 [T1, T2]). Unter „vertreten“ iSd § 10 Abs 1 RAO ist nicht allein das Einschreiten auf Grund einer Vollmacht zu verstehen, sondern jede anwaltliche Tätigkeit (RIS‑Justiz RS0055333 [T1], vgl auch RS0055010 [T1]). Der Begriff der „zusammenhängenden Sache“ ist dem Regelungszweck entsprechend weit auszulegen (RIS‑Justiz RS0055534 [T3]).

Dass nach dem Vorbringen des Sachwalters im vorliegenden Fall die konkrete Gefahr einer (auch standesrechtlich zu beachtenden) Interessenkollision zwischen den Interessen der Vermieterin und der Hausverwaltung einerseits und des Betroffenen als Mieter andererseits vorliegt, ist evident, zumal wegen des behaupteten unleidlichen Verhaltens des Betroffenen im Haus nicht ausgeschlossen werden könnte, dass der Rechtsmittelwerber gegen die Interessen des Betroffenen der Vermieterin oder der Hausverwaltung raten müsste, den Mietvertrag mit dem Betroffenen wegen dieses seines Verhaltens aufzukündigen (§ 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG).

Da keine Feststellungen zu den vom Rechtsmittelwerber behaupteten Interessenkollisionen vorliegen, ist das Verfahren ergänzungsbedürftig. Sollte das Vorbringen des Rechtsmittelwerbers zutreffen, wird ihn das Erstgericht als Sachwalter abzuberufen und einen anderen Sachwalter zu bestellen haben.

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